Geschichte der Baustatik (eBook)
Ernst & Sohn (Verlag)
978-3-433-61238-5 (ISBN)
Was wissen Bauingenieure heute über die Herkunft der Baustatik? Wann und welcherart setzte das statische Rechnen im Entwurfsprozess ein? Wir ahnen wohl, dass die Entwicklung von Berechnungsmethoden und -verfahren im engen Zusammenhang mit der Entdeckung neuer Baumaterialien und der Hervorbringung und Entfaltung von Tragformen stehen.
Mit dem vorliegenden Buch lädt der Verfasser seine Leser zur Suche nach dem Gleichgewicht von Tragwerken auf Zeitreisen ein. Die Zeitreisen setzen mit der Entstehung der Statik und Festigkeitslehre eines Leonardo und Galilei ein und erreichen ihren ersten Höhepunkt mit den baustatischen Theorien über den Balken, den Erddruck und das Gewölbe von Coulomb am Ende des 18. Jahrhunderts. Im folgenden Jahrhundert formiert sich die Baustatik mit Navier, Culmann, Maxwell, Rankine, Mohr, Castigliano und Müller-Breslau zu einer technikwissenschaftlichen Grundlagendisziplin, die im 20. Jahrhundert in Gestalt der modernen Strukturmechanik bei der Herausbildung der konstruktiven Sprache des Stahl-, Stahlbeton-, Flugzeug-, Automobil- und des Schiffbaus eine tragende Rolle spielt. Dabei setzt der Autor den inhaltlichen Schwerpunkt auf die Formierung und Entwicklung moderner numerischer Ingenieurmethoden wie der Finite-Elemente-Methode und beschreibt ihre disziplinäre Integration in die Computational Mechanics.
Kurze, durch historische Skizzen unterstützte Einblicke in gängige Berechnungsverfahren erleichtern den Zugang zur Geschichte der Strukturmechanik und Erddrucktheorie vom heutigen Stand der Ingenieurpraxis und stellen auch einen wichtigen Beitrag zur Ingenieurpädagogik dar.
Dem Autor gelingt es, die Unterschiedlichkeit der Akteure hinsichtlich ihres technisch-wissenschaftlichen Profils und ihrer Persönlichkeit plastisch zu schildern und das Verständnis für den gesellschaftlichen Kontext zu erzeugen. So werden in ca. 270 Kurzbiografien die subjektive Dimension der Baustatik und der Strukturmechanik von der frühen Neuzeit bis heute entfaltet. Dabei werden die wesentlichen Beiträge der Protagonisten der Baustatik besprochen und in die nachfolgende Bibliografie integriert. Berücksichtigt wurden nicht nur Bauingenieure und Architekten, sondern auch Mathematiker, Physiker, Maschinenbauer sowie Flugzeug- und Schiffbauer. Neben den bekannten Persönlichkeiten der Baustatik, wie Coulomb, Culmann, Maxwell, Mohr, Müller-Breslau, Navier, Rankine, Saint-Venant, Timoshenko und Westergaard, wurden u. a. auch G. Green, A. N. Krylov, G. Li, A. J. S. Pippard, W. Prager, H. A. Schade, A. W. Skempton, C. A. Truesdell, J. A. L. Waddell und H. Wagner berücksichtigt. Den Wegbereitern der Moderne in der Baustatik J. H. Argyris, R. W. Clough, Th. v. Kármán, M. J. Turner und O. C. Zienkiewicz wurden umfangreiche Biografien gewidmet. Eine ca. 4500 Titel umfassende Bibliografie rundet das Werk ab.
Über die Reihe edition Bautechnikgeschichte:
Mit erstaunlicher Dynamik hat sich die Bautechnikgeschichte in den vergangenen Jahrzehnten zu einer höchst lebendigen, international vernetzten und viel beachteten eigenständigen Disziplin entwickelt. Die Edition Bautechnikgeschichte/Construction History Series gibt ihr einen Ort für die Publikation wichtiger Arbeiten, die die ganze Breite des Forschungsgebiets widerspiegeln. Das Spektrum der Bände reicht von Überblickswerken über Monographien zu Einzelaspekten oder -bauten bis hin zu Biographien bedeutender Ingenieurpersönlichkeiten.
Beide Hauptrichtungen der Bautechnikgeschichte, der eher konstruktionsgeschichtlich und der eher theoriegeschichtlich geleitete Zugang, finden Berücksichtigung.
Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Karl-Eugen Kurrer, am 10. August 1952 in Heilbronn als Sohn von Maria Kurrer, geb. Schmückle (1925-2018) und Hermann Kurrer (1919-2005) geboren. Nach Abschluss der Dammrealschule in Heilbronn daselbst Maurerlehre bei der Fa. Paul Ensle (1968-1970), Studium des Allgemeinen Ingenieurbaus an der Staatsbauschule Stuttgart (heute: Hochschule für Technik) und danach Bauingenieur im Betriebsbereich "Ingenieur-Holzleimbau" der Fa. Friedrich Losberger GmbH in Heilbronn (1973/74).
Anschließend Studium des Bau- und Verkehrswesens, der Wissenschafts- und Technikgeschichte sowie der Physikalischen Ingenieurwissenschaften an der TU Berlin mit Abschluss in der letztgenannten Studienrichtung. Dort 1981 Fertigstellung der Diplomarbeit Entwicklung der Gewölbetheorie vom 19. Jahrhundert bis zum heutigen Stand der Wissenschaft am Beispiel der Berechnung einer Bogenbrücke. Seit 1980 zahlreiche Beiträge in Zeitschriften, Zeitungen, Büchern und Ausstellungskatalogen zur Wissenschafts- und Technikgeschichte im Allgemeinen und Bautechnikgeschichte im Besonderen.
1982/83 Statiker in einem Stuttgarter Ingenieurbüro. Von 1983 bis 1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem von Prof. Dr.-Ing. habil. Eberhard Gock (1937-2016) geleiteten Forschungsvorhaben des DFG-Schwerpunktprogramms "Zerkleinern" (1983-1986). 1986 Abschluss des Promotionsvorhabens Zur inneren Kinematik und Kinetik von Rohrschwingmühlen an der TU Berlin mit dem Prädikat summa cum laude und Fortführung der Drittmittelforschung auf dem Gebiet der rationellen Energieverwendung in der Industrie (gefördert über das Kernforschungszentrum Jülich aus Mitteln des Bundesministeriums für Forschung und Technologie von 1986 bis 1989) bis Ende September 1989.
1988/89 Entwicklung einer neuen Zerkleinerungsmaschine, der Einrohrschwingmühle, auf Basis seines Simulationsmodells und Erstellung von Leistungsbilanzen u. a. für die Einrohrschwingmühle. 1992 Anstoß zum Bau dieser Maschine, die zu einem Prototyp im Maßstab 1:1 an der TU Clausthal führte und schließlich Mitte der 1990er Jahre in der Exzenter-Schwingmühle Gestalt annahm und von der Fa. Siebtechnik (Mülheim/Ruhr) in 17 Ländern erfolgreich zum Patent angemeldet wurde. Die Exzenter-Schwingmühle reduziert den Leistungsbedarf gegenüber konkurrierenden Maschinen um rd. 50 % und konnte sich alsbald auf dem internationalen Maschinenmarkt erfolgreich etablieren. Als Mitglied des Entwicklerteams verantwortlich für die Analyse der Mechanik der Exzenter-Schwingmühle. Stellvertretend für das Entwicklerteam erhielt dessen Leiter, Eberhard Gock, mit dem Industriepartner den Technologietransferpreis der Industrie- und Handelskammer Braunschweig des Jahres 1998 zuerkannt.
Von 1989 bis Ende 1995 bei Telefunken Sendertechnik GmbH in Berlin als Entwickler von Tragstrukturen großer Antennenanlagen im Lang-, Mittel- und Kurzwellenbereich für den internationalen Markt beschäftigt: Weiterentwicklung des firmeneigenen Programmsystems zur Berechnung, Bemessung und Konstruktion der Seilnetzwerke von Kurzwellenantennen nach Theorie III. Ordnung; Mitarbeit an der Konzeption einer drehbaren Kurzwellen-Vorhangantenne aus Stahl, das 1999 in einem Großprojekt erstmals erfolgreich realisiert werden konnte.
Seit 1978 Forschungen auf dem Gebiet der Bautechnikgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Baustatik. Unter anderem von 1992 bis 2010 Mitarbeit an der von Patricia Radelet-de Grave und Edoardo Benvenuto (1940-1998) begründeten Tagungsreihe Between Mechanics and Architecture. Vorsitzender des Scientific Committee des 3rd International Congress on Construction History in Cottbus (20.-24. Mai 2009) und zusammen mit Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz und Dr.-Ing. Volker Wetzk Mitherausgeber der dreibändigen Proceedings.
Seit Ende 1995 Leiter des Arbeitskreises Technikgeschichte des VDI-Bezirksvereins Berlin-Brandenburg e.V. Vom 1. Januar 1996 bis 28. Februar 2018 im Berliner Verlag Ernst & Sohn für die Zeitschriften Stahlbau (gegründet 1928) und Steel Construction - Design and Research (gegründet 2008) verantwortlich.
Als Leiter des VDI-Arbeitskreises Technikgeschichte organisierte er über 400 Veranstaltungen (seit 2003 zusammen mit Dr. phil. habil. Stefan Poser), davon rd. 170 auf dem Gebiet der Bautechnikgeschichte. Mit Werner Lorenz von 2007 bis 2019 Konzeption, Organisation und Durchführung der Vortragsreihe Praktiken und Potenziale von Bautechnikgeschichte am Deutschen Technikmuseum Berlin.
2016 Auszeichnung mit der Ehrenplakette des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Für seine hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Bautechnikgeschichte wurde er am 18. Oktober 2017 von der BTU Cottbus-Senftenberg zum Dr.-Ing. E.h. promoviert.
Bis heute über 230 Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen - darunter zahlreiche Aufsätze und Kongressbeiträge mit Dipl.-Ing. Eberhard Pelke. Darüber hinaus veröffentlichte er über 140 Beiträge für Zeitungen wie den VDI.nachrichten (Düsseldorf). Mit Prof. Dr.-Ing. habil. Achim Hettler publizierte er 2020 bei Ernst & Sohn das Buch Earth Pressure.
Seit Sommersemester 2018 Lehrbeauftragter im Masterstudiengang Bauingenieurwesen der Hochschule Coburg für die einsemestrige Lehrveranstaltung über Bautechnikgeschichte.
Werner Lorenz wurde 1953 in Osnabrück geboren. Nach Abschluss eines Bauingenieurstudiums an der TU Berlin sammelte er ab 1980 zunächst praktische Erfahrungen in einem Berliner Ingenieurbüro, bevor er 1984 an seine Alma Mater zurückzukehrte. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Fachgebiet Tragwerkslehre ebenso wie 1988 im Rahmen einer Gastdozentur an der École Nationale des Ponts et Chaussées in Paris konnte er erste Seminare zur Bautechnikgeschichte gestalten. Nach einer Promotion zur Frühgeschichte des Eisenbaus in Berlin und Potsdam wurde er 1992 auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Bautechnikgeschichte an die BTU Cottbus berufen. 2018 emeritiert, ist er als Honorarprofessor für Bautechnikgeschichte weiterhin mit seiner Hochschule verbunden und leitet noch bis 2026 von dort aus als Koordinator das bundesweite DFG-Schwerpunktprogramm "Kulturerbe Konstruktion" (SPP 2255). Mit dem Fokus auf Eisen, Stahl und Stahlbeton, faszinieren ihn in seinen historischen Forschungen vornehmlich Bauten, Prozesse und Akteure des industriell geprägten Bauens. Als Tragwerksplaner und Gutachter hat er sich, unter anderem von 1996 bis 2018 als Partner in seinem Berliner Ingenieurbüro, auf historische und insbesondere denkmalgeschützte Hoch- und Ingenieurbauten spezialisiert.
Geleitwort
Zehn Jahre nach der 2. Auflage in deutscher Sprache erscheint Kurrers Geschichte der Baustatik in wesentlich erweiterter Form wieder mit dem Untertitel Auf der Suche nach dem Gleichgewicht. Der Zusatz weist natürlich auf die Bedeutung des wichtigsten aller mechanischen Grundsätze hin: Ohne Gleichgewicht keine tragende Struktur. Er drückt aber auch die ständige Suche nach der Balance zwischen der Baustatik als Wissenschaftsdisziplin und ihrer zentralen Aufgabe in der praktischen Anwendung aus, ganz im Sinne von Leibniz' Theoria cum Praxi. Dieses Wechselspiel hat beide Seiten zu allen Zeiten ganz wesentlich befruchtet, was sich als roter Faden durchgängig im gesamten Buchwerk zeigt.
Sämtliche Kapitel wurden dem heutigen Stand der Kenntnis aktualisiert und Fehler beseitigt. Manche Kurzbiografien erfuhren eine Überarbeitung. Die Anzahl der Kurzbiografien wurde von 243 auf 270 erweitert. Dementsprechend erfuhr auch die Bibliografie eine Ergänzung zumal diesmal – soweit ermittelbar – die digitalen Quellen angegeben wurden. Gegenüber der zweiten deutschen Ausgabe wurde der Manuskriptumfang um rd. 15 % gesteigert.
Gleich zu Anfang lesen wir, dass die erste Tagung über die Geschichte der Baustatik 2005 in Madrid stattgefunden hat. Das Thema, in Teilbereichen vielfach behandelt, wartet geradezu auf eine umfassende Darstellung. Das vorliegende Werk ist allerdings kein Geschichtsbuch, in der die Beiträge unserer Vorfahren zum Thema in chronologischer Folge aufgelistet und systematisch beschrieben werden. Es ist Kurrers Geschichte der Baustatik mit seinen Interpretationen und Einordnungen; glücklicherweise, denn so ist es eine spannende Zeitreise geworden, stark subjektiv geprägt, eher thematisch und nur grob chronologisch gegliedert, mit einer Vorliebe zum Wissenschaftstheoretischen, eben die Beschreibung der Evolution einer wichtigen technikwissenschaftlichen Grundlagendisziplin mit ihren vielen Facetten in Lehre, Forschung und vor allem Praxis.
Und was ist überhaupt Baustatik? Der Begriff in dieser Kurzform wird wohl erst am Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sein. Gerstners erstes Buch aus dem Jahr 1789 spricht noch von der statischen Baukunst; Emil Winkler verwendet um 1880 den Begriff Statik der Baukonstruktionen. Darin schließt Winkler auch die Erddrucktheorie ein, deren Entwicklungsgeschichte Kurrer von 1700 bis heute im umfangreichen Kapitel 5 gültig zusammenfasst. Die Geschichte der Baustatik ist zunächst einmal eine Geschichte der Mechanik und der Mathematik, die sich ja früher als ausgesprochen angewandte Wissenschaften verstanden. Kurrer nennt diesen Zeitraum von 1575 bis 1825 die Vorbereitungsperiode, die für den Bauwerksentwurf noch stark von der Empirie beherrscht wird. Dennoch müssen wir feststellen, dass hier die Grundlagen vieler Tragwerkstheorien gelegt werden. Gemeinhin wird das statische Gutachten der drei Mathematiker zur Sanierung der Peterskuppel (1742/43) als erste statische Berechnung im heutigen Sinne betrachtet, bei der eine Bauaufgabe durch Anwendung wissenschaftlicher Methoden angegangen wird, bezeichnenderweise begleitet durch den wohl ewig anhaltenden Streit zwischen Theorie und Praxis (s. Abschnitt 13.2.5). Heute belegen wir den Jahrhunderte alten Vorgang der gedanklichen Abstraktion natürlicher und technischer Prozesse in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen mit den Vokabeln Modellierung und Simulation, so als ob er erst mit dem Aufkommen des Computers und der Informationsverarbeitung eingeführt worden sei, dabei war er schon lange Triebkraft menschlichen Denkens und Handelns. Die Abbildung der tragenden Eigenschaften von Baukonstruktionen in ein Gedankenmodell ist ein typischer Fall. Als klassisches Beispiele seien die Entwicklung der Gewölbe-, Bogen- und Kuppeltheorien (s. Kapitel 4) sowie die kontinuumsmechanischen Erddruckmodelle von Rankine und Boussinesq (s. Abschn. 5.4 u. 5.5) genannt. Es hat sich eingebürgert, diesen rechnerorientierten Teilbereich in den einzelnen Wissenschaften mit dem Zusatz Computational zu bezeichnen, hier eben Computational Mechanics.
Das Jahr 1825 als der Beginn einer Disziplinbildungsperiode der Baustatik (s. Kapitel 7) ist sicher treffend gewählt. Baustatik reduziert sich nicht auf das Lösen einer Gleichgewichtsaufgabe und einen Rechenprozess. Navier, dessen Bedeutung als „Mechaniker“ wir heute noch mit seinem Namenszusatz bei zahlreichen Theorien anerkennen (Naviersche Spannungsverteilung, Navier-Lamé und Navier-Stokes-Gleichungen u. a. m.), war ein ausgesprochener Praktiker. Als Professor für Angewandte Mechanik an der École des Ponts et Chaussées hat er die Gebiete der Angewandten Mechanik und Festigkeitslehre zusammengeführt, um sie auf praktische Aufgaben des Bauwesens anzuwenden. So beschreibt er in seiner Mechanik der Baukunst 1826 die Arbeit der Ingenieure: (...) nachdem das Project eines Werkes entworfen und aufgezeichnet ist, untersuchen sie, ob sie allen Bedingungen genügt haben, und verbessern ihren Entwurf so lange, bis dies geschehen ist. Unter diesen Bedingungen ist die Oekonomie eine der wesentlichsten; die Solidität und die Dauerhaftigkeit sind nicht weniger wichtig (...) (s. Abschnitt 2.1.2.1). Mit Navier hob die Durchsetzung der Baustatik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin an. Wichtige Tragwerkstheorien und Berechnungsmethoden werden in der Folgezeit entwickelt, verbunden mit Namen wie Clapeyron, Lamé, Saint-Venant, Rankine, Maxwell, Cremona, Castigliano, Mohr, Winkler, um nur einige zu nennen. Die graphische Statik von Culmann und ihre Weiterentwicklung zur Graphostatik sind Meilensteine in der Geschichte der Baustatik.
Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Entwicklung nicht immer ohne Kontroversen abging, sei es aus inhaltlichen Gründen, aus einem disziplinären Wettbewerb oder einem Prioritätenstreit. Das spannende Thema wird an 13 Beispielen in Kapitel 13 vertieft.
Die Methodenentwicklung der Baustatik bekam in den folgenden Jahren eine starke Ausrichtung auf spezielle Tragwerksysteme und damit auch in natürlicher Weise auf die eingesetzten Baustoffe wie Eisen (Stahl) und später den Eisenbeton (Stahlbeton) (s. Kapitel 8, 9 und 10). Eigenständige werkstoffspezifische Systeme und Methoden wurden entwickelt; vereinfacht ausgedrückt: Der Stahlbau konzentrierte sich aufgrund seiner Modularität und der Fertigungsverfahren zuerst auf Stabtragwerke, erst seit den 1950er-Jahren kamen die Flächentragwerke dazu. Dagegen entfaltete der Betonbau seine ihm eigene Sprache in Form von flächenhaften Tragwerken wie Platten, Scheiben und Schalen. Dies schlägt sich in den Kapiteln 8 und 10 nieder. Die in Kapitel 9 behandelten räumlichen Fachwerke stellen gewissermaßen ein Scharnier dar.
Diese werkstofforientierte Trennung spiegelte sich auch bei der Lehre der Baustatik in getrennten Lehrveranstaltungen wider. Erst sehr viel später wurden die Teile zu einer einheitlichen Baustatik zusammengeführt, dann allerdings häufig „neutralisiert“, d. h. nicht mehr auf die besonderen Eigenschaften der Werkstoffe bezogen; eine Entwicklung, die aus heutiger Sicht kritisch zu beurteilen ist. Natürlich sind die Methoden der Baustatik im Grundsatz werkstoffübergreifend: Sie müssen aber im konkreten Fall die besonderen Eigenschaften der Werkstoffe mit einbeziehen.
Nach Kurrer geht die Disziplinbildungsperiode mit ihren großen Erfolgen durch die Graphische Statik und die Systematisierung der Berechnungsmethoden der Stabstatik in Gestalt des Kraftgrößenverfahrens um 1900 in eine Konsolidierungsperiode (bis 1950) über; diese ist geprägt durch Verfeinerung und Erweiterung, wie beispielsweise die Zuwendung zu den Flächentragwerken und die Berücksichtigung nichtlinearer Effekte. Erst dann beginnt die „Moderne“ der Baustatik, hier Integrationsperiode genannt. Sie ist gekennzeichnet durch den Einsatz des Computers und leistungsfähiger numerischer Methoden: Die Baustatik wird in den Tragwerksplanungsprozess Entwurf – Analyse – Bemessung – Konstruktion – Ausführung integriert. Sie ist damit ein Kernbaustein des Building Information Modeling (BIM), die digitalisierte modellbasierte Methode für den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks, in die auch mehr und mehr datenbasierte Modellbildungen (Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz) einfließen. Für die Überwachung wird auch das Konzept des digitalen Zwillings als numerisches Abbild des realen Bauwerks eingesetzt. Ist damit die Evolution abgeschlossen? Verliert die Baustatik etwa mit dieser Entwicklung als eigenständige Technikwissenschaft ihr Profil und ihre Berechtigung? Die Tendenzen der letzten Jahre zeigen allerdings das Gegenteil.
Die Geschichte von gestern und heute ist auch die Geschichte von morgen. Die Baustatik hat durch die Daten- und Informationsverarbeitung eine rasante Entwicklung durchgemacht, verbunden mit zahlreichen Paradigmenwechseln. Nicht mehr der Rechenprozess und Verfahrensfragen, sondern Grundlagen, Modellbildung, Realitätsnähe, Qualitätssicherung u. a. m. stehen im Mittelpunkt. Zum Aufgabengebiet gehören neben der Statik die Dynamik, Flächentragwerke spielen eine mindestens ebenso große Rolle...
| Erscheint lt. Verlag | 5.11.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Edition Bautechnikgeschichte / Construction History |
| Mitarbeit |
Herausgeber (Serie): Werner Lorenz |
| Zusatzinfo | 520 Abbildungen |
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Technik ► Bauwesen |
| ISBN-10 | 3-433-61238-2 / 3433612382 |
| ISBN-13 | 978-3-433-61238-5 / 9783433612385 |
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