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Das Bevölkerungsargument (eBook)

Wie die Sorge vor zu vielen Menschen Politik beeinflusst

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
183 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
9783518779422 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Bevölkerungsargument -  Dana Schmalz
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Gibt es das Zuviel an Wachstum nur an bestimmten Orten?

Um das Jahr 1800 lebten etwa eine Milliarde Menschen auf der Erde. Heute sind es mehr als acht Milliarden. Begleitet wurde dieses Wachstum immer wieder von Mahnungen, die letztlich auf den Ökonomen Thomas Malthus zurückgehen: Zu viele Menschen bedeuten Hunger, ökologische und gesellschaftliche Krisen.

Dana Schmalz zeigt, wie mit dem »Bevölkerungsargument« Politik gemacht wird: Ein Zuviel an Wachstum gibt es immer nur anderswo, im globalen Süden oder in marginalisierten Milieus. Regierungen nutzen das Argument, um reproduktive Rechte einzuschränken; rassistische Vorstellungen leiten nach wie vor die Entwicklungspolitik. Und neuerdings verweisen antifeministische Gruppierungen auf Geburtenraten, um ihre Verschwörungsideologien diskursfähig zu machen.



Dana Schmalz, geboren 1987, ist Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg/Berlin. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift<em> Kritische Justiz</em>.

9

Einleitung
Wie mit Bevölkerungswachstum argumentiert wird


Als am 15. November 2022 der achtmilliardste Mensch geboren wurde, saßen Delegierte aus der ganzen Welt gerade auf der UN-Klimakonferenz in Scharm El-Scheich an der Südspitze des Sinai zusammen. Sie berieten über Maßnahmen, um Treibhausgasemissionen zu verringern und die am stärksten betroffenen Regionen im Umgang mit dem Klimawandel zu unterstützen. Die Verhandlung begleiteten Proteste vielerorts, angeführt von jungen Menschen, die ihre Zukunft durch die Zerstörung des Planeten bedroht sehen. Es ist inzwischen deutlich, dass Klimawandel und Ressourcenknappheit nicht zwei Themen unter vielen sind. Der Umgang mit ihnen bildet eine Aufgabe für die Menschheit als ganze und wirft drängende Fragen globaler Gerechtigkeit auf.

Die Geburt des achtmilliardsten Menschen war dabei natürlich ein aus Statistiken bestimmtes Ereignis, so zeitlich genau lassen sich Geburten weltweit nicht verfolgen. Doch die Aufmerksamkeit war wie schon bei Erreichen der vorigen Milliarden groß. Auf sogenannten Weltbevölkerungsuhren konnte man online die Weltbevölkerungszahl verfolgen, die pünktlich am 15. November die 8 ‌000 ‌000 ‌000 erreichte. Ein in der philippinischen Hauptstadt Manila geborenes Baby wurde zum 10achtmilliardsten Menschen erklärt. In vielen Medien erschienen Beiträge. Neben den Berichten darüber, wo die Bevölkerung wie stark zunimmt, erwähnten viele Artikel auch, dass die Weltbevölkerung laut Prognosen bis etwas über zehn Milliarden wachsen und danach wieder schrumpfen wird.

Dass das Erreichen von acht Milliarden Menschen mit der 27. UN-Klimakonferenz zusammenfiel, war symbolträchtig. Nun, da Diskussionen um Klimawandel und Forderungen nach Nachhaltigkeit gesellschaftlich große Aufmerksamkeit erhalten, wird oft auf Bevölkerungswachstum als Problem verwiesen. So schreibt etwa das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf seiner Webseite: »Damit alle Menschen selbstbestimmt und würdevoll leben können und eine nachhaltige Entwicklung möglich wird, muss das Wachstum der Weltbevölkerung abgeschwächt werden.«1 Die britische Nichtregierungsorganisation Population Matters betitelte ihren Bericht anlässlich des Erreichens von acht Milliarden mit »Crisis Point« und betont, dass sich sowohl die Weltbevölkerung als auch die CO2-Emissionen seit 1974 verdoppelt haben. Mehr Menschen bedeuten mehr Verbrauch von Ressourcen und mehr Emissionen, so einfach scheint die Rechnung.

Doch auf das Klima wirkt sich vor allem die Lebensweise von Menschen aus und weniger ihre Zahl. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung produziert doppelt so viele Emissionen wie die ärmsten fünfzig Prozent.2 Durch Verursachung und Auswirkungen des Klimawandels zieht sich die Ungleichheit als roter Faden. 11Staaten haben in höchst unterschiedlichem Maße durch Emissionen die Erderwärmung mitausgelöst, Regionen sind in höchst unterschiedlichem Maße betroffen. Innerhalb von Gesellschaften sind es die Ärmsten, die durch Umweltzerstörung, Dürren oder Überschwemmungen zuerst ihre Lebensgrundlage verlieren.

Schon 1972 erschien die von Mitgliedern des Club of Rome verfasste Studie Die Grenzen des Wachstums, welche die »Bevölkerungsexplosion« als eines der drängendsten Probleme der Menschheit benannte und vor den ökologischen Folgen warnte.3 In den fünfzig Jahren seither ist das Bevölkerungswachstum erheblich zurückgegangen, von damals rund zwei auf heute weniger als ein Prozent. Gleichzeitig verschärfte sich der ökologische Notstand. Während die »Bevölkerungsexplosion« auf besorgtes Interesse stieß, rangen Wissenschaftler:innen noch jahrzehntelang darum, dass ihre Warnungen hinsichtlich der Klimaveränderungen Gehör fanden. Heute, da der Klimawandel in der globalen Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit erfährt, wird wiederum über Bevölkerungszahlen gesprochen. Insbesondere weil Umweltverschlechterungen und das regional unterschiedliche Bevölkerungswachstum zu Migration beitragen.

»Zu viele Menschen« – diese Sorge begleitet Diskussionen über Klima- und Umweltschutz, über Migration, über Armut, über Entwicklungspolitik. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wächst die Menschheit erheblich, besonders im 20. Jahrhundert war das Wachstum massiv. Nun nähern wir uns dem Zenit der Weltbevölkerungszahl, doch die Argumentationen mit Bevölkerungs12wachstum haben Gesellschaften geprägt und wirken fort.

In diesem Buch geht es darum, wie mit Bevölkerungswachstum argumentiert wird – und inwiefern diese Argumentationen oft einseitig sind. Als Bevölkerungsargument bezeichne ich die Behauptung, dass soziale Probleme auf übermäßiges Bevölkerungswachstum zurückzuführen seien. Dieses Argument gibt es in verschiedenen Varianten: in Bezug auf lokale Armut und auf globale Armut, in Bezug auf Migration und in Bezug auf Nachhaltigkeit. In all diesen Zusammenhängen sind demographische Entwicklungen ein Faktor, aber häufig dienen sie auch als Sündenbock. Es geht mir nicht darum, die oft wichtige Rolle von Bevölkerungszahlen zu bestreiten, sondern darum, die weiteren politischen Zusammenhänge zu beleuchten, in denen mit Bevölkerungswachstum argumentiert wird.

Wie Bevölkerungswachstum die Moderne prägt


Zunächst ist aber ein Blick auf die Zahlen wichtig: Die demographische Entwicklung in der Moderne war gravierend. Im Jahr 1800 lebte ungefähr eine Milliarde Menschen auf dem Planeten Erde, bis dahin war die Weltbevölkerung sehr langsam gewachsen. Doch dann nahm das Wachstum rasant zu. Im Jahr 1900 gab es schon ungefähr 1,6 Milliarden Menschen, 1927 waren es zwei Milliarden. Von der ersten zur zweiten Milliarde dauerte es also immerhin noch 127 Jahre, die weiteren Milliar13den folgten viel schneller. Im Jahr 1960 erreichte die Weltbevölkerung drei Milliarden, dann vier Milliarden im Jahr 1974 und fünf Milliarden im Jahr 1987. Im Jahr 1999 waren es sechs Milliarden Menschen und 2011 sieben Milliarden, bevor 2022 die Marke von acht Milliarden Menschen erreicht wurde. Das Wachstum beschleunigte sich also, nimmt inzwischen aber wieder allmählich ab. Am höchsten war die Wachstumsrate mit knapp über zwei Prozent zwischen den Jahren 1963 und 1970, heute ist die Wachstumsrate abgeflacht und liegt bei 0,9 Prozent. Die anerkannten Prognosen über die weitere Entwicklung der Bevölkerungszahlen unterscheiden sich zwar, alle sagen jedoch ein Ende des Bevölkerungswachstums gegen Mitte oder Ende des 21. Jahrhunderts voraus. Demnach wird die Weltbevölkerung eine Höchstzahl von zehn oder elf Milliarden erreichen und danach schrumpfen.

Die Bevölkerung wuchs zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Regionen besonders stark. Im 18. Jahrhundert begann eine demographische Veränderung zunächst in England und dann in vielen europäischen Staaten: Die Kindersterblichkeit sank, und die Lebenserwartung insgesamt nahm zu. Da die Zahl der Geburten erst einmal gleich blieb, setzte ein starkes Wachstum der Bevölkerung ein. Binnen einiger Jahrzehnte ging die durchschnittliche Geburtenzahl zurück, und das Wachstum der Bevölkerung verlangsamte sich wieder. Die Entwicklung lässt sich als wellenförmiger Graph beschreiben: Eine hohe Geburtenzahl mit hoher Kindersterblichkeit bedeutet ein allenfalls geringes Wachstum der Bevölkerung, während einer Phase mit 14verbleibend hoher Geburtenzahl, aber geringer Kindersterblichkeit steigt der Graph steil an, bevor er mit einer sinkenden Geburtenzahl wieder abflacht. Bezeichnet wird diese Entwicklung als demographic transition, als demographischer Übergang.4 Während dieses Übergangs wächst die Bevölkerung stark, und selbst wenn das Wachstum danach abnimmt, verbleibt die Bevölkerungszahl insgesamt auf einem höheren Niveau.

In Europa wuchs die Bevölkerung im 19. Jahrhundert erheblich. So stieg die Zahl der Einwohner:innen in England und Wales im Laufe des Jahrhunderts von knapp neun Millionen auf rund 32 Millionen.5 Deutschlands Bevölkerung nahm in derselben Zeit um 37 Millionen zu, von 18 auf 55 Millionen.6 Dieses Wachstum war von starker Emigration begleitet. Im 20. Jahrhundert verschob sich der Schwerpunkt des Wachstums in andere Weltregionen....

Erscheint lt. Verlag 13.1.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte aktuelles Buch • Bevölkerungsaustausch • Bevölkerungswachstum • Bücher Neuerscheinung • Diskurs • edition suhrkamp 2789 • ES 2789 • ES2789 • Eugenik • Fachkräftemangel • Flucht • Geburtenkontrolle • Geburtenrate • Grenzen • Großer Austausch • Herman Melville • Ideengeschichte • Migration • Neue Rechte • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Rassismus • reproduktive Rechte • Sexuelle Selbstbestimmung • Thomas Malthus • Überbevölkerung • Ungleichheit • Vereinte Nationen • Verschwörungstheorie • Weltbevölkerung • Zwangssterilisation
ISBN-13 9783518779422 / 9783518779422
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