Der beste Mensch der Welt (eBook)
208 Seiten
Riva Verlag
978-3-7453-2125-8 (ISBN)
Martin Seeliger liebt Tiere, Bücher und gutes Essen. Er lebt als freier Autor in Berlin und auf der Nordseeinsel Juist. Seit 2005 ist er Panik Panzer-Fan (damals noch Panik130).
Martin Seeliger liebt Tiere, Bücher und gutes Essen. Er lebt als freier Autor in Berlin und auf der Nordseeinsel Juist. Seit 2005 ist er Panik Panzer-Fan (damals noch Panik130).
DIE TOTEN BRENNEN
Wie ich einen Flugzeugabsturz überlebte
Ich war acht Jahre alt, als ich das erste Mal mit einem Flugzeug abstürzte. Auf einem Langstreckenflug von Hongkong nach Santiago de Chile war der metallene Vogel - es war eine Boeing 747 der Marke Airbus - in einen Wirbelsturm geraten. Während ich auf einem der modernen Flatscreens den von Steven Spielberg verfilmten Dinosaurier-Streifen Jurassic Park anschaute, brach um mich herum plötzlich Panik aus. Schrille Schreie erfüllten den Passagierraum. Einige Männer fingen an zu beten. »Ihr Arschlöcher«, dachte ich, »solltet ihr gleich vor euren Schöpfer treten müssen, würde er euch fragen, wie ihr es wagen konntet, mich, den jungen Panik Panzer, beim Filmgucken zu stören.«
Ich blieb cool, weil ich wusste, dass das, was gerade passierte, völlig normal war. Außerdem hatte ich nichts übrig für die Angsthasen und Jammerlappen. »Ladies and Gentlemen - beruhigen Sie sich bitte!«, beschwichtigte ich die Hasenfüße. »Solange hier niemand sein Handy einschaltet oder ein Quecksilberthermometer zerstört wird, sind wir in Sicherheit.« Ich bestellte mir noch einen Tomatensaft und setzte die Kopfhörer wieder auf meine kindlichen Segelohren. Auf dem Bildschirm bahnte sich ein gigantischer Tyrannosaurus Rex einen Weg durch das dichte Dickicht des Dschungels der Isla Nublar. »Dieser T-Rex ist eine absolute Killermaschine, er wird - wenn ihr nicht aufpasst - euer Leben ficken. Und alles nur, weil ihr Gottes Schöpfung manipulieren wolltet«, sinnierte ich vor mich hin und blickte dabei in die sich unheilvoll wellenden Kreise auf der Oberfläche meines Tomatensaftes. »Warum seid ihr überhaupt in diesen Scheiß-Park gefahren? Es war doch klar, dass die Saurier euch eines Tages erwischen würden, ihr verdammten Idioten!«
Um mir ein weiteres Glas herrlich gelber Fanta zu kredenzen, durchschritt eine der freundlichen Bordstewardessen einen lilafarbenen Vorhang, welcher einmal zur Seite bewegt den Blick auf die armen Teufel aus der Economy Class freigab. So stelle ich mir die Hölle vor. Aber das war nicht mein Problem. Mein größeres Interesse weckte eine dubiose Gestalt, die sich – ein Stethoskop um den speckigen Nacken gehängt – an einer der Notausgangstüren zu schaffen machte. Mir war sofort klar, dass die Person eine große Gefahr darstellte. »Haltet ihn auf!«, schrie ich aus voller Kehle. Doch es war schon zu spät. Das Flugzeug geriet in eine Schräglage und ein Hartschalenkoffer der Marke Samsonite oder Rimowa, so genau weiß ich das nicht mehr, versetzte mir einen dumpfen Schlag auf den Schädel. Ich verlor das Bewusstsein.
Mögt ihr eigentlich gerne Brause? Ich habe in meinem Leben viel Brause getrunken und, mit Verlaub, ich kenne mich aus. Wir beginnen mit ein paar Basics. Zuallererst möchte ich klarstellen, dass es sich bei einer Schorle keineswegs um eine Brause handelt. Was für viele banal oder sogar nichtig anmuten mag, markiert tatsächlich einen Unterschied wie den zwischen Tag und Nacht, Groß und Klein oder Frauen und Männern. Es gibt Brausen mit und Brausen ohne Kohlensäure. Limonadenbrause ist die beste Brause. Sie ist gelb. Aber auch die transparenten Brausen sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Doch genug davon jetzt.
Ich erwachte mit schmerzendem Schädel und blickte in eine Runde besorgter Gesichter über mir. »Der Junge ist aufgewacht«, quakte eine übergewichtige Frau mit britischem Akzent, die mir bereits beim Check-in in Hongkong negativ aufgefallen war. Die Frau war so fett, dass sie zwei Sitze ausfüllte. Ein armer Chinese hatte ihretwegen den Flug nicht antreten können. Na, der würde sich jetzt wahrscheinlich freuen, denn so wie ich die Sache sah, waren wir abgestürzt – mitten in den Alpen.
Wer von euch, wie ich, schon mal in den Alpen gewesen ist, weiß, dass dort nicht besonders viel los ist. Kilometerlange Gebirgsketten erstrecken sich über den südamerikanischen Kontinent, von der Spitze unten in Feuerland bis fast nach Chicago. Dort leben nur ein paar Kondore, Spitzkrokodile, Brillenbären, Peruanische Nackthunde, Steinböcke und einige wenige Ureinwohner, von deren Anwesenheit man nur Notiz nimmt, wenn ihr liebliches Panflötenspiel durch die Gebirgsketten wabert. In jener Nacht übertönte allerdings das Geheule der Nackthunde die Klageschreie der verletzten Flugzeuginsassen, die aus den rauchenden Trümmern des Flugzeugwracks zu uns herübertönten.
Wie schade es um die Maschine war, brauche ich euch nicht zu erklären. Aber in erster Linie galt mein Mitgefühl den Angehörigen der vielen Toten, die ihr Leben beim Absturz des Flugzeugs verloren hatten. Einen geliebten Menschen zu verlieren kann sehr schmerzhaft sein. Erschwerend kam hinzu, dass die Entschädigungszahlungen in einem komplizierten Fall wie diesem oft lange auf sich warten ließen. Plötzlich stieg mir ein bekannter Geruch in die Nase. Es roch irgendwie nach Sonntagsbraten. »Die Toten brennen!«, schrie ein mysteriöser Mann, der daraufhin im Schatten der Dunkelheit verschwand und nie wieder gesehen wurde.
Der Feuerschein tauchte die Silhouette der Anden in ein gespenstisches Licht. Wir Überlebenden fassten uns an den Händen, wobei ich darauf achtete, möglichst weit entfernt von der fetten Engländerin zu stehen, und summten mutmachende Melodien. »Wir Überlebenden«, so setzte ein freundlich dreinblickender Rotschopf an, »müssen uns nun gemeinsam den Weg zurück in die Zivilisation bahnen. Wir schicken einen Erkundungstrupp los, der uns in der Gegend hier einen Überblick verschafft. Die anderen suchen in den Trümmern nach übrig gebliebenen Essen. Aber Vorsicht – in der Umgebung könnten sich gefährliche Tiere wie Pumas oder Schakale herumtreiben«, fügte er wissend hinzu.
Obwohl ich Belehrungen und Befehle überhaupt nicht leiden kann, weil ich schon als Kind mein eigener Herr war, entschied ich mich, vorerst den Ball flach zu halten, und tat wie mir geheißen. Gelegenheiten, den freundlich dreinblickenden Rotschopf für seine Unverschämtheiten zur Rechenschaft zu ziehen, würden sich hier in der Zukunft noch zur Genüge bieten.
Im Umkreis des Flugzeugs sammelte ich zuerst kleine Dosen mit Erdnüssen der Marke Ültje auf, die, ursprünglich für den Bordverkauf bestimmt, nun auf den Berghängen der chilenischen Alpen verstreut lagen. Die Tiere der lokalen Fauna dürften bei dem Schauspiel, das sich ihnen bot, nicht schlecht gestaunt haben. Aber das unterscheidet eben uns Menschen von den Tieren – der unbedingte Wille zum Überleben. Stellen Sie sich mal Folgendes vor: ein Schwein am Steuerknüppel einer Boeing 747. Der Absturz wäre vorprogrammiert. Denn Schweine sind weder kognitiv noch motorisch in der Lage, ein Flugzeug mithilfe eines Steuerknüppels zu lenken. So was kann nur ein Mensch. Und deswegen ist ein Mensch ein Mensch und ein Schwein ein Schwein.
Weiterhin fand ich auf den Bergwiesen im Umkreis des Wracks auch zahlreiche Gliedmaßen und Organe derjenigen Unfalltoten, die sich offensichtlich nicht an die Sicherheitshinweise des Flugpersonals gehalten hatten. Anders konnte ich mir dieses Durcheinander beim besten Willen nicht erklären. Nachdem ich möglichst viele der Erdnüsse auf Vorrat vertilgt hatte, plagte mich ein entsetzlicher Durst. Gott sei Dank befand sich unter den Überlebenden auch die freundliche Bordstewardess, die mir während des Fluges in fließbandartiger Manier den Tomatensaft und die wohlschmeckende Brause im Wechsel serviert hatte. »Ey, hast du noch so eine Limo?«, schrie ich zu ihr herüber. »Ich habe die ganzen Erdnüsse hier gegessen. Die waren ganz schön salzig und nun leide ich unter fürchterlichem Durst.«
Mit ihrer fürsorglichen Art und ihrem lieblichen Wesen gelang es der Bordstewardess, uns ein kleines Stück der Normalität zurückzugeben, derer der Absturz uns so jäh entrissen hatte. Es ist eine Gabe der Frauen, auch unter widrigsten Bedingungen Wärme spenden und Behaglichkeit verbreiten zu können. Mit ihren Limonaden und Tomatensäften half sie uns in diesem dunklen Moment, die schrecklichen Ereignisse der letzten Stunden wenigstens für eine kurze Zeit zu vergessen. Die Brause spendete Trost und weckte unseren Mut, denn sie erinnerte uns daran, dass uns jenseits der Bergketten ein besseres Leben erwarten würde.
Das Wetter in den chilenischen Alpen war sehr schön und die Nächte waren lau, denn es war Sommer. Wir spielten Schach und Halma und vertrieben uns die Zeit, indem ich den anderen Geschichten aus meinem Leben erzählte. Schnell war ich in der Gruppe der Beliebteste. Die Zeit verging wie im Fluge und wäre da nicht die fette Engländerin gewesen, die mich immer wieder durch dumme Fragen und lästige Kommentare provozierte – ich hätte es gut ausgehalten dort oben in den Anden.
Doch eines Tages passierte etwas, das alles veränderte. Ich ahnte, dass das, was nun passierte, alles verändern würde. Die Vorräte gingen zur Neige. Jeder und jede von uns wusste natürlich, dass wir nicht ewig so würden weitermachen können. Unsere kleine Gemeinschaft von Überlebenden war auf Sand gebaut. Funktionierte sie doch nur so lange, wie wir den Stoffwechsel mit der Natur mithilfe der vorrätigen Nahrung bewerkstelligen konnten. Da wir die in Aluminium eingeschweißten Portionen von chicken or beef als Erstes verzehrt, den zugehörigen Tomatensalat, die M+M’s und die Toblerone danach und ich die Ültje-Erdnüsse bereits unmittelbar nach dem Absturz in mich hineingestopft hatte, waren wir gezwungen, uns neu zu orientieren.
Ich zögerte kurz, wusste aber, dass das nichts bringen würde. Also brach ich das betretene Schweigen der Feiglinge um mich herum, um das Unaussprechliche schließlich doch auszusprechen. »Freunde, wir müssen die herumliegenden Leichenteile essen.« Unter den Überlebenden erklang ein...
| Erscheint lt. Verlag | 19.2.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Abbruch Abbruch • Adrenochrom • Anarchie und Alltag • Antilopen Gang • Antilopen Geldwäsche Sampler 1 • aversion • Beate Zschäpe • Buch • Danger Dan • DIE PARTEI • Hip-Hop • Humor • Interview • Koljah • lustig • NMZS • Pizza • Politik • Punk • Rap • Rock • verliebt |
| ISBN-10 | 3-7453-2125-1 / 3745321251 |
| ISBN-13 | 978-3-7453-2125-8 / 9783745321258 |
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