Wie sich dieser Aufstieg erklärt, beleuchtet der Journalist Stefan Berkholz, der Robert Habeck lang begleitet und genau beobachtet hat. Wo kommt Habeck her, was hat ihn geprägt? Ob sich die Inhalte und die Ernsthaftigkeit, die er immer wieder einfordert, in unserer Ablenkungsgegenwart überhaupt transportieren lassen? Und ob wir Aufrichtigkeit in der Politik auch dann noch ertragen, wenn sie unseren Wohlstand infrage stellt? Auch davon handelt dieses facettenreiche Buch.
- Realpolitiker, Teamplayer, Philosoph, Provokateur - das faszinierende Porträt des Shooting-Stars der deutschen Politik.
- Aus Gesprächen mit Robert Habeck, mit Weggefährten und politischen Gegnern, aber auch mit Rhetorikexperten und Psychologen entstand diese facettenreiche Nahaufnahme
- Woher kommt Robert Habeck? Was hat ihn geprägt? Wer sind seine Vorbilder, wie seine Ansichten vom Menschen, woran glaubt er?
Stefan Berkholz wurde 1955 geboren und schrieb Beiträge für Die Zeit und den Tagesspiegel, Rezensionen für den ARD-Hörfunk und Hörfunkfeatures. Er veröffentlichte unter anderem »Carl von Ossietzky. 227 Tage im Gefängnis. Briefe, Dokumente, Texte« (Hg.). Der Autor lebt in Berlin.
»Das ganze Ding ist ein Risiko«
Der Waghalsige
»Es gibt, bei mir jedenfalls, eine große Bereitschaft, es zu riskieren, es drauf ankommen zu lassen«, sagt Habeck im Gespräch. Und er meint damit auch sein Engagement in der Politik.9
Ist er also ein Spieler? Einer, der blufft? Eine Risikonatur? Wie Yanis Varoufakis etwa, der kurzzeitige Finanzminister Griechenlands, der – angeblich – Vertreter der Spieltheorie ist? Nein, sagt Habeck, mit Spielerei habe das bei ihm nichts zu tun. Er sei keine Spielernatur, »im Sinne von Leichtigkeit«. Er halte sich eher an seine Erfahrung, »dass die Dinge dann gelingen können, wenn man voll auf sie setzt«. Also nicht einen alternativen Plan in der Hinterhand haben, einen Plan B als Ausweichmöglichkeit; sondern Plan A fassen, formulieren, strukturieren und diesen dann mit allen Konsequenzen durchziehen.
Was aber ist sein Plan? Hat er ein festes Ziel im Blick? Ist es sein oberstes Ziel, Bundesminister zu werden oder gar Kanzler? Aus seinen Äußerungen lassen sich bis Ende 2020 keine festen Absichten ablesen. Konkrete Fragen wiegelt er immer wieder ab.
Habecks Lebensstil ist sein Understatement. Hinter seiner Höflichkeit und Rücksichtnahme in der Öffentlichkeit, hinter seinem Herunterspielen, was die eigenen Bestrebungen anbelangt, brennt ein starker Wille, eine Kraft, die Einfluss nehmen will, anpacken, verändern, umkrempeln – oder »gestalten«, wie es bei Politikern häufig heißt. Ein Geist, der die Welt am liebsten aus den Angeln heben, eine gezähmte Ungeduld, die an den Schalthebeln dieser Republik rühren möchte.
In seiner politischen Autobiografie von 2016 spielt er seine Karriere herunter: »Mein Weg durch die Politik war eine wilde Mischung aus Zufall (…) und der Bereitschaft, sich auf neue Anforderungen einzulassen. Das Einzige, was gleich geblieben ist, ist das Suchen, die Suche nach Sinn und die Hoffnung, dass es ihn gibt und es einen Unterschied ausmacht, ob ich mich an der Suche beteilige.«10
Im Titel seiner politischen Autobiografie, Wer wagt, beginnt, klingt dieses Flirten mit dem Risiko bereits an. Im Vorwort heißt es: »Kein Eiferertum, aber Mut und Leidenschaft sind Tugenden – und sie werden jetzt gebraucht: Auszubrechen aus dem taktischen Korsett, offen und mit Risiko die politische Auseinandersetzung suchen und nicht aus Angst vor Niederlagen gar nichts mehr riskieren – das ist das, was jetzt ansteht. Wer wagt, muss jetzt beginnen.«11
Vorbild für ihn seien immer jene Menschen gewesen, die »eine gewisse Grundsätzlichkeit« hatten. Als Schriftsteller beispielsweise Albert Camus. Der habe seinen Literaturnobelpreis zurückgegeben, habe mit anderen Existenzialisten gebrochen, etwa mit Jean-Paul Sartre, weil er die ideologischen Positionen, die Verengungen und Verhärtungen nicht hinnehmen wollte. Das hat eine »hohe Konsequenz«, meint Habeck, »wenn man sagt: Ich geh meinen Weg. Ich will den erfolgreich durchführen, aber es bleibt mein Weg. Das fand ich immer besonders beeindruckend.«12
Ein Vorbild als Politiker ist auch Václav Havel, der tschechoslowakische Dissident, der für seine Überzeugungen mehrmals verhaftet wurde, ins Gefängnis ging und insgesamt rund fünf Jahre hinter Gittern zubrachte. Nach dem Ende des sozialistischen Regimes wurde er rehabilitiert und Staatspräsident seines Landes. Auch er: konsequent und unbeugsam. Im Gefängnis hatte Havel nach drei Jahren, im März 1982, eine Bilanz gezogen: »Einfacher gesagt: ich musste so handeln, wie ich gehandelt habe, anders ging es einfach nicht.«13
Habeck schreibt, seine Generation habe es nicht leicht gehabt, sich aus dem »großen Kuddelmuddel« herauszuwursteln. 1969 geboren, rechnet er sich zur 89er-Generation, der »Generation Golf«, wie Florian Illies sie beschrieben hat, »die Generation der zu spät Gekommenen«.14 Die »Weichei-Generation«, wie Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, sie einst bezeichnet hat.15
Die 68er-Generation hat die deutsche Gesellschaft vom »Muff unter den Talaren« befreit und die Nachwirkungen des Nationalsozialismus öffentlich gemacht; zugleich ist sie anfällig für rigide Ideologien. Damit können Zwanzigjährige an der Zeitenwende von 1989 nichts anfangen. Aber wo soll der Weg für sie sein, wohin soll er sie führen? Das explodierende Atomkraftwerk von Tschernobyl rüttelt sie im Sommer 1986 aus ihrem Wohlstandsschlaf. Ihre Zukunft steht auf dem Spiel. »Materialismus als Lebensform«, das kann es nicht sein. Es habe »keinen gesellschaftlichen Idealismus« gegeben, sagt Habeck, »das musste man sich quasi selber erkämpfen«. Und der Weg in eine Partei? Nicht unbedingt angesagt in seiner Generation.16
Frei sollte der Weg sein, frei und ungebunden. Aber wie frei und ungebunden? Mit 27 Jahren heiratet Habeck, wird Vater eines Sohnes. Auch nicht unbedingt angesagt in seiner Generation, so jung und finanziell ungesichert eine Familie zu gründen. »Das hat mich den gesamten Freundeskreis gekostet«, sagt Habeck. »Denn mit dem hippen Leben, nachts auf Partys rumhängen, bis zum Morgen tanzen, war’s vorbei. Aber damals war das ein Akt der Unangepasstheit. Meine Eltern haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, und Geld war auch nicht da.«17 Also auch privat: ein Weg ohne Netz und doppelten Boden? »Unsere Familie basiert auf einer Mutprobe«, bekennt er und meint damit schon die erste Verabredung, die einer Wette glich, mit seiner Lebensliebe und späteren Ehefrau Andrea Paluch.18
Nach ihrer in einem Jahr vorgelegten Dissertation (und nun bereits mit drei Söhnen) schlagen er und seine Frau Verlagsangebote oder Universitätsjobs aus und entscheiden sich für eine Existenz als freie Schriftsteller. Ein Vabanquespiel. Welche freien Autoren können von ihrer Arbeit auskömmlich leben und das, seit 2002, sogar zu sechst, mit vier Kindern? Aber das Ehepaar geht diesen Weg, um seine Zeit mit vier Kindern partnerschaftlich zu teilen, Haushalt, Kinderbetreuung, Schriftstellerleben gemeinsam zu gestalten. »Meine Frau und ich entschieden uns (…) für das Risiko, durch Schreiben unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und es war die richtige Entscheidung.«19
Auch in der Literatur, die er rund zehn Jahre lang zusammen mit seiner Ehefrau verfasst, taucht das Wort Risiko wiederholt auf. Im ersten gemeinsam verfassten Jugendbuch von 2006, Zwei Wege in den Sommer, riskieren Jugendliche allerlei Abenteuer. Sie begeben sich auf die Reise ins Irgendwo, überlassen sich den Gewalten des Meeres, wagen sich ins Unbekannte, hoffen darauf, ihren Weg zu finden. Ein Aufbruch ins Ungewisse.20
In einem Interview wird Habeck im Juni 2007 auf seine Rollen als Schriftsteller und Politiker angesprochen. Der Journalist meint, dass ein Schriftsteller im politischen Betrieb doch wohl eher ein Exot sei. Habeck antwortet, dass der politische Jargon »eine harte Probe« darstelle und zur Anpassung verführe: »In der Politik wird eine sehr defensive Sprache gesprochen. Literatur aber muss viel riskieren. Diese Haltung versuche ich in die Politik zu retten – mal sehen, was dabei rauskommt.«21 Noch ist Habeck Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, ausgestattet nur mit einer Aufwandsentschädigung. Die Doppelbelastung nimmt zu.
Im zweiten Jugendroman, Unter dem Gully liegt das Meer, sind die meisten Figuren auf Risiko gepolt. Die Erzählung dreht sich um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Jugendlichen kommen aus der autonomen Szene, aus der Hausbesetzerszene, sie sind anarchistisch, gewaltbereit, auf Umsturz der Verhältnisse aus. Die 19-jährige Edda ist unentschlossen, sie weiß nicht recht, wohin, fragt sich, wem sie sich anschließen, welchen Sinn die Existenz vor dem Tod haben soll. Ein Leben »mit vollem Risiko und ohne Vertagung auf das Jenseits«, überlegt sie, sei würdiger als der Glaube in einer Kirche.22 »Ich würde sagen, das Leben ist mehr als die Summe seiner Teile. Es ist eben nicht berechenbar. Es ist die Intensität des jeweiligen Augenblicks.«23 Und Jasper, ihr Freund, übernimmt den Gedanken, »dass man nicht umsonst lebt, dass man nicht seine Jahre auf der Erde verbringt und keine Spuren hinterlässt, dass man etwas ändert, was nur man selbst ändern kann, weil es sonst keinen Sinn machen würde, dass man da gewesen ist …«24
Spuren hinterlassen, sinnvoll leben, volle Kraft voraus. Wer weiß, wie weit die Kräfte reichen? Das Leben ist endlich, es bleibt keine Zeit zu vergeuden. Und in der Politik? Natürlich auch dort: volle Kraft voraus und volles Risiko. Auch seine Existenz als Politiker versteht Habeck in diesem Sinn. Man muss sich trauen, »wenn man etwas durchsetzen will. Es gibt keine Garantie, dass es gelingt. Aber dass es nicht gelingt, wenn man sich nicht traut, das ist nun mal sicher.«25
Merkwürdig und auch widersprüchlich wirkt es, dass Habeck just in dem Augenblick in die Politik aufbricht, als er sich so richtig wohlfühlt in seiner Familie, endlich angekommen ist nach verschiedenen Umzügen. Anfang 2002 rafft er sich auf und fährt aus seinem Wohnort Großenwiehe, einem Dorf rund zwanzig Kilometer von Flensburg entfernt, zu einer Parteiversammlung der Grünen....
| Erscheint lt. Verlag | 26.4.2021 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Biografie • Biographien • Die Grünen • eBooks • Kanzlerkandidat • Politikerporträt • Realpolitik • Schleswig-Holstein • Schriftsteller |
| ISBN-10 | 3-641-26514-2 / 3641265142 |
| ISBN-13 | 978-3-641-26514-4 / 9783641265144 |
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