Mittelbaden im Kräftespiel Europas (eBook)
130 Seiten
Süddeutscher Pädagogischer Verlag
978-3-944970-62-2 (ISBN)
Christine Bütterlin war als Geschichtslehrerin an Gymnasien, zunächst in Stuttgart, dann in Rastatt tätig. Studiert hatte sie Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik in Tübingen und in München. In ihrer Dissertation, die sich mit einem landesgeschichtlichen Thema befasst, durchforstete sie zahlreiche Archive in Innsbruck, Wien, Stuttgart und Karlsruhe. Tiefe Einblicke in die Quellen und die historische Forschung prägen ihren Blick auf Mittelbaden, das sie im Spannungsfeld der europäischen Geschichte immer wieder aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet - sei es aus dem Blickwinkel des ehemaligen Habsburgerreiches, der süddeutschen Reichsstädte oder der historischen Herrschaftsgebiete Württembergs. Die Anfänge ihrer neuesten Buchveröffentlichung liegen in der Zeit der Corona-Epidemie, als Bütterlin gezwungen war, geplante Reisen zu den historischen Stätten Baden-Badens mit ihren ehemaligen Abiturient*innen immer wieder zu verschieben. Diese Phase der Unsicherheit und Reflexion bot ihr die Möglichkeit, ihre gewonnenen Erkenntnisse in schriftlicher Form festzuhalten und damit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Mit ihrer Publikation möchte sie die Leserinnen und Leser auf eine faszinierende Reise durch die Geschichte Mittelbadens mitnehmen und die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen der Region und den umliegenden historischen Einflüssen aufzeigen.
III. Bühl
1. Burg Windeck und der Wandel im Verteidigungs- und Kriegswesen
Die alte Burg thront auf ihrem Burgberg am südlichen Ende von Bühl. Man kann dort weit über das breite Rheintal blicken, hinüber zu den Vogesen und auch nach Süden ins ehemals vorderösterreichische Gebiet. Wie viele andere Burgen ist die Burg Windeck teils erhalten und teils nicht intakt. Der Name passt. Es ist hier recht oft „windig“. Im Sommer sind die Kaffeegäste des Burgrestaurants im vorderen Burghof darüber froh. Und was ist das Besondere dieser Burg? Die weite Sicht ins Tal? Gibt es das bei anderen Burgen nicht meistens auch? Schon! Aber von welcher Burg blickt man über das weite Rheintal bis nach Frankreich? Und wo ist die Landschaft so schön gegliedert in schwarz von Tannen bewaldete Höhen, davor sanft runde Berge, meist Weinberge, und davor eine lieblich von Obstbäumen bewachsene Ebene? Sachlicher ausgedrückt: Man hat die Höhen des Schwarzwalds, dann die sogenannte Vorbergzone und unten das breite Rheintal vor sich. Nicht weit unterhalb der Burg Windeck im Riegelweg entstand im 19. Jahrhundert eine besondere Zwetschgenart, die „Bühler Zwetschge“. Die Kreuzung einer hiesigen Zwetschge im Bühler Stadtteil Kappel-Windeck mit einer Pflaume, das brachte im Bühler warmen Mikroklima den Erfolg. Bühler Zwetschgen wurden bald zum Exportschlager.
(Abb. 24) Burgruine Windeck
Zurück zur Burg Windeck! Was gibt es hier an Besonderem oder auch an für die allgemeine Geschichte Typischem zu studieren? Wie bei vielen anderen Burgen müssen wir uns zuerst einmal um grob gesagt tausend Jahre zurück versetzen. Wir landen im Mittelalter. Im Jahr 955 n. Chr. hat König Otto die Heerscharen der Ungarn auf ihren schnellen Pferden bei Augsburg in der Schlacht auf dem Lechfeld geschlagen. Der Bischof von Rom, der sich nach dem Untergang des weströmischen Reiches eine Sonderstellung für die Christenheit geschaffen hatte und sich „Papst“ nannte, berief bald darauf, 962 n. Chr., Otto zum Nachfolger der ehemaligen (west-)römischen Kaiser und krönte ihn in Rom. Kaiser Otto (später genannt Otto der Große) hat somit die Tradition der Kaiserkrönung aufgenommen, die mit Karl dem Großen 800 n. Chr. begonnen hatte. Und was hat das jetzt mit Burgen in Deutschland, wie der Burg Windeck, zu tun?
Auch nach Kaiser Ottos Sieg im 10. Jahrhundert blieb das Leben hierzulande gefährlich. Für den Einfall von Feinden hieß es, sich vorzusehen! Im nachfolgenden 11. Jahrhundert sind auffallend viele Burgen auf Bergen und Höhenzügen entstanden (oder auch urkundlich bezeugt). Von so einer Burg aus hat man ja auch den Überblick und kann seine Feinde und Untertanen besser kontrollieren. Hochadelige Familien – mehr und mehr auch adelige Dienstmannen des Königs und „Römischen Kaisers“ – organisierten die Landesverteidigung mit ihren lehensabhängigen Bauern. Sie durften das Land ihres Lehensherrn nutzen, mussten ihm dafür aber Abgaben leisten und Dienste erbringen. Diesen Bauern gegenüber (und auch Standesgenossen gegenüber) – eigentlich jedermann – zu zeigen, wer hier der „Herr“ ist, war ein weiteres Motiv dafür, oben auf einer Bergkuppe und weithin sichtbar in Stein zu bauen.
Anfangs sahen diese Burgen noch schlicht aus, ein dicker hoher Turm diente, zumindest im Ernstfall, als Behausung, ja der Einstieg dort hinein geschah deshalb ursprünglich nicht ebenerdig, sondern eher über eine Leiter oder auf einer schmalen Außentreppe. Dort wollte man dann im äußersten Notfall mit dem Schwert in der rechten Hand den Feind abhalten. Jedenfalls war es so gedacht.
Auf längere Dauer in einer solchen Turmburg zu wohnen war nicht komfortabel. Und wenn die Familie wuchs, wie in Burg Windeck, wurde es eng. Was tun? Zum Beispiel eine weitere Burg bauen. So ist nicht weit von hier die Burg Neu-Windeck entstanden. Weitere Burgen, Wohnbauten sowie Stallungen zu erstellen und sie mit Verteidigungsmauern und Wällen zu umgeben, war das Konzept und Ziel der folgenden Jahrhunderte. Viele adelige Familien, so scheint es, hatten das Bedürfnis, sich auf diese Weise für alle sichtbar abzuheben, nicht nur von ihren lehensabhängigen Bauern, sondern in der Folgezeit auch von jenen, die in den Städten zu Wohlstand und Ansehen gekommen waren. Burgen waren nun vor allem Zentren der Verwaltung. Steuern und Abgaben wurden erhoben und eingetrieben, die Frondienste verwaltet und wo möglich auch Einkünfte aus Zöllen bei Handelsrouten und Flüssen organisiert: Man ließ Transportfahrzeuge nur passieren, wenn sie für die Durchfahrt Zoll zahlten. Raubritterburgen waren Rittersitze, deren Ritter nicht mehr in der Lage waren, sich selbst zu unterhalten, und die daher an Weg- oder Flussstrecken willkürlich Durchfahrtszölle erhoben.
Aber was tun, wenn – wie im 14. Jahrhundert geschehen – Soldaten zu Fuß auf Reiter losgingen und sogar gerüstete Ritterheere besiegen konnten? Das passierte bereits 1302 in der Schlacht bei Courtrai in Flandern. Flämische Fußtruppen machten dort ganz unritterlich 700 französische Ritter nieder. Das feuchte Gelände, in das die Flamen mit speziell gestalteten Stechlanzen rasch Löcher spießen konnten, brachte vielfach Ross und Reiter zu Fall. Dem edlen Ritter nutzte dann seine superteure Ausstaffierung auch nichts mehr. 500 goldene Sporen habe man achtzig Jahre später noch im Boden gefunden, so der Bericht eines französischen Chronisten aus damaliger Zeit. Man sprach deshalb bald auch von der „Sporen-Schlacht“.
Das blieb kein Einzelfall! Was tun, wenn Schweizer Bauern mit Hellebarden und Spießen die österreichische Ritter-Elite zur Strecke bringen konnten? So geschehen in Sempach anno 1386. Und was, wenn dann auch noch Feuerwaffen die Burgmauern bedrohten, und seien es anfangs nur sehr urtümliche Kanonen, die man dazumal als „Feld-Schlangen“ bezeichnet hat? Mit einer solchen Feld-Schlange machte übrigens der junge Götz von Berlichingen im Jahr 1504 eine schmerzhafte Begegnung. In seinen Lebenserinnerungen schrieb er:
„… und scheußt mir einer den Schwerd-Knopf mit einer Feld-Schlangen entzwey …also, daß der Arm hinten und vorne zerschmettert war, und wie ich das so sehe, so hängt die Hand noch ein wenig an der Haut…“83
So kam dem findigen „Ritter mit der eisernen Hand“ die Eingebung zu einer Handprothese aus Eisen.
Als Kanonen dann auch dicke Mauern zerschlagen konnten, baute man Türme als Rundbau, damit die Kugeln abprallen sollten. 1453 konnte nicht einmal mehr die ursprünglich bestbefestigte Stadt der Christenheit mit ihren extrem dicken Mauern gehalten werden. Byzanz (Konstantinopel, auch als Ost-Rom bezeichnet) wurde erobert – etwas mehr als tausend Jahre nach Gründung der Stadt (330 n. Chr.) durch Kaiser Konstantin.
Wie zu allen Zeiten hörte das Erfinden von immer noch gefährlicheren Waffen nicht auf. Das Zeitalter der Burgen neigte sich dementsprechend dem Ende zu. Söldnerheere verdrängten Ritterheere. Das hatte sogar der hoch zu Ross in den Krieg ziehende stolze Herzog von Burgund (als er zur Abrundung seines Reiches noch Lothringen erobern wollte) erfahren müssen. Im Januar 1477 ist er – schmählich von Schweizer Söldnern besiegt – bei Nancy zu Tode gekommen. Und das alles gar nicht so weit entfernt von Mittelbaden, dem Zentrum unserer Betrachtung.
Der unaufhaltsame Wandel im Verteidigungs- und Kriegswesen hatte sich ja schon ein Jahrhundert zuvor angekündigt. Ritter, auch in Süddeutschland, hatten ihn zu spüren bekommen. Ihre Fehden – und seien sie auch nur untereinander – störten die Städte, welche im Fernhandel wohlhabend geworden waren. Die Sicherheit der Kaufmannszüge war für die Wirtschaft Europas unerlässlich wichtig. „Schluss mit unkontrollierten Fehden im Landesinnern!“, wurde nun vom König anbefohlen. Nicht wenige der Ritter in Süddeutschland versuchten nach dem altbewährten Prinzip „gemeinsam ist man stärker“, ihre Interessen gemeinsam zu behaupten, so etwa im „Schlegler-Bund“ mit Sitz in Heimsheim östlich des Schwarzwalds. Ritter Reinhard von Windeck, so heißt es, habe in diesem Bund eine führende Rolle gespielt. Letztlich hat es aber weder ihm, noch den anderen Rittern geholfen. Manche waren in Schulden geraten, einige schon dazu übergegangen, Kaufmannszüge zu überfallen, um nicht ganz zu verarmen.
2. Ritter Reinhard von Windeck und die Grafen von Eberstein: Überfall in Wildbad (1367) und die Folgen
Der geschilderte Wandel im Verteidigungswesen im späten Mittelalter hat sich nicht aufhalten lassen, ebenso wenig wie der Wandel, der sich in Gesellschaft und Wirtschaft vollzog. Klüger als zum Raubritter abzusinken, war es, sich umzuorientieren. Wer nicht eine geistliche Laufbahn einschlagen wollte, um es zum Domherrn oder womöglich Bischof oder gar Erzbischof zu bringen und damit zu landesherrlicher Gewalt zu...
| Erscheint lt. Verlag | 26.6.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
| Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
| Schlagworte | Aquae • Baden-Baden • Bundesfestung • Carl Schurz • Deutscher Bund • Eberstein • Favorite • Friedrichs-Bad • Friedrich Weinbrenner • Hecker-Lied • Hohenbaden • Lorenz von Brentano • Markgrafen • Markgrafschaft • Michael Rohrer • Porzellanschloss • Regionalgeschichte • Regionalgeschichte Baden Baden-Baden Bühl Rastatt Hohenbaden Markgrafschaft Windeck Favorite Residenz Rastatt Bundesfestung Markgrafen Markgraf Bernhard Markgraf Ernst Aquae Eberstein Markgraf Eduard Fortunatus Agri Decumates Friedrichs-Bad Caracalla Oberrhein Römerzeit Alamannen Ammianus Marcellinus Reichsabtei Weißenburg Otfried von Weißenburg Altes Schloss Baden-Baden Kaiser Heinrich IV. Hermanns-Bau Zähringer Herzogtum Schwaben Markgraf Hermann V. Kloster Lichtenthal Markgraf Rudolf I. Graf Eberhard I. • Wehrgeschichtliche Museum • Wilhelmsburg Ulm • Windeck |
| ISBN-10 | 3-944970-62-4 / 3944970624 |
| ISBN-13 | 978-3-944970-62-2 / 9783944970622 |
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