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Nachrichten an meinen Sohn (eBook)

Roman | Ein Buch, das alle (werdenden) Väter lesen sollten
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
180 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78217-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nachrichten an meinen Sohn -  Alejandro Zambra
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Nichts hat ihn darauf vorbereiten können, selber Vater zu sein. Die Geburt des Sohnes erschüttert so ziemlich alles, was er sich je zurechtgelegt hatte. Willkommen also, in einem wunderbaren, vor Hingabe und Ermüdungsverzweiflung flirrenden neuen Leben: Lektüre der immergleichen Kinderbücher, das Bogenschießen auf die Reispapierlampen im Wohnzimmer, die tastenden Versuche, gemeinsam zu krabbeln, einander überhaupt erst kennenzulernen, und was soll das eigentlich bedeuten, die Welt durch die Augen des Kindes zu sehen? Alejandro Zambra kartografiert das alles nach Kräften bzw. dem, was davon übrig ist: als tagebuchartige Mitschrift der eigenen Vaterschaft, in Briefen und Gedichten an den Sohn, im Spiel seiner - wohl auch per Schlafentzug bewusstseinserweiterten - Einbildungskraft, als humorvoll zärtliche teilnehmende Selbstbeobachtung.

Nachrichten an meinen Sohn ist eine nützliche und augenöffnende Handreichung für angehende, debütierende und de-facto-Eltern - und für überhaupt alle, die wissen wollen, was und wie das ist: Vater zu sein.



<p>Alejandro Zambra, geboren 1975 in Santiago de Chile, gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren seiner Generation. Der promovierte Hispanist leitet den Studiengang Editionswissenschaft an der Universität Diego Portales in Santiago und arbeitet als Kritiker für namhafte Tageszeitungen, darunter das chilenische El Mercurio und das spanische El País.</p> <p>Seine Romane, Erzählungen und Gedichte erscheinen in über zwanzig Ländern und erhielten zahlreiche nationale und internationale Preise. Sein Romandebüt <em>Bonsai</em> verhalf Zambra zum Durchbruch. Unter der Regie von Christián Jiménez wurde es für die Leinwand adaptiert und 2011 in Cannes uraufgeführt.</p>

Teonanácatl


Teonanácatl: So nannten die Mexica den Pilz, den man heute als pajarito oder Kahlkopf kennt. Mein Freund Emilio hatte ihn als Mittel gegen den Cluster-Kopfschmerz empfohlen und mir sogar eine großzügige Dosis in Schokoladenform verschafft. Ich bewahrte die Tafeln im Kühlschrank auf, in resignierter Erwartung der ersten Symptome, auch wenn ich mir in meiner Naivität immer wieder einbildete, dass allein das Vorhandensein der Droge die Krankheit verscheuchte. Leider stellte sich der Cluster-Kopfschmerz recht bald wieder ein, genau an dem Tag, für den wir einen Erste-Hilfe-Kurs organisiert hatten. Aber das muss ich wohl erklären: Jazmina und ich hatten an einer langweiligen, unbeholfenen Einführung in Erste-Hilfe-Leistungen teilgenommen, daraufhin andere Erstlingsmütter und -väter zusammengetrommelt und sogar eine geräumige Wohnung nebenan für einen vierstündigen Privatkurs einer Ärztin gefunden. Doch am Vormittag oder eher im Morgengrauen des besagten Tages wachte ich, wie gesagt, mit einem stechenden Schmerz im Trigeminusnerv auf, das eindeutige Zeichen für einen bevorstehenden Anfall. Meine Frau schlug vor, ich solle den Kurs vergessen, zu Hause bleiben und mir den Kahlkopf zu Gemüte führen.

Um vier Uhr nachmittags brach Jazmina mit dem Jungen auf, und ich verdrückte die erste Tafel, vorbereitet auf einen kurzen, zweckmäßigen Trip. Die Schokolade schmeckte herrlich, und inzwischen glaube ich, dass auch das meine Entscheidung beeinflusste, nach einer ungeduldigen Pause von zwanzig Minuten eine zweite Tafel zu essen. Diesmal trat die Wirkung fast sofort ein: Ich spürte Hände, die direkt in meinen Kopf griffen und den Schmerz ausschalteten, wie jemand, der Kabel neu verlegt oder geschickt die Kombination eines Safes eintippt. Es war ein wohliges, herrliches Gefühl.

Ich will nicht näher darauf eingehen, wie sehr ich seit über zwanzig Jahren unter dem Cluster-Kopfschmerz leide, sage nur, dass er ungefähr alle achtzehn Monate wiederkehrt und seine zermürbende Gesellschaft zwischen neunzig und hundertzwanzig Tagen anhält, die schließlich den Gedanken, mir den Kopf abzusäbeln, vernünftig und angemessen erscheinen lässt. Gelegentlich hatten Medikamente den Schmerz etwas gedämpft, aber keines hatte die wundersame Wirkung des Kahlkopfs gehabt. Der Teonanácatl – ich hätte vorausschicken sollen, dass das Wort »Fleisch der Götter« bedeutet – hatte nun gründlich in mir aufgeräumt. Natürlich bestand weiterhin die Gefahr, dass der Schmerz zurückkehrte, aber irgendwie wusste ich, dass das nicht passieren, ich für lange Zeit vor ihm sicher sein würde (elf Wochen, bis zum heutigen Tag).

Vielleicht war es das Glück der plötzlichen Genesung, das mich an Liedverse von Silvio Rodríguez denken ließ, den ich seit Jahren nicht mehr gehört hatte: »Das Lied ist die Freundin / die mich warm umfasst und frieren lässt.« Ich sang aus voller Brust. Zwar erinnerte ich mich nur an den Anfang, erfand mir jedoch ungeniert den Rest dazu, als müsste ich einen ganzen Zuschauersaal davon überzeugen, dass ich den Text wusste. Ungefähr in dem Moment, vielleicht parallel zu der musikalischen Idylle, überkam mich die Überzeugung, Emilio sei mein Sohn. In Worte gefasst, hatte ich Mühe, diesen Gedanken zu akzeptieren, aber es war eine ganz natürliche Assoziation: Mein Freund leidet nicht unter Cluster-Kopfschmerz, ist jedoch mit einem Vater aufgewachsen, dem Schriftsteller Francisco Hinojosa, der seit Jahrzehnten – mit kläglichem Ergebnis – gegen diese Krankheit ankämpft. Würde es mir nicht gelingen, zu genesen, dachte ich, würde sich auch mein Sohn schließlich an meine Migränephasen gewöhnen. Eine leichte Schwermut befiel mich, à la Bossa Nova. Ich dachte, wie großherzig Emilio war und Silvestre in ein paar Jahren sein würde. Ich stellte mir meinen Sohn mit zwanzig vor, wie er einem Freund von den Anfällen seines Vaters erzählte. Sah daraufhin Emilio bildlich vor mir oder konzentrierte mich vielmehr auf sein Gesicht, vor allem auf den buschigen Bart: Und dann – erst elektrisch, ganz langsam, realistisch und sorgfältig und anschließend mit viel Schaum und einem fabelhaften Messer – rasierte ich ihn. Ich trug sogar Aftershave auf. Da musste ich ihm sofort schreiben. Schrieb:

Ich hatte

kop

6:22 PM ✓✓

Ich miene, ich hatte

kopfweh

6:22 PM ✓✓

Have zwei schooladen

gessen

6:22 PM ✓✓

Jetzt tut der lopf nicht mehr

weh, abr wollte silvil

modrigo hörm

6:23 PM ✓✓

Eigentlich hatte ich gar nicht Silvio Rodríguez gehört, sondern meine eigene Stimme, die eines seiner Lieder sang, aber so hatte es sich beim Schreiben dieser Nachricht in meinem Kopf abgespielt.

Dann klingelte es mehrmals. Ich weiß, manch einer denkt, Sturmläuten sei ein netter Brauch, doch ich bin anderer Ansicht. Als ich aus dem Fenster sah, verwandelte sich mein Ärger in Verblüffung, denn unten stand Yuri. Ich meine: die Sängerin Yuri. Wer da gerade auf diese schwachsinnige Art geklingelt hatte, war die Sängerin Yuri, die mich aus dem Fenster im zweiten Stock blicken sah und mir zurief: »Ich bin nicht flüssig fürs Taxi, und der Arsch wartet!« Auf ihren steilen Absätzen, die gut und gern als Stelzen hätten durchgehen können, wirkte Yuri auf mich energisch, mutig und bewundernswert. Wieder rief sie gebieterisch zu mir hoch, verlangte wieder Geld. Ich hatte einen Fünfhunderter, zu viel für ein Taxi, aber ich warf ihn durchs Fenster. Sie fing ihn geschickt auf, der Fahrer gab ihr das Wechselgeld, das sie fröhlich in ihrer Handtasche verstaute, und ohne ein Wort des Abschieds verschwand sie.

Ich erinnere mich nicht, Yuris Anwesenheit für eine Halluzination gehalten, erinnere mich nicht, an ihrer Identität gezweifelt zu haben. Weshalb war ich mir so sicher – und bin es noch –, dass diese winzige Schnorrerin die Sängerin Yuri war? Dagegen dachte ich auf dem Weg ins Schlafzimmer (unsere Wohnung ist klein, aber mein Raumgefühl hatte sich verändert), dass Yuris Mann ein chilenischer, evangelikaler Prediger war und ich ihm in mexikanischen Augen vielleicht zum Verwechseln ähnlich sah. Zweifellos sehe ich aus wie ein Chilene, aber vielleicht auch wie ein Evangelikaler, wie ein evangelikaler Chilene, dachte ich. Erst da wurde mir bewusst, dass ich high war. Nach einer leichten Panik entschloss ich mich zu einem etwas künstlichen, diplomatischen Lachen. Vielleicht lachte ich nur, um auszuprobieren, ob ich ein Lachen von mir geben konnte. Wie jemand, der gerade eine lange Sitzung in einer ihm unbekannten Stadt hinter sich hat und überschlägt, dass ihm noch ein paar Stunden Zeit bleiben, um einen Kaffee zu trinken und sich umzusehen, wollte ich den Trip nutzen oder fühlte mich vielleicht dazu verpflichtet. Doch da mein Drogenkonsum traurigerweise therapeutischer Natur gewesen war, konnte ich mich auf das Vergnügen nicht recht einstellen. In einem Anfall von Snobismus dachte ich daran, etwas im Lysergid-Modus zu schreiben. Außerdem wollte ich lesen, auf dem Nachttisch lagen so einige Bücher, aber das war mit verschleiertem Blick nicht einfach. Ich tastete angestrengt und erfolglos nach der Brille. Schließlich schickte ich Emilio eine weitere Nachricht, wollte einen Rat oder einfach nur Aufmerksamkeit:

Sehr ähneln wie Malibanana

6:46 PM ✓✓

Naliumana

6:46 PM ✓✓

Morgana

6:47 PM ✓✓

...

Erscheint lt. Verlag 19.5.2025
Übersetzer Susanne Lange
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber
Schlagworte aktuelles Buch • Alltag • Bonsai • Briefe • Bücher Neuerscheinung • Eltern • Ermüdung • Fast ein Vater • Ferngespräch • Gedichte • Geschenk • Geschenkbuch • Handreichung • Hingabe • Hommage • Kennenlernen • Literatura infantil deutsch • Mejores Obras Literarias 2012 • Multiple Choice • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Regretting Fatherhood • Selbstbeobachtung • Sohn • ÜERSETZERPREISE DER BOTSCHAFT VON SPANIEN 2005 • Väter • Vaterschaft • Vorbild
ISBN-10 3-518-78217-7 / 3518782177
ISBN-13 978-3-518-78217-0 / 9783518782170
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