Respekt ist alles (eBook)
224 Seiten
Riva Verlag
978-3-7453-1632-2 (ISBN)
Deniz Aytekin wurde 1978 in Nürnberg geboren. Er studierte berufsbegleitend Betriebswirtschaftslehre und ist hauptberuflich als Unternehmer tätig. Seit 2004 ist er Schiedsrichter des DFB, seit 2008 Bundesliga-Schiedsrichter, seit 2011 FIFA-Schiedsrichter. In der Saison 2018/19 wurde er vom DFB als Schiedsrichter des Jahres ausgezeichnet. Aytekin ist Familienvater und lebt in Oberasbach. Andreas Hock wurde 1974 in Nürnberg geboren. Er brach sein Jura-Studium ab, um Journalist zu werden. Bei der Abendzeitung war er einer der jüngsten Chefredakteure Deutschlands. Seit 2011 ist der leidenschaftliche »Club«-Fan als Autor tätig und veröffentlichte mehrere Bestseller. Zuletzt erreichte er mit Und erlöse uns von den Blöden zusammen mit Monika Gruber die Nummer 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch.
Deniz Aytekin wurde 1978 in Nürnberg geboren. Er studierte berufsbegleitend Betriebswirtschaftslehre und ist hauptberuflich als Unternehmer tätig. Seit 2004 ist er Schiedsrichter des DFB, seit 2008 Bundesliga-Schiedsrichter, seit 2011 FIFA-Schiedsrichter. In der Saison 2018/19 wurde er vom DFB als Schiedsrichter des Jahres ausgezeichnet. Aytekin ist Familienvater und lebt in Oberasbach. Andreas Hock wurde 1974 in Nürnberg geboren. Er brach sein Jura-Studium ab, um Journalist zu werden. Bei der Abendzeitung war er einer der jüngsten Chefredakteure Deutschlands. Seit 2011 ist der leidenschaftliche »Club«-Fan als Autor tätig und veröffentlichte mehrere Bestseller. Zuletzt erreichte er mit Und erlöse uns von den Blöden zusammen mit Monika Gruber die Nummer 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch.
Jarolíms Abgang:
Wie mein erstes Spiel beinahe mein letztes gewesen wäre
Mit 28 Jahren war ich dort angekommen, wovon ich immer geträumt hatte. Viele Jahre hatte ich extrem hart trainiert, um überhaupt auf diesem Niveau mithalten zu können. Dabei opferte ich unzählige Wochenenden, in denen ich mich von der Bezirksliga nach oben arbeitete. Sonntags brachte ich den Frust über meine Fehlentscheidungen mit nach Hause, und weil wegen der Pfeiferei sonst keine Zeit blieb, saß ich in den Nächten am Computer und widmete mich meinem eigentlichen Beruf. Und nun wäre mein allererstes Spiel in der Bundesliga um ein Haar auch mein letztes geworden!
Es war der 19. August 2006 – ein Tag, der für Hochsommer eindeutig zu kühl ausfiel. In Cottbus waren es nicht mal 20 Grad, der Himmel war bedeckt, am Vormittag gab es sogar ein paar Regenschauer. Trotzdem kochte das ausverkaufte Stadion der Freundschaft fast über. Der heimische FC Energie war gerade erst zum zweiten Mal in die 1. Bundesliga aufgestiegen und hatte am ersten Spieltag mit 0:2 in Mönchengladbach verloren. Nun stand die Heimspiel-Premiere an: gegen den Hamburger SV, der in der Vorsaison Dritter geworden war und mit seinen Topstars Rafael van der Vaart, Boubacar Sanogo oder Paolo Guerrero mehr oder weniger als Geheimfavorit für den Titel galt. Ich war 26 und stand das erste Mal in meinem Leben während eines Erstligaspiels auf dem Platz – oder besser gesagt: daneben. Während der vergangenen Saison war ich öfter in der 2. und 3. Liga beobachtet worden. Jetzt hatte mich der DFB offenbar für reif genug befunden, Günter Perl als Assistent in der höchsten deutschen Spielklasse zur Seite zu stehen. Als ich mit Günter und dem zweiten Assistenten Josef Maier den Rasen betrat, ahnte ich nicht, welche Überraschungen dieser Nachmittag bei idealen Bedingungen noch mit sich bringen sollte.
Es lief die 54. Minute. Die Situation war unübersichtlich, obwohl das Spiel bislang eher dahinplätscherte. Wir trafen eine völlig richtige Abseitsentscheidung; Perl gab drei berechtigte Gelbe Karten, und der Führungstreffer für den HSV durch Sanogo sechs Minuten vor der Halbzeitpause war ebenfalls unstrittig. Sonst passierte nicht viel. Nun aber drängte Cottbus, angefeuert vom eigenen Publikum, auf den Ausgleich und erzwang einen Eckball auf meiner Seite. Ich stand wie immer konzentriert an der Eckfahne und verfolgte, wie ein Energie-Spieler den Ball hereintrat und ein Stürmer zum Kopfball kam, der jedoch abgeblockt wurde. Plötzlich schoss Mariusz Kukiełka aus der zweiten Reihe. Ich fokussierte mich sofort auf das Gewühl vor dem HSV-Tor und sah Sekundenbruchteile später das, was fast alle 21 000 anderen Menschen im Stadion ebenfalls erkannten: ein Handspiel eines Feldspielers auf der Torlinie. Die Fans schrien, die Cottbusser reklamierten, nur Günter Perl hatte aus seiner Position anscheinend nichts bemerkt. Wir besaßen damals noch keinen Funk, über den wir Kontakt hätten aufnehmen können. Also suchte ich ihn mit meinen Augen und winkte wie verrückt mit meiner Fahne, um Günter anzuzeigen, dass da etwas nicht stimmte. Er entdeckte mein Signal und kam herüber.
»Was ist los?«, fragte er mich, nachdem er zu mir an die Seitenlinie gerannt war.
»Klares Handspiel«, antwortete ich.
»Okay. Von wem?«, fragte er und sah mich eindringlich an.
»Keine Ahnung«, sagte ich wahrheitsgemäß und merkte schlagartig, dass wir nun ein Problem hatten.
Die Regel war eindeutig: Nach einem Handspiel im Strafraum, das eine Torchance verhinderte, folgte ein Strafstoß – und Rot für denjenigen, der den Ball absichtlich mit der Hand berührt hatte. Es gab hier keinerlei Ermessensspielraum: Wir mussten neben dem Elfer zwingend einen Platzverweis verhängen. Doch der Sünder war nicht zu identifizieren, jedenfalls nicht für uns. Die Zuschauer auf den Rängen wurden unruhig. Günter lief zu meinem Kollegen schräg gegenüber, aber Josef und der vierte Offizielle Thomas Frank hatten nicht bemerkt, dass David Jarolím, der den Ball beinahe schon in Torwartmanier für seinen geschlagenen Keeper Sascha Kirschstein abfing, unsere Unaufmerksamkeit ausgenutzt und sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatte. Allerdings konnten die drei anderen Schiris gar nichts dafür: Die Beobachtung des Geschehens im Strafraum war in diesem Fall mein Job.
Wäre Jarolím auf der Linie stehen geblieben oder hätten sich die anderen Spieler nach dem Verstoß wie üblich um ihn herumgruppiert, wäre ich wahrscheinlich in der Lage gewesen, die Szene zu rekonstruieren. So aber nutzte er die Verwirrung und trollte sich unauffällig und außerhalb meines Blickfeldes in Richtung Mittelkreis. Von dort aus blickte er, wie man im Fernsehen später sehen konnte, aus sicherer Entfernung auf das Chaos. Es gab nichts zu deuten: Ich hatte einen Fehler gemacht. Und selbst wenn ich in den nachfolgenden 30 Minuten noch mehrere haarscharfe Abseitsstellungen auf den Millimeter genau erkannt hätte, war meine Premiere auf der großen Bühne ordentlich schiefgegangen. Mir war klar, was nun folgte: Ich würde abwechselnd in der Regionalliga Süd und in der 2. Liga pfeifen. Nun konnte ich davon ausgehen, dass das auch so bliebe, wenn überhaupt.
Günter hatte keine andere Wahl, als auf den Elfmeterpunkt zu zeigen und ansonsten auf dem Feld alles so zu belassen, wie es war. Die Cottbusser regten sich zwar auf und bedrängten ihn, aber nur auf Zuruf der Energie-Spieler konnte er David Jarolím natürlich nicht vom Platz stellen – und die von ihm befragten Hamburger hatten wundersamerweise ebenfalls nichts mitbekommen. Nach dem verwandelten Elfmeter wurde die Partie hektisch, woran auch die Atmosphäre im Stadion ihren Anteil hatte, an der wiederum ich gewissermaßen schuld war. Die Fans jubelten zwar über den Ausgleich, waren aber sauer darüber, dass der HSV noch vollzählig weiterspielen durfte. Das änderte sich erst recht nicht, als die Gäste den zwischenzeitlichen Cottbusser Führungstreffer in der 69. Minute kurz darauf wieder egalisierten. Neun Minuten vor dem Ende eskalierte das Geschehen: Die Spieler schubsten und rempelten sich meist nur noch, anschließend gab es eine wilde Rudelbildung mit mehreren Gelben Karten und einem Platzverweis für den Hamburger Guy Demel als Folge. Für den armen Günter war die Spielleitung zur Schwerstarbeit geworden, und jeder von uns war froh, als er endlich abpfiff.
* * *
Volker Roth, damals Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses, legte großen Wert darauf, am Tag nach den Spielen einen kurzen Lagebericht der am Spieltag eingesetzten Kollegen zu erhalten. Dazu musste man ihn am nächsten Morgen in seiner Firma anrufen. Normalerweise dauerten die Gespräche nicht länger als 30 Sekunden, an deren Ende Roth kurz und knapp mitteilte, was ihm bei der Spielleitung gefallen hatte und was nicht.
»Drei Minuten achtundzwanzig«, sagte Günter am Telefon zu mir, nachdem er mit dem Chef gesprochen hatte. Ich konnte mir denken, was das bedeutete. Perl hatte eine eigene, humorvolle Art, mit solchen Stürmen umzugehen.
Natürlich war Roth auf der Palme. Er verstand nicht, wie es passieren konnte, dass man in einem derart unmissverständlichen Moment so danebenlag. Genau auf solche Dinge wurden wir schließlich geschult. Wäre es nach ihm gegangen, hätte ich vermutlich in den nächsten Monaten vor dem heimischen Fernseher zusehen können, wie die anderen ihre Aufgabe an der Linie erledigten. Doch Günter schaffte es, ihn zu besänftigen und mich zu beruhigen. Er nahm die Schuld auf sich und setzte sich dafür ein, mir noch eine Chance zu geben.
»Der Rucksack ist schwer, Deniz«, sagte er zu mir. »Du musst aufpassen, dass du nicht nach hinten kippst.«
Diesen Satz merkte ich mir.
Ich dachte lange darüber nach, wie mir dieser Lapsus passieren konnte. Klar, Fehler gehörten dazu, und selbstverständlich waren mir auch in meinen bisherigen Spielen schon Sachen durchgerutscht, über die ich mich im Nachhinein sehr geärgert hatte. Die Wucht der Bundesliga aber war eine andere. Darauf war ich nicht vorbereitet.
»Vier Schiris. Acht Augen. Null Durchblick«, titelte die Bild am Sonntag am nächsten Morgen. Nicht das deutliche 4:0 von Hertha BSC gegen Hannover 96 oder das überraschende Unentschieden, das Jürgen Klopps FSV Mainz bei Borussia Dortmund erreichte, lenkte die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Mein Blackout, der in der Wahrnehmung zu einem Totalversagen unseres Gespanns geworden war, dominierte die überregionale Berichterstattung.
Die Montagsausgabe des Kicker vergab für Günters Leistung eine glatte 5, verbunden mit einer vernichtenden Bewertung, die mir sehr leidtat. Ich als Assistent hingegen kam in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor. Auch wenn es vermutlich nie einer der Betroffenen zugeben würde: Solche Beurteilungen konnten einen nachhaltig runterziehen. Doch Perl ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und verlor nie wieder ein Wort darüber, dass er nach...
| Erscheint lt. Verlag | 14.11.2021 |
|---|---|
| Co-Autor | Andreas Hock |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport ► Ballsport |
| Schlagworte | 1. FC Köln • Andreas Hock • Borussia Dortmund • Bundesliga • Deniz Aytekin • Deutscher Fußball • DFB Pokalfinale • DFB-Pokalfinale 2017 • die richtige Entscheidung • Eintracht Frankfurt • EM • Energie Cottbus • Europa League • Europameisterschaft • FC Schalke 04 • FC St. Pauli • Fifa Fussball • FIFA Schiedsrichter • Fußball • Fußball Buch • Fußball Bundesliga • fußball deutschland • fußball geburtstag • Fußball Geschenke • Fußballschiedsrichter • Fußball Spiel • gelbe Karte • Gelbe Karte Fussball • Gelbe Karten • Gelbe Karte schiedsrichter • Hertha BSC • Juventus Turin • Länderspiele • Löschen • Patrick Ittrich • Ratgeber/Sport/Ballsport • Respekt • Respekt Buch • Respekt ist alles • Respekt lernen • Respekt und Durchsetzung • respekt verschaffen • rote Karte • Rote Karte fussball • Rote Karten • Schiedsrichter • Schiedsrichter des Jahres • Schiedsrichter Fußball • Sport • Steaua Bukarest • stress bewältigen • Stressbewältigung Buch • SV Darmstadt 98 • Umgang mit Druck • Umgang mit Stress |
| ISBN-10 | 3-7453-1632-0 / 3745316320 |
| ISBN-13 | 978-3-7453-1632-2 / 9783745316322 |
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