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Psychologische Schriften (eBook)

Psichopatia criminalis + Genie und Wahnsinn + Der Illusionismus und die Rettung der Persönlichkeit + Christus in psicho-pathologischer Beleuchtung und mehr
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
220 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-3754-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Psychologische Schriften -  Oskar Panizza
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Dieses eBook: 'Psychologische Schriften: Psichopatia criminalis + Genie und Wahnsinn + Der Illusionismus und die Rettung der Persönlichkeit + Christus in psicho-pathologischer Beleuchtung und mehr' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Oskar Panizza (1853-1921) war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und Publizist. Neben der schriftstellerischen Arbeit hielt ab 1891 Vorträge, darunter das weitgehend von Cesare Lombroso abgeschriebene, dennoch diesen kritisierende Referat Genie und Wahnsinn, einen Aufsatz über Realismus und Pietismus und über Die Minnehöfe des Mittelalters. Fünf Monate vor der Veröffentlichung des Liebeskonzils hatte Panizza in einem Aufsatz über 'Volkspsychologie' formuliert, 'daß eine erlittene Gefängnisstrafe für eine ideell verteidigte Sache fast der Garantieschein für Popularität in der Masse' sei. Konsequent versuchte er in dieser kurzen Frist, aus der öffentlichen Aufmerksamkeit Nutzen zu ziehen und veröffentlichte im Juli die Schrift Meine Verteidigung in Sachen das 'Liebeskonzil'. In die Zeit zwischen Prozess und Haftstrafe fällt die einzige philosophische Veröffentlichung Panizzas: Der Illusionismus und die Rettung der Persönlichkeit. Oskar Panizza adaptierte darin die Philosophie Max Stirners und kritisierte vehement eine einseitig naturwissenschaftliche Sicht auf die Psyche des Menschen. Die Psichopatia criminalis ist deutlich von den anarchistischen und antimonarchistischen Grundhaltungen geprägt, die Panizza während der Haft in Amberg entwickelt und die sich in den Zürcher Exilantenkreisen noch verstärkt hatten. Inhalt: Genie und Wahnsinn Der Illusionismus und die Rettung der Persönlichkeit Meine Verteidigung in Sachen 'Das Liebeskonzil' Psichopatia criminalis Christus in psicho-pathologischer Beleuchtung

I. Der Illusionismus


§. 1

Der Materjalismus war eine schöne Zeit! Der Mensch war, was er ass; „er ist, was er isst“; sein Gehirn produzirte die Gedanken, wie die Leber die Galle; und sein Geist war das Resultat seines Magens. Wie frohlokten wir auf den Schulbänken, als wir endlich wussten, was der Mensch war, allen spiritualistischen Kram aus unseren Schulranzen hinauswarfen und dem Religionslehrer, der uns den Thomasius’schen Sünden-Begriff erklären wolte, frech die Zunge entgegenstrekten! Denn was gab uns den Halt? Wir hatten eine radikale Formel. Wir wussten, dass der Himmel nicht mehr existirte, und dass wir allein auf der Welt waren. Das war das Grosse am Materialismus, dass er mit schlankem Beilhieb den transzendentalen Kopf vom fisischen Rumpf löste und nichts zurückliess, was sich zu einem Schlangenköpfchen Lernäischen Razionalismuses hätte entwickeln können.


§. 2

Seitdem ist es schlimm und schlimmer geworden. Zuerst kamen die Fechner’schen Tränen über das verlorengegangene Jenseits; man wagte die Gründung einer neuen Disziplin, der „Psicho-Fisik“, und – richtig! die Seele war wieder da, hereingeschmuggelt auf dem denkbar unglaublichsten Wege; alle Luken hatte man verstopft, und mit der – Fisik kam sie. Es folgten die Iammerlaute deutscher Fisiologen und ihr „Ignoramus!“ (Um jene Zeit fielen die Werke des Naturfilosofen Schelling bei Cotta von M. 122.– auf M. 40.–). Und seither ist es kläglich zu sehen, wie die Psichologen und Fisiologen, der psicho-fisische Materjalismus, die Vertreter der experimentellen Psichologie auf materjalistischer Grundlage und jener auf hipnotistisch-psichologischer Grundlage, die psicho-fisischen Parallelisten und filosofisch-materjalistischen „Monisten“ um die arme Seele sich abmühen, nach ihr haschen und sie wieder loslassen, sie haben möchten, aber doch ihrer eigenen materjalistischen Vergangenheit nicht untreu werden wollen. – „Sie aber werden zerdroschen werden wie Stroh zerdroschen wird und wie Koth.“ Jesaia 25, 10. – Die Halbheit ist das Schlimste. Das Geschwäz um eine unsichere Sache, statt der Tat, das Erbärmlichste. Psichik und Fisik. „Eat a cake and have a cake“, wie der Engländer sagt: den Kuchen essen, und ihn doch noch haben wollen. Erst die Seele fisisch konstruiren, und sich dann sagen müssen, dass man sie doch nicht hat. Das ist die Signatur der gegenwärtigen Psichofisiker. Und ich sehe schon den deutschen Meister kommen, der die Seele wieder an ihre Stelle sezt, und Euch Alle so gründlich in dem Zauberkessel der täuschungsreichen Maya untertauchen wird, dass Euch Hören und Sehen vergeht.


§. 3

In der Tat, die Behandlung, die man seit der Oberherrschaft des Materjalismus dem Denken hat angedeihen lassen, macht den denkbar komischsten Eindruck. Spencer erklärt das Denken für „gehemte Hirn-Reflexe“, ohne uns sagen zu können, wie denn aus einem Reflex, einer sinlich perzipirten Bewegung, ein – Gedanke, aus Materie – Bewusstheit entstehen solle; und ohne sich an Descartes zu erinnern, der uns gelehrt, dass Denken und Ausdehnung Geistiges und Körperliches, unvereinbare Dinge seien, deren Ineinander-Uebergehen für das Denken – und dieses macht doch die Filosofie – eine schlechterdings unmögliche Annahme sei. Spencer hat dies auch bis zu einem gewissen Grad gefühlt, indem er „Bewusstsein eine im Grunde ganz überflüssige Begleiterscheinung zentraler Gehirn-Prozesse“ nante. Aber das ist nicht genug. Er, und mit ihm jeder echte Materjalist, müsste das Denken überhaupt läugnen, wofern er im mechanisch verlaufenden, materjellen Gehirn-Reflex das gesamte geistige Dasein des Menschen beschlossen sieht; und wofern der Name „materjalistischer Monist“ nicht eitel Betrug und Selbsttäuschung ist. Denn entweder glaubt er an die Möglichkeit des Uebergangs, des Entstehens von Gedachtem aus Körperlichem, dann wirft er den oben genanten Descartes’schen Saz um, und komt als nicht auf der Höhe filosofischer Bildung stehender, nicht ausgereifter, Denker nicht in Betracht. Oder er giebt die Unmöglichkeit des Entstehens von Psichischem aus Fisischem zu, bringt aber Gedächtnis, Bewusstheit und dergl. mit materjellen Gehirnvorgängen in Konnex, dann ist er Dualist, er mag sich wenden, wie er will, aber nicht Materjalist, und noch weniger Monist! – Hic Rhodus, hic amice salta! – Hier, in der Tat, kommen alle naturwissenschaftlichen Filosofen zu bösem Fall. – Die ältere Richtung von Vogt, Büchner, Moleschott, der sog. metafisische Materjalismus, deren Anschauung in dem Saz gipfelte, die Gedanken sind Produkte der Gehirntätigkeit, wie „der Urin das Produkt der Nieren“, ist heute allerdings abgetan; sie waren in ihrer starren Rüksichtslosigkeit den heutigen Halben vorzuziehen. Man hat heute eine mildere und täuschungsreichere Formel aufgestelt. Man spricht von „psicho-fisischem Parallelismus“, und erklärt dies so: jedem Bewusstseins-Inhalt entspricht ein materjeller Erregungszustand im Gehirn; oder: das psichische Leben ist ein Spiegelbild der fisischen Gehirn-Vorgänge in der Form des Bewusstseins. Aber die Fein-Näher kommen hier um keine Strecke weiter als die Grobnäher. Und Wundt steht heute noch auf demselben Standpunkt wie Büchner. Mit dem Wort „Parallelismus“ ist gar nichts gesagt, weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit. Mein Denken kent nicht die Formel des „Parallelismus“ als eine zureichende für seine Erkentniskraft. Es kent nur die Formel des Kausal-Gesezes, und der Frage: Warum? Mit dem Ausdruk „Parallelismus“ ist ein Bild aus der Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern abhängig sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern kausal bedingt ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts. – Aehnlich steht es mit dem Bild des „Spiegels“, der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon Archimedes Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. Also auch hier Spiegelfechterei und Zweideutigkeit. – Konsequenter, und daher beachtenswerter, erscheinen einige jüngere Forscher, wie Münsterberg, Herzen, die unter der Dewise des „psicho-fisischen Materjalismus“ einhergehen. Sie geben offen zu, dass, den Wechselverkehr des Körpers mit dem Geist vom materjalistischen Standpunkt aus zu verstehen, eine Unmöglichkeit sei; andrerseits beharren sie auf ihrer Forderung, dass jede psichische Tätigkeit eine molekülare Bewegung der Nervenelemente ist. Bei dem weiteren Versuch freilich, besondere psichische Tätigkeiten molekular zu erklären, kommen sie auf Abstrusitäten, wie: dass „Ideen Muskelzusammziehungen“ seien; oder: dass „Raum und Zeit Wahrnehmungen von Unterschieden von Muskelspannungen“ seien; und „Muskelempfindungen die Grundlage unserer Persönlichkeit“ sind. Hier wird man unwillkürlich – man verzeihe! – an das kräftige Wort Scheffel’s vom „Hegel’schen Mist“ erinnert. Zu der idealistischen Exagerazion dort haben wir hier das materjalistische Gegenstük. Die Herren werden uns nächstens sagen, auf welchen Muskelspannungen „Wiz“, „Kausalität“, „Mitleid“, „das Edle, Wahre und Gute“, und vor Allem „der Unsinn“ beruht, damit ihnen zur Lösung des Menschenrätsels nichts mehr übrig bleibe – bis auf’s Denken!


§. 4

Was ist das grosse Hindernis, Geistiges und Körperliches auseinanderzuhalten, sie definitiv zu trennen, wie die einfache Überlegung meines Denkens verlangt? Die Erscheinung. Die Erscheinung ihrer Gleichzeitigkeit, oder doch ihrer Zusammengehörigkeit. Weil ich Schmerz empfinde, wenn ich gestochen werde, weil mein Gemüt bewegt wird, wenn ich Musik höre, weil ich einen Vorstellungs-Inhalt habe, wenn man mit mir spricht, weil mein Geist sich übel befindet, wenn mein Magen nicht in Ordnung ist, weil mein Denken beeinflusst wird, wenn ich berauschende Getränke oder gewisse Arzneimittel zu mir nehme, weil mein Geist auslischt, wenn man aus einer Ader mein Blut fliessen lässt! Die Aufeinanderfolge dieser Erscheinungen zwingt die Materjalisten zu ihren Teorieen. Die Wucht dieser Erscheinungen war es auch, die selbst Descartes stolpern liess, jenen konsequenten Denker, der Körperliches und Gedachtes für immer getrent zu haben glaubte. Sehen wir, wie wir später mit dieser „Erscheinung“ fertig werden.


§. 5

Nun ist klar: was die Materjalisten am liebsten los wären, – ist das Denken. Denn hier beginnt ihre Schwierigkeit....

Erscheint lt. Verlag 24.5.2015
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Weitere Religionen
Schlagworte Adrian Naef • Anarchismus • Christus • deutscher Schriftsteller • Freud • Georg Simmel • Haft in Amberg • Illusionismus • Lessing • Martin Luther • Max Stirner • Philosophie Max Stirners • Psicho-pathologische Beleuchtung • Psichopatia criminalis • Publizist • Robert Blum • Satiriker • Strindberg • Wedekind • Wilhelm Weitling
ISBN-10 80-268-3754-1 / 8026837541
ISBN-13 978-80-268-3754-1 / 9788026837541
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