Das doppelte Lieschen (eBook)
144 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
9783647992617 (ISBN)
Jürgen Gückel ist Journalist und Autor. Er war fast vier Jahrzehnte als Redakteur und Korrespondent für die Zeitungen der Madsack-Gruppe, darunter Peiner Allgemeine, Hannoversche Allgemeine Zeitung und Neue Presse, tätig und arbeitete zuletzt 23 Jahre lang als Polizei- und Gerichtsreporter des Göttinger Tageblattes. Für seine Arbeiten ist er vielfach ausgezeichnet worden. Er erhielt den Konrad-Adenauer-Lokaljournalisten-Preis für seine Serie über das Wirken der Justiz, den Regino-Preis für eine Serie über die Grundrechte. Er deckte den Transplantations-Skandal am Universitäts-Klinikum Göttingen auf und wurde dafür zusammen mit Kolleginnen der Süddeutschen Zeitung und der Taz mit dem Wächterpreis des Verbandes der Deutschen Zeitungsverleger geehrt. Viermal wurde ihm der Alexander-Journalistenpreis zugesprochen, unter anderem für eine Serie und ein Buch über das Grenzdurchgangslager Friedland. Und den August-Madsack-Preis erhielt er für seine Berichte in einem spektakulären Mordfall. Er lebt heute wieder in seiner alten Heimat am Rande jenes Dorfes, in dem ein NS-Massenmörder zum geachteten Dorfschullehrer werden konnte.
Jürgen Gückel ist Journalist und Autor. Er war fast vier Jahrzehnte als Redakteur und Korrespondent für die Zeitungen der Madsack-Gruppe, darunter Peiner Allgemeine, Hannoversche Allgemeine Zeitung und Neue Presse, tätig und arbeitete zuletzt 23 Jahre lang als Polizei- und Gerichtsreporter des Göttinger Tageblattes. Für seine Arbeiten ist er vielfach ausgezeichnet worden. Er erhielt den Konrad-Adenauer-Lokaljournalisten-Preis für seine Serie über das Wirken der Justiz, den Regino-Preis für eine Serie über die Grundrechte. Er deckte den Transplantations-Skandal am Universitäts-Klinikum Göttingen auf und wurde dafür zusammen mit Kolleginnen der Süddeutschen Zeitung und der Taz mit dem Wächterpreis des Verbandes der Deutschen Zeitungsverleger geehrt. Viermal wurde ihm der Alexander-Journalistenpreis zugesprochen, unter anderem für eine Serie und ein Buch über das Grenzdurchgangslager Friedland. Und den August-Madsack-Preis erhielt er für seine Berichte in einem spektakulären Mordfall. Er lebt heute wieder in seiner alten Heimat am Rande jenes Dorfes, in dem ein NS-Massenmörder zum geachteten Dorfschullehrer werden konnte.
Die Göttinger Bürger erstreiten sich einen neuen Brunnen
Die Stadt, die Wissen schafft – Promovierte küssende Kletterer – Heißt es die oder das Liesel? – Ungleiche Zwillinge, noch ungleichere Schicksale – Wann ist ein Kunstwerk eigentlich ein Original?
Kennen sie eigentlich Göttingen? Göttingen an der Leine, die Universitätsstadt, also die Stadt, die Wissen schafft? Nein, kennen sie nicht? Nur durchgefahren im ICE oder auf der A7? Aber wenn sie Göttingen kennen, dann kennen sie das Gänseliesel. Kennt hier jeder! Und wer hier studiert hat – und das haben so viele aus aller Welt –, der hat mit Sicherheit schon einmal rund ums Gänseliesel mitgefeiert. Wer gar in Göttingen promoviert hat, der hat das Liesel sogar geküsst – wenn er oder sie klettern kann. Das muss man nämlich können, denn Liesel steht hoch oben auf dem Brunnen vor dem Alten Rathaus. Das Liesel küssen, das macht hier jeder frischgebackene Doktor. Auch die Doktorinnen. Also alle erfolgreich Promovierthabenden – um es mal zu gendern, was ja in Göttingen erwünscht ist.
Das Göttinger Gänseliesel ist das meistgeküsste Mädchen der Welt. Und das seit 125 Jahren.
Ja, so eine ist das, das Liesel. Oder heißt es »die Liesel«? Ist doch ein Gänsemädchen. »Das« sagt man doch nur in Süddeutschland, und Göttingen gehört eindeutig zum Norden. Na ja, zum Süden vom Norden.
Abgesehen davon, wo der Sprachäquator in Deutschland verläuft – »die Liesel« stimmt ja doch: Plural! Es gibt nicht nur DAS Liesel, das eine. Es gibt zwei Liesel. Das Göttinger Gänseliesel und seine Zwillingsschwester aus Leipzig. Liebreizend sind sie beide, die Meistgeküsste wie auch das Mauerblümchen. Die eine seit 125 Jahren umschwärmt und im Rampenlicht, die andere abgeschieden und unbeachtet, versteckt, verbeult und verborgen in einer Holzkiste oder unter staubigen Laken im Schuppen oder Keller. Statt auf einem Sockel und unter einem Baldachin hoch über den Köpfen der Menschen steht das zweite Liesel barfuß auf einem flachen, unbequemen Stein.
Ein doppeltes Lieschen?
Ja klar, werden die Göttingen-Kenner sagen: das eine öffentlich auf dem Marktbrunnen, das Original aber im städtischen Museum!
»Ja«, sagt dazu die Museumsmitarbeiterin, »das ist das Original.« »Nein!«, muss man ihr antworten, sie irrt. Sie kann es jedenfalls nicht sicher wissen. Auf dem Marktplatz, wo durch frisch promovierte küssende Kletterer ständige Bruchgefahr besteht, hält stellvertretend nur ein noch recht junger Nachguss dem Andrang junger Doktorinnen und Doktoren stand. Im Museumsfoyer hingegen findet sich das Liesel, das als das Göttinger Original gilt und das fast alle Göttinger bislang für das Original-Gänseliesel halten.
Doch es gibt zwei Abgüsse vom eigentlichen Original, das der Künstler einst in Gips oder vermutlich eher in Ton als Gussvorlage formte. Ein Unikum ist sie, die Museums-Liesel vom Göttinger Marktplatz, wird sie doch so oft geküsst wie keine andere – aber sie ist kein Unikat. Und schon gar kein Original. Sie ist der bronzene Abguss eines tönernen Originals, das der Berliner Künstler Paul Nisse vor 125 Jahren geschaffen und der Stadt Göttingen als vermeintliches Unikat verkauft hat.
Und dann – nein, sogar schon vorher – hat Nisse heimlich einen zweiten Guss von seiner tönernen Arbeit anfertigen lassen und damit einem bronzenen Mauerblümchen das Leben geschenkt, dessen aufregendstes Erlebnis in 125 Jahren es war, dass es nach dem Bombenhagel auf Leipzig 1945 auf einem Schrottlaster der russischen Armee zwischen Blecheimern, Zaungittern und verbeulten Stahlhelmen landete und den siegreichen Soldaten nur beschädigt wieder abgeschwatzt werden konnte, um sodann für Jahrzehnte im Kirchenasyl zu verschwinden.
Die Göttinger Zwillingsschwester hingegen machte vom ersten Tag an Karriere. Sie ist zum Liebling der Studierenden und aller Göttinger geworden, sie hat Studenten zu allerlei Schabernack verleitet, hat mit der ganzen Küsserei und dem Streit darum, ob das denn in aller Öffentlichkeit nicht anrüchig sei, Rechtsgeschichte geschrieben. Das Göttingen-Liesel wurde zum Vorbild unzähliger Mini-Kopien, und inzwischen gibt es auch ein Liesel-Fake in einer Europa-Wunderwelt in Japan. Sie ist zum Reiseandenken für die Besucher der Stadt und zur Märchenfigur geworden, obwohl ein Märchen für sie erst erfunden werden musste. Sie gibt einem Wein, einem Stadtfest und einem Wohnquartier den Namen. Und sie ist seit 125 Jahren weltbekanntes Wahrzeichen ihrer Heimatstadt.
In Leipzig hingegen, der Heimatstadt ihrer Zwillingsschwester, weiß bis heute niemand, in welchem Garten das Gänsemädchen samt Gans und Gösseln einst versteckt war, wo es sich in der DDR-Zeit verbarg und in welchem Keller das Leipziger Mauerblümchen-Liesel heute sein Dasein fristet.
Fangen wir also ganz vorn an, um das Schicksal der ungleichen Zwillingsschwestern ein wenig zu erhellen. Blicken wir gut 125 Jahre zurück und dem Künstler über die Schulter und sehen …
… im Hinterhof seines Berliner Ateliers ein junges Mädchen, das die Gänse hütet.
Leipziger Gänseliesel im Kirchenasyl: Im Garten hinter dem Gemeindehaus der St. Andreas-Kirchengemeinde wurde der älteste Guss des Nisse-Kunstwerkes während der DDR-Zeit versteckt. Foto: privat/Repro: Gückel
Fast immer mit Blumenschmuck: Das Göttinger Gänseliesel unter gusseisernem Baldachin. Foto: Christina Hinzmann
Atelier am Stadtrand von Berlin – Herr Nisse ist »ein sehr bedeutendes künstlerisches Talent« – Von Kunst zu leben ist nicht einfach – Ein Sohn erinnert sich der Gänsekinder
Wir befinden uns jetzt also in Berlin-Wilmersdorf, Würzburger, Ecke Augsburger Straße. Damals gleich neben der Post. Der Breitscheidplatz und die Gedächtniskirche – beide schon Charlottenburg – sind nicht weit. Kaufhaus des Westens und Wittenbergplatz gleich nebenan. Hier brodelte in den wilden Zwanzigern das Berliner Künstlerleben, hier pulsierte Westberlin zu DDR-Zeiten. Aber wir müssen weiter zurückblicken – 1897 oder 1898. Damals war hier noch Stadtrand. Die Augsburger Straße wurde erst seit 1887 angelegt und reichte vom Kurfürstendamm bis zur Eisenacher Straße. Ein junger Künstler versuchte zwischen emporwachsenden Neubauten und den Resten ländlicher Idylle in seinem Atelier eine Zukunft aufzubauen und davon – seine Frau war schließlich eine Bürgerliche – die Familie zu ernähren. Mit Letzterem ist er gescheitert, aber das können wir jetzt noch nicht wissen. Denn über den Bildhauer Paul Nisse, den Schöpfer des Gänseliesels, ist öffentlich wenig bekannt.
Friedrich Paul Nisse, geboren am 31. Januar 1869 in Halle an der Saale, stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Von 1886 an besuchte er Kunstschulen und Akademien in Leipzig, Dresden, Karlsruhe, München und schließlich Berlin, wo er 1894 Mitarbeiter des etablierten und renommierten Künstlers Professor Ferdinand Hartzer wurde, der ihn später entscheidend fördern sollte.
In seinem Atelier jedenfalls versucht der seit 1896 verheiratete Künstler, der mit seiner Ehefrau Meta, geborene Hanke, im Jahr 1900 den Sohn Thilo und ein Jahr später Tochter Melanie bekommen wird, die von seinen Professoren in ihn gesteckten hohen Erwartungen zu erfüllen. Ein »sehr bedeutendes künstlerisches Talent« hatte 1891 Professor Voltz von der Großherzoglichen Badischen Kunstschule ihm attestiert. Und Bildhauer-Kollege Carl Scherrers hoffte 1894 auf eine »bedeutende Zukunft« des »ebenso strebsamen wie befähigten Künstlers«.
Aber von seiner Kunst zu leben ist nicht so einfach. Zwar wachsen überall in Berlin und in den großen Städten stattliche staatliche Gebäude, großbürgerliche Villen und selbst architektonisch anspruchsvolle Industriebauten, die in dieser Gründerzeit über und über mit Skulpturen, Figuren und Ornamenten verziert sind, aber die Konkurrenz ist groß. Rückblickend wird Paul Nisse ein halbes Jahrhundert später über diese seine Anfangsjahre recht resigniert berichten. Der Kunstmarkt für Bildhauer, so wird er sinngemäß klagen, sei in dieser Zeit von einem Klüngel wenig talentierter, aber gegenüber den Auftraggebern offenbar geschickter und gewissenloser als er auftretender Kollegen weitgehend belegt gewesen.
Dass er diesem Künstler-Klüngel seinen wichtigsten Auftrag, sein später bekanntestes Werk – jedenfalls das Berühmtwerden dieses Werkes – zu verdanken hatte, konnte er 1898 noch nicht ahnen, als er da in seinem Atelier die Nachbarskinder beobachtete. Denn so ganz regelkonform wird es auch bei der Ausschreibung des Göttinger Marktbrunnens nicht zugehen –...
| Erscheint lt. Verlag | 10.3.2025 |
|---|---|
| Zusatzinfo | mit 47 teilw. farb. Abb. |
| Verlagsort | Göttingen |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
| Naturwissenschaften ► Geowissenschaften ► Geografie / Kartografie | |
| Schlagworte | Gänseliesel • Göttingen • Leipzig • Paul Nisse • Verwechslung |
| ISBN-13 | 9783647992617 / 9783647992617 |
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