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Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (eBook)

Psycholinguistische Grundlagen und Sprachdiagnostik
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-240320-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spezifische Sprachentwicklungsstörungen -  Jürgen Cholewa
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SSES auf der Spur Die meisten Kinder erwerben Sprache so mühelos und vollständig, dass man leicht vergisst, wie kompliziert die mentalen Prozesse sind, die dem Verstehen und Produzieren von Sprache zugrunde liegen. Leidet ein Kind an einer Spezifischen Sprachentwickungsstörung, dann hat das weit reichende Folgen für seine schulische und persönliche Entwicklung und es braucht eine professionelle Sprachtherapie. Dieses Buch stellt ein Konzept zur modellgeleiteten Sprachdiagnostik bei SSES vor. Die Besonderheit: SSES werden vor dem Hintergrund von zwei psycholinguistischen Modellen erklärt, eines zur Produktion und eines zum Verstehen von Sprache. In diesen Modellen werden phonetisch-phonologische, lexikalische, grammatische und pragmatische Teilschritte der sprachlichen Informationsverarbeitung abgebildet. So erhalten Sie eine genaue Vorstellung davon, welche Teilfähigkeiten sich entwickeln müssen, damit das Produzieren und das Verstehen von Sprache gelingt. Sie erfahren, welche Aufgaben- und Stimulusformate es gibt, um die sprachliche Informationsverarbeitung gezielt zu untersuchen. Und wie Sie das modellgeleitete Diagnostikkonzept nutzen, um psycholinguistisch begründete Ziele für die Sprachtherapie- oder Förderung zu finden und für das therapeutische Vorgehen einzusetzen. Online erhalten Sie umfangreiches Zusatzmaterial, das Sie beispielsweise in Präsentationen zur Verdeutlichung der beschriebenen Sprachverarbeitungsprozesse einsetzen können. Außerdem eine Übersicht aller in diesem Konzept berücksichtigten deutschsprachigen Tests samt Zuordnung zu den entsprechenden Aufgaben- und Stimulusformaten. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

2 Was ist SSES?


2.1 Definition


Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (SSES) bilden eine Teilmenge des umfassenderen Formenkreises der Sprachentwicklungsstörungen (SES, vgl. ▶ Abb. 2.1). Weitgehend bedeutungsgleich werden auch die Bezeichnungen Umschriebene Sprachentwicklungsstörung (USES) oder Umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache verwendet. Im englischen Sprachraum finden sich u.a. die Termini „specific language impairment“ (SLI), „ideopathic language disorder, primary language disorder“.

Eine SES wird dann diagnostiziert, wenn der sprachliche Entwicklungsstand eines Kindes expressiv oder rezeptiv auf mindestens einer linguistischen Ebene (phonetisch-phonologisch, lexikalisch-semantisch, morphologisch-syntaktisch, pragmatisch) gravierend nach unten von der Altersnorm abweicht ▶ [117].

Ätiologien von kindlichen Sprach- und Sprachentwicklungsstörungen.

Abb. 2.1 

Einer Sprachentwicklungsstörung können unterschiedliche Ätiologien zugrunde liegen. Hierzu zählen Hörbehinderungen (z.B. ▶ [240], ▶ [490]), geistige Behinderungen (z.B. ▶ [249]) oder Entwicklungsstörungen aus dem Autismusspektrum (z.B. ▶ [321]). Auch können Störungen der Sprachentwicklung und des sprachlichen Lernens zusammen mit allgemeinen, d.h. nicht nur die Sprache betreffenden Lernstörungen auftreten ▶ [214], ▶ [251].

Sprachstörungen im Kindesalter können auch durch hirnschädigende Ereignisse (z.B. Schädel-Hirn-Traumen oder Hirnentzündungen) verursacht werden. Solche, sog. kindliche Aphasien werden jedoch nicht den Sprachentwicklungsstörungen zugeordnet, da nicht nur der postmorbide Verlauf des Spracherwerbs beeinträchtigt ist, sondern auch ein Verlust bereits erworbener sprachlicher Fähigkeiten vorliegt ▶ [335].

Als spezifisch werden Entwicklungsstörungen der Sprache dann eingeordnet, wenn die oben genannten Schädigungen, Erkrankungen oder Behinderungen nicht vorliegen und demnach alle sensorischen, neurologischen, intellektuellen und kommunikativen Voraussetzungen für einen altersgemäßen Spracherwerb eigentlich vorzuliegen scheinen ▶ [376]. Spezifisch meint in diesem Zusammenhang, dass nur die Sprache und davon unmittelbar abhängige Lern- und Entwicklungsbereiche (z.B. Lesen und Schreiben) betroffen sind, während sprachunabhängige Fähigkeiten weitgehend altersgemäß entwickelt sind.

Allerdings weisen Kinder mit SSES zusätzlich zu den sprachlichen Defiziten oft auch nicht-sprachliche Beeinträchtigungen auf, beispielsweise Aufmerksamkeitsdefizite ▶ [37] oder motorische Defizite ▶ [123], ▶ [224], ▶ [403], die in einem bisher weitgehend ungeklärten Zusammenhang zu den sprachlichen Beeinträchtigungen stehen (z.B. ▶ [375]). Die Definition von SSES als im engen Sinne rein sprachlich wird deshalb zunehmend kritisch gesehen (z.B. ▶ [50], ▶ [175], ▶ [400]). Beispielsweise wird SSES in aktuellen Taxonomien mit Sprachentwicklungsstörungen, die im Rahmen einer allgemeinen, nicht nur die Sprache betreffenden Lernstörung auftreten, unter der Bezeichnung „developmental language disorder with unknown biomedical etiology“ (DLD) zusammengefasst ▶ [49], ▶ [50] (vgl. Kap. ▶ 2.7 für eine ausführliche Diskussion aktueller terminologischer und definitorischer Kontroversen).

Merke

Die komplexen und vielschichtigen Ursachen von SSES sind ein zentrales Thema des vorliegenden Buches. Zusammenfassend wird angenommen, dass primär genetische und neurobiologische Entwicklungsbesonderheiten zugrunde liegen. Diese führen zu Beeinträchtigungen beim Aufbau und bei der Verwendung von kognitiven Prozessen und Strukturen, die speziell für den Erwerb und die Verarbeitung von Sprache erforderlich sind (z.B. ▶ [55]).

2.2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik


In der klinischen Diagnostik muss SSES einerseits von einer altersgemäßen Sprachentwicklung abgegrenzt werden und andererseits von Sprachentwicklungsstörungen anderer Ätiologie (vgl. Kap. ▶ 2.1). Das Ausmaß der Abweichungen vom altersgemäßen Spracherwerbsverlauf wird meist mithilfe von standardisierten, normierten und psychometrisch abgesicherten Sprachentwicklungstests nachgewiesen. Hierbei kommen allerdings unterschiedliche Testverfahren zur Anwendung, die jeweils für bestimmte Altersgruppen ein heterogenes, mehr oder weniger breites Spektrum rezeptiver und/oder expressiver Sprachleistungen mit uneinheitlichen sprachlichen Aufgabenstellungen und Stimuli abdecken (im Deutschen z.B. SET 5–10: ▶ [357]; SETK 3–5: ▶ [200]; MSVK: ▶ [143]; TROG-D: ▶ [157]).

Auch die Frage, ab welchem Ausmaß die Abweichungen von der Altersnorm als gravierend gelten können, wird uneinheitlich beantwortet. Häufig wird eine Normabweichung um mindestens 1,25 oder 1,5 Standardabweichungen (SD) vom Mittelwert in einem Untertest eines Sprachentwicklungstests bereits als hinreichendes Grenzmaß akzeptiert (vgl. ▶ [376]). Bishop ▶ [53] schlägt vor, entweder Normabweichungen ab 1,5 SD in mindestens zwei Untertests oder eine Normabweichung ab 2 SD in einem Untertest eines standardisierten Sprachtests als gravierend einzuordnen.

Differenzialdiagnostisch muss bei SSES wie bereits erwähnt ein unauffälliger sensorischer, neurologischer und psychiatrischer Befund vorliegen und es müssen altersgemäße Leistungen in einem nonverbalen Intelligenztest nachgewiesen werden ▶ [117], ▶ [376]). Auch hier gilt, dass unterschiedliche Intelligenztests zum Einsatz kommen (z.B. CFT, ▶ [484]; sprachfreie Subtests des K-ABC, ▶ [316]) und dass auch die statistischen Kriterien für das Vorliegen einer Diskrepanz zu den sprachlichen Leistungen uneinheitlich sind. Häufig gilt ein Intelligenzquotient oberhalb von 80 oder von 85 als hinreichend, um eine allgemeine Lernstörung ausschließen zu können (vgl. ▶ [376]). In der ICD 10 wird dieses Kriterium jedoch nicht durch die Festlegung eines Grenzwerts definiert, sondern anhand eines Diskrepanzmaßes. Eine SSES kann demnach nur diagnostiziert werden, wenn die individuelle Abweichung der sprachlichen Leistungsminderung von den nonverbalen Intelligenzleistungen nach unten erheblich ist.

In neueren klinischen Taxonomien wird über die Relevanz dieses Kriteriums allerdings kontrovers diskutiert. Mehrheitlich werden Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen hier derselben klinischen Kategorie zugeordnet, unabhängig davon, ob ihre nonverbalen Intelligenzleistungen altersgemäß sind ▶ [49], ▶ [50] (vgl. Kap. ▶ 2.7). Diesen aktuellen definitorischen Tendenzen liegt die Annahme zugrunde, dass Sprachentwicklungsstörungen von Beeinträchtigungen der nonverbalen Intelligenz in ähnlicher Weise begleitet werden können wie auch von motorischen Defiziten oder von Aufmerksamkeitsdefiziten (s.o.), d.h. ohne dass zwingend ein ursächlicher bzw. ätiologischer Zusammenhang zwischen nonverbalen und sprachlichen Beeinträchtigungen angenommen werden muss.

Zusammenfassung

Insgesamt sind die diagnostischen und differenzialdiagnostischen Kriterien, nach denen eine Sprachentwicklungsstörung als primär, umschrieben bzw. spezifisch eingeordnet wird, uneinheitlich und kontrovers ▶ [50], ▶ [376].

2.3 Häufigkeit und Verlauf


Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen finden sich in allen gesellschaftlichen Bildungs- und Einkommensgruppen ▶ [364].

Aufgrund von epidemiologischen Studien aus dem englischen Sprachraum ▶ [459] wird meist angenommen, dass SSES im Kindergartenalter generell, also auch im Deutschen, mit einer Prävalenz von durchschnittlich ca. 7% auftritt ▶ [342]. Damit zählt SSES zu den besonders häufigen Entwicklungsstörungen. Allerdings variieren die in verschiedenen Studien ermittelten Prävalenzraten erheblich, was auch auf die Verwendung uneinheitlicher Definitionskriterien und Diagnostikverfahren zurückgeführt wird ▶ [443] (vgl. Kap. ▶ 2.2).

SSES kann sich im Entwicklungsverlauf sowie unter dem Einfluss sprachlicher Umgebungsbedingungen mehr oder weniger stark zurückbilden ▶ [101], ▶ [102], ...

Erscheint lt. Verlag 8.7.2020
Reihe/Serie Forum Logopädie
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe Logopädie
Schlagworte Kognitionswissenschaft • Psycholinguistik • Sprachdiagnostik • Sprachentwicklungsstörung • Sprachförderdung • Sprachproduktion • Sprachtherapie • Sprachverarbeitung • Sprachverarbeitungssystem • Sprechen • SSES
ISBN-10 3-13-240320-2 / 3132403202
ISBN-13 978-3-13-240320-8 / 9783132403208
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