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Mine-Haha (eBook)

Oder über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen

(Autor)

Hartmut Vinçon (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
159 Seiten
Wallstein Verlag
9783835389182 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mine-Haha -  Frank Wedekind
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Verstörend und provozierend: Frank Wedekinds Erzählung »Über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen«. Die Unterscheidung zwischen Geist und Körper ist eine abendländische Erfindung: Frank Wedekind setzt diesem cartesianischen Postulat voraus: Der menschliche Körper muss erzogen werden. In »Mine-Haha« - das Wort ist indianischen Ursprungs und bedeutet »Lachendes Wasser« - werden junge Mädchen einem pädagogischen System unterworfen, das durch Gymnastik und Tanz ihre körperliche Ertüchtigung bewirken soll, ganz im Sinne des das 19. Jahrhundert bestimmenden und darüber hinaus wirkungsmächtigen Diskurses über Disziplinierung und Selbstdisziplinierung des Körpers sowie über die soziale Ordnung der Geschlechter. Handlungsort ist ein entlegener und abgesperrter Park im Schatten eines mysteriösen Staates, wo das Mädchen Hidalla aufwächst. Dort kümmern sich die älteren Mädchen um die Erziehung der jüngeren, beaufsichtigt von Lehrerinnen und Dienerinnen. An den Park ist ein Theater angeschlossen, in dem auserwählte Mädchen nachts Stücke aufführen, bevor sie ganz aus dem Park gebracht und vor den Toren von jungen Männern abgeholt werden. Der Text ist Utopie wie Dystopie. Nicht zufällig hat Wedekind der Erzählung die fiktive Herausgeberin Helene Engel vorgeschaltet, deren Name an die Frauenrechtlerin Helene Lange erinnert. Gleichzeitig beschwört er suggestiv Bilder von mehr als irritierender Sinnlichkeit, die auch heute, im Zeitalter von #MeToo, verstören und Diskussionsstoff liefern.

Frank Wedekind (1864-1918) gehörte mit seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche. Er prangerte mit Stücken wie »Lulu« und »Frühlings Erwachen« hinlänglich schulische Dressur, bürgerliche Scheinheiligkeit und Prüderie an.

Frank Wedekind (1864–1918) gehörte mit seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche. Er prangerte mit Stücken wie »Lulu« und »Frühlings Erwachen« hinlänglich schulische Dressur, bürgerliche Scheinheiligkeit und Prüderie an. Hartmut Vinçon, geb. 1941, war Mitarbeiter am Literaturarchiv in Marbach, Assistent am Gießener Institut für Germanistik und Professor für Kommunikationswissenschaften an der Hochschule Darmstadt. Er gründete die Editions- und Forschungsstelle Frank Wedekind.

Erläuterungen


Mine-Haha] Zur Namensgebung: 1. aus Henry Wadsworth Longfellows Versepos The Song of Hiawatha (1855). Dort heißt die Tochter eines Dacotah-Indianers und Frau des Hiawatha (Prophet, Lehrer) Minnehaha, (übers.) Laughing Water (Lachendes Wasser). Eine der Quellen für Longfellows Epos war Mary H. Eastmans Veröffentlichung Dahcotah, or, Life and legends of the Sioux around Fort Snelling (1849). »Minnehaha« bedeutet in der Sprache des Indianerstammes der Dakota »Wasserfall«, zusammengesetzt aus »mni« = Wasser und »hăhă« = Wasserfall. Mary H. Eastman übersetzte »Minnehaha« mit »Laughing Water«. Im 19. Jh. galt Longfellow als der populärste Dichter Amerikas. Longfellows epische Dichtung erlebte in ihrem Erscheinungsjahr bereits dreißig Auflagen und machte Werk und Autor auch in Europa rasch bekannt. »Minnehaha ist bei Longfellow der Inbegriff der wilden Naturschönheit« (so Schümann 2001, S. 48, womit jedoch Longfellows romantische Darstellung Minnehaha’s als liebende, hilfs- und opferbereite Frau nicht vollständig getroffen ist). Dt. Übersetzungen des Versepos legten bereits 1856 Adolf Böttger, 1857 Ferdinand Freiligrath, 1859 Heinrich Schultz bzw. A. u. K. Seitz, später Hermann Simon 1870 (Reclam), Karl Knortz 1872 und Karl Bindel 1890 vor. Longfellows Song of Hiawatha regte Friedrich von Bodenstedt (1819-1892) zu dem Gedicht Minehaha an, 1880 in der Zeitschrift Über Land und Meer (Jg. 44, S. 1016) veröffentlicht. – 2. Begriff aus der frz./engl. Gartenkunst »Ha-Ha« oder auch »Mine Ha-Ha«, d. i. abgesenkte Mauern, Zäune bzw. verdeckte (Fall-)Gräben, mit denen große Gärten abgeschirmt und beschützt wurden, ohne sie »sichtbar von der [sie] umgebenden Landschaft zu trennen« (Panofsky 1993, S. 57). – 3. Wedekind nutzt den Namen bereits für eine der Frauenrollen in seinem Lustspiel Kinder und Narren (1891), dort »Minne-Haha« geschrieben (KSA 2, S. 152,24 u. S. 704), und in dem Fragment gebliebenen Drama Das Sonnenspectrum (1894) in der Schreibweise »Minehaha« (KSA 3/I, S. 675,26 ff. u. KSA 3/II, S. 1434 f.). In der Zirkuspantomime Bethel (1897) heißt »Mine-Haha« dagegen ein Siouxindianerhäuptling (KSA 3/I, S. 93,22 ff. u. KSA 3/II, S. 826). – 4. Laut Kutscher trug diesen Namen eine Züricher Jugendfreundin Wedekinds: »Sie wurde das Symbol für Wedekinds körperlich-rhythmisches Ideal.« (Kutscher 2, S. 125 f. Anm.***). – 5. Unter dem Namen »Cornelius Minehaha« ging Wedekind im Winter 1895/96 auf Vortragsreise in der Schweiz. – 6. Die fragmentarische Erzählung wird in der Zeitschrift Die Insel (1900/1901) unter dem alleinstehenden Titel Mine-Haha veröffentlicht (KSA 5/I, S. 1061). – Die Titel-Vignette und alle Kapitel-Vignetten der Buchausgabe (1903) entwarf der mit Wedekind befreundete Maler und Zeichner Thomas Theodor Heine (1867-1948).

Oder über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen] Der alternative Titel ist erstmals der B<uchausgabe hinzugefügt. Ein Doppeltitel, Hidalla oder Das Leben einer Schneiderin, wird zuerst in den Vorarbeiten zum Roman 1895 erwogen (KSA 5/I, S. 1059 f.). Handschriftlich hatte sich Wedekind 1903 als Titel notiert: Mine-Haha / oder über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen. aus Helene Engel’s schriftlichem ‹!› Nachlaß Papieren herausgegeben von / Frank Wedekind (KSA 5/I, S. 1061 f.). In den Gesammelten Werken (Bd. 1, 1912) ist der Untertitel Aus Helene Engels schriftlichem Nachlaß herausgegeben von Frank Wedekind nicht übernommen.

Helene Engel] Alfons Höger (1981, S. 181) bemerkt zu dem Namen, es handle sich um eine satirische Anspielung auf die Frauenrechtlerin Helene Lange (1848-1930) und verweist darauf, dass sie dafür eintrat, die höhere Mädchenerziehung ausschließlich in die Hand von Frauen zu legen. Hohe Aufmerksamkeit erzielte H. L. zusammen mit Mina Cauer u. a. bereits 1887 durch die Veröffentlichung der sogenannten »Gelben Broschüre«, Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung (1887), in welcher die bisherige Mädchenausbildung scharf kritisiert wurde. Bezogen auf Lange könnte auch an ein Wortspiel Wedekinds, der solche wie »Beifall – Fallbeil« liebte, angenommen werden: Engel – Lange – (engl.) angel. Plausibel wäre es auch im Fall des Nachnamens, dass Wedekind auf Friedrich Engels anspielt, dessen berühmte Schrift Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats im Anschluß an Lewis H. Morgan’s Forschungen im Verlag Schweiz. Genossenschaftsbuchdruck (Hottingen-Zürich 1884) erstmals veröffentlicht wurde (vgl. Erl. »Engels«, KSA 5/I, S. 1183). Der Vorname Helene verweist, wie bereits Ortrud Gutjahr erläuterte, auf den der schönsten Frau des antiken Griechenlands. Ihr Nachname steht gleichsam für ein überirdisches oder ganz allgemein für ein »übermenschliches, androgynes Wesen« oder »euphemistisch für eine Verstorbene« (Gutjahr 2001a, S. 35 f.). Dem lässt sich noch die Assoziation ›gefallener Engel‹ hinzufügen, da sich die pensionierte Lehrerin, wie erzählt wird, zu Tode gestürzt hat. So sind in diesem Namen Heiden- und Christentum bedeutungsvoll vereint.

die vierundachtzigjährige] Die im Vorwort angegebenen biographischen Daten Helene Engels lassen sich mit einigen biographischen Daten Emilie Wedekinds (1840-1916) in Vergleich bringen. »Mit siebzehn Jahren« trat E. W. eine Schiffsreise nach Südamerika an, um ihre Schwester Sophie, verheiratet mit einem frz. Offizier, zu besuchen und im Haushalt zu unterstützen. Ihr Reise nach Amerika verschlug sie nach San Francisco, wo sie in einem Melodion und anderen Tingeltangeln auftrat (vgl. Wedekind-Kammerers Jugenderinnerungen, hg. v. Becker 2003, S. 153 ff. u. Parker 2020, S. 221 ff.). – Da Helene Engel mit 84 Jahren stirbt, müsste ihr Geburtstag, vom Zeitpunkt der Veröffentlichung des Mine-Haha-Buches ausgehend, in das Jahr 1819 fallen. Mit dreiundsechzig Jahren, doch diese Information stammt aus der Ich-Erzählung, wird mit der Niederschrift der »Lebensgeschichte« begonnen. Auf die Biografie Helene Engels, sofern sie mit der Hidallas übereinstimmte, berechnet, würde der Beginn der Niederschrift der Autobiografie in das Jahr 1882 fallen. Vgl. zu den im Haupttext genannten ›Lebensdaten‹ die Erl. »jetzt in meinem dreiundsechzigsten Jahr«, S. 81.

»Frühlings Erwachen«] »ein Buch von mir«, wie es im Text heißt. Erwähnenswert ist, dass Wedekind fast zur selben Zeit, als Frühlings Erwachen entstand (s. KSA 2, S. 763), das Exposé Eden, erste Notizen zu einem utopischen Roman (s. KSA 5/I, S. 1020), ausarbeitete (s. KSA 5/I, S. 1015). In Mine-Haha wird die Leserschaft gezielt auf einen ›fragwürdigen‹ intertextuellen Zusammenhang aufmerksam gemacht.

vor langen Jahren einmal niedergeschrieben] Der Hinweis lässt sich u. a. als selbstreferentieller Bezug Wedekinds auf die Entstehungsgeschichte von Mine-Haha interpretieren, die bis auf das Jahr 1890 zurückreicht (s. KSA 5/I, S. 1024 f.).

mit siebzehn Jahren] S. Erl. »die vierundachtzigjährige«, S. 75.

Melodion] ein im 18. Jh. erfundenes Instrument, bei dem die Töne mittels Glas- oder Metallstäben durch Reiben an einem sich drehenden Glaszylinder bzw. an einer Zinnwalze zum Tönen gebracht werden (vgl. Ullmann 1996, S. 85). Von dieser Instrumentenbezeichnung ist der Name für ein musikalisches Etablissement abgeleitet, in dem – wie in Music-Halls und Varietés – insbesondere Lieder und Tänze vorgetragen wurden.

Tingeltangel] Die Herkunft des Begriffs, seit den 1870er Jahren nachweisbar, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Er wurde seinerzeit mit »Varieté« gleichgesetzt und galt auch für Singspielhallen und Kneipen, in denen nach dem Vorbild der frz. Cafés chantants Musik- sowie Gesangs- und Tanzvorträge, aber auch Bauchredner, Zauberkünstler und Tiernummern für Unterhaltung sorgten. In den dt. Großstädten waren entsprechende Etablissements, die v. a. beim kleinbürgerlichen und proletarischen Publikum beliebt waren, in den 1880er Jahren vermehrt in Mode gekommen. In dieser Zeit wurde die Bezeichnung zunehmend in abwertendem Sinne gebraucht und diente vorzugsweise zur Charakterisierung von Lokalen, die auf die derb-plumpe, sexuell aufreizende Unterhaltung eines künstlerisch anspruchslosen Publikums abzielten (vgl. Jansen 1990, S. 55 ff.; Chisholm 2000, S. 21). 1889 besuchte Wedekind mehrfach Münchner Tingeltangel-Etablissements, etwa das »Münchner Kindl« (vgl. Tb, S. 100 u. S. 115 f.), die »Monachia« (vgl. Tb, S. 119) und das Café »Italia« (vgl. Tb, S. 96 u. S. 118). Während seines Aufenthalts in Paris (1892-1894) lernte Wedekind raffinierte Formen des Tingel-Tangels kennen und entwickelte nach seiner Rückkehr nach Deutschland Pläne für die Gründung eines dt. Varieté-Theaters nach frz. Vorbild (vgl. Hardekopf 1900). 1897 publizierte er im Simplicissimus eine Tingel-Tangel-Ballade (s. KSA 1/I, S. 2086 f.).

»Gartenlaube«] Das illustrierte Familienblatt für Unterhaltung, Belehrung und Bildung wurde 1853 v. Ernst Keil gegründet und erzielte bereits 1876 eine...

Erscheint lt. Verlag 6.8.2025
Reihe/Serie Frank Wedekind - Werke in Einzelbänden.
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Disziplinierung • Dystopie • Geist und Körper • Geschlecht • Gymnastik • Helene Lange • metoo • Pädagogik • provozierend • Sinnlichkeit • System • Tanz • Utopie • verstörend
ISBN-13 9783835389182 / 9783835389182
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