Briefe eines Mörders (eBook)
222 Seiten
epubli (Verlag)
9783819755484 (ISBN)
Rentner aus Sachsen-Anhalt
Rentner aus Sachsen-Anhalt
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und wälzten den dicken Aktenordner mit der Ken-nung GO-KA. Hier stand alles über jedes Mitglied der damaligen Gemeinde, quasi ein lückenloser Lebenslauf. „Schauen Sie, das ist unsere Sara, da hat die Familie ihren Doktortitel gefeiert, bevor die Nazis ihr ein Berufsverbot auferlegten“. Im ersten Augenblick sah die Frau für Faller genauso aus wie die Ärztin aus Sudenburg, musste sich aber dann beim genaueren Hinschauen eines Besseren beleh-ren lassen. Die Frau auf dem Fotos hatte dunkle, ja fast schwarze Augen und Frau Dr. aus Sudenburg dagegen stahlblaue, die ihm schon beim ersten Mal aufgefallen waren. „Sehen sie genau hin, Herr Kommissar, die Narbe hier an Ihrem rechten Arm, sehen sie, die hat sie von einem Hundebiss aus ih-rer Jugendzeit und so etwas geht nie wieder verlo-ren“. Faller schaute sich die Fotos lange Zeit an und der Rabbi bot ihm an, sie ihm für seine Er-mittlungen zu überlassen, mit der Bitte, sie danach wieder zurückzubekommen. „Es sind Erinne-rungsstücke, wissen sie, und wir wollen uns noch recht lange an unsere Sara und ihre Familie erin-nern“. Jetzt wurde Faller erneut stutzig und fragte nach dem Verbleib der jungen Frau, nahm er doch an, dass sie das Lager überstanden hatte. „Nein
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Herr Kommissar, keiner der Goldsteins hat Au-schwitz überlebt, wir haben ihre Gebeine bis heute nicht gefunden, nur die Unterlagen ihrer Ermor-dung“. Faller machte noch ein paar Fotos von den Dokumenten und war gespannt, was sein Chef dazu sagen würde. Wer ist diese Frau in Sudenburg und wie kam sie an die Unterlagen der ermordeten Jüdin?
*
Ferdinands Mutter schwankte zwischen Zusage und Absage. Einerseits war sie immer noch am Hoffen auf die Rückkehr ihres Sohnes und ande-rerseits wollte sie alles dafür tun, ihn so schnell es ging nach Hause zu holen. Hagemann, der nie über seinen Bruder geredet hatte, versuchte „Hedwig“ davon zu überzeugen, was für ein guter Anwalt er war. Bruno studierte in Hamburg die Rechtswis-senschaften mit riesengroßem Erfolg und später übernahm eine renommierte Kanzlei in Braun-schweig den jungen Juristen. Gleich nach dem Krieg stürzten sich alle großen Kanzleien auf die finanziell attraktiven Fälle in den Nürnberger Pro-zessen. Als am Abend Hedwig ihre Entscheidung kundtat, Hagemann zu begleiten, packten sie in
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aller Eile ihre Sachen, um ein paar Tage bei seinen Verwandten zu verbringen. Es war das erste Mal, dass Hedwig ihren Hof verließ und er ohne sie auskommen musste. Aufgeregt wie ein Kind, das in die Schule kommt, kontrollierte sie stündlich die bereitgelegten Sachen. um das eine oder andere Stück noch auszutauschen. „Wichtig sind vor allem die Papiere, auch die von deinem Sohn, und ver-giss deinen Pass nicht“ ,mahnte Hagemann sie ein paar Mal. Zeitig am Morgen fuhren sie rüber nach Magdeburg und folgten der kurz vor Kriegsbeginn ausgebauten Autobahn in Richtung Braunschweig. Hedwig hatte sich warm angezogen, denn in dem ziemlich luftdurchlässigen Kübelwagen gab es kei-nerlei Heizung. Drei Stunden brauchte Hagemann, bis er die Autobahn verließ und nach der Adresse suchte. Immer wieder hielten sie an, um einheimi-sche Passanten nach dem Weg zu fragen. Dann endlich, drei Uhr am Nachmittag, standen sie vor dem imposanten Gebäude, in dem sein Bruder ar-beitete. Die Begrüßung fiel tränenreich aus, hatten sich die Brüder doch schon jahrelang nicht mehr gesehen. Dort der große kräftige Mann mit den leicht angegrauten Schläfen in seinem schicken dunklen Anzug und hier der etwas kleinere Förster
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in seiner abgewetzten Uniform. „Wer ist die Schö-ne an deiner Seite? , wollte Bruno als Erstes wis-sen, nachdem sie sich endlich aus ihrer Umarmung gelöst hatten. Hagemann nahm seine Hedwig an die Hand und stellte sie seinem Bruder vor. „Ich freue mich für dich, mein „Kleiner“. Es wird Zeit, dass du eine Familie gründest, du wirst auch nicht jünger“, scherzte er und bat die zwei in sein Büro. Nun war es an Hedwig, ihre Geschichte vorzutra-gen, und die beiden Männer ließen sie reden. Erst ein wenig stockend, dann fast überschwänglich, bis Bruno sie bat, doch erst einmal ein Schluck Wasser zu nehmen. „Durch meine Arbeit in Nürnberg kenne ich einige hohe russische Militäranwälte per-sönlich und kann euch schon einmal sagen, dass meine Nachforschungen ergeben haben, dass der Ferdinand am Leben ist und zur Befragung nach Halle im Land Sachsen-Anhalt verbracht wurde. Allerdings sitzt er im berüchtigten ‚Roten Ochsen‘, in dem die Gestapo schon ihr Unwesen getrieben hat, ein“. Einen Augenblick verharrten alle in Schweigen, bis Hagemann das Wort ergriff. „Wel-che Möglichkeit siehst du denn, den Jungen so schnell es geht nach Hause zu holen?“, wollte er von seinem Bruder wissen. „Ich werde persönlich
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nach Halle fahren und mich um euren Sohn küm-mern“, versprach er und schaute Hedwig dabei fest in die Augen. Hagemann sah rüber zu seiner Freundin und musste bei dem Wort „Sohn“ lä-cheln, was auch ihr nicht entging. „Aber nun lasst uns erst einmal essen gehen und morgen fahren wir zu Maria und den Kindern nach Goslar“. Hed-wig war die Erste, die Bruno dankend umarmte und später auch Kurt fest an sich drückte. „Danke, dass du das für uns tust“, flüsterte sie ihm unter Tränen zu. Ganz in der Nähe der Kanzlei seines Bruders, am Theaterwall, besuchten sie das „Café Lück“ und blieben bis zur Sperrstunde. Bruno ver-brachte die Nacht in seinem Zimmer über seinem Büro, und das Pärchen blieb im Café, das auch ein Hotel führte. So feines Essen hatten die zwei noch nie gegessen, und für „Hedwig“ war es der schöns-te Abend in ihrem ganzen Leben. Das Frühstück, das sie wieder zu dritt einnahmen, war reichhaltig und für diese Zeit fast verschwenderisch. Hage-manns Bruder fuhr einen schwarzen Mercedes und brauchte für die ganze Strecke nach Goslar nur knapp eine Stunde. Er hielt den Wagen direkt in der Einfahrt zu seinem kleinen Grundstück am Rande der Stadt. Vor der Eingangstür des mit
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Schiefer gedeckten, schmucken Häuschens stand die ganze Familie und wartete bereits auf die ange-kündigten Gäste. Die Begrüßung fiel äußerst herz-lich aus und Maria, die Frau von Bruno, und Hilde, die Tochter der beiden, hatten auf der Gartenter-rasse den Tisch gedeckt und nachdem jeder seinen Platz gefunden hatte, begann das große Erzählen. Nicht durcheinander, nein, einer nach dem ande-ren gab einen kurzen Einblick in sein bisheriges Leben und alle hörten aufmerksam zu. Die Zeit verging wie im Fluge und als der Abend näher rückte, wurde Hedwig unruhig, und Hagemann nahm seinen Bruder beiseite und bat ihn nochmals eindringlich, den Jungen zurückzuholen. „Ihr fahrt aber erst morgen früh zurück, denn heute lasse ich euch nicht gehen“ bestand Bruno darauf. Der Ab-schied am Morgen war tränenreich und man ver-sprach sich ein baldiges Wiedersehen im Forsthaus am Friedrich-Hohenberg, auf das besonders der Sohn Marias neugierig war, nachdem der Onkel ihm eine Stunde lang davon erzählt hatte. Vollbela-den meist mit Lebensmitteln, die im Osten bisher nicht zu haben warenbrachen sie am Morgen auf. Maria hatte einigen zwar schon getragenen aber noch gut erhaltenen Kleidungsstücken dazugetan
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und so erreichten sie kurz vor Mittag ihr Zuhause. Bruno hatte seinem Bruder eine ganze Stange ame-rikanische Zigaretten mitgegeben, falls es an der ostdeutschen Grenze Schwierigkeiten geben sollte, was aber nicht der Fall war. Der russische Posten, ein junger Soldat, bestaunte minutenlang Hage-mann Uniform. Wahrscheinlich hatte er so etwas noch nie gesehen und vermutete einen „General“ hinter der Kleidung des Försters. Als der Hofhel-fer, den Oberförster Dremel geschickt hatte, am Nachmittag auf den Hof kam, staunte er nicht schlecht, die Besitzerin anzutreffen. Die Arbeit war bereits getan und er bekam seinen Lohn für die geleisteten Stunden in Form von Zigaretten und Lebensmitteln die ihm Hedwig in einen Beutel ge-packt hatte. Bode wich den ganzen Abend nicht von ihrer Seite und durfte die beiden zum Abend-spaziergang begleiten. Da Dremel seinem Förster zwei Wochen Urlaub versprochen hatte, beschlos-sen sie in den nächsten Tagen ein paar Sachen aus Hagemanns Wohnung zu holen, sodass er nicht immer wieder nach Degeners-Hausen musste. Hasso würde sich bestimmt freuen, hier auf dem Hof bleiben zu dürfen, zumindest bis der Junge wieder zurückkam.
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Kriminalrat Schuster wollte es nicht so recht wahr-haben, was ihm sein Kriminalassistent da auftisch-te. Jemanden zu beschuldigen, nicht zu sein, wer er laut seinen Papieren ist, war ihm suspekt. „Faller, könnte es nicht sein, dass die Behörden in Bayern sich einfach getäuscht haben? Und sollte es so sein, wie stehen wir dann da, wenn sie doch die Frau Dr. ist, für die sie sich ausgibt? Immer wieder schüttelte er seinen Kopf mit den kurzen, grauen Haaren. Er bat seinen jungen Kollegen, die Sache, wie er es nannte, äußerst diskret anzugehen und nicht die Pferde scheu zu machen. All seine Fotos von den Dokumenten, die er gemacht hatte, über-zeugten seinen Chef nicht im Geringsten. Ihm blieb nur noch sein Freund unten in der Patholo-gie, denn Müller war da weitaus zugänglicher als der Kriminalrat, mit seinen etwas schrulligen Ein-stellungen. Noch immer fehlte den Beamten der Kopf vom Fund hinter der Roseburg, aber Müller hatte zwischen den Fingern an der rechten Hand ein Büschel schwarzer Haare gefunden und auch die...
| Erscheint lt. Verlag | 2.7.2025 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
| Schlagworte | Familie • Schiksal • Spannung |
| ISBN-13 | 9783819755484 / 9783819755484 |
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