Die Dreigroschenoper (eBook)
144 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
9783518784822 (ISBN)
»Sie werden heute abend eine Oper für Bettler sehen. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie doch so billig sein sollte, daß Bettler sie bezahlen können, heißt sie ?Die Dreigroschenoper?.«
In den düsteren Straßen Londons kämpft der skrupellose Gangster Macheath, genannt Mackie Messer, um Macht und Liebe - doch sein größter Gegner ist nicht das Gesetz, sondern die noch korruptere Gesellschaft um ihn herum. Als er heimlich die schöne Polly, Tochter des zwielichtigen Bettlerkönigs Peachum, heiratet, entfaltet sich ein intrigantes Spiel um Verrat, Geld und Moral, in dem niemand wirklich unschuldig ist, denn in einer Welt, in der Geschäft und Verbrechen kaum zu unterscheiden sind, hat jeder seine ganz eigene Moral ...
Bertolt Brechts Welterfolg, Die Dreigroschenoper, ist ein mitreißendes Theaterstück voller scharfer Gesellschaftskritik und bissigem Humor - in Schwung gebracht von der unvergesslichen Musik Kurt Weills.
Der Anhang enthält ausführliche Selbstaussagen Bertolt Brechts zum Stück sowie eine Zeittafel zur Dreigroschenoper.
Eines der erfolgreichsten Theaterstücke aller Zeiten mit seinen legendären Welthits - in einer schön gestalteten, preiswerten Neuausgabe.
<p>Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.</p>
Erster Akt
1. Bild
Auf den Tafeln erscheint der Titel: »Um der zunehmenden Verhärtung der Menschen zu begegnen, hatte der Geschäftsmann J. Peachum einen Laden eröffnet, in dem die Elendesten der Elenden jenes Aussehen erhielten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach«.
Jonathan Jeremiah Peachums Bettlergarderoben. Kleine Boxen zum Umkleiden. Ein Doppelpult. Türe links. Kleine Eisentreppe rechts. Überall Krücken, Krüppelwägen und alte Kleider. Sowie Plakate mit Bibelsprüchen. Rechts ein großer Kasten mit fünf Wachspuppen, den Grundtypen des Elends.
Nr. 3. Morgenchoral des Peachum.
(Frau Peachum singt aus dem Nebenzimmer mit.)
peachum (singt) Wach' auf, du verrotteter Christ!
Mach' dich an dein sündiges Leben,
Zeig', was für ein Schurke du bist,
Der Herr wird es dir dann schon geben.
Verkauf deinen Bruder, du Schuft!
Verschacher dein Eh'weib, du Wicht!
Der Herrgott, für dich ist er Luft?
Er zeigt dir's beim Jüngsten Gericht!
peachum (spricht) Ja, es muß etwas Neues geschehen. Mein Geschäft ist zu schwierig, denn mein Geschäft ist es, das menschliche Mitleid zu erwecken. Es gibt einige wenige Dinge, die den Menschen erschüttern, einige wenige, aber das Schlimme ist, daß sie, mehrmals angewendet, schon nicht mehr wirken. Denn der Mensch hat die furchtbare Fähigkeit, sich gleichsam nach eigenem Belieben gefühllos zu machen. So kommt es zum Beispiel, daß ein Mann, der einen anderen Mann mit einem Armstumpf an der Straßenecke stehen sieht, ihm wohl in seinem Schrecken das erstemal zehn Pennies zu geben bereit ist, aber das zweitemal nur mehr 5 Pennies, und sieht er ihn das drittemal, übergibt er ihn kaltblütig der Polizei. Ebenso ist es mit den geistigen Hilfsmitteln. (Eine große Tafel mit »Geben ist seliger als Nehmen« kommt vom Schnürboden herunter.) Was nützen die schönsten und dringendsten Sprüche, aufgemalt auf die verlockendsten Täfelchen, wenn sie sich so rasch verbrauchen. In der Bibel gibt es etwa vier, fünf Sprüche, die das Herz rühren, wenn man sie verbraucht hat, ist man glatt brotlos. Wie hat sich zum Beispiel dieses »Gib, so wird dir gegeben« in knapp drei Wochen, wo es hier hängt, abgenützt. Es muß eben immer Neues geboten werden. Da muß eben die Bibel wieder herhalten, aber wie oft wird sie es noch?
(Es klopft, Peachum öffnet, herein tritt ein junger Mann, namens Filch.)
filch Peachum & Co.?
peachum Peachum.
filch Sind Sie Besitzer der Firma »Bettlers Freund«? Man hat mich zu Ihnen geschickt. Ja, das sind Sprüche! Das ist ein Kapital! Sie haben wohl eine ganze Bibliothek von solchen Sachen? Das ist schon ganz was anderes. Unsereiner – wie soll der auf Ideen kommen und ohne Bildung, wie soll da das Geschäft florieren?
peachum Ihr Name?
filch Sehen Sie, Herr Peachum, ich habe von Jugend an Unglück gehabt. Meine Mutter war eine Säuferin, mein Vater ein Spieler. Von früh an auf mich selber angewiesen, ohne die liebende Hand einer Mutter, geriet ich immer tiefer in den Sumpf der Großstadt. Väterliche Fürsorge und die Wohltat eines traulichen Heims habe ich nie gekannt. Und so sehen Sie mich denn …
peachum Ich sehe.
filch (verwirrt) Aller Mittel entblößt, eine Beute meiner Triebe.
peachum Wie ein Wrack auf hoher See und so weiter. Nun sagen Sie mir mal, Sie Wrack, in welchem Distrikt sagen Sie dieses Kindergedicht auf?
filch Wieso, Herr Peachum?
peachum Den Vortrag halten Sie doch öffentlich?
filch Ja, sehen Sie, Herr Peachum, da war gestern so ein kleiner peinlicher Zwischenfall in der Highland Street. Ich stehe da still und unglücklich an der Ecke, Hut in der Hand, ohne was Böses zu ahnen …
peachum (blättert in einem Notizbuch) Highland Street.
Ja, ja, stimmt. Du bist der Dreckkerl, den Honey und Sam gestern erwischt haben. Du hattest die Frechheit, im Distrikt 10 die Passanten zu belästigen. Wir haben es bei einer Tracht Prügel bewenden lassen, weil wir annehmen konnten, du weißt nicht, wo Gott wohnt. Wenn du dich aber noch einmal blicken läßt, dann wird die Säge angewendet, verstehst du?
filch Bitte, Herr Peachum, bitte. Was soll ich denn machen, Herr Peachum? Die Herren haben mich wirklich ganz blau geschlagen und dann haben sie mir Ihre Geschäftskarte gegeben. Wenn ich meine Jacke ausziehe, würden Sie meinen, Sie haben einen Schellfisch vor sich.
peachum Lieber Freund, wenn du noch gehen kannst, waren meine Leute verdammt nachlässig. Da kommt dieses junge Gemüse und meint, wenn es die Pfoten hinstreckt, dann hat es sein Steak im Trockenen. Was würdest du sagen, wenn man aus deinem Teich die besten Forellen herausfischt?
filch Ja, sehen Sie, Herr Peachum – ich habe ja keinen Teich.
peachum Also, Lizenzen werden nur an Professionals verliehen. (Zeigt geschäftsmäßig einen Stadtplan.) London ist eingeteilt in vierzehn Distrikte. Jeder Mann, der in einem davon das Bettlerhandwerk auszuüben gedenkt, braucht eine Lizenz von Jonathan Jeremiah Peachum & Co. Ja, da könnte jeder kommen – eine Beute seiner Triebe.
filch Herr Peachum, wenige Schillinge trennen mich vom völligen Ruin. Es muß etwas geschehen, mit zwei Schillingen in der Hand …
peachum Zwanzig.
filch Herr Peachum! (Zeigt flehend auf ein Plakat, auf dem steht: »Verschließt euer Ohr nicht dem Elend«.)
peachum (zeigt auf den Vorhang vor dem Schaukasten, auf dem steht: »Gib, so wird dir gegeben«).
filch Zehn.
peachum Und fünfzig Prozent bei wöchentlicher Abrechnung. Mit Ausstattung siebzig Prozent.
filch Bitte, worin besteht denn die Ausstattung?
peachum Das bestimmt die Firma.
filch In welchem Distrikt könnte ich denn da antreten?
peachum (vor dem Riesenplan der Stadt London) Bakerstreet 2-103. Da ist es sogar billiger. Da sind es nur fünfzig Prozent mit Ausstattung.
filch Bitte sehr. (Er bezahlt.)
peachum Ihr Name?
filch Charles Filch.
peachum (schreit) Frau Peachum! (Frau Peachum kommt.) Das ist Filch. Nummer dreihundertvierzehn.
Distrikt Bakerstreet. Ich trage selbst ein. Natürlich, jetzt, gerade vor der Krönungsfeierlichkeit wollen Sie eingestellt werden: Die einzige Zeit in einem Menschenalter, wo eine Kleinigkeit herauszuholen wäre. Ausstattung C.
(Er öffnet den Leinenvorhang vor dem Kasten rechts.)
filch Was ist das?
peachum Das sind die fünf Grundtypen des Elends, die geeignet sind, das menschliche Herz zu rühren. Der Anblick solcher Typen versetzt den Menschen in jenen unnatürlichen Zustand, in welchem er bereit ist, Geld herzugeben. Also Ausstattung C! Celia, du hast schon wieder getrunken! Und jetzt siehst du nicht aus den Augen. Nummer hundertsechsunddreißig hat sich beschwert über seine Kluft. Wie oft soll ich dir sagen, daß ein Gentleman keine dreckigen Kleidungsstücke auf den Leib nimmt. Nummer hundertsechsunddreißig hat ein nagelneues Kostüm bezahlt. Die Flecken, das einzige, was daran Mitgefühl erregen kann, waren hineinzubekommen, indem man einfach Stearinkerzenwachs hineinbügelte. Nur nicht denken! Alles soll man ...
| Erscheint lt. Verlag | 17.11.2025 |
|---|---|
| Co-Autor | Elisabeth Hauptmann |
| Mitarbeit |
Arrangiert: Kurt Weill |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater | |
| Schlagworte | aktuelles Buch • Arbeiter-Klasse • Armut • Bettelmafia • Bettler • Bettlerkönig • Bettlers Freund • Bücher Neuerscheinung • Central London • Dieb • Die Moritat von Mackie Messer • Doppelmoral • England • Existenzkampf • Geschäftsmann • Gesindel • Huren • Jonathan Jeremiah Peachum • Jonathan Wild • Kapitalismuskritik • Karriere • Klassismus • Konkurrenzkampf • Korruption • London • Londoner Unterwelt • Ludenoper • Lumpenproletariat • macheath • Machtmissbrauch • mack the knife • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Polly Peachum • Prekariat • Prekarität • Proletariat • Satire • SOHO • Spelunke • ST 5503 • ST5503 • Süd- und Südost-England • suhrkamp taschenbuch 5503 • Theaterstück • Ungleichheit • Vereinigtes Königreich Großbritannien • Westeuropa |
| ISBN-13 | 9783518784822 / 9783518784822 |
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