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»In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches« (eBook)

Das Leben der Elsa Asenijeff – »Die weibliche Stimme der Lust« (FAZ)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
383 Seiten
btb Verlag
978-3-641-31270-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches« - Margret Greiner
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Elsa Asenijeff (1867-1941) stammte aus einer bürgerlichen Wiener Familie. Nach dem Tod des Vaters heiratete sie gezwungenermaßen einen ungeliebten, aber nicht unvermögenden Mann. Mit seiner Unterstützung beginnt sie als eine der ersten Frauen in Leipzig zu studieren: Philosophie und Psychologie. Daneben veröffentlicht sie Gedichte, Essays und Erzählungen. 1897 lernt sie den Künstler Max Klinger kennen – der Beginn einer leidenschaftlichen Beziehung. Das glamouröse Paar steht im Zentrum intellektueller und künstlerischer Zirkel. Asenijeff unterstützt die jungen expressionistischen Schriftsteller, unter ihnen Franz Werfel. Sie selbst feiert literarische Erfolge mit ihren Gedichten und Erzählungen um das Thema der weiblichen Selbstfindung und Selbstschöpfung. Sie fordert die Autonomie weiblichen Begehrens in Erotik und Sexualität. Doch als Max Klinger sie für eine 16-Jährige verließ, geriet sie in wirtschaftliche Not, wurde kurzzeitig verhaftet, als Querulantin, Männerfeindin, Verfasserin anstößiger Bücher an den Pranger gestellt, schließlich entmündigt. Sie verbrachte die letzten zwanzig Lebensjahre bis zu ihrem Tod 1941 in psychiatrischen Kliniken und Versorgungsanstalten. Mit ihrer ersten umfassenden Biografie gelingt es Margret Greiner, Elsa Asenijeff aus der Vergessenheit zu holen. Die Autorin lädt dazu ein, in das aufregende Leben dieser frühen Feministin einzutauchen.

Margret Greiner studierte Germanistik und Geschichte in Freiburg und München. Viele Jahre arbeitete sie als Lehrerin und Journalistin. In ihren erzählten Biografien hat sie sich immer wieder mit außergewöhnlichen Frauenleben beschäftigt, u.a."Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge: Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts", „Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grande Dame der Wiener Moderne“, "Mutig und stark alles erwarten. Elisabeth Erdman-Macke - Leben für die Kunst". Margret Greiner lebt in München.

In die Fremde


Sie musste mit ihm nach Sofia ziehen, in eine Stadt und ein Land, die ihr fremd waren. Sie sprach kein einziges Wort seiner Sprache. Auch der Mann blieb ihr fremd. Aber sie war willens, eine gute Ehefrau zu werden.

Solange der Wille hielt.

Sofia war um die Wende zum 20. Jahrhundert eine Stadt mit 50 000 Einwohnern, tiefe Provinz im Vergleich zu Wien, aber eine Stadt im Aufbruch. Nach dem Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich war 1878 der Frieden von San Stefano geschlossen worden, den die Bulgaren als Befreiung von den Türken, als »Wiedergeburt« ihrer Nation nach fast fünfhundertjähriger Fremdherrschaft gefeiert hatten. Nach einer kurzen provisorischen Verwaltung durch Russland wurde Bulgarien ein unabhängiges, selbstregiertes Fürstentum, das aber nach den Vereinbarungen des Berliner Kongresses dem Osmanischen Reich lehnspflichtig blieb.

Es entstanden moderne öffentliche Bauten, ein großzügiges Regierungsviertel, Kirchen, Moscheen; ein neues Nationaltheater war geplant. Sofia prosperierte, und Ivan Nestoroff spielte in diesem Aufschwung eine gewichtige Rolle. Ingenieure und Architekten waren gesucht, wurden auch aus dem Ausland angeworben. Sein diplomatischer Status tat ein Übriges, um seiner jungen Frau ein repräsentatives Heim und eine Stellung in der Gesellschaft zu bieten.

In einer Gesellschaft, in der sie sich heimatlos fühlte: Sofia war tausend Kilometer von Wien entfernt, ihr kam es vor, als sei sie auf einem extraterrestrischen Kontinent gelandet, als Exotin beobachtet, belächelt und ausgegrenzt.

Am schlimmsten war das Erlernen der Sprache und der kyrillischen Schrift. Sie war sprachbegabt, aber das Bulgarische war eine Herausforderung, die anzunehmen sie ermüdete. Sie wusste auch, warum: Es fehlte ihr die rechte Motivation. Dabei hatte sie doch am Traualtar die ewiggültigen Worte gesprochen, ihrem Mann in Treue anzuhangen, bis dass der Tod sie scheide. Ivan sprach konsequent bulgarisch mit ihr, schrieb ihr Briefe in seiner Sprache. Dem Dienstpersonal konnte sie Befehle mit Handzeichen geben, mit Ivan konnte sie schweigen, aber auch nicht Tag und Nacht. Er besorgte ihr einen Sprachlehrer.

Wenn sie durch die Straßen der Stadt ging, an den vielen Baustellen vorbei, überfiel sie das Heimweh nach Wien wie der gewaltige Angriff eines osmanischen Heeres. Speere und Lanzen bohrten sich in ihre Brust. Ivans Verwandte schwärmten von der historischen Würde der Stadt – eine der ältesten Europas mit steinzeitlichen Wurzeln, als römische Siedlung unter dem Namen Serdica zu Ruhm gekommen –, es beeindruckte sie, ohne ihre Hoffnung zu stärken, in Sofia eine neue Heimat zu finden.

Vehement wehrte sie sich dagegen, Volkstümliches anzunehmen, fand die slawische Folklore einfach degoutant, bis sie eines Tages doch einmal einen üppigen farbigen Rock mit einer bestickten Schürze und eine weiße Bluse mit Puffärmeln anzog: Sie lachte laut auf, als sie sich im Spiegel sah, drehte sich auf hohen Stiefeletten im Kreis, kam sich vor wie einem Volkskundemuseum entsprungen – und gefiel sich. Unterstrich die übermütige Aufmachung nicht ihr dunkles Aussehen, die fülligen braunen Haare, die hohen Wangenknochen? Schaut her: Elsa, die slawische Hexe!

Ivan wusste nicht, ob sich seine Frau die neue Heimat anverwandeln wollte oder ob sie die bulgarische Tracht wie ein ironisches Zitat spazieren führte. Die Frauen in seinen Kreisen trugen keine Tracht, das war als bäuerisch verpönt. Aber Elsa hatte ihren eigenen Kopf, und darauf prangten jetzt Tücher oder Haarreife, mit Rosen aus Taft bestückt. Es war wohl nur eine vorübergehende Laune, vielleicht sogar eine boshafte.

Sie wurden oft eingeladen – in die allerbesten Häuser von hohen Beamten und hohen Militärs, von Ärzten und Juristen, von Adeligen. Adelig bin ich selbst, dachte Elsa, meine Großmutter Laura stammt von den Buresch von Greiffenbach ab. Ein Grafentitel imponiert mir überhaupt nicht.

Freundlich waren die Menschen auf der Straße und die sogenannten einfachen Leute, die Kleidermacherinnen, die Putzmacherinnen, die Hauskünstler, die die Räume verschönerten, Möbel bezogen, neue Vorhänge anbrachten. Sie waren nicht devot, auch wenn sie jeden Satz mit »Gnädige Frau« begannen. Sie wollten, dass sich die Fremde wohlfühlte, klatschten in die Hände, wenn sie ein paar Brocken Bulgarisch herausbrachte, lachten ihr ermutigend zu.

Schwieriger war es mit standesbewussten Frauen ihrer Schicht. Elsa verabscheute deren Arroganz, auch wenn sie ahnte, dass sie selbst gleichermaßen hochnäsig auf andere wirkte. Sie alle schienen gelangweilt, hatten nichts zu tun, waren frustriert, von der Ehe enttäuscht, an ihren Männern nicht interessiert, aber wild auf Liebesabenteuer. Das ist eine einzige Ehebruchsgesellschaft, entdeckte Elsa, wenn sie bei »Kaffeekränzchen« die Frauen reden hörte, nicht einmal hinter vorgehaltener Hand. Dass die Männer alle ein Gspusi hatten, verstand sich von selbst, das war in Wien nicht anders, man hielt sich ein Dienstmädel, eine kleine Verkäuferin, die die ehelichen Kreise nicht weiter störte. Aber hier hatten die Frauen nichts anderes im Sinn, als sich einen Liebhaber zu suchen, er sollte nur anders sein als der Ehemann: ein effeminierter Dandy, ein Poet, ein sensibler Frauenversteher.

Um so einen Mann zu umgarnen, der anderes versprach als die normale Teilnahmslosigkeit des Ehemanns, riskierten sie jedes Abenteuer. Das ging fast immer ruinös aus. Denn der zartfühlende Liebhaber entpuppte sich bald als das Ebenbild des Gatten, ausgestattet mit sexueller Gier, die, wenn sie gestillt war, in Desinteresse umschlug. Die Frauen waren Opfer, aber nicht schuldlos. Schuld war eine Gesellschaft, die Frauen keine anderen Möglichkeiten bot, als sich in der Ehe als Versorgungsanstalt einzurichten und zu versuchen, aus dieser Anstalt immer wieder auszubrechen, ohne ihren Status als Ehefrau eines Mannes aus den besten Kreisen zu riskieren. Elsa notierte in ihr Tagebuch: Die Ehe ist nichts als ein Concubinat, vergleichbar der Prostitution, nur mit kirchlichem Segen.

Große Ereignisse warfen auch in Sofia ihre Schatten, besser: ihr helles Licht voraus. Die Kleidermacherinnen wussten es als Erste. So viele Abendgarderoben wie im Jahr 1890 waren noch nie bestellt worden. Drei junge Musiker, Dragomir Kazakov, Ivan Slavkov und Angel Bukoreshtliev hatten eine Operntruppe gegründet, um das bulgarische Musikleben zu bereichern. Zwölf Opern in voller Länge sollten in einem Jahr gespielt und präsentiert werden, daneben »Extrakte« aus Opern. Italienische Sänger wurden verpflichtet, heimische Chöre und solche aus Tschechien. Bei den Orchestern tat man sich schwer, aber das Orchester des Sechsten Infanterieregiments traute sich zu, aus dem militärischen Marsch-Repertoire in die Musik des Belcanto von Bellini-Opern zu wechseln.

Die Premiere war ein Stelldichein der feinen Gesellschaft. Am liebsten wäre Elsa zu Hause geblieben. Wenn man die Wiener Hofburgoper und den Musikverein als musikalische Heimat gewohnt war, konnte man sich nur Enttäuschungen einhandeln. Aber Ivan bestand darauf, dass sie ihre Aufwartung machen müssten. Er schien stolz darauf, seine junge Ehefrau präsentieren zu können.

So warf auch sie sich in Samt und Seide und in den Mantel guter Vorsätze. Sie verbot sich jede Form von Überheblichkeit – Ivan zuliebe. Tat er nicht alles, um ihr ein angenehmes Leben zu ermöglichen? War es nicht undankbar, ständig darauf abzuheben, um wie viel glanzvoller das kulturelle Leben in Wien gewesen war? Die Gedanken waren frei, ihr Urteil ließ sie sich nicht nehmen, aber sie war es ihm schuldig, ihre Rolle als liebenswürdige Ehefrau zu spielen. Was erlaubte ihr denn, sich erhaben zu fühlen über seine Familie, seine Freunde und deren Frauen? Sich als Wienerin zu inszenieren, die es auf den rückständigen Balkan verschlagen hatte? Stets hatte sie doch ein starkes Gefühl für Gerechtigkeit gehabt, sollte ihr das verloren gegangen sein? Wenn sie Ivan nicht lieben konnte, so war sie ihm doch Respekt schuldig – und konnte seine Liebe wenigstens mit Freundlichkeit, mit Dankbarkeit vergelten. Das sagte sie sich so lange vor, bis sie es für richtig hielt.

Der Abend war für Elsa musikalisch so jämmerlich wie erwartet. Es gab ein Potpourri beliebter Opernarien und -duette, viel Mozart: Don Giovannis Là ci darem la mano, Papagenos Ein Mädchen oder Weibchen, Figaros Se vuol ballare, signor contino, ein bisschen Rossini Largo al factotum, ein bisschen Verdi. Beim Triumphmarsch aus »Aida« war das Regimentsorchester in seinem Element, das Publikum brach in helle Begeisterung aus.

Wichtiger als die Musik waren die Pausen, in denen man äugte und beäugt wurde. Das war in Sofia nicht anders als in Wien. Die Garderobe der Herren war gleichförmig: schwarzer Frack oder Militäruniform mit Ehrenabzeichen. Die Damen aber trumpften auf – nicht mit bulgarischem Schick, sondern dem letzten Pariser Schrei. Die Dekolletés gewagt, die Röcke hoch gerafft oder anzüglich geschlitzt, die Gesichter geschminkt wie bei halbseidenen Mädchen. Mehr Demi-monde als Monde.

Elsa kam aus dem Staunen nicht heraus. Aus dieser Truppe aufgeplusterter Paradiesvögel stach sie mit ihrem schwarzen, paillettenbestickten Kleid wie eine bescheidene Dohle heraus. Die Gespräche an der Champagnerbar langweilten sie, aber sie lächelte, griff manchmal zärtlich nach dem Arm ihres Ehemanns, entschuldigte charmant ihr noch immer holpriges Bulgarisch, lobte den schönen Abend.

Sie war froh, als sie mit Ivan wieder zu Hause war. Der war beschwingt: »Ach, Lisika« – er...

Erscheint lt. Verlag 11.6.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografie • Biographien • eBooks • Elsa Asenijeff • Emanzipation • Feminismus • Max Klinger • rollenbild der frau • Selbstfindung
ISBN-10 3-641-31270-1 / 3641312701
ISBN-13 978-3-641-31270-1 / 9783641312701
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