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Hemmungslos (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
116 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7549-9985-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hemmungslos -  Hugo Bettauer
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Wien nach dem ersten Weltkrieg. Der verarmte Freiherr Kolomann von Isbaregg steht vor den Trümmern seines Lebens und findet sich in der neuen Leben ohne Monarchie und Privilegien nicht zurecht. Seine guten Manieren, sein attraktives Äußeres sichern ihm in der vornehmen Gesellschaft ein standesgemäßes Leben. Hemmungslos täuscht er sie und schreckt selbst vor Betrug, Raub und Mord nicht zurück. Zwiegespalten, aber rücksichtslos, nimmt er sich, wovon er glaubt, es stünde ihm zu. Hugo Bettauer zeichnet in diesem Kriminalroman ein zerrissenes Bild von der Gesellschaft zu jener Zeit, die geprägt war von Umbrüchen und neuen Lebensentwürfen.

Maximilian Hugo Bettauer (* 18. August 1872 in Baden bei Wien, Österreich-Ungarn; ? 26. März 1925 in Wien, Österreich),

Maximilian Hugo Bettauer (* 18. August 1872 in Baden bei Wien, Österreich-Ungarn; † 26. März 1925 in Wien, Österreich),

IX. Kapitel


 

Tage und Wochen kamen, die Kolo späterhin in der Erinnerung als die qualvollsten seines ganzen Lebens betrachtete. Es begann jenes erotische Komödienspiel, das einer Frau leicht fällt, für den Mann aber Selbstzerstörung und Höllenqualen bedeutet. Mit Dagmar war von dem Augenblick an, da sie sich hingebungsvoll an seine Brust geschmiegt und seine Küsse empfangen hatte, eine entscheidende Änderung vorgegangen. Das Herbe in ihr wurde weich, die Seele verließ nicht mehr ihren Leib, sie verlor jede Kritik über sich selbst und den Mann, wurde schmiegsam, gütig, heiter, die aufgeloderte, in bitteren Jahren zurückgedrängte Sinnlichkeit, die ihr erster Mann in ihr gedrosselt hatte, umhüllte sie mit ihren sengenden, glühenden Flammen. Und je zärtlicher sie wurde, je wilder und hemmungsloser sie die Arme um den geliebten Mann schlang, um sich mit ihren durstigen Lippen an seinem Mund festzusaugen und ihm ins Ohr zu flüstern, wie heiß und rasend sie ihn liebe, desto kälter wurde Kolo innerlich, desto mehr fühlte er sich abgestoßen. Und da er ihre Küsse erwidern, da er die Komödie spielen musste, wollte er sie zum Ende führen, so fühlte er sich vergewaltigt und in die zärtlichen Worte, die er aus heiserer Kehle stammelte, zischte der Hass hinein, der Hass des starken Mannes gegen das Weib, das ihm die Kraft und die Freiheit nehmen will. Die feinfühlige, überempfindliche Dagmar aber fühlte nur die Küsse, hörte nur die gesprochenen Worte, ihr Unterbewusstsein, an dem sie früher so gelitten, war taub und blind. Dagmar merkte nicht, wie sehr ihrem Bräutigam daran lag, die Stunden des Alleinseins mit ihr zu verkürzen oder ganz zu vermeiden; es fiel ihr nicht auf, dass er sich jetzt in Gesellschaft ihrer Verwandten und Bekannten, die ihm früher unsympathisch und lästig gewesen waren, sehr wohl fühlte, sie wunderte sich nicht, dass er den neugewonnenen Freund Löwenwald fast nicht mehr von seiner Seite ließ, so dass sie beinahe nie allein waren. Dagmar freute sich der verstohlenen Momente, da sie sich an ihn schmiegen konnte, sie war glücklich, wenn ihr Fuß den seinen fand, wenn sie unter dem Tisch seine Hand, sein Knie streicheln konnte und nicht einen Augenblick lang tauchte der Verdacht in ihr auf, dass dieser Mann sie nicht lieben, sondern wie alle die anderen, die sich um sie beworben hatten, nur die millionenreiche Erbin in ihr sehen könnte.

Kolo Isbaregg hatte Stunden, in denen er dem aufreibenden, schweren Spiel ein Ende machen wollte, weil er fürchtete, sonst plötzlich aus der Rolle zu fallen und brutal die Maske ablegen zu müssen. Schließlich — er war noch jung, wusste viel und kannte viel, das Leben nahm wieder halbwegs geordnete Formen an und er würde sich irgendwie durchschlagen können! Wenn er aber dann nach solchem Entschluss sein schönes Junggesellenheim verließ und die Straße betrat, die hastenden, schwitzenden, bekümmerten Menschen sah, die noch immer vor den Auslagen der Lebensmittelgeschäfte gierig stehen blieben, dann schüttelte er sich und schritt den Weg weiter, den er begonnen.

Eines Tages, zu Ende des Monats Juli, nur eine Woche vor dem festgesetzten Hochzeitstermin, blieb er einen ganzen Abend mit Dagmar allein, da Löwenwald eine große Verteidigungsrede ausarbeiten musste und ihn erst in der Nacht im Café treffen wollte. Sie sprachen von der Zukunft, Kolo schlug den Ankauf eines uralten Schlosses in Tirol vor und plante große Reisen, wenn erst die internationalen Beziehungen weit genug gediehen sein würden. Dagmar stimmte ihm in allem zu, sprang aber plötzlich auf, setzte sich auf seine Knie, umschlang ihn und rief: „Schau, du, das ist ja alles so gleichgültig! Die Hauptsache ist, dass ich dich habe und wir allein sein werden und ganz unserer Liebe leben können!“ Ihr Leib drängte sich ungestüm an den seinen, ihre Hände klammerten sich an ihm fest, sie lag an seiner Brust und stöhnend kam es von ihren Lippen: „Du, warum warten, nimm mich gleich — du — nimm mich!“

In dem Manne aber regte sich nichts von Leidenschaft und Lust, nur Ekel stieg in ihm auf, seine Hand, die auf ihrer nackten Brust gelegen, rückte aufwärts zum Halse, um den sich die Finger fest schlossen. Und er musste sich gewaltsam zur Besinnung rufen, um die Finger nicht zusammenzukrampfen und den heißen, feuchten Hals nicht zu würgen. Aber er fand die Besinnung, machte sich langsam und zart los, sprach beschwichtigende Worte, küsste Dagmar auf die Haare und sagte mit so viel Zärtlichkeit, als er sich abringen konnte: „Nicht doch, Dagmar, lass uns nichts tun, was uns morgen reuen könnte, lass uns nichts von der großen Stunde vorwegnehmen, die uns für immer vereinigen soll!“

Und Dagmar hörte nicht den falschen Ton, ihr Stolz fühlte sich unter dieser Zurückweisung nicht verletzt, der Intellekt schwieg, wo nur die Sinne sprachen.

 

 

 

X. Kapitel


 

Als Kolo mit Löwenwald auf der offenen Terrasse eines Cafés saß, entwickelte er, mehr zu sich als zu dem Freunde sprechend, Ideen seltsamer Art. Er sagte:

„Ich glaube, dass, abgesehen von erotisch ganz indifferenten Menschen, in jedem Manne und jeder Frau die zwei konträrsten Empfindungen, Masochismus oder Sadismus, der Wunsch sich unterzuordnen und besessen zu werden oder das Verlangen zu besitzen und zu gebieten, wenigstens rudimentär entwickelt sind. Das Glück eines Zusammenlebens hängt vielleicht mehr als wir wissen davon ab, ob man sich in dieser Beziehung ergänzt. Bindet sich der Mann mit der sadistischen Andeutung an eine Frau mit masochistischer Note, so hat das Zusammenleben die wichtigste Voraussetzung zum Beglücken und Beglückt werden. Wehe aber, wenn zum Beispiel der Mann, der die Frau beherrschen will, auf ein Weib stößt, das nicht Eigentum des Mannes werden, sondern ihn als Eigentum betrachten will — wehe dann! Das muss zu furchtbaren Konflikten, wenn nicht gar zum Morde führen!“

Löwenwald blickte seinem Freund verwundert in die Augen und meinte dann bedächtig: „Da du als Bräutigam, der in einer Woche Ehemann sein wird, so reflektierst, so kann ich wohl annehmen, dass du in der guten Lage bist, nicht dein Spiegelbild, sondern deine Ergänzung gefunden zu haben. Also hoffe ich, die behagliche Rolle des Hausfreundes bei glücklichen Eheleuten spielen zu können.“

lsbaregg empfand wie von weither die Bedenken, die in diesen Worten lagen und strich sich nervös durch die dichten Haare. Er war mit seinen Gedanken bei dem von ihm ausgesprochenen Worte „Mord“ hängen geblieben und brütete, an diesem Worte kauend, vor sich hin.

Mitternacht war längst vorüber, als Kolo, voll von unruhigen, schweren, verdrossenen Gedanken, nach dem Haupttelegraphenamt ging, um dort einen Schritt zu tun, der die Zukunft entscheiden sollte. Er schrieb eine Depesche nieder, in der er den Generaldirektor der kanadischen Gesellschaft in Toronto, bei der er bis zum Kriegsausbruch erster Ingenieur gewesen war, frug, ob er, falls er sofort hinüberfahren würde, wieder seine Stellung bekommen könnte. Er gab die Depesche mit bezahlter Rückantwort auf und ging dann nach Hause, um den Rest der Nacht ruhelos im Zimmer auf und ab zu schreiten. Am nächsten Tag verließ er seine Wohnung nicht, entschuldigte bei Dagmar sein Fernbleiben durch dringende Erledigungen und wartete, welchen Weg ihm das Schicksal weisen würde. Spät abends kam die Antwort auf seine Depesche. Sie lautete kurz und bündig:

„Wir haben für Leute, die den Hunnen geholfen haben, Engländer und Kanadier zu ermorden, keine Verwendung!“

Kolo atmete tief auf, zerriss die Depesche auf Fetzen und ein kalter, harter Glanz trat in seine Augen.

Am nächsten Tag sprach er mit seiner Braut zum ersten Mal über geschäftliche Dinge. Bisher war eine Geldfrage nie erörtert worden, er wusste ja, dass Dagmar über enorme Mittel verfügte, und sie zweifelte gar nicht daran, dass lsbaregg begütert sei. Tatsächlich war er gerade seit seiner Verlobung als durchaus reicher Mann aufgetreten, da ihm von allen Seiten Kredit angetragen worden war. An seinem Verlobungstage, also damals, als er den Rest seines Geldes beim Derby verloren, war er fast bettelarm gewesen, aber es hatte nur einer leisen Andeutung dem Baron Kutschera gegenüber bedurft, um ihm ein offenes Konto bei einer kleinen Winkelbank zu eröffnen. Und so war er denn in der Lage gewesen, Dagmar einen Ring mit einem Diamanten von erlesener Schönheit zu schenken, wie ihn kostbarer auch ein Millionär nicht hätte beschaffen können.

Kolo unterbrach die zärtlichen Liebkosungen, die Dagmar ihm freigebig spendete und sagte, indem er selbst so viel Zärtlichkeit als er aufbringen konnte, in die Stimme legte:

„Kind, lass uns jetzt einmal vernünftig sein und über unsere zukünftigen Beziehungen in materieller Hinsicht sprechen.“

Und trotz Dagmars Widerspruch, die immer wieder erklärte, dass alles, was sie besaß, auch ihm gehöre, entwickelte er schließlich doch seine prinzipiellen Anschauungen:

„Du bist wahrscheinlich im Vergleich zu mir enorm reich. Mit den Zinsen der paar Millionen, die ich habe, kann ich allein behaglich und angenehm leben, aber absolut nicht den ungeheuren Bedarf deiner luxuriösen Umgebung bestreiten. Ich bin nicht so albern und banal, dir zuzumuten, dich von nun an nach meiner Decke zu strecken, sondern finde es ganz natürlich und selbstverständlich, wenn wir unser gemeinsames Leben nach deinen großen Mitteln einrichten. Aber andererseits wäre es mir sehr peinlich, wenn du den Haushalt bestreiten, die Dienerschaft entlohnen würdest und ich mich bei jeder außergewöhnlichen Ausgabe an dich wenden müsste. Ich mache dir nun folgenden Vorschlag: Wir schließen ordnungsgemäß einen Vertrag, der mich berechtigt, während des Bestandes...

Erscheint lt. Verlag 24.3.2022
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 1920 • Brutal • Detektiv • Gewalt • Killer • Mord • Mörder • Raub • Spannung • Wien
ISBN-10 3-7549-9985-0 / 3754999850
ISBN-13 978-3-7549-9985-1 / 9783754999851
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