Mit den Händen sehen (eBook)
320 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-74713-0 (ISBN)
Dem Tastsinn seiner Hände sagt man magische Kräfte nach und Patienten aus der ganzen Welt kommen, um sich von ihm behandeln zu lassen, darunter Spitzensportler, Weltmeister und Olympiasieger.
Erstmals erzählt der »Doc« von seiner behüteten Kindheit in Ostfriesland, und er berichtet nicht nur von seinem Verein FC Bayern München und von Machtkämpfen, in die er selbst hineingeraten ist, sondern auch von seiner Medizin, seinen Heilmethoden und den Werten, denen er immer treu geblieben ist.<p>Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, geboren 1942 in Leerhafe/Ostfriesland, wurde am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin (heute Charité) unter Leitung von Prof. Fritz Hofmeister zum Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin ausgebildet. Von 1975 bis 1977 betreute er als Mannschaftsarzt Hertha BSC, eröffnete 1978 seine Praxis in München und war von 1977 bis 2020 (mit einer Unterbrechung) Mannschaftsarzt des FC Bayern München. Seit Mitte der Achtzigerjahre beriet und betreute er auch die deutsche Fußballnationalmannschaft, offiziell als Teamarzt von 1995 bis 2018.</p>
Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, geboren 1942 in Ostfriesland, war fast 40 Jahre lang der Mannschaftsarzt des FC Bayern München. Seit 1995 betreut er auch die deutsche Fußballnationalmannschaft. Müller-Wohlfahrt arbeitet nur mit biologischen Substanzen und gilt als einer der weltbesten Sportmediziner.
Mein Elternhaus als Fundament
Kindheit, Jugend und Aufbruch
Mein Elternhaus war ein gutes Fundament, wir lebten bescheiden und hatten doch alles, was man brauchte. Glaube, Musik, Disziplin und Sport prägten mein Leben. In einem anderen Umfeld wäre ich nicht der geworden, der ich bin. Heute sehe ich, wie gut ich es gehabt habe und wie behütet wir waren, doch damals wurde mir unser kleines ostfriesisches Dorf schnell zu klein.
Mit meinen beiden Brüdern Hajo und Dieter teilte ich mir ein kleines Zimmer, denn wir hatten, wie alle Häuser in unserem Dorf, nach dem Krieg eine Flüchtlingsfamilie mit zwei Kindern aufgenommen. Auch eine Lehrerin wohnte einige Jahre mit uns in diesem kleinen Backsteinhaus und ein junges Dienstmädchen. Ich bin der jüngste von drei Brüdern und wurde 1942 während eines Luftangriffs in Leerhafe in Ostfriesland geboren.
Damals hatten wir eine Kuh, ein Schwein, ein Schaf, Hühner und einen großen Gemüse- und Obstgarten. Wir sind mit der Natur aufgewachsen, der Lebenszyklus von Mensch und Tier war uns vertraut und wir haben den Wandel der Jahreszeiten intensiv erlebt. Diese Erfahrung wünsche ich eigentlich jedem Kind. Wir haben gesehen, wie eine Kuh kalbt, und waren dabei, wenn ein Schwein geschlachtet wurde. Sicherlich hat dieser intensive Kontakt mit der Natur dazu beigetragen, dass ich später als Arzt nicht mit chemischen Wirkstoffen arbeiten wollte und sie bis heute nicht gern einsetze.
Meine Mutter hat abwechslungsreich und gesund gekocht. Im Sommer hat sie, wie das damals üblich war, für den Winter vorgesorgt und in Gläsern Obst und Gemüse eingekocht. Aus Zuckerrüben wurde Sirup hergestellt. Freitags gab es immer Fisch, sonntags einen Braten – und gebacken wurde natürlich auch. Wir haben damals sogar selbst »gute Butter« hergestellt, was in den ersten Nachkriegsjahren verboten war und heimlich geschehen musste. Am Monatsende war das Geld immer knapp und wir mussten im Kaufmannsladen anschreiben lassen. Das Buch, in dem festgehalten wurde, was meine Mutter gekauft hat, habe ich später gefunden und war sehr berührt von der Genügsamkeit meiner Eltern. Wenn das Gehalt meines Vaters ausgezahlt war, beglich er die Rechnung beim Kaufmann und für uns Kinder gab es dann immer eine Tafel Schokolade, die wir unter uns Dreien natürlich genau aufteilen mussten. Ich glaube, dass mir Schokolade nie mehr so gut geschmeckt hat wie dieses köstliche Stück, das es einmal im Monat gab.
Meine Mutter stammte aus Göttingen, wo sie meinen Vater, der dort studierte, kennenlernte. Wie es vor dem Krieg noch weitgehend üblich gewesen war, hatte sie als Haustochter bei der bekannten Professorenfamilie Siemens gearbeitet. Es war eine große Umstellung für sie, aus der quirligen Universitätsstadt Göttingen an den Rand Deutschlands nach Leerhafe in Ostfriesland umgepflanzt zu werden. Sie hatte jedoch eine wunderbare, positive Lebenseinstellung und nahm das, was ihr das Leben schenkte, dankbar an. Dabei war es für sie mit vier Männern im Haushalt bestimmt nicht immer einfach.
Sie hat meine Frau Karin sehr gemocht und gemeinsam haben sie, als wir schon in München lebten, oft Ausflüge gemacht oder sind mit dem Käfer Cabrio in die Stadt gefahren. In Karins Modeatelier bekam sie Kleider nach Maß, die sie stolz getragen hat. Sie ist 87 Jahre alt geworden. Nach dem Tod meines Vaters hat sie noch einmal ein neues Leben entdeckt und es genossen, selbst verwöhnt zu werden, zum Beispiel bei Familienurlauben.
Die Reisen nach Göttingen liebte ich als Kind, vor allem, weil mir mein Großvater so wichtig war. Wir hatten eine enge Beziehung. Meine Eltern fuhren mit uns Jungen im Auto, einem Lloyd, der in den fünfziger Jahren so erfolgreich und beliebt war, aber aus reiner Pappe gebaut zu sein schien, nach Göttingen oder in den Harz. Meiner Mutter haben wir es zu verdanken, dass wir zu Hause reines Hochdeutsch sprachen und kein Plattdeutsch. Mein Vater, der unter anderem in Leipzig, Tübingen und Göttingen studiert hatte, sprach ebenfalls ein gewähltes Hochdeutsch, aber als Ostfriese konnte er natürlich auch Platt.
Schon früh hat mich die Sehnsucht nach dem Süden gepackt
Das Leben in meinem Elternhaus war ein gutes Fundament für meinen späteren Weg, und heute bin ich dankbar dafür. Damals aber habe ich nur nach vorne gedacht und wollte schnell weg aus diesem mich in jeder Hinsicht einengenden Dorf. Jetzt denke ich oft über die Vergangenheit und meine Kindheit nach, und dann sehe ich, wie gut ich es gehabt habe und wie behütet ich war. Ich wünschte, ich hätte dies meinen Eltern zu Lebzeiten einmal gesagt.
Wir lebten bescheiden und hatten doch alles, was man brauchte. Aber als Jugendlicher habe ich immer die Städter beneidet. Im Dorf gab es zu wenige Jungen, mit denen ich hätte Sport treiben können. Es gab rechts und links Bauernhöfe, einen Schuster, einen Bäcker, einen Kaufladen, einen Schmied mit Tankstelle, zwei Gastwirtschaften, die Grundschule, die Kirche und ein paar Häuser, in denen Angestellte oder Arbeiter mit ihren Familien wohnten. Das Ortsbild von damals gibt es heute nicht mehr. Die Grundschule wurde abgerissen, und viele kleine Bauernhöfe liegen brach. Wer will heute noch die mühevolle Landwirtschaft betreiben – schon gar, wenn sie nicht mehr rentabel ist?
Besonders die Sommerferien habe ich immer herbeigesehnt. An manchen Tagen gab es eine flirrende Hitze und wir badeten in kleinen Teichen oder Lehmkuhlen. Damals sind wir aber auch bei 16 Grad ins Wasser gesprungen. Ich schätze mich glücklich, dort oben in Ostfriesland aufgewachsen zu sein. Dort sind meine Wurzeln. In einem anderen Umfeld wäre ich sicher nicht der geworden, der ich heute bin. Aber irgendwann hat mich in dieser rauen Gegend, die meine Heimat war, die Sehnsucht nach dem Süden gepackt und nie mehr losgelassen.
Mit 17 Jahren bin ich zum ersten Mal zusammen mit meinem Freund Wolfgang Junge an die französische Atlantikküste gereist. Zuerst sind wir mit dem Zug nach Köln, dann mit dem Fahrrad nach Valenciennes und von dort per Anhalter nach Paris gefahren, danach weiter nach Biarritz am Atlantik nahe der spanischen Grenze. Dort habe ich ein anderes, unbeschwertes Lebensgefühl kennengelernt. Wir haben uns von Melonen, Obst, Baguettes oder Sardinen aus der Büchse ernährt und hin und wieder – wenn wir uns etwas Besonderes gönnen wollten – einen Milchkaffee oder einen Rotwein getrunken. In Biarritz habe ich Surfen mit dem Longboard gelernt. Damals kannte man das bei uns noch nicht. Dieser Sport hatte eine faszinierende Wirkung auf mich, sodass ich später wieder und wieder Surfgebiete aufgesucht habe. In der Jugendherberge von Biarritz schliefen wir in Hängematten draußen – und auch Mädchen übernachteten dort. Mädchen so nahe um mich zu wissen – ich war bis dahin ja meist nur mit meinen Brüdern und anderen Jungen zusammen gewesen – war atmosphärisch von ganz besonderem Reiz, überhaupt war diese Reise ein fast magisches Erlebnis! Damals ist meine Liebe zu Frankreich geweckt worden, die mir bis heute erhalten geblieben ist. Meine Eltern ahnten nicht, dass wir bis an den Atlantik reisten, denn wir hatten behauptet, mit dem Fahrrad im Sauerland unterwegs zu sein. Ich aber hatte immer Fernweh und wollte einfach nur weit weg.
Meinen Eltern habe ich schließlich nach der Rückkehr gestanden, dass wir nicht ins Sauerland, sondern bis nach Südwestfrankreich gefahren waren. Meine Mutter fiel fast in Ohnmacht. Ich organisierte eine Landkarte, um zu zeigen, wo wir überall gewesen waren. Meine Eltern hatten selbst noch nie eine so weite Reise gemacht – und so waren sie sprachlos. Meinem Vater musste ich allerdings versprechen, solch ein Abenteuer ohne seine Erlaubnis nicht noch einmal zu unternehmen. Aber die Verlockung, dem Ruf der Freiheit zu folgen, war jedes Jahr aufs Neue zu groß.
1 Unser erstes Familienfoto nach dem Krieg, 1945
2–4 Meine Brüder und ich waren unzertrennlich, trotz des Altersunterschieds. Dieter war drei Jahre älter und Hajo fünf Jahre. Die Fotos sind von 1948, 1950 und 1962.
5 Nach dem Kirchgang empfingen meine Eltern immer Gäste im Pfarrhaus und auf der Terrasse, Foto von 1957.
Im Jahr darauf waren wir sogar noch wagemutiger. Wir trampten wieder nach Biarritz an den Atlantik zum Surfen. Auf dem Nachhauseweg sind wir dann über das spanische Pamplona durch die Pyrenäen ans Mittelmeer gereist, am Mittelmeer entlang nach Italien und über die Schweiz zurück nach Deutschland. Manchmal hatten wir Glück, per Anhalter in tollen Autos mitfahren zu dürfen, einmal in einem luxuriösen Mercedes, dessen Fahrer, der Chauffeur des Eigentümers, keine Lust hatte, die Strecke von Genua bis Zürich allein zu fahren.
Wir waren stolz auf unsere Reisen und Begegnungen, und in der Schule wurden wir von unseren Mitschülern dafür bewundert. Allerdings ist meine ostfriesische Heimat ja nicht gerade bekannt dafür, dass den Menschen dort das Temperament durchgeht. Also haben auch wir uns eher zurückgehalten. Angeberei durfte nicht sein und wir wussten auch, dass viele der Jungen aus unserer Schule während der Sommerferien in der Landwirtschaft helfen mussten. Da war an weite Reisen nicht zu denken.
In Ostfriesland ist es fast immer windig, oft weht eine so steife Brise, dass die Bäume sich biegen und sie schräg von West nach Ost geneigt wachsen. In den Wintermonaten standen die Felder unter Wasser und verwandelten die ostfriesische Landschaft in riesige vereiste Flächen. Es gab noch keine Schöpfwerke an den Flussläufen zum Meer, die den Wasserstand hätten regulieren können. Manchmal war alles so vereist, dass...
| Erscheint lt. Verlag | 14.3.2018 |
|---|---|
| Co-Autor | Jakob Strobel y Serra |
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Schlagworte | Alternative Medizin • Arzt • Autobiografie • Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • Beststeller 2018 • Biografie • Buch • buch bestseller • bücher bestseller • bücher bestseller 2018 • bücher neuerscheinungen • buch-geschenk • Champions League • deutsche Fußballnationalmannschaft • DFB • DFB-Team • EM • Europameisterschaft • Fachbuch • FCB • FC Bayern • FC Bayern München • Franz Beckenbauer • Fredi Binder • Fußball • Fußballarzt • Fußballnationalmannschaft • Fußballtrainer • Fußballweltmeisterschaft • Fussballweltmeisterschaft 2022 Buch • Fussball WM 2022 • Fussball WM Katar • ganzheitliche Medizin • Geburtstagsgeschenk • Geschenk • Geschenkbücher für Männer • Geschenke für Männer • geschenke für opa • geschenke für papa • geschenke zum vatertag • Geschenk-Idee • Geschenk zum Vatertag • Gesundheit • Heilen • Herbert Grönemeyer • insel taschenbuch 4720 • IT 4720 • IT4720 • Joachim Löw • Jogi Löw • Jupp Heynckes • Klaus Eder • Lebensgeschichte • Männer • Männerratgeber • Mannschaftsarzt • Medizin • Naturheilkunde • Natürlich heilen • Oliver Bierhoff • Olympia • Ottmar Hitzfeld • Papa • Pep Guardiola • Ratgeber • spiegel bestseller • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel Bestseller 2018 • Spiegel-Bestseller-Liste • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Spitzensportler • Sport • Sportmedizin • Sportmediziner • Sportverletzung • Uli Hoeneß • Usain Bolt • Vatertag • Vatertagsgeschenk • Weltmeister • Weltmeisterschaft • WM • WM 2018 |
| ISBN-10 | 3-458-74713-3 / 3458747133 |
| ISBN-13 | 978-3-458-74713-0 / 9783458747130 |
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