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Patria (eBook)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
768 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00126-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Patria -  Fernando Aramburu
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«Patria» heißt Vaterland, Heimat. Aber was ist Heimat? Die beiden Frauen und ihre Familie, um die es in Fernando Aramburus von der Kritik gefeierten und mit den größten spanischen Literaturpreisen ausgezeichneten Roman geht, sehen ihre Heimat mit verschiedenen Augen. Bittori sitzt am Grab ihres Mannes Txato, der vor über zwanzig Jahren von Terroristen erschossen wurde. Sie erzählt ihm, dass sie beschlossen hat, in das Haus, in dem sie wohnten, zurückzukehren. Denn sie will herausfinden, was damals wirklich geschehen ist, und wieder unter denen leben, die einst schweigend zugesehen hatten, wie ihre Familie ausgegrenzt wurde. Das Auftauchen von Bittori beendet schlagartig die vermeintliche Ruhe im Dorf. Vor allem die Nachbarin Miren, damals ihre beste Freundin, heute Mutter eines Sohnes, der als Terrorist in Haft sitzt, zeigt sich alarmiert. Dass Mirens Sohn etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat, ist Bittoris schlimmste Befürchtung. Die beiden Frauen gehen sich aus dem Weg, doch irgendwann lässt sich die lange erwartete Begegnung nicht mehr vermeiden ... Ein Bestseller in Spanien, monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste, ein epochemachender Roman über Schuld und Vergebung, Freundschaft und Liebe, der zeigt, wie Terrorismus den inneren Kern einer Gemeinschaft angreift und wie lange es dauert, bis die Menschen wieder zueinander finden.

Fernando Aramburu wurde 1959 in San Sebastián im Baskenland geboren. Seit Mitte der achtziger Jahre lebt er in Hannover. Für seine Romane wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Premio Vargas Llosa, dem Premio Biblioteca Breve, dem Premio Euskadi und zuletzt, für «Patria», mit dem Premio Nacional de la Crítica, dem Premio Nacional de Narrativa und dem Premio Strega Europeo. «Patria» wurde als Serie für HBO verfilmt.

Fernando Aramburu wurde 1959 in San Sebastián im Baskenland geboren. Seit Mitte der achtziger Jahre lebt er in Hannover. Für seine Romane wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Premio Vargas Llosa, dem Premio Biblioteca Breve, dem Premio Euskadi und zuletzt, für «Patria», mit dem Premio Nacional de la Crítica, dem Premio Nacional de Narrativa und dem Premio Strega Europeo. «Patria» wurde als Serie für HBO verfilmt. Willi Zurbrüggen, geboren 1949 in Borghorst, Westfalen. Er übersetzte u. a. Antonio Muñoz Molina, Luis Sepúlveda, Rolando Villazón und Fernando Aramburu aus dem Spanischen. Ausgezeichnet mit dem Übersetzerpreis des spanischen Kulturministeriums, dem Johann-Friedrich-von-Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis und dem Jane Scatcherd-Preis.

Ein Spaziergang


Ist doch schön – oder? –, wenn man einen Sohn hat, der sich trotz vieler und wichtiger Verpflichtungen mitten in der Woche einen Vormittag für seine Mutter frei nimmt. Da kommt er, ein strammer Bursche, die Schuhe allerdings passen nicht zur Kleidung. Geschmack, was man sich geschmackvoll kleiden nennt, hat er nicht. Andere Söhne werden Terroristen, mein Sohn ist Arzt geworden. Kann ich doch sagen. Ist ja die Wahrheit. Achtundvierzig Jahre alt, gute Stellung, Eigentumswohnung, aber noch keine Frau und keine Kinder. Allein, immer nur allein. Nicht einmal verreisen mag er. Ich frage mich, ob er das Leben genießt.

Kuss von Mutter und Sohn an den Uhren auf der Strandpromenade, wo sie sich verabredet hatten. Er schlug vor, sich in die Cafeteria des Hotel de Londres zu setzen; sie, auf keinen Fall. Sich bei dem schönen Wetter in ein Lokal verkriechen? Xabier ließ seinen Blick rundum schweifen, als wollte er sich vergewissern, dass seine Mutter recht hatte. Und ja, so wie der Himmel aussah, die sanfte Brise, die angenehme herbstliche Temperatur, das alles lud zu einem Spaziergang ein.

«Also, was machen wir?»

«Gehen wir in die Richtung.»

Bittori stieß ihr Kinn in Richtung Paseo de Miraconcha. Sie wartete nicht auf die Zustimmung ihres Sohnes, sondern setzte sich gleich in der angegebenen Richtung in Bewegung, und Xabier eilte an ihre Seite.

«Wie kommt es bloß, dass du immer noch keine Frau gefunden hast? Ich kann mir das nicht erklären. Du siehst gut aus, hast einen angesehenen Beruf. Was noch? An Geld mangelt es dir auch nicht. Die Frauen müssten dir im Dutzend hinterherlaufen.»

«Ich schaue mich eben nicht um.»

«Hör mal, du musst nicht glauben, dass ich mich darüber aufregen würde; aber du hast es nicht zufällig mit Männern, oder?»

«Ich habe es mit meiner Arbeit. Patienten beistehen, Kranke heilen, solche Sachen.»

«Du weichst mir aus.»

«Ich bin für die Ehe nicht geeignet, ama. Das ist alles. Ich bin auch für die Bildhauerei nicht geeignet und nicht fürs Rugby; trotzdem fragst du mich nie, was diesbezüglich mit mir los ist.»

Sie griff nach seinem Arm. Eine stolze Mutter mit ihrem Sohn auf dem Miraconcha. Links das Gewimmel von Fahrradfahrern in beiden Richtungen, Spaziergängern und sportlich gekleideten Läufern; rechts die Bucht, das Meer, das allbekannte Freudenfest des Wassers mit seinen Blau- und Grüntönen, welches das Auge mit kräuselnden Wellen, schaukelnden Booten und einem Horizont weit draußen erfreut.

Am Vortag hatten sie miteinander telefoniert, und Bittori wusste, dass Xabier Nachforschungen angestellt und was herausgefunden hatte, sie wusste nur noch nicht, was. Also, heraus damit, sie konnte ihre Neugier nicht länger zähmen.

«Zuerst einmal muss ich dir sagen, dass dies das letzte Mal war, dass ich so etwas mache. Vertrauliche Informationen über Patienten weitergeben, kann mich die Stellung kosten. In dem Fall hat mir eine vertrauenswürdige Kollegin die Informationen beschafft; aber trotzdem, bei diesen Dingen muss man äußerst vorsichtig sein.»

Seine Mutter: weniger Gerede, er solle ihr jetzt endlich erzählen, was er herausgefunden habe. Sie setzen ihren Spaziergang fort (das Meer, das weiße Geländer, der Monte Igueldo am Ende der Bucht), und er erzählt:

«Vor zwei Jahren hatte Arantxa einen Schlaganfall. Frag mich nicht nach der Ursache, denn bei diesen Nachforschungen bin ich nicht weitergekommen. In der Krankenakte heißt es, zunächst sei sie in die Intensivstation eines Krankenhauses in Palma de Mallorca eingeliefert worden, woraus zu schließen ist, dass sie den Schlaganfall während eines Urlaubs auf der Insel bekommen hat. Und es war ein extrem schwerer Schlag. Wir nennen das Locked-in-Syndrom, hervorgerufen durch eine Thrombose der Arteria basilaris.»

«Man merkt, dass du Arzt bist.»

«Nur mit der Ruhe, ich erkläre es dir schon. Über diese Arterie wird das zentrale Nervensystem mit Blut versorgt. Sie ist gewissermaßen für einen Bereich zuständig, in dem die Blutbahnen zusammenlaufen, die ins Rückenmark führen. Tritt in diesem Bereich eine Blockade auf, kann das zur völligen Bewegungslosigkeit des ganzen Körpers führen. Genau dies ist Arantxa passiert, verstehst du? Ihr Verstand ist in einem gelähmten Körper gefangen. Sie kann zwar hören und verstehen, aber sie kann nicht darauf reagieren. Das Einzige, was sie bewegen kann, sind Augen und Wimpern.»

Dabei ist Arantxa die Letzte aus dieser Familie, der Bittori Schlechtes wünscht. Eines Tages auf der Straße. War sie da schon mit dem Jungen aus Rentería verheiratet? Ja, aber Kinder hatte sie noch keine. Und Txato nahm schon nicht mehr an den sonntäglichen Radtouren teil und ging auch nicht mehr zum Kartenspielen mit den Freunden ins Pagoeta, denn das hatte den armen Mann getroffen, obwohl er hinterher sagte: Ach was, da gibt’s Schlimmeres. Im Dorf waren Wände beschmiert worden. An einer stand: TXATO TXIBATO. Wegen des Reims, nehme ich an; aber es geht ums Diffamieren und Angst einflößen. X macht hier ein bisschen, Y macht da ein bisschen, und wenn das Unheil passiert, das alle zusammen heraufbeschworen haben, fühlt sich keiner verantwortlich; weil: ich hab bloß die Wand beschmiert, ich hab bloß gesagt, wo er wohnt, zugegeben, ich habe ihm Beleidigungen hinterhergerufen, aber Gott, das sind doch bloß Worte, ein Rauschen in der Luft. Von heute auf morgen haben viele Leute im Dorf sie nicht mehr gegrüßt. Gegrüßt? Das wäre schon viel verlangt. Nicht mehr angeguckt haben sie sie. Alte Freunde, Nachbarn, sogar ein paar Kinder. Was wissen diese unschuldigen Geschöpfe denn? Klar, zu Hause hören sie, was die Eltern reden. Auf der Straße kam ihr Arantxa entgegen. Und von wegen mit gesenkter Stimme. Laut hat sie es gesagt, sodass jeder, der in der Nähe gewesen wäre, es hätte hören können.

«Was sie euch antun, ist eine Schweinerei. Ich bin damit nicht einverstanden.»

Das war alles, was sie sagte. Und sie erwartete auch keine Antwort. Sie gab ihr keinen Kuss auf die Wangen, wie früher. Aber sie gab ihr einen solidarischen Klaps auf die Schulter, bevor sie weiterging. Jedenfalls, das waren mehr oder weniger ihre Worte. Vielleicht nicht genau dieselben, die Erinnerung ist ja manchmal trügerisch. Aber es war diese freundliche Geste, die Bittori nicht vergisst. Ich und vergessen? Lieber tot.

«Das Krankheitsbild, mit dem sie ins Krankenhaus von Palma eingeliefert wurde, machte nicht nur einen Luftröhrenschnitt erforderlich, sondern auch ein Beatmungsgerät sowie weitere Versorgungsmaßnahmen, die ich dir nicht näher beschreiben muss. Ich glaube nicht, dass dich das interessiert. Du musst nur wissen, dass Arantxa zu der Zeit weder atmen noch sprechen und sich natürlich auch nicht ernähren kann. Kurz gesagt, ihr Leben hängt vollständig von fremder Hilfe ab.»

Txato wurde an einem regnerischen Nachmittag, nur wenige Meter von seiner Haustür entfernt, ermordet. Der Pfarrer, dieser saubere Vogel, beschwor Bittori, ihn in San Sebastián zu beerdigen. Was soll das denn? Ja, da werden viel mehr Leute kommen. Und sie, kommt nicht in Frage, wir leben hier im Dorf, sind im Dorf getauft worden, haben im Dorf geheiratet, und im Dorf haben sie meinen Mann umgebracht. Der Pfarrer lenkte ein. Die Totenmesse wurde gefeiert, die Totenglocke geläutet, nur wenige Dorfbewohner waren in der Kirche, ein paar Politiker aus dem konstitutionalistischen Spektrum und – berufsbedingt – ein paar Angehörige, das war so ziemlich alles. Angestellte aus der Firma? Nicht einer. In der Predigt nicht ein Wort über das Attentat. Tragischer Vorfall, der uns alle tief bewegt. Arantxa sah sie nicht; aber Xabier sagt, sie hätte mit ihrem Mann in einer der hinteren Reihen gesessen. Sie kamen zwar nicht, um ihr Beileid auszusprechen, aber sie waren da, nicht wie andere. Auch das vergisst Bittori nicht.

Mutter und Sohn hatten mittlerweile den Tunnel del Antiguo erreicht, und was jetzt? Sie beschlossen umzukehren. Xabier erklärte, vereinfachte und fasste zusammen, um sich besser verständlich zu machen. Bittori schaute mit nachdenklicher Miene über die Stadt, die Berge und die vereinzelten Wolken in der Ferne hinaus und sah zum ersten Mal Bilder, die sie noch nie gesehen hatte: Arantxa intubiert; Arantxa, die nur mit Hilfe ihrer Wimpern ja und nein formuliert. Verdient haben sie’s. Nein, das nicht; nicht sie, sie bestimmt nicht.

«Ama, hörst du mir überhaupt zu?»

«Kommst du zum Essen?»

«Ich kann nicht.»

«Hast du eine Verabredung? Wie heißt die Glückliche?»

«Sie heißt Medizin.»

Bestenfalls, sagt Xabier, wird Arantxa eines Tages mit fremder Hilfe oder mit Hilfe eines Stocks ein wenig in der Wohnung umhertappen können. Allein essen kann sie zwar schon; es ist aber doch ratsam, sie nicht aus den Augen zu lassen, wenn sie Getränke und Nahrung hinunterschluckt. Nicht auszuschließen ist auch, dass sie in Zukunft wieder phoniert.

«Dass sie was?»

«Ihre Stimme einsetzen kann.»

Darüber hinaus – glaubte Xabier – würde sie wohl – selbst wenn sie sich noch so sehr in der Rehabilitation abmühte (was sie, wie man hört, wirklich tut) – nie wieder ein sogenanntes normales Leben führen können.

Und schon im Begriff, sich an den Uhren der Strandpromenade zu verabschieden:

«Wolltest du mir nicht die Ergebnisse der Blutuntersuchung mitbringen?»

«Ah, gut, dass du mich erinnerst. Hätte es beinahe vergessen. Ein paar Werte sind nicht ganz zu meiner Zufriedenheit, deswegen habe ich Arruabarrena gebeten, die...

Erscheint lt. Verlag 16.1.2018
Übersetzer Willi Zurbrüggen
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Baskenland • ETA • Familiensaga • Freundinnen • Freundschaft • Heimat • Javier Marías • Mütter • Nationalismus • Spanien • Spanische Geschichte • Terrorismus • Väter • Vaterland
ISBN-10 3-644-00126-X / 364400126X
ISBN-13 978-3-644-00126-8 / 9783644001268
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