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Auch das wird vergehen (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
170 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74428-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auch das wird vergehen -  Milena Busquets
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Als Blanca nach Cadaqués kommt, ist sie nicht allein. Beide Exmänner sind da, die gemeinsamen Kinder, Freundinnen, der Geliebte, sie alle füllen das Haus mit Leben. Für Blanca beginnt eine entrückte Zeit: Stunden auf dem Boot, Frühstück unterm blauen Himmel, Gespräche bis tief in die Nacht, Alkohol, Sex. Und es wäre alles wie immer - würde die verstorbene Mutter ihr nicht auf Schritt und Tritt begegnen und Blanca dazu zwingen, sich zu einer folgenreichen Einsicht durchzuringen.

Milena Busquets, 1972 geboren, hat in London Arch&auml;ologie studiert und lebt und arbeitet seither in Barcelona &ndash; sie war in Verlagen, in der Modebranche, als Journalistin und &Uuml;bersetzerin t&auml;tig. <em>Auch das wird vergehen</em> (2016) war ein internationaler Bestseller, der auch verfilmt wurde. <em>Meine verlorene Freundin</em> ist ihr zweiter Roman, der sie als wichtige Autorin der spanischen Gegenwartsliteratur eindrucksvoll best&auml;tigt.

Milena Busquets, geboren 1972 in Barcelona, arbeitete nach ihrem Studium der Archäologie in London in dem von ihrer Familie gegründeten Lumen-Verlag. Ihre Mutter war die bekannte Schriftstellerin und Verlegerin Esther Tusquets. Auch das wird vergehen ist ein internationaler Bestseller und erscheint in mehr als dreißig Ländern. Svenja Becker, geboren 1967 in Kusel (Pfalz), studierte Spanische Sprach- und Literaturwissenschaft. Sie lebt als Übersetzerin (u. a. Allende, Guelfenbein, Onetti) in Saarbrücken.

2

Soviel ich weiß, ist das Einzige, was einem keinen Kater verursacht und was für Augenblicke den Tod – wie auch das Leben – verschwinden lässt, Sex. Seine Sprengkraft pulverisiert alles. Aber nur für Momente oder allenfalls, wenn man danach einschläft, für ein Weilchen. Später sinken die Möbel, die Kleider, die Erinnerungen, die Lampen, die Panik, der Schmerz und alles, was in einem Zauberer-von-Oz-Wirbelsturm verschwunden war, wieder zurück und nehmen den genau gleichen Platz im Zimmer, im Kopf, im Magen ein. Und ich schlage die Augen auf und finde mich nicht zwischen Blumen und dankbaren, singenden Zwergen wieder, sondern im Bett neben meinem Ex. Im Haus ist es still, und durch das offene Fenster dringt das Lärmen von ein paar Kindern aus dem Schwimmbad. Das ungetrübt strahlende Blau verspricht einen weiteren heißen, sonnigen Tag, und die Kronen der Platanen, die ich vom Bett aus sehen kann, wiegen sich friedlich und erstaunlich gleichgültig gegenüber allen Katastrophen. Offenbar haben sie sich letzte Nacht nicht selbst entzündet, haben sich ihre Äste nicht in mörderisch herumwirbelnde Schwerter verwandelt, triefen sie nicht von Blut und ist auch sonst nichts geschehen. Ich betrachte Óscar aus den Augenwinkeln, ohne mich zu rühren, weil mir klar ist, dass ihn selbst die kleinste Bewegung aufwecken kann, es ist lange her, dass wir zusammen geschlafen haben. Ich sehe seinen langen und kräftigen Oberkörper, die leicht eingefallene Brust, die schmalen Hüften, die Radfahrerbeine, das markante Gesicht mit den ausgeprägten, männlichen Zügen, ein wenig animalisch in seinem Ausdruck und seiner Eindeutigkeit. »Der gefällt mir, der hat ein Männergesicht«, hatte meine Mutter gesagt, als sie ihm zum ersten Mal im Aufzug daheim begegnet war und, ohne dass man ihn ihr hätte vorstellen müssen, erriet, dass dieser Junge mit dem Kopf eines Stiers und dem immer leicht nach vorn geneigten Oberkörper eines schüchternen Jugendlichen, in mein Stockwerk unterwegs war. Und zu ihm sagte sie kokett: »Was für eine Hitze, ich dusche in den Sachen, setze mich in dem nassen Zeug zum Schreiben hin, und eine halbe Stunde später ist alles wieder trocken!« Und er betrat prustend meine Wohnung, wo ich voller Ungeduld auf ihn gewartet hatte: »Ich glaube, ich habe gerade deine Mutter kennengelernt.« Eine Zeitlang war Óscars Körper mein einziges Zuhause, der einzige Ort auf der Welt. Dann bekamen wir einen Sohn. Und dann lernten wir uns kennen. Da versucht man, sich zu verhalten wie ein Tier im Urwald, sich von den Instinkten, der Haut und den Mondphasen leiten zu lassen, reagiert unverzüglich und dankbar und irgendwie erleichtert auf alles, was erforderlich ist, ohne dass darüber nachgedacht werden muss, weil der Körper oder die Sterne schon an unserer Stelle darüber nachgedacht und es entschieden haben, aber unweigerlich kommt der Tag, an dem man sich aufrichten und mit dem Reden anfangen muss. Was theoretisch bloß einmal in der Geschichte der Menschheit passiert ist, dass man nicht mehr auf allen vieren geht, sich hinstellt und anfängt nachzudenken, das passiert mir jedes Mal, wenn ich aus der Liebe auf der Erde lande. Jedes Mal eine Bruchlandung. Ich weiß schon nicht mehr, wie oft wir versucht haben, wieder zusammen zu sein. Aber immer kommt uns etwas in die Quere, für gewöhnlich sein Charakter oder meiner. Jetzt hat er eine Freundin, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, heute das Bett mit mir zu teilen, oder an meiner Seite zu sein in den letzten sechs Monaten der Finsternis und der Krankenhäuser und Ärzte und unwiderruflich verlorenen Schlachten. Mama, wie konntest du dir einbilden, du hättest auch nur die geringste Chance, diese Schlacht zu gewinnen, die letzte, die absolut niemand gewinnt? Nicht die Klügsten, nicht die Stärksten, nicht die Tapfersten, nicht die Großherzigsten, nicht die, die es verdient hätten. Ich hätte mich damit abgefunden, wenn du in Ruhe gestorben wärst. Wir hatten viel über den Tod geredet, aber nie daran gedacht, dass sich dieses Rabenaas über deinen Kopf hermachen würde, bevor es sich alles Übrige holt, dass dir bloß hin und wieder ein Fünkchen Einsicht geschenkt würde, gerade genug, um dich noch mehr leiden zu lassen.

Óscar ist ein aufrechter Verfechter von Sex als Allheilmittel, so ein vor Vitalität und Gesundheit strotzender Mann, der meint, jedes Unglück, jede Unpässlichkeit oder Enttäuschung ließe sich durch Sex beheben. Du bist traurig? Mach es. Du hast Kopfweh? Mach es. Dein Computer ist verreckt? Mach es. Du bist pleite? Mach es. Deine Mutter ist gestorben? Mach es. Manchmal funktioniert das. Ich schlüpfe aus dem Bett. Óscar ist auch der Meinung, miteinander zu schlafen sei die beste Art, in den Tag zu starten. Mir wäre es am liebsten, ich wäre am Morgen unsichtbar und würde erst gegen Mittag volle Gestalt annehmen. Die Spüle quillt über von schmutzigem Geschirr, und im Kühlschrank finde ich nur ein paar abgelaufene Joghurts, einen schrumpeligen Apfel und zwei Flaschen Bier. Ich mache eine auf, Kaffee oder Tee sind auch nicht im Haus. Die Bäume vorm Wohnzimmerfenster winken zur Begrüßung mit ihren Blättern, und ich bemerke, dass die Jalousien der alten Frau von gegenüber geschlossen sind, also ist sie wohl schon in die Ferien gefahren oder vielleicht ist sie auch gestorben, wer weiß. Mir kommt es vor, als hätte ich monatelang woanders gelebt. Ich trage den Schweiß der Nacht an mir und den des Stiermanns, mit dem ich geschlafen habe, vergrabe meine Nase im Ausschnitt des T-Shirts und erkenne den fremden Geruch wieder, die unsichtbaren Spuren der heiteren Inbesitznahme meines Körpers durch einen anderen, meiner Haut – so fügsam und durchlässig – durch eine andere, meines Schweißes durch den eines anderen. Manchmal kann selbst die Dusche diese Anwesenheit nicht tilgen, und ich spüre sie, schwächer werdend, über Tage wie ein sehr freizügiges und vorteilhaftes Kleidungsstück, bis sie schließlich verschwunden ist. Ich halte mir das Bierglas an die Schläfe und schließe die Augen. Theoretisch war das einmal meine liebste Jahreszeit, aber ich habe nichts vor. Dein Untergang war mein einziges Vorhaben seit Monaten, seit Jahren vielleicht. Ich höre Óscar im Schlafzimmer rumoren, er ruft mich:

»Komm, komm schnell, ich muss dir etwas Wichtiges sagen.«

Das ist eine seiner sexuellen Finten, und ich tue, als hätte ich ihn nicht gehört. Wenn ich hingehe, schaffen wir es bis zum Mittag nicht aus dem Bett, und ich habe keine Zeit, der Tod bringt jede Menge Papierkram mit sich. Als er schließlich zehn Minuten gegrummelt und nach mir gerufen hat, weil er seine Unterhose nicht findet, die ich ihm doch bestimmt versteckt habe – klar, was hätte ich Besseres zu tun, als mit seinen Unterhosen Verstecken zu spielen –, verlässt er das Schlafzimmer. Ohne ein Wort stellt er sich hinter mich und beginnt meinen Hals zu küssen, während er mich gegen den Tisch drückt. Ich ordne weiter meine Unterlagen, als wäre nichts. Er beißt mir fest ins Ohr. Ich protestiere. Ich weiß nicht, ob ich ihm eine scheuern soll. Bis ich mich entschlossen habe, dass das vielleicht das Beste wäre, und ansetze, es zu tun, ist es schon zu spät. Die Art, wie dir einer den Slip auszieht oder zur Seite schiebt, sagt einiges über ihn. Und das Tier, das in mir haust – und das vielleicht als Einziges in den letzten Monaten nicht zu einem Häufchen Asche geworden ist –, krümmt den Rücken, stützt die Hände auf die Tischplatte und spannt alle Muskeln. Bis zum letzten Moment bilde ich mir ein, dass ich ihm gleich eine runterhaue, aber am Ende spüre ich, wie es dort, wo sein Schwanz jetzt ist, zu pochen beginnt, und ich vergesse alles.

»Du solltest morgens kein Bier trinken, Blanca. Und auch nicht rauchen«, sagt er, als er sieht, dass ich mir eine Zigarette anzünde.

Er betrachtet mich mit demselben Gesichtsausdruck, den alle seit ein paar Tagen mir gegenüber aufsetzen, eine Mischung aus Sorge und Mitleid, ich weiß schon nicht mehr, ob ihre Gesichter meins widerspiegeln oder umgekehrt. Seit Tagen habe ich nicht in den Spiegel gesehen oder habe hineingesehen, ohne hinzuschauen, nur um mich zurechtzumachen. Mein Spiegelbild, mon semblable, mon frère, gibt sich alle Mühe, mir zu zeigen, dass der Spaß vorbei ist. In Óscars Blick findet sich neben Mitleid und Besorgnis auch Zuneigung, ein Gefühl, das der Liebe sehr nah kommt. Aber ich bin nicht daran gewöhnt, anderen leidzutun, und das dreht mir den Magen um. Ich bin ein Wrack und muss ausgeschlachtet werden. Würdest du mich bitte wieder so ansehen wie vor fünf Minuten? Mich wieder zu einem Objekt machen, zu einem Spielzeug? Zu etwas, das Lust verspürt und verschafft und das nicht traurig ist und dem nicht die Liebe seines Lebens gestorben ist, während es auf dem Moped durch die Straßen von Barcelona raste und zu spät kam?

»Ich glaube, du solltest ein paar Tage hier raus, dich durchlüften. Hier hast du nichts mehr zu tun, und die Stadt ist wie ausgestorben.«

»Ja, du hast recht.«

»Ich will nicht, dass du allein bist«

»Nein.« Ich sage ihm nicht, dass ich mich seit Monaten unentwegt allein fühle.

»Das Schlimmste ist schon vorbei.«

Ich muss lachen.

»Das Schlimmste und das Beste. Alles ist schon vorbei.«

»Und es gibt viele, die dich gernhaben.«

Keine Ahnung, wie oft ich das in den letzten Tagen gehört habe. Das schweigsame und redselige Heer derjenigen, die mich gernhaben, hat sich in ebendem Moment erhoben, in dem ich nichts weiter will, als mich ins Bett verkriechen und in Ruhe gelassen werden. Und dass sich meine Mutter neben mich setzt und meine Hand nimmt und mir ihre auf die Stirn...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2016
Übersetzer Svenja Becker
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel También esto pasará
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autofiktion • Barcelona • Cadaqués • Familie • Françoise Sagan • Jeunesse dorée • Lebensfreude • Liebe • Liebeserklärung • Meer • Mutter • Mutter-Tochter-Beziehung • Sex • Sommer • Sommerurlaub • Spanien • spiegel bestseller • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • ST 4773 • ST4773 • Strand • suhrkamp taschenbuch 4773 • Tochter • Tod • Trauer • Trauerbewältigung • Trost
ISBN-10 3-518-74428-3 / 3518744283
ISBN-13 978-3-518-74428-4 / 9783518744284
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