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Der Zwölfte Mann ist eine Frau (eBook)

Mein unerhörtes Leben als Fußball-Fan
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
224 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-7642-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Zwölfte Mann ist eine Frau -  Wiebke Porombka
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Wenn du ins Stadion gehst, kommst du nach Hause: Wiebke Porombka erzählt von ihrem Leben als Fan und als Frau. Und was der Fußball uns über die Welt verrät. Ein außergewöhnliches Buch über eine Leidenschaft, die niemals zu Ende geht. Alles begann, als Völler zu Werder kam. Aber sie musste die Klappe halten, wenn sie mit ihrem Bruder »Sportschau« gucken wollte, und fing sich eine, wenn sie »blödquatschte«. Mädchen und Fußball - in den achtziger Jahren, als Wiebke Porombka zum Fan wurde, war das bestenfalls eine harmlose Verirrung. Und heute, wo Millionen Mädels mit Fähnchen im Haar die Eventmeilen bevölkern? Ist die Verirrung nur umso größer. Denn echte Fans, so zeigt Porombka in ihrem Buch, bleiben allein, auch wenn Tausende um sie herumstehen. Im Stadion ist es fast wie am Meer: Man wird verschluckt, und es gibt keinen Anfang und kein Ende mehr ... Anhand eines Spieltags beschreibt die Autorin, was es heißt, Fan zu sein. Und dazu noch Frau. Sie erzählt von Männern, die gern Ahnung haben und mit Statistik protzen; von ahnungslosen Frauen, die sich fragen, ob Jogi Löw schwul ist; von den magischen fünfzehn Minuten vor dem Anpfiff und der entscheidenden Viertelstunde nach der Pause; weshalb Frauenfußball bescheuert ist - und warum das Spiel wieder Typen wie Borowka braucht.

Wiebke Porombka, geboren 1977 in Bremen, ist Werder-Fan, seit Völler an die Weser kam. Fünfzehn Spielzeiten später studierte sie Neue deutsche Literatur und Philosophie in Berlin und promovierte im selben Jahr, als Frings nach Toronto wechselte, über die »Medialität urbaner Infrastrukturen«. Seit 1996 arbeitete sie als Dramaturgie und Regieassistentin und seit 2005 als Moderatorin und Literaturkritikerin u. a. für die FAZ.

Wiebke Porombka, geboren 1977 in Bremen, ist Werder-Fan, seit Völler an die Weser kam. Fünfzehn Spielzeiten später studierte sie Neue deutsche Literatur und Philosophie in Berlin und promovierte im selben Jahr, als Frings nach Toronto wechselte, über die "Medialität urbaner Infrastrukturen". Seit 1996 arbeitete sie als Dramaturgie und Regieassistentin und seit 2005 als Moderatorin und Literaturkritikerin u. a. für die FAZ.

1. Schmerz, lass nicht nach oder: Wie ich einmal Schläge kassierte, wegen einer roten Karte Fußball mag ein durchaus passendes Spiel für harte Mädels sein, als Spiel für feinsinnige Knaben ist es wohl kaum geeignet. (Oscar Wilde) Die erste Ohrfeige meines Lebens verpasste mein Bruder mir am 13. Oktober 1982. Ich saß im Frotteeschlafanzug auf dem Sofa, beseelt vom Glück, nicht wie sonst nach der »Sesamstraße« ins Bett gehen zu müssen, sondern mit meinem Bruder und meinem Vater das Freundschaftsspiel England-Deutschland sehen zu dürfen. Während die deutsche Mannschaft in späteren Jahren vor allem in roten oder schwarzen Auswärtstrikots aufgelaufen ist, trug sie Anfang der Achtziger grüne Hemden, wenn das Trikot des Heimteams zu ähnlich war. (Ich bin mir nicht sicher, was es zu bedeuten hat, dass seit 2012 auswärts wieder in Grün gespielt wird. Grundsätzlich vermute ich aber: Es kann nur etwas Gutes sein.) Zu Trikots ließe sich überhaupt einiges sagen. Schaut man sich heute Spiele aus den Siebzigern an, wird einem unmittelbar schwindelig angesichts der gewagten, direkt unter Hintern und Gemächt endenden Hosen. Wenn ich die Bilder sehe, von Günter Netzer mit fliegenden Haaren und knappem Höschen oder dem zart gelockten Beckenbauer in entsprechender Montur, finde ich es ziemlich merkwürdig, dass damals nicht viel mehr Frauen Fußball geguckt haben als heute. Ich glaube eher: Die Frauen haben auch damals geschaut und zwar ziemlich genau. Sie haben nur nicht darüber gesprochen. An Einzelheiten des Spielverlaufs England gegen Deutschland erinnere ich mich nicht. Aber an die grünweißen Trikots. Grün-weiß. Das gab es für mich nur einmal auf der Welt. An dieser Überzeugung hat sich bis heute nichts geändert. (Gladbach, meinetwegen, das lasse ich noch durchgehen, aber da kommt ja noch das Schwarz hinzu. Wolfsburg, diese seelenlose Vorort- Truppe, halte ich in jeder Hinsicht für indiskutabel, nicht erst seit Magath. Und der Name Greuther Fürth kommt mir allenfalls in den Sinn, wenn ich an die Regionalliga denke. Das passiert eher selten.) Grün-weiß, das war Werder. Das war die Mannschaft, in deren Stadt ich geboren und aufgewachsen war. Die Mannschaft mit den einzig natürlichen Vereinsfarben, grün-weiß, wie das Spielfeld. Das war die Mannschaft, deren Vereinswappen meinen Anfangsbuchstaben trug. Jahrelang habe ich meinen Vornamen mit einem - mehr oder weniger gekonnten - Werder-W geschrieben. Das weiße W auf grünem Grund war meine Signatur, praktischerweise in umgekehrter Farbgebung. Ich würde nicht sagen, dass ich damals, als Deutschland im Wembley-Stadion gegen England spielte und ich im Schlafanzug neben meinem Bruder auf dem Sofa saß, schon Fußball-Fan war. Ich war schlicht in dem Wissen aufgewachsen, dass man Werder Bremen anfeuert, wenn Werder Bremen spielt. Nach meinen ersten zwei oder drei Einwürfen hatte mein Bruder mich noch einigermaßen genervt zurechtgewiesen. Als aber zum dritten Mal mein »Werder vor, noch ein Tor!«-Ruf durchs Wohnzimmer geschallt war, erhielt ich eine seiner gefürchteten, weil äußerst schmerzhaften Backpfeifen. Das fand ich sehr seltsam. Vor allem auch deshalb, weil eines dieser grünen Trikots von Norbert Meier, Werders Linksfuß, getragen wurde. Mein Bruder - neun Jahre älter als ich - schlug mich selten ohne Grund. Er schlug mich, wenn ich seine neue Morrissey-Platte ohne Hülle auf das Bett legte, weil ich in seinem Zimmer ein bisschen Winnetou hören wollte. Und dann gleich noch mal, wenn ich als Rache für die Platten-Prügel, die ich einstecken musste, heimlich ein paar Teile aus seinem Modellbaukasten zerbrach. Was er natürlich immer herausfand. Meistens dann, wenn ich schon nicht mehr damit rechnete. Wenn ich keine Ruhe gab und bettelte, weil ich mit ihm und seinen Freunden Fußball spielen wollte, tat es auch ein gezielter Treffer ins Gesicht mit einem nassen Lederball. Noch heute, wenn ich einen Spieler beim missglückten Kopfball sehe, spüre ich den zwiebelnden Schmerz auf der Wange. Ich sage mir dann, dass es natürlich ein himmelweiter Unterschied ist, ob ein fünfjähriges Mädchen von einem Ball getroffen wird, der sich durch die Nähte seiner weißen und schwarzen Lederflicken mit Regenwasser vollgesogen hat. Oder ob ein wasserresistenter Synthetikball auf die Stirn eines ausgewachsenen Mannes prallt, der noch dazu für solcherart Eventualitäten einigermaßen präpariert sein dürfte. Aber wirklich überzeugt bin ich nicht von diesem Unterschied. Es gibt solche Treffer und solche. Und solche Schläge und solche. Die einen strotzen vor Ungerechtigkeit: Kann ein fünfjähriges Mädchen wissen, dass man Schallplatten niemals ohne Hülle auf ein flauschiges Bett legen darf? Und dann sind da noch die Schläge, von denen du schon als fünfjähriges Mädchen weißt, dass du sie zu nehmen hast. Du spürst es einfach. Diese Schläge haben, nennen wir es: einen Sinn. Meine zweite sinnstiftende Ohrfeige erhielt ich am 25. Februar 1984. In diesem Fall stand tatsächlich Werder auf dem Platz. Es war eine Bundesligapartie gegen Nürnberg, die ich mit meinem Bruder in der »Sportschau « sah, was ein großes Glück bedeutete, für mich genauso wie für ihn. In dieser Vor-»Ran«-Zeit zeigte die »Sportschau« drei Partien je Spieltag in Ausschnitten. Bei allen anderen wurde nur das Ergebnis verlesen. Auch von diesem Spiel weiß ich nicht mehr viel. Aber seien wir ehrlich: Bei welcher Partie des 1. FC Nürnberg wäre das anders? Nur die rote Karte für Rigobert Gruber ist mir im Gedächtnis geblieben und die wenigen Momente davor. Die ewig langen Sekunden, als der Nürnberger Spieler allein auf Dieter Burdenski zuläuft. Die große grüne Leere, die sich plötzlich auftut zwischen den restlichen Spielern und dem Bremer Torwart. Auf dieser unendlich weiten Fläche: der Nürnberger Spieler, hinter ihm Rigobert Gruber. Und dann lache ich. Ich lache, weil der Gegenspieler so jäh gebremst wird. Ich lache über die einigermaßen beeindruckende Flugbahn des Spielers. Über das Wort »Notbremse«, das die Reporterstimme ruft. Und die überraschende, weil seltene und deshalb exklusive rote Karte, die der Schiedsrichter zackig aus der Tasche zieht. Ein wenig lache ich auch vor Schreck. Diesmal traf mich der Schlag weitaus härter. Diesmal war die Schwere der Konsequenzen - Sperre für Gruber, Bremen in Unterzahl, das Spiel ging mit 0 : 2 verloren - in der Ohrfeige enthalten, die auf meiner Wange brannte, schlimmer als der strammste Schuss mit einem regengetränkten Ball. Aber auch dieses Mal weinte ich nicht. Höchstens leise vor mich hin. Natürlich kann man nicht einfach den Schluss ziehen: Schläge führen zu Fußballbegeisterung. Das wäre viel zu simpel und würde das Ganze mit unnötiger Härte versehen. Bevor jemand anderes auf die Idee kommt, bekenne ich es lieber selbst (die korrekte freudsche Be zeichnung fällt mir gerade nicht ein): Ja, ich wollte fortan auch deshalb Ahnung von Fußball haben, um meinen großen Bruder zu beeindrucken. Ich wollte, dass mein großer Bruder anerkennend nickt, wenn ich mit süffisant gehobener Augenbraue das Spielgeschehen kommentiere. Wenn ich einen leisen Fluch ausstoße, weil Oliver Reck unter dem Ball hindurchsegelt. Wenn ich verächtlich den Kopf schüttele ob des jüngsten Spielertransfers. Ist das so verwerflich? Jeder zweite Junge hat den Traum, Fußballer zu werden. Dabei träumt er nicht unbedingt von Reichtum, sondern davon, dass ihn alle Welt bewundert, vor allem die Klassenkameraden, die ihm tagtäglich das Leben schwer machen. Einmal Held sein, einmal derjenige sein, der - gerade eingewechselt - den Ball links oben in den Winkel drischt. Und dann das Bad in der jubelnden Menge nehmen. Das Trikot ausziehen und den dankbaren Fans hinüberwerfen - unter ihnen der ärgste Peiniger vom Schulhof. Dagegen ist es doch wohl nur recht und billig, wenn man sich durch ein bisschen Fußballkenntnis davor bewahren will, am Wochenende die nächste Kopfnuss zu kassieren. Wenn es sich damit erledigt hätte - dann wäre der Fußball nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Aber da war noch mehr: Die brüderlichen Backpfeifen haben etwas in mir ausgelöst. Wir haben nie darüber gesprochen, was genau es ist, um das es meinem Bruder beim Fußball geht. Genauso wenig, wie wir je darüber gesprochen haben, worum es mir geht. (Vielleicht taten wir es gerade deshalb nicht, weil mein Bruder mir vor allem eines beibringen wollte: Beim Fußball redet man nicht nur keinen Blödsinn - am besten redet man gar nicht. Am besten hält man einfach den Mund und schaut zu.) Ohnehin existieren nur wenige wahre Sätze über Fußball. Der erste lautet: »Man kann sich nicht aussuchen, dass man Fan ist - und schon gar nicht, von welcher Mannschaft.« Der zweite: »Ein echter Fan hört niemals auf, Fan seiner Mannschaft zu sein.« Und der dritte (es sind tatsächlich ein paar mehr) stammt von Christoph Biermann: »Möge die bessere Mannschaft gewinnen«, schreibt er in seinem Buch »Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen«, sei der dümmste Satz, den man über Fußball sagen könne. »Denn es muss heißen: Möge meine Mannschaft gewinnen! Und spiele sie noch so schlecht. Sei sie noch so unfähig und hölzern, inkompetent und von allen guten Geistern verlassen. Bitte, wenn es da oben einen gerechten Gott gibt, lass mein Team in diesem Kampf des Guten gegen das Böse gewinnen.« Wie will man das komplett Irrationale dieser Wahrheit erklären? Denn eine Wahrheit ist es, daran besteht kein Zweifel. Vielleicht sollte ich die Frage zunächst einmal umdrehen, nicht nach dem Ursprung der Leidenschaft fragen, sondern nach ihren Folgen: Was macht es mit dir, wenn du Fußball-Fan bist? Abgesehen von so oberflächlichen Dingen, dass du Verabredungen und berufliche Termine nach dem Spielplan des DFB ausrichtest. Oder dass du, wenn du dich in einem Anflug von Emanzipationswillen doch an einem Spieltag verabredet hast, in letzter Sekunde und unter fadenscheinigen Ausreden noch umfällst. Dass du, wenn die eigene Mannschaft verliert, tiefschwarze Augenringe bekommst vor Wut und Enttäuschung. Oder dass du dir den Wochentag der Geburt deines Kindes deshalb so gut merken kannst, weil er auf den Tag vor der ersten Runde des DFB-Pokals gefallen ist. Viel entscheidender als diese kleinen Dinge des Alltags ist für mich die Frage, ob mein Leben anders verlaufen wäre, wenn ich nicht als Werder-Fan, sondern beispielsweise als Fan der Stuttgarter Kickers oder als Fan des HSV auf die Welt gekommen wäre. Niemand wird daran zweifeln, dass jeder Mannschaft ein bestimmter Geist, ein bestimmter Charakter innewohnt - die Spieler können im Laufe der Jahre wechseln, der Geist einer Mannschaft bleibt derselbe. Und wenn du Woche für Woche mit diesem Geist konfrontiert wirst, deine ganze Leidenschaft für diesen Geist aufwendest: Muss er dann nicht auch Einfluss auf deine Art zu Denken haben? Es wird auf den folgenden Seiten immer wieder mal über den Geist von Werder Bremen gegrübelt werden. Dem Prinzip nach aber gilt das, was ich über Werder erzähle, auch für alle anderen Mannschaften der Liga. Nur eben auf ihre jeweils eigene Weise. Ein einziges Mal bin ich gemeinsam mit meinem Bruder ins Stadion gegangen. Noch nicht einmal ins Weserstadion, sondern zum Millerntor. St. Pauli spielte eines dieser Zweitliga-Matches, die verdammt trostlos wären, wenn es sich eben nicht um St. Pauli handelte. Ich war gerade nach Hamburg gezogen und stand pünktlich um zehn Uhr morgens bei meinem Bruder im Wohnzimmer. Der Tag folgte einer von ihm festgelegten strengen Dramaturgie: zwei Brötchen pro Person mit Hackepeter, Salz, Pfeffer, Zwiebeln, dann ins »Max und Konsorten «, seine Stammkneipe in der Langen Reihe, St. Georg. Dort: zwei Sekt auf Eis. Gegen zwölf in die U3 Richtung St. Pauli. Hier durfte/musste das erste Bier des Tages geöffnet werden. Im »Letzten Pfennig«, der traditionell finalen Anlaufstelle vor dem Stadion, folgten weitere. Ich war bester Stimmung. Und sie stieg beständig. Hamburg, Frühling, und an der Seite meines großen Bruders ins Stadion - in Bremen hatte er das immer abgelehnt, so kategorisch, dass ich noch nicht mal zu fragen gewagt hätte. Offenbar war ich in diesem Sommer erwachsen geworden, dachte ich und schaute in den strahlend blauen Hamburger Himmel, der über dem Stadion aufgerissen war, dieser Hamburger Himmel, der, wenn er denn mal strahlt, immer so verheißungsvoll nach Meer aussieht. Unterbrochen wurde ich durch einen Knuff in die Rippen. »Keks?« Eine Prinzenrolle machte die Runde, keine Ahnung, wer sie mitgebracht hatte, aber alle Umstehenden bedienten sich. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob diese Kekse essenden Fans ein Grund für das Tabellen- mittelmaß des FC sind. Natürlich, St. Pauli hat zweifellos die lustigsten Fans überhaupt. Aber wie willst du als Mannschaft ernsthaft Fußball spielen, wenn deine Fans Schokokekse mümmeln oder Lieder singen wie »Wir waschen uns nie - St. Pauli« (Betonung auf der langgezogenen letzten Silbe). Ein paarmal wäre ich fast in die Knie gegangen, als die Kumpel meines Bruders mir auf die Schulter klopften, um die kleine Schwester, die Neu-Hamburgerin, zu begrüßen. Aber natürlich gab ich alles darum, Standfestigkeit zu demonstrieren, neben der Trinkfestigkeit, um die ich ebenfalls redlich bemüht war. Irgendwann musste ich zur Toilette, was ich offenbar in der Pause verpasst hatte. Oder musste ich schon wieder? Mein Bruder ging mit - vielleicht um das Bier zu halten, vielleicht weil er ebenfalls mal musste, vielleicht wusste er es auch selbst nicht so genau. Meine Erinnerung setzt wieder ein, als mein Bruder und ich einträchtig die Reeperbahn entlangschlendern. Wir plaudern über meine Pläne für den Sommer, streiten über meinen neuen Freund, der - wie alle anderen zuvor und danach - seinen Unwillen erregt, dann kommen wir an einer Uhr vorbei. Sie zeigt 16.51 Uhr. Wir gehen weiter, schweigend. Wir haben es beide gesehen und wissen, was es bedeutet. Wir hatten völlig vergessen, dass das Spiel noch lief, waren von den Toiletten einfach zum Ausgang marschiert. Nicht etwa aus Protest oder Frust über eine unabwendbare Niederlage - beim Fußball ein, in dop- pelter Hinsicht, absolutes No-Go. War es Selbstvergessenheit? Selige gemeinsame Trunkenheit trifft es wohl besser. Mein Bruder und ich haben nie wieder über diesen Tag gesprochen. Aber irgendwie glaube ich trotzdem, dass er etwas Versöhnliches hatte.

Erscheint lt. Verlag 14.5.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Fan • Frauen • Fußball • Werder Bremen
ISBN-10 3-8270-7642-0 / 3827076420
ISBN-13 978-3-8270-7642-7 / 9783827076427
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