Das Heilige und das Nackte (eBook)
184 Seiten
Books on Demand (Verlag)
9783695181667 (ISBN)
Oliver M. Gruber-Lavin ist ein vielseitig geprägter und international erfahrener Wiener, der in verschiedenen Bereichen tätig war und ist. Nach einem erfolgreich abgebrochenen Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien, entwickelte er sich zu einem wahren "Universaldilettanten". Er arbeitete als Berufssoldat und Blauhelm in Syrien, war parlamentarischer Mitarbeiter und Referent sowie Kommunalpolitiker. In seiner Karriere wechselte er zwischen verschiedenen Rollen: IT-Trainer, Radiomoderator, Dozent in der Erwachsenenbildung und Coach für Kommunikation und Konfliktmanagement. Zudem sammelte er Erfahrungen im Kupferbergbau in Afrika. Seit 2015 ist er Managing Partner der WERTEMANUFAKTUR, einer Gesellschaft für werteorientierte Kommunikation, und setzt sich für einen rationalen und sachlichen Meinungsaustausch zu politischen und gesellschaftlichen Themen ein. Als Generalbevollmächtigter einer NGO mit allgemeinen Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, arbeitet er an internationalen Projekten und ist Delegierter bei den Vereinten Nationen in Wien, Genf und New York. 2014 wurde er zum "Fellow" (FRSA) der Royal Society of Arts (UK) gewählt und 2022 zum "Aides-de-Camp" des Governeurs des Commonwealth of Kentucky (US) ernannt.
VORWORT
Glaube und Sexualität – Ein pikantes Paar durch die Jahrtausende
Kaum zwei Themen haben die Menschheit so nachhaltig in ihrem Innersten bewegt, entzweit und zugleich immer wieder eigentümlich miteinander verflochten wie jene beiden Urkräfte, die unser Dasein maßgeblich prägen: Glaube und Sexualität. Diese beiden Pole sind gleichermaßen Quelle von Sehnsucht und Angst, von Verheißung und Verbot, von Hingabe und Widerstand. Die eine verspricht Erlösung und das Aufsteigen in himmlische Sphären, die andere schenkt Leben und wurzelt tief im Irdischen, im Körperlichen, im konkreten Hier und Jetzt. Und doch, so gegensätzlich sie erscheinen mögen, sind sie auf geheimnisvolle Weise untrennbar miteinander verbunden: eingebettet in ein Geflecht aus Verboten und Visionen, Dogmen und Ekstasen, in Tabus, die so oft in der Kunst mit einer lasziven Entschlossenheit gebrochen wurden, dass sie das Publikum seit Jahrhunderten gleichermaßen verblüffen und verzaubern.
Wer sich auf die Suche macht nach der Geschichte dieses komplizierten Beziehungsgeflechts zwischen Kirchenmoral und leiblichem Verlangen, darf sich nicht mit rein theologischen Spitzfindigkeiten zufriedengeben. Er muss vielmehr auch den Werken der Dichter, Maler und Philosophen aufmerksam lauschen, jenen kreativen Geistern, die oft mehr über die Spannung zwischen Seele und Körper offenbaren als jeder trockene Konzilstext oder kirchliche Erlass. Denn in diesen Werken finden wir nicht nur Rebellion oder Unterwerfung, sondern auch das schillernde Spektrum menschlicher Sehnsucht und Schuld – eine Dialektik, die uns bis heute tief berührt.
Zwischen Höllendrohung und Himmelslust: Die widersprüchliche Kulturgeschichte
Kaum ein Kapitel der Kulturgeschichte ist derart geprägt von widersprüchlichen Bildern und tiefen Gegensätzen wie das Verhältnis der Kirche zur Sexualität. Auf der einen Seite wird Keuschheit als höchste Tugend gepredigt, der Ehe ausschließlich der Zweck der Fortpflanzung zugewiesen, fleischliches Begehren hingegen mit Argwohn und Misstrauen betrachtet. Auf der anderen Seite jedoch offenbart sich in der Kunst und Literatur der Gotik, Renaissance und des Barocks eine vibrierende Welt voller Sinnlichkeit, die von zurückhaltender Askese so weit entfernt ist wie ein Jesuit vom Junggesellenabschied.
Betrachten wir nur einmal die üppigen Venus-Darstellungen eines Tizian, deren rotglühende Kurven und strahlende Schönheit eine geradezu provokante Feier des Fleisches darstellen. Oder denken wir an Gian Lorenzo Berninis barocke Skulptur der Teresa von Ávila, deren marmorne Verzückung so sinnlich und lebendig wirkt, dass es einem nicht wundert, wenn die tugendhaftesten Kardinäle ins Schwitzen geraten. Selbst die scheinbar strenge Buchmalerei des Mittelalters, oft als Inbegriff der asketischen Moral angesehen, offenbart ein wahres Kaleidoskop widersprüchlicher Botschaften: Während das Hauptbild des Manuskripts vor Höllenqualen für fleischliche Sünden warnt, tummeln sich in den Randillustrationen Nonnen mit Phallussymbolen und Mönche in amourösen Verstrickungen mit entblößten Damen – ein Miniaturwiderstand in Tinte und Gold, der leise kichert und das moralische Diktat herausfordert.
Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga bringt es auf den Punkt: Gerade im vom Tod und Bußritualen geprägten Spätmittelalter entstand eine erstaunliche Fülle an erotisch-frivolen Darstellungen, die scheinbar im Widerspruch zu den moralischen Zwängen der Zeit standen. War das ein subversiver Protest gegen die moralische Strenge? Ein Versuch, durch Humor und Übertreibung die strengen Regeln erträglicher zu machen? Vielleicht war es beides zugleich – ein Zeugnis dafür, wie sehr menschliche Natur und geistliche Normen sich trotz aller Konflikte bedingen und durchdringen.
Die Kirche als Moralwächterin mit Doppelleben
Nicht nur die einfachen Gläubigen schwankten zwischen Buße und Begehren, zwischen Scham und Leidenschaft – auch die Amtskirche selbst spiegelt dieses ambivalente Verhältnis wider. Die Archive sind voll von Skandalen, Affären und heimlicher Sinnlichkeit, die auf den ersten Blick nicht zur makellosen Fassade der Kirche passen wollen. Besonders im Zeitalter der Renaissance tritt diese Doppelmoral in voller Farbenpracht hervor: Päpste wie Alexander VI., besser bekannt als Rodrigo Borgia, führten ein Liebesleben, das so ausschweifend und skandalös war, dass es heute Stoff für Boulevardzeitungen bieten würde.
Während auf Synoden strenge Tugend gepredigt wurde, erlaubten sich Künstler wie Raffael kleine, aber feine Seitenhiebe auf die kirchliche Moral. Seine Heiligenbilder zeigen androgyne Figuren, deren Schönheit frappierende Ähnlichkeit mit seinen Geliebten hatte – ein Augenzwinkern mit dem Pinsel, das Eingeweihten damals, wie heute ein wissendes Lächeln entlockt. Solche subtilen Provokationen beweisen, dass Kunst immer auch ein subtiles Widerstandsmedium war – und ist.
Auch in der Literatur wurde die kirchliche Doppelmoral gerne genüsslich seziert und karikiert. Dante Alighieri entwirft in seiner Göttlichen Komödie eine streng geordnete jenseitige Moral, doch lässt er im Inferno das tragische Liebespaar Paolo und Francesca so sehnsuchtsvoll klagen, dass ihre Verdammnis fast wie eine romantische Befreiung wirkt – ein literarischer Balanceakt zwischen Strafe und Mitleid. Giovanni Boccaccio trieb diese Dialektik noch weiter auf die Spitze: In seinem Decamerone agieren Priester als galante Liebhaber und Nonnen als listige Verführerinnen – ein Fest der Ironie, das bis heute nichts von seinem Charme verloren hat und uns daran erinnert, dass das Menschliche sich nicht so leicht in fromme Schranken zwängen lässt.
Von Verboten und Visionen: Die kreative Dialektik der Repression
Ist die Geschichte kirchlicher Sexualmoral also bloß eine Aneinanderreihung von Verboten, die durch künstlerische Schlupflöcher umgangen wurden? Oder steckt hinter diesem ewigen Tauziehen eine tiefere, fast schon dialektische Logik? Vielleicht liegt gerade im Widerspruch das Geheimnis dieser epochalen Spannung. Indem die Kirche eine strenge Moral propagierte und sexuelle Begierde rigoros verbot, zwang sie Künstler, Denker und Mystiker, ihre Sehnsüchte zu sublimieren, zu verschlüsseln und durch die Kunst auszudrücken.
Das Ergebnis ist ein Feuerwerk schöpferischer Kraft: Donatellos sinnliche Skulpturen, John Donnes geistliche Lyrik voller erotischer Metaphern, Caravaggios ambivalente Madonnen – all diese Werke entspringen einem Spannungsverhältnis, das kreativer kaum sein könnte. Aus der Unterdrückung erwuchsen die großartigsten Ausdrucksformen menschlicher Leidenschaft und Spiritualität, eine paradoxe Symbiose, die uns bis heute in ihren Bann zieht.
Von den Kirchenvätern bis zur sexuellen Revolution: Eine Reise durch die Jahrtausende
Dieses Buch lädt zu einer faszinierenden Reise ein, die zwei Jahrtausende kirchlicher Sexualgeschichte durchquert: Von den frühen Christen, die zwischen asketischer Enthaltsamkeit und antiker Sinnlichkeit taumelten, über das Mittelalter mit seinen strengen Dogmen und subversiven Brechungen, bis hin zu den komplexen Reaktionen der Kirche auf die sexuelle Revolution des 20. Jahrhunderts. Dabei blicken wir nicht nur auf theologische Traktate und kirchliche Erlasse, sondern vor allem auf jene Künstler, Mystiker und Literaten, die mit schelmischem Scharfsinn das heilige Feuer der Begierde in Szene setzten.
Wie Johann Wolfgang von Goethe einst schrieb: „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide.“ Und wenn es eine Institution gibt, die über Jahrhunderte hinweg Sehnsucht erzeugt, reguliert, verteufelt und – ganz unbeabsichtigt – beflügelt hat, dann ist es die Kirche. Sie ist nicht nur Hüterin der Moral, sondern auch – vielleicht unfreiwillig – Muse der Leidenschaft.
Heiligkeit, Heuchelei und die Macht der Bilder
Die christliche Institution – ob römisch-katholisch, orthodox oder protestantisch – war und ist stets ein ambivalenter Akteur: Hüterin der moralischen Normen, und gleichzeitig Inspirationsquelle sündiger Fantasien. Von Berninis ekstatischen Marmorskulpturen bis zu den respektlos-erotischen Grotesken eines Rabelais reicht das Spektrum jener Werke, die zeigen, wie sehr die Realität der Kirche oft hinter ihren Predigten zurückblieb.
Bereits die Kirchenväter offenbarten ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Körper. Augustinus etwa stilisierte die Libido zur Geißel der Seele und legte damit den Grundstein für ein jahrhundertelanges Misstrauen gegenüber der Lust. Doch je strenger die moralischen Ideale waren, desto blühender wurde die Fantasie – und umso größer die Versuchung. Ein altes Sprichwort sagt: „Was verboten ist, ist umso verlockender.“ Dies gilt besonders für die Geschichte der Sexualmoral.
Zwischen Madonna und Magdalena: Das Frauenbild der Kirche
Besonders hart traf das kirchliche Misstrauen die weibliche Lust. Über Jahrhunderte hinweg pendelte das Frauenbild der Kirche zwischen zwei Extremen: Auf der einen Seite die heilige Jungfrau Maria als unantastbares keusches Ideal,...
| Erscheint lt. Verlag | 15.10.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
| Schlagworte | Doppelmoral • Kirchengeschichte • Körper und Moral • Religion und Sexualität • Sexuelle Befreiung |
| ISBN-13 | 9783695181667 / 9783695181667 |
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