Margaret Thatcher (eBook)
368 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-83770-8 (ISBN)
Thatcher war eine Politikerin der Superlative: die erste Frau, die in einer der großen westlichen Demokratien eine Partei, die britischen Konservativen, anführte; die am längsten amtierende Premierministerin des 20. Jahrhunderts; und eine Politikerin, die mehr als andere ihr Land spaltete. Ihre marktwirtschaftlichen Reformen, ihre harte Haltung gegenüber den Gewerkschaften und ihre Entschlossenheit im Falklandkrieg brachten Margaret Thatcher den Titel «Eiserne Lady» ein. Was motivierte und befähigte diese willensstarke Frau, die Kompromisse ablehnte, aber auch sehr pragmatisch handelte, die klar analysierte, aber auch durch erstaunliche Vorurteile geprägt war und sich über viele Jahre an der Spitze ihres Landes behauptete? Mit diesem Buch liegt erstmals eine umfassende Thatcher-Biographie in deutscher Sprache vor.
Franz-Josef Brüggemeier ist Prof. em. für Sozial-, Wirtschafts- und Umweltgeschichte an der Universität Freiburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört u.a. die deutsche und britische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Einleitung
Margaret Thatcher war eine Politikerin der Rekorde, positiver wie negativer. Sie war die erste Frau, die in einer der großen westlichen Demokratien eine Partei anführte, die britischen Konservativen, in der bis dahin Männer alles unter sich ausmachten. Kurz darauf wurde sie zur Premierministerin ihres Landes gewählt, erneut als erste Frau. Anschließend gewann sie drei Wahlen nacheinander und regierte Großbritannien fast zwölf Jahre, zwei weitere Rekorde. Wer Premiers mit längerer Amtszeit sucht, muss ins 19. Jahrhundert zurückgehen, zu William Gladstone, Lord Salisbury und den Earl of Liverpool. Doch sie kamen ins Amt, als kein allgemeines Wahlrecht bestand und es bedeutend leichter fiel, Premier zu werden und seine Stellung zu behaupten.
Am 28. November 1990 musste Thatcher zurücktreten, John Major trat ihre Nachfolge an. Ein siebenjähriges Kind fragte damals seine Mutter: «Im Radio sagen sie, dass John Major die Stelle von Frau Thatcher übernimmt. Darf ein Mann überhaupt Premierminister werden?»[1] Diese Frage klingt merkwürdig, ist aber verständlich, denn Thatcher regierte so lange, dass die jüngeren Britinnen und Briten nur eine Frau an der Spitze der Regierung kannten, die sie merklich beeindruckte.
Beeindruckt waren auch die Älteren, allerdings auf ganz unterschiedliche Weise. Kein anderer Premier wurde und wird bis heute so kontrovers beurteilt wie Thatcher, ein weiterer Rekord. Bewundert und verehrt auf der einen Seite, abgelehnt, wenn nicht gar gehasst auf der anderen. Für ihre Anhänger rettete sie Großbritannien vor dem wirtschaftlichen und politischen Niedergang, besiegte den Sozialismus und gab ihrem Land die frühere globale Bedeutung zurück. Sie habe die übermächtigen Gewerkschaften besiegt, die Wirtschaft wiederbelebt und im Kalten Krieg triumphiert. Thatcher sei eine der wichtigsten Personen der ganzen britischen Geschichte. Andere hingegen verachten sie und verbinden mit ihr vor allem Negatives. Sie habe die britische Wirtschaft zugrunde gerichtet, den Kalten Krieg unnötig angeheizt, ein Zerrbild der Gewerkschaften gezeichnet und einem egoistischen Geldstreben den Weg bereitet. Sie sehen in ihr die schlechteste Premierministerin des 20. Jahrhunderts.
Die unterschiedlichen Wahrnehmungen beziehen sich nicht nur auf ihre Politik, sondern auch auf ihr Auftreten. Vielen Briten gefiel die klare, oft auch aggressive Art Thatchers, die zugleich aber auch als herrisch und gefühllos galt. Sie bezeichnete sich als Politikerin, die Kompromisse ablehnte und stattdessen für ihre Überzeugungen eintrat. Dafür erhielt sie viel Lob und begeisterte ihre Anhänger, stieß aber auch viele Landsleute vor den Kopf, zunehmend selbst ihre Minister und konservative Abgeordnete, die sie schließlich aus dem Amt wählten – eine Schmach, die sie den Rest ihres Lebens nicht verwinden konnte. Und ein weiterer Rekord, wenn man diesen Begriff benutzen will. Eine derartige Abwahl hatte es vorher nicht gegeben.[2]
Die unterschiedlichen Bewertungen zeigen sich auch in den Begriffen, die für Thatcher und ihre Politik verwendet werden. Sie gilt als eiserne Lady, die sich sowohl im eigenen Land wie außerhalb gegen alle Widerstände durchsetzte, aber auch engstirnig auf ihren Positionen beharrte; als Vorkämpferin des Neoliberalismus, der dem Kapitalismus neue Schubkraft gab, für Kritiker hingegen dessen aggressiven Kräfte freisetzte und den Sozialstaat demontierte; und als Begründerin einer eigenen politischen Richtung, des Thatcherismus, auch dies ein Rekord. Denn es gibt in der jüngeren Geschichte keinen anderen Politiker, dessen Name für ein politisches Programm steht.
Diese Bezeichnungen sind mit unterschiedlichen Bewertungen verbunden, besitzen aber eine Gemeinsamkeit: sie schreiben Thatcher eine überragende Bedeutung zu. Ob sie den Kapitalismus gerettet oder den Wohlfahrtsstaat demontiert, die Gewerkschaften zerschlagen oder überfällige Reformen durchgesetzt hat, stets gilt sie als die treibende Kraft. Bei positiver Bewertung erscheint sie als glorreiche Heldin, bei negativer hingegen als mächtige Dämonin. Derartige Zuschreibungen von großer Macht sind ungewöhnlich, denn Thatcher regierte in einer etablierten Demokratie, die geprägt war durch bewährte Institutionen, vielfältige Strukturen und komplexe Entscheidungsprozesse. Es ist deshalb zu fragen, wie sie es vermochte, sich darüber hinwegzusetzen und derart dominant zu werden, aber auch, ob ihr dies tatsächlich gelang.
Zusätzlich besitzen die genannten Bezeichnungen eine weitere Gemeinsamkeit, sie entstanden als politische Kampfbegriffe. Anfangs dienten sie dazu, Thatcher und ihre Politik zu kritisieren, wenn nicht zu diffamieren, wurden dann aber von ihr und ihren Anhängern übernommen und erhielten eine positive Umdeutung. Diese unterschiedlichen Bedeutungen und Bewertungen bestehen bis heute fort, allgemein akzeptierte Definitionen gibt es nicht.
Für eine Biographie ist das kein Manko, im Gegenteil. Eindeutige Definitionen sind hier wenig hilfreich. Denn Lebensläufe sind komplex, weisen unterschiedliche Merkmale auf, kennen ambivalente, auch widersprüchliche Entwicklungen und lassen sich nicht auf plakative Schlagwörter reduzieren. Das gilt auch für Thatcher. Sie erlebte seit ihrer Kindheit zahlreiche Entwicklungen und mehr oder minder große Veränderungen, erfuhr Neues, behielt Altes bei, besaß Überzeugungen, die weitgehend unverändert blieben, sich oft auch verhärteten, war aber auch bereit, Anschauungen zu revidieren oder ihre eigene Position zurückzunehmen. Auch Thatcher konnte in der Politik nur Karriere machen und Wahlen gewinnen, weil sie Kompromisse einging und Positionen vertrat, die ihr zwar nicht unbedingt zusagten, wohl aber ihren Wählerinnen und Wählern. Ihre Person, ihre Entwicklung und ihre Entscheidungen zeigen deshalb vielfältige Merkmale: sorgfältige Planungen und strategisches Kalkül, aber auch unzureichendes Wissen und Spekulationen; Ziele, die sie anstrebte und erreichte, aber auch Misserfolge und ungewollte Konsequenzen ihres Handelns; Überzeugungen, für die sie eintrat, aber auch Kompromisse und pragmatische Überlegungen; und nicht zuletzt ein komplexes Geflecht von Personen und Gruppen, die sehr unterschiedliche Motive und Interessen verfolgten, mit denen sie umgehen musste.
Die vorliegende Biographie thematisiert diese Merkmale und Entwicklungen und beschreibt, wie die Tochter eines kleinen Einzelhändlers zur wichtigsten Politikerin ihres Landes aufstieg und weltweit Einfluss gewann; auf welche Hindernisse sie in einer Welt stieß, die durch und durch von Männern geprägt war, und wie sie sich zu anderen Frauen verhielt; welche Förderung sie erfuhr, wen sie als Gegner sah und wie sie mit diesen umging; welche Bedeutung Zufälle und Glück besaßen und wie verbreitet bei ihr (teils geradezu absurde) Vorurteile waren – um nur einige der Faktoren zu nennen, die ihr überaus interessantes und so folgenreiches Leben kennzeichneten.
Thatcher selbst befasste sich kaum und schon gar nicht kritisch mit der eigenen Person, ihrer Karriere oder ihren Überzeugungen. Daran zeigte sie zeitlebens wenig Interesse, bis hin zur von Ghostwritern verfassten Autobiographie. Diese diente vor allem der Rechtfertigung, nicht der Selbstreflexion oder ausgewogenen Darstellung ihrer Entscheidungen. Soweit Aussagen von ihr selbst vorliegen, stammen diese meist aus der Zeit, als Thatcher bereits politisch aktiv war und darauf achtete, wie sie in der Öffentlichkeit ankam. Dieses Verhalten wurde noch ausgeprägter, als sie ins Parlament kam und Ämter in Partei oder Regierung übernahm. Spätestens jetzt musste sie sich an offizielle Sprachregelungen halten, wich nur selten davon ab und versuchte zudem, sich in günstiges Licht zu rücken. So äußerte sie sich mehrfach zu Kindheit, Jugend und Elternhaus, insbesondere zu ihrem Vater. Doch diese Aussagen sind stark durch das Selbstbild geprägt, das sie damals vermitteln wollte, und deshalb mit Vorsicht zu behandeln.
Selbstzeugnisse, die nicht durch Stilisierungen oder spätere Wahrnehmungen geprägt sind, liegen fast gar nicht vor. Das ist bedauerlich, denn dadurch fällt es schwer, die Anschauungen und Motive zu bestimmen, die Thatcher in unterschiedlichen Lebensphasen besaß und die sie prägten. Doch zugleich gibt es zu ihr eine Vielzahl von Veröffentlichungen, darunter umfassende Biographien, die eine beeindruckende Fülle von Informationen liefern, sorgfältig...
| Erscheint lt. Verlag | 18.9.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
| Schlagworte | 20. Jahrhundert • Biografie • Biographie • Britische Politik • Eiserne Lady • Falklandkrieg • Frauen • Frauenbewegung • Führungspersönlichkeiten • Gewerkschaften • Großbritannien • Konservative Partei • Margaret Thatcher • Neoliberalismus • Premierministerin • Sozialpolitik • Thatcherismus • Vereinigte Königreich • Wirtschaftspolitik |
| ISBN-10 | 3-406-83770-0 / 3406837700 |
| ISBN-13 | 978-3-406-83770-8 / 9783406837708 |
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