Die Bibelübersetzung von Buber-Rosenzweig (eBook)
300 Seiten
Jüdischer Verlag
978-3-633-78427-1 (ISBN)
Im Jahr 1926 versetzte eine Bibelübersetzung die deutsch-jüdischen und besonders die Frankfurter Intellektuellen in Aufruhr: Martin Buber arbeitete seit Mai 1925 gemeinsam mit Franz Rosenzweig daran, den Tanach zu übertragen. Ihr Unterfangen bezeichneten sie als Verdeutschung der Schrift. Ende Dezember erschien als erster Band Das Buch Im Anfang. Öffentliches Echo und persönliche Rückmeldungen ließen nicht lange auf sich warten: Erste Rezensionen kritisierten die Sprache der Übersetzung, vor allem aber schlug die äußerst polemische Besprechung von Siegfried Kracauer hohe Wellen, die Ende April 1926 in der Frankfurter Zeitung erschien. Es gab freilich auch Zuspruch, Lob und Verteidigung. Margarete Susman setzte sich immer wieder für die Bedeutung der neuen Schriftübertragung ein. Direkt oder indirekt beteiligten sich auch Ernst Simon, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Leo Löwenthal und viele andere an der Diskussion. Es entfaltete sich eine deutsch-jüdische Debatte, in der die großen Fragen der Moderne - von Tradition, Politik und Zugehörigkeit - verhandelt wurden.
Diese Edition versammelt zum ersten Mal die zentralen Quellen einer historischen Kontroverse, deren Strahlkraft weit über das Jahr 1926 und den Ort Frankfurt hinausreichte.Christoph Kasten lebt in Washington, DC und forscht zur deutsch-jüdische Ideengeschichte und jüdischen Religionsphilosophie. In seiner Promotion widmet er sich der politischen Philosophie Hermann Cohens. Ansgar Martins forschte in Frankfurt am Main, Jerusalem und - derzeit - Bern zu jüdischer Philosophie, Kabbala und alternativer Religiosität. Er promovierte über Judentum, Marxismus und Esoterik im Werk Siegfried Kracauers. Inka Sauter widmet sich in Frankfurt am Main Themen der deutsch-jüdischen Geschichte und der jüdischen Religionsphilosophie in der Moderne. 2022 ist ihr aus der Dissertation hervorgegangenes Buch Offenbarungsphilosophie und Geschichte erschienen.
Begegnungen
Die Intellektuellen, die in der Kontroverse um die Bibel-Verdeutschung aufeinandertrafen, waren sich in unterschiedlichen Konstellationen bereits zuvor begegnet. Dabei teilten sie nicht nur Netzwerke und Kontakte, sondern vor allem auch historische Erfahrungen: Sie alle hatten die ökonomische, kulturell-soziale und religiöse Erschütterung des Ersten Weltkriegs und die frühen Krisenjahre der Weimarer Republik erlebt; sie alle hofften auf »Erneuerung« oder wenigstens auf eine Antwort, mit deren Hilfe die Krisenerfahrung ihrer Zeit sich neu und anders darstellen würde. Damit standen sie nicht allein. Die frühen 1920er Jahre waren, und zwar über Religionsgrenzen hinweg, die Zeit der »transzendentalen Obdachlosigkeit«,1 der »Wartenden«, der religiösen Wanderer und »barfüßigen Propheten«.2
Während sich manche dieser Heilssucher und -bringer ins Landleben zurückzogen, entfalteten andere ihre Wirkung gerade in den urbanen Zentren der Weimarer Republik. Eines davon war Frankfurt – nicht zufällig auch der Ort der Kontroverse um die Bibelübersetzung. Hier war 1914 eine progressive Stiftungsuniversität entstanden, hier saß die weithin anerkannte Frankfurter Zeitung, hier wurden in den 1920er Jahren nicht nur avantgardistische Bau- und Gesellschaftsprojekte wie das Neue Frankfurt angegangen, sondern auch intellektuelle Unternehmen vom Institut für Sozialforschung bis zu Rosenzweigs Freiem Jüdischen Lehrhaus ins Leben gerufen.3 Spätere Angehörige dieser beiden bis heute berühmten Institutionen begegneten sich um 1920 bei einem ebenso religiösen wie gesellschaftlichen Ereignis: Nehemia Anton Nobel, dem orthodoxen Rabbiner der Synagoge am Börneplatz in Frankfurt. In der Literatur wird er zumeist mit dem (von Max Weber stammenden) Attribut »charismatisch« belegt.4 Die Namensliste des Kreises, der sich um Nobel formierte, umfasst zahlreiche spätere Berühmtheiten und wichtige Teilnehmer der noch bevorstehenden Verdeutschungsdebatte: Leo Löwenthal, Siegfried Kracauer und Erich Fromm begegneten hier Franz Rosenzweig und Martin Buber, selbst der prominente Hermann Cohen reiste gelegentlich aus Marburg an, aber der »Lieblingsschüler« war Ernst Simon.5 Löwenthal behauptete rückblickend, im Nobel-Kreis habe eine »merkwürdige Mischung von mystischer Religiosität, philosophischer Eindringlichkeit und wohl auch einer mehr oder minder verdrängten homosexuellen Liebe zu jungen Menschen« geherrscht; die Versammlung sei »schon eine Art kultischer Gemeinschaft« gewesen.6
Der Nobel-Kreis war somit nicht nur religiöse Gemeinschaft, sondern vor allem eben auch Gemeinschaft: Sie hatte eine utopisch-politische Komponente; der Kreis und der verehrte Rabbiner gaben den Einzelnen Halt. Seine Anhänger dachten aber weniger über die politisch-soziale Dimension nach und betrachteten Nobel vor allem als spirituelles Genie. Er schien einen zeitgemäßen Zugang zu den Tiefen der jüdischen Tradition anzubieten. Seine Persönlichkeit verband Orthodoxie und Kosmopolitismus, Halacha und Goethe, Großstadtleben und Chassidismus, Zionismus, deutschen Patriotismus »und – gütiger Himmel – den Sohar!«7 Die Vermittlung eines rationalen Judentums ging also mit deutschem Bildungsgut und Offenheit für mystisch-irrationale Dimensionen einher. Am berühmtesten waren Nobels ergriffene und ergreifende Predigten, denen »sich die Frankfurter Bürger […] wie Opernereignissen« hingegeben haben sollen, während der jüdische Nachwuchs Nobel als mystischen »Ersatzvater« gegen liberale Elternhäuser in Stellung bringen konnte.8
Als Nobel im Januar 1922 plötzlich verstarb, hielt Erich Fromm in einem Nachruf fest, er sei der »Führer der Jugend« gewesen, denn er habe »unsere Not« verstanden und nicht nur Tora und Talmud, sondern auch deren innere Schönheit zugänglich gemacht. Noch wichtiger sei nur sein Charakter gewesen: »[E]r lebte, was er sagte, und […] sagte, was er lebte.«9 Ähnlich äußerte sich Kracauer. Der promovierte Architekt, der lieber Philosoph geworden wäre und sich in den frühen 1920er Jahren als schreibender Intellektueller zu etablieren suchte, stimmte inbrünstig in das Loblied auf Nobel mit ein: »[E]r war ja ganz Geist – was die anderen lehren, das war er«, schrieb Kracauer am Todestag Nobels an Löwenthal und gründete seine Verehrung dabei ganz explizit auf die Krisenerfahrung: »In einer Zeit äußerster Skepsis und Ungläubigkeit war er mir die Offenbarung der echten religiösen Persönlichkeit.«10 Kracauer reflektierte damit die spezifische religiöse Suchbewegung, die seine Generation auszeichnete: »Ich habe sein Wesen geliebt […] nicht eigentlich seine Gedanken suchte ich, sondern das Sein, das er verkörperte.«11 So suchte und fand er Halt, ganz allgemeinen Halt in dieser »religiösen Persönlichkeit«. Im vertrauten Zusammenhang fragte er ebenso wie Ernst Simon, ob Nobel »zu den 30 [sic] Zaddikim gehörte, die in jeder Generation leben?«.12
Während einige der Genannten wie Fromm und Kracauer Nobel relativ zu Anfang ihres philosophischen Weges trafen, betrachtete Rosenzweig die Versammlung distanzierter. Er schätzte an Nobel nach eigenem Bekunden nur die Talmudlektüre und betrachtete sich als »Hasser und Verächter aller Predigten«.13 Selbst er jedoch musste seine Faszination für diejenigen Nobels eingestehen: »Man könnte nur das Allergrößte daneben nennen.« In den Predigten Nobels meinte er den »ganzen Menschen« zu entdecken und ging dabei so weit, dem Verehrten – wenige Monate bevor dieser unerwartet dahinschied – etwas zuzugestehen, das ihm selbst (noch) fehle: »Die Gedanken könnte schließlich ich auch haben, den Sprachstrom hat vielleicht mancher, aber es ist noch etwas dabei, etwas Allerletztes, eine Hingerissenheit des ganzen Menschen.« Und wie Kracauer ihn als »ganz Geist« bezeichnete, so zeigte Rosenzweig seine Bewunderung in verwandter Bildsprache: »[M]an würde sich nicht wundern, wenn er plötzlich aufflöge und nicht mehr da wäre, es gibt keine Kühnheit, die er in solchen Augenblicken nicht wagen könnte, und kein Wort, das in diesem Munde dann nicht wahr wäre.«
Wenige Monate bevor Rosenzweig seine »Hingerissenheit« gegenüber Nobel bekundete, hatte er selbst eines der zentralen religionsphilosophischen Werke der 1920er Jahre mit dem Titel Der Stern der Erlösung vorgelegt. Rosenzweigs eigener suchender Denkweg war alles andere als geradlinig und geprägt von Krisen und Ambivalenzen, die typisch für seine Generation waren. Im Jahr 1913 führten diese dazu, dass er unter dem Einfluss seines Freundes Eugen Rosenstock fast zum protestantischen Christentum konvertiert wäre. In einem wohlhabenden bürgerlichen Milieu seiner Geburtsstadt Kassel aufgewachsen, verfolgte Rosenzweig zunächst eine akademische Karriere, die ihn 1906 zum Studium der Medizin nach Freiburg brachte. Er wechselte dort aber in die Fächer Geschichte und Philosophie und promovierte mit einer ideengeschichtlichen Arbeit über Hegels politische Philosophie bei dem bekannten Historiker Friedrich Meinecke. Der Entstehungsgeschichte des daraus hervorgegangenen Buches Hegel und der Staat ist der Zeitindex selbst eingeschrieben, sie ist Ausdruck der durch die Krise des Ersten Weltkrieges verursachten Standortbestimmung Rosenzweigs. In der nach dem Krieg verfassten Einleitung zu seinem Buch, das zwar bereits vor Kriegsausbruch weitgehend fertiggestellt war, aber erst nach dem Krieg erschien, hielt Rosenzweig fest: »Ein Trümmerfeld bezeichnet den Ort, wo vormals das Reich stand.«14 Über...
| Erscheint lt. Verlag | 28.10.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
| Schlagworte | aktuelles Buch • Altes Testament • Bibelübersetzung • Bücher Neuerscheinung • Das Buch im Anfang • deutsche Übersetzung • deutsch-jüdische Debatte • Die Schrift • Ernst Simon • Franz Rosenzweig • Gershom Scholem • Hebräische Bibel • Juden • Lambert Schneider • Leo Löwenthal • Margarete Susman • Martin Buber • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Siegfried Kracauer • Tanach • tenach • TNK • Verdeutschung der Schrift • Walter Benjamin |
| ISBN-10 | 3-633-78427-6 / 3633784276 |
| ISBN-13 | 978-3-633-78427-1 / 9783633784271 |
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