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Assoziationen (eBook)

Das Erlebnis der Individualität
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
190 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78114-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Assoziationen -  Lambert Wiesing
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Man sieht ein blaues Fahrrad und denkt an den letzten Sommerurlaub zurück: Assoziationserlebnisse wie dieses sind ein alltägliches Phänomen. Aber was sind ihre notwendigen Merkmale? In seiner der Tradition der Phänomenologie verpflichteten Abhandlung bestimmt Lambert Wiesing das Erfahren der eigenen Individualität als intrinsischen Bestandteil einer jeden Assoziation. Einzig durch ungefragt sich einstellende Assoziationen kommt es zu dem Erlebnis, ein spezifisches, einmaliges Individuum in der Welt zu sein. Nicht die Individuen machen die Assoziation, sondern die Assoziationen machen die Individuen.



<p>Lambert Wiesing, geboren 1963, ist Professor für Philosophie und Inhaber des Lehrstuhls für Bildtheorie und Phänomenologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Von 2005 bis 2008 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik. Im Suhrkamp Verlag hat er zuletzt veröffentlicht: <em>Luxus</em> (2015), <em>Das Mich der Wahrnehmung. Eine Autopsie</em> (stw 2171) und <em>Ich für mich. Phänomenologie des Selbstbewusstseins</em> (stw 2314).</p>

7

Vorwort


Bis kurz vor der Fertigstellung trugen die vorläufigen Fassungen dieses Buches den Arbeitstitel Lambert für mich. Ich habe mich gegen ihn entschieden – und dennoch muss ich sagen: Er bringt das Anliegen dieses Buches auf den Punkt. Denn davon handelt dieses Buch: Wie erlebe ich mich als das Individuum, das ich bin? Es geht um Selbstbewusstsein, allerdings nicht – wie zumeist in der Philosophie – um das Selbstbewusstsein, dass ich für mich ein Subjekt bin. Das bin ich auch: Ich habe wie jedes Subjekt ein Bewusstsein von der Welt und Selbstbewusstsein von mir in der Welt; ich unterscheide mich dadurch von allem Seienden ohne Bewusstsein. Doch Subjekte sind anonym; nichts bekommt einen Namen, weil es ein Subjekt ist, sondern einzig, weil er oder sie ein Individuum ist. Das ist der Unterschied: Ein Individuum zu sein heißt, einerseits ein Subjekt zu sein, das erlebt, selbstbewusst in der Welt zu sein, aber andererseits auch, wie es ist, in der Welt ein spezifisches, konkretes, unersetzbares Subjekt zu sein – und von dieser Erfahrung, ein besonderes Subjekt und damit ein Individuum zu sein, handelt dieses Buch. Mich interessiert, wie, wann und warum mir bewusst wird, in dieser Welt das Individuum zu sein, das den Namen Lambert trägt.

Gegen den Arbeitstitel hat gesprochen, dass er fälschlich suggeriert, es ginge in diesem Buch nur um das eine Individuum, das ich bin. Doch das ist nicht der Fall; das wäre auch eher das Thema eines Romans. Dort mag ein Autor beschreiben, wie er sich persönlich erlebt. Die Absichten meiner Beschreibungen sind hingegen in einem traditionellen Sinne phänomenologisch: Mein eigenes Sein als Individuum ist für mich nur das exemplarische Sein eines Individuums, an dem ich sehen lassen möchte, wie es für jedes Individuum ist, für sich ein Individuum zu sein. Es ist nun einmal so: Ich erlebe nicht, Claus oder Claudia zu sein. Ich selbst erlebe einzig und allein, wie es ist, das eine individuelle Subjekt zu sein, das Lambert heißt. Dieses private Erlebnis muss herhalten, um an ihm auch für andere die Charakteristika sehen zu lassen, welche für dieses Erlebnis notwendig sind. Einer jeden phänomenologischen Philosophie geht es immer um die erlebte Wirklichkeit als erleb8te Wirklichkeit: So wie eine Phänomenologie der Imagination am Erleben der eigenen Imaginationen die Charakteristika bestimmt, wie ein imaginierter Gegenstand für jemanden bewusst ist, so wie eine Phänomenologie der Wahrnehmung am Erleben der eigenen Wahrnehmung die notwendigen Merkmale bestimmt, wie ein wahrgenommener Gegenstand für jemanden bewusst ist, so muss auch eine Phänomenologie der Individualität denkbar sein, die am eigenen Erlebnis, selbst ein Individuum zu sein, die Charakteristika bestimmt, wie, wann und warum ich mich selbst als Individuum erlebe – also kurz: wie ich für mich ein Individuum bin.

Um gleich einem naheliegenden Missverständnis vorzubeugen: Die Fragen, welche in der Regel in philosophischen Diskussionen über Individualität erörtert werden, spielen in diesem Buch kaum eine Rolle. Es geht weder um die Stellung des Einzelnen in der Gemeinschaft noch um das Verhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung, auch nicht um das Verhältnis von Individuen zu anderen. Einer Phänomenologie der Individualität geht es um ein Erlebnis – und damit nicht um die empirische Frage, warum ein Mensch ein bestimmter Mensch ist. Es gibt viele Gründe, warum jeder Mensch einmalig ist und wie ein Individuum sich von anderen unterscheidet. Hierzu zählen sein einmaliger Körper, seine spezifische Geschichte, sein bestimmtes Dasein zu dieser Zeit an diesem Ort genauso wie seine besonderen Meinungen, Interessen, Erinnerungen und Fähigkeiten. Von diesen Eigenschaften können andere und auch ich selbst wissen. Teilweise lassen sie sich messen. Derartige Möglichkeiten der intentionalen Selbsterkenntnis werden in einer Phänomenologie der Individualität in keiner Weise angezweifelt – das wäre ja auch blanker Unsinn –, aber doch um einen entscheidenden Hinweis ergänzt: Die Frage, was ein Individuum ist, und die Frage, wie ich erlebe, ein Individuum zu sein, dürfen nicht vermischt werden. Ein individuelles Subjekt ist aus der Sicht der Phänomenologie nämlich nicht ein empirisch, geschweige denn biologisch bestimmtes Subjekt, sondern eines mit dem Selbstbewusstsein, in der Welt selbst ein Individuum zu sein. Und diesbezüglich geht die Schere weit auseinander: So viel Beachtung der Frage nach dem individuellen, empirischen Menschen nicht nur in der Philosophie, sondern in den Kulturwissenschaften insgesamt geschenkt wird, so wenig Beachtung fand bisher die phänomenologische Frage nach den Charakteristika, die das private Erlebnis, dass ich für mich ein 9Individuum bin, bestimmen. Doch genau Letzteres soll hier das Thema sein: Welche Merkmale zeichnen – aus der Perspektive der ersten Person Singular – das Erlebnis aus, dass ich für mich ein bestimmtes Subjekt bin? Die Beschreibungen, Überlegungen, historischen Verweise und Exkurse in diesem Buch verfolgen als Ganzes die Absicht, auf diese Frage eine Antwort zu geben und eine These zu verteidigen: Dass ich mich als Individuum erlebe, ist eine Folge der Wirklichkeit meiner Assoziationen!

Zwei eigenständige Erlebnisse werden mit der Begründung in eine Beziehung gesetzt, dass zwischen ihnen ein Korrelationsapriori besteht: Das Erlebnis, ein Individuum zu sein, ist denknotwendig mit dem Erlebnis, Assoziationen zu haben, verbunden – und umgekehrt: Das Erlebnis, Assoziationen zu haben, ist notwendig mit dem Erlebnis verbunden, ein Individuum zu sein. Das heißt: In den Momenten – und zwar: einzig und allein in den Momenten –, in denen ich eine Assoziation erlebe, erlebe ich auch, dass ich für mich ein spezifisches, besonderes Subjekt bin, ohne eigens darauf reflektieren zu müssen. Jedes intentionale Bewusstsein von etwas – etwas sehen, etwas wollen oder etwas lieben – ist notwendig mit dem präreflexiven Bewusstsein verbunden, dass sich ein Subjekt bewusst wird, selbst dieses Bewusstsein von etwas zu haben. Hierzu bedarf es keiner reflexiven Selbstthematisierung: Das Selbstbewusstsein, ein Subjekt zu sein, ist präreflexiv und – nicht nur im Fall von Assoziationen – immer mitgegeben. Doch das macht die Individualität für die Philosophie des Selbstbewusstseins so relevant und die Fokussierung auf das reine Subjekt so unverständlich. Es gibt beides: sowohl Subjektselbstbewusstsein als auch Individuumselbstbewusstsein. Ich erlebe mich eben nicht nur als ein Subjekt, das erleben kann, in der Welt zu sein, sondern auch als ein ausgezeichnetes Individuum in der Welt – dies allerdings nur in den Momenten der Assoziation. Ohne Assoziationen könnte ich zwar durch Reflexion auf mich erkennen, dass ich einzigartig bin; ich würde es aber nicht präreflexiv erleben. Denn anders als das präreflexive Selbstbewusstsein, ein Subjekt zu sein, ist das präreflexive Selbstbewusstsein, ein bestimmtes Individuum zu sein, temporär an das Erleben von Assoziationen gebunden.

Im Vorgarten steht ein kitschiger Gartenzwerg; ich sehe ihn; ohne irgendein Zutun muss ich mich schlagartig an meinen alten Onkel Rudi erinnern. Der Anblick einer Sache zwingt mich, an etwas den10ken zu müssen. Das passiert ständig: Durch das Denken an etwas wird ungewollt das Denken an etwas anderes geweckt. Wer eine Assoziation erlebt, dem widerfährt, dass er sich an etwas erinnern oder dass er sich etwas vorstellen muss. Assoziationen sind das Erlebnis, dass sich von selbst Gedanken einstellen, weil zuvor an etwas gedacht worden ist – und dieses Weil in einer Assoziation stellt die phänomenologische Herausforderung dar; hier verbindet sich das Erlebnis, ein Individuum zu sein, mit dem Erlebnis einer Assoziation. Etwas ohne Zutun denken zu müssen, ist ein Einfall. Doch in Assoziationen wird ein Weil erlebt: Erst wenn erlebt wird, dass ich, weil ich den Gartenzwerg sah, an Onkel Rudi denken muss, ist diese Gedankenabfolge eine Assoziation. In dieser erlebe ich, dass ich das konkrete Ich bin, das das, was ich erlebe, erleben kann, weil ich das konkrete Subjekt bin, das ich bin: eben weil ich zum Beispiel ein Subjekt bin, das Onkel Rudi und seine Gartenzwerge kennt. Reine Subjekte, ohne individuelle Geschichte, Ansichten, Interessen und Hoffnungen, können nicht assoziieren, und deshalb bin ich für mich kein reines Subjekt: Ich erlebe Assoziationen.

Wie alle phänomenologischen Beschreibungen sind auch die...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte aktuelles Buch • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • Bücher Neuerscheinung • Individualität • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Phänomenologie • Philosophie • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • STW 2457 • STW2457 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2457 • Thüringer Forschungspreis 2018 • Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung 2015
ISBN-10 3-518-78114-6 / 3518781146
ISBN-13 978-3-518-78114-2 / 9783518781142
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