Ziegel, Strom und Strömung (eBook)
172 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-2626-1 (ISBN)
Hermann Kleinebenne wurde 1947 in Spenge, Kreis Herford, geboren. Er studierte an der Wilhelms-Universität Münster Englisch, Geographie und Sport und war ab 1976 als Lehrer am Städtischen Gymnasium Petershagen tätig. 2012 wurde er als Studiendirektor und Stufenleiter in den Ruhestand verabschiedet. Im Rahmen seiner Ausbildung zum Reserveoffizier der Infanterie stand er ab 1975 in Führungsverwendungen als Kompaniechef, Bataillons- und Regimentskommandeur in der 1. und 7. Panzerdivision und der Streitkräftebasis. 2007 wurde er auf der Bonner Hardthöhe als Oberst der Reserve durch den Inspekteur des Heeres verabschiedet. Seit 1989 recherchierte er zur Unterhaltung von Arbeitslagern in den Weserdörfern Lahde und Petershagen ab 1936, zu den Gefechten um die alliierten Brückenköpfe an der Mittelweser im Frühjahr 1945 und zur Geschichte der UNRRA-Lager für "Displaced Persons" in der Region bis 1949. Seit 2014 ist er ehrenamtlich auf Kreis- und Bezirksebene für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge tätig.
Vorwort
Zur Regulierung der Mittelweser. Stromerzeugung und Ziegelproduktion. Gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen der Reichsregierung nach 1933. Die geologischen Bedingungen in der Wesertalung zwischen Petershagen und Lahde. Wirtschaftliche Nutzung des Rohstoffes Tonschiefer in Petershagen-Heisterholz. Raumplanerische Zielsetzungen der Bezirksregierung Minden. Eingriffe in das Gewässernetz. Arbeitskräfte und Arbeitslager. Recherche und Ergebnissicherung. Übergang zum lagerarchäologischen Denkansatz. Wissenschaftlicher Standard.
Ab 1933 vollzog sich angesichts der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung des Deutschen Reiches ein radikaler Übergang von einer parlamentarischen Demokratie zu einer zentralistischen und nach dem Führerprinzip ausgerichteten Diktatur.
Die Reichsregierung verfolgte nach der Übernahme der politischen Macht zügig eine Anzahl von priorisierten nationalen Projekten zur Verstärkung der deutschen Gesamtwirtschaft, die angesichts der Zielsetzung eines wirtschaftlich günstigen Transports von Rohstoffen und einer Stromerzeugung aus Kohle und Gewässerkraft auch die Mittelweserregion betrafen und erhebliche Anteile wasserbaulicher Maßnahmen enthalten sollten.
Entsprechend dem Titel dieser Dokumentation wurden ab Mitte der dreißiger Jahre die Ziegelproduktion in Petershagen-Heisterholz, die Stromerzeugung in Lahde und das Strömungsverhalten der Mittelweser zu bestimmenden Parametern für die überregionalen Wirtschafts- und Rüstungsaktivitäten im Reichsgebiet.
Die 1934 unter der Leitung der Reichswirtschaftskammer gegründete „Organisation der gewerblichen Wirtschaft“ umfasste unter anderem die Bereiche Industrie, Energiewirtschaft1, Handel und Handwerk. In den folgenden Jahren wurde der staatliche Einfluss auf die deutsche Rüstungswirtschaft bewusst verschleiert.
An der Mittelweser hatten die Preußen Elektra AG (PREAG) mit Hauptsitz in Berlin und die Ziegelei Schütte AG in Petershagen-Heisterholz2 im Laufe ihrer Unternehmensgeschichte beachtliche wirtschaftliche Leistungen erbracht, die vor allem der PREAG während des Krieges und in der Nachkriegsphase einen immensen Bedeutungszuwachs verschaffen sollten.
Ab 1938 erforderten die laufenden Wirtschaftsprojekte an der Mittelweser unterstrom von Minden die Unterhaltung von ausreichend dimensionierten Arbeitslagern, die bis dahin weitgehend den Standards des 1935 durch Gesetz gegründeten Reichsarbeitsdienstes (RAD) entsprachen.
Für die Erschließungs- und Baumaßnahmen der Betriebe waren die Geländebedingungen, insbesondere die Hydrologie des Bauuntergrundes jeweils sorgfältig zu bewerten.
Bis zum Kriegsbeginn waren der Betrieb und die Unterhaltung der Arbeitslager in die Zuständigkeit der Unternehmen als Träger der Einrichtungen gefallen. Der Entwurf von genormten Unterkünften und Funktionsbaracken hatte ab 1931 in der Zuständigkeit des aufwachsenden RAD gelegen. Durch den Bau des „Westwalls“ im Jahre 1938 war der Betrieb von RAD-Lagern erheblich forciert worden.
Ab 1.9.1939 wurden die Richtlinien des RAD über den Betrieb von Arbeitslagern durch militärische Dienstanweisungen über den Raumbedarf, den Bau und die Einrichtung von Kriegsgefangenenlagern sowie über behelfsmäßiges Bauen im Kriege überlagert. Anschließend wurden die Errichtung und der Betrieb von Arbeitslagern einschließlich der einheitlichen Inventarisierung der Unterkünfte nachweislich und bis ins Detail auf eine Anzahl von Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern ausgedehnt.
Abb. 2: Skizze. Geologie des Wiehengebirgsvorlandes. Für den Betrieb von Wirtschaftsunternehmen und Arbeitslagern an der Mittelweser nördlich des Wasserstraßenkreuzes Minden waren die geologischen Bedingungen, die Beschaffenheit des Bodenuntergrundes und damit verbunden die Ergiebigkeit der Grundwasservorkommen seit der Industrialisierung von entscheidender Bedeutung. Die Wesertalung im Vorland von Wiehen- und Wesergebirge wurde durch die abfließenden Wassermassen der Elster- und Saaleeiszeit geformt. Zwischen den Steilufern bei Petershagen und Quetzen entstanden als besonders ausgeprägte Formen die Canyons der Heisterholzer und Petershagener Rinne (H, P), die bis in die heutige Zeit mit Kies, Sand und tonigen Ablagerungen ausgefüllt wurden. Abseits der Steilufer blieben die Tonsteinschichten des Erdmittelalters mit der darüber liegenden lehmig-tonigen Grundmoräne aus der Eiszeit erhalten und bildeten den Rohstoff für den Betrieb zahlreicher Ziegeleien. (AHK)
Mit der Feststellung des Kriegszustandes traten die Bestimmungen des Reichsleistungsgesetzes in Kraft. Damit war die Reichsregierung in der Lage, zivile Haushalte, Unternehmen und Formationen der Wehrorganisation zur Erbringung von sachlichen Leistungen für eine Nutzung kriegsbedeutender Einrichtungen zu verpflichten.3
Angesichts der Einberufung von Tausenden männlicher Arbeitskräfte zur Wehrmacht waren die fehlenden Arbeitsplätze auf den Baustellen der Großprojekte zwischen dem Wasserstraßenkreuz Minden und Bremen und in der Landwirtschaft möglichst zeitnah durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu ersetzen.
In den Tagebauen der Ziegeleistandorte nördlich von Minden standen schon seit der Industrialisierung zwei alternative Rohstoffe zur Verfügung. In den Betrieben wurden entweder die rostfarbenen Tonschiefer über den Kreideformationen des Erdmittelalters oder die Marschtone in den Lagerstätten der durch eiszeitliches Schmelzwasser vertieften „Heisterholz-Rinne" gefördert und als Dach- und Mauerziegel vermarktet.4
In den Jahrzehnten vor der industriellen Produktion von Ziegelsteinen war die manuelle oder halbautomatische Herstellung von Mauerziegeln an der Mittelweser in landwirtschaftlichen Anwesen oder örtlichen Kleinbetrieben erfolgt.
Seit 1914 hatte die Ziegelei Schütte AG am Westufer der Weser in Petershagen-Heisterholz einen erheblichen Bedeutungszuwachs verzeichnet.
1931 entwickelte der Mitarbeiter der Schütte AG Dr. Theodor Schumann in zahlreichen Laborversuchen die bahnbrechende Produktionstechnik der so bezeichneten „terra sigillata" aus Heisterholzer Ton.5
Mitte der dreißiger Jahre setzte nach intensiver Forschungsarbeit die Produktion des glasierten und haltbaren Heisterholzer „Röfa"-Dachziegels ein.
Im Kriegsjahr 1943 produzierte die Ziegelei bereits jährlich 15 Millionen Ziegelsteine, fast ausschließlich Dachziegel.
Im Gegensatz dazu sollte in den vierziger Jahren ostwärts der Weser am künftigen Kraftwerkstandort in Lahde Steinkohle verstromt werden. Die Preußische Elektrizitäts-AG (PREAG) hatte sich seit 1927 zu einem Energieversorgungsunternehmen von nationaler Bedeutung entwickelt. Ab 1934 hatte sie im Auftrage der Reichsregierung im Rahmen der Mittelweserregulierung den Bau eines Stauwehrs mit Laufwasserkraftwerk und Schleusenkanal bis 1939 vorangetrieben.6 Nach intensiver Beratung über den Verlauf einer künftigen „West“-, „Mittel"- und „Ostlinie" für den Schleusenkanal zwischen Lahde und Windheim hatte sich nach Auffassung der Bezirksregierung Minden die „Westlinie" aus schifffahrtstechnischer Sicht als insgesamt optimale Lösung herausgestellt.7
Der Betrieb auf den Baustellen im Verlaufe des Schleusenkanals zwischen Lahde-Süd und Döhren wurde seit 1936 durch das Management der Unternehmen Preußische Elektrizitäts-AG (PREAG) und Polensky & Zöllner (P & Z) geprägt.
Die Verlegung der Aue in Lahde, die Verbreiterung der Weser im Lahder Staubereich, der Aushub des Kanalbetts bis zur geplanten Schleuse Windheim und die damit verbundenen Aufschüttungen in Lahde, Petershagen und Windheim veränderten das Gesicht der betroffenen Gemarkungen und sind bis in die Gegenwart sichtbar.
Der Betrieb der Schaufelradbagger und Feldbahnen des Unternehmens Polensky & Zöllner hatte bis 1939 das Gesicht der Landschaft im Verlaufe von Weser und Landesstraße 559 zwischen Lahde und Windheim geprägt. Der Feldbahntransport der Sandmassen aus der Mittelwesertalung im Verlaufe der Landesstraße 559 zwischen Leteln und Leese war auf die Baustelle des Betriebsstofflagers der Luftwaffe in der Loccumer Heide ausgedehnt worden.
Wie die Reichsregierung hatten auch Unternehmen wie PREAG und Schütte AG im Vorfeld des 2. Weltkriegs die wirtschaftsstrategische Bedeutung und Standortgunst ihrer Betriebe in der Nähe des Wasserstraßenkreuzes Minden an der Mittelweser erkannt.
Bereits im Jahre 1942 verlegte die PRE-AG anlässlich eines bevorstehenden Neubaus für ein Kohlekraftwerk in Lahde ihre Bauverwaltung von Minden in ein Barackenensemble am Standort Kaiserkuhle in Lahde-Nord.
Die Tonindustrie Heisterholz hatte nach dem 1. Weltkrieg angesichts der auslaufenden Ausbeutung der Marschtongruben8 in der Nettelbeck mit der Ausschürfung von Tonschiefervorkommen am westlichen Steilufer der Wesertalung begonnen.
Auf der Basis eines geologischen Fachgutachtens über „das Tonvorkommen in Heisterholz südlich Petershagen" wurde im November 1942 ein Vertrag zwischen der Schütte AG Heisterholz und dem Regierungsforstamt Minden...
| Erscheint lt. Verlag | 29.11.2022 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
| ISBN-10 | 3-7568-2626-0 / 3756826260 |
| ISBN-13 | 978-3-7568-2626-1 / 9783756826261 |
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