Requiem für ein Kind (eBook)
492 Seiten
Dittrich Verlag
978-3-947373-74-1 (ISBN)
Joseph Groben, geboren 1935 in Eppeldorf, Luxembourg, Studium der Germanistik (Wien), und Romanistik (Paris, Sorbonne). Oberstudienrat am Lycée des garçons, Luxembourg; Professor am Centre Universitaire de Luxembourg bis 1999. Zahlreiche literaturwissenschaftliche und historische Artikel. Von 1974 bis 2011 Hauptverantwortlicher des von ihm gegründeten Kammerorchesters ?Les musiciens?, Luxembourg.
Joseph Groben, geboren 1935 in Eppeldorf, Luxembourg, Studium der Germanistik (Wien), und Romanistik (Paris, Sorbonne). Oberstudienrat am Lycée des garçons, Luxembourg; Professor am Centre Universitaire de Luxembourg bis 1999. Zahlreiche literaturwissenschaftliche und historische Artikel. Von 1974 bis 2011 Hauptverantwortlicher des von ihm gegründeten Kammerorchesters ›Les musiciens‹, Luxembourg.
Einleitung S. 9
Marcus Tullius Cicero: S. 39
Jan und Dorota Kochanowski: S. 47
René Descartes und Hijlena Jans: S. 59
Ludwig XIV.: S. 65
Peter der Große und Eudoxia S. 73
Michael und Maria Magdalena Haydn: S. 83
André-Ernest-Modeste und Jeanne-Marie Grétry: S. 91
Johann Wolfgang Goethe: S. 103
Klemens und Eleonore von Metternich: S. 115
Alessandro und Enrichetta Manzoni: S. 125
Joseph und Luise von Eichendorff: S. 137
Friedrich und Anna Luise Rückert: S. 147
Alphonse und Mary-Ann de Lamartine: S. 163
Victor und Adèle Hugo: S. 179
Hector Berlioz: S. 195
Franz Liszt und Marie d'Agoult: S. 203
Robert und Clara Schumann: S. 215
Charles und Catherine Dickens: S. 231
Giuseppe und Margherita Verdi: S. 239
Theodor Storm: S. 249
Karl und Jenny Marx: S. 261
Fjodor und Anna Dostojewski: S. 271
Louis und Marie Pasteur: S. 281
Bedřich und Katharina Smetana: S. 289
Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth: S. 295
Antonin und Anna Dvořak: S. 305
Stéphane und Maria Christina Mallarmé: S. 311
Leoš und Zdenka Janáček: S. 323
Sigmund und Martha Freud: S. 333
Gustav und Alma Mahler: S. 341
Arthur und Olga Schnitzler: S. 353
Rabindranath Tagore: S. 363
Käthe und Kollwitz: S. 373
Else Lasker-Schüler: S. 385
Hugo und Gertrud von Hofmannsthal: S. 395
Thomas und Katja Mann: S. 407
Alma Mahler und Walter Gropius: S. 419
Ernst und Gretha Jünger: S. 435
Stefan und Dorothee Andres: S. 445
Mascha Kaléko und Chemjo Vinaver: S. 457
Joe Biden: S. 467
Abbildungsverzeichnis mit Quellennachweis: S. 483
Danksagung: S. 490
EINLEITUNG
Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
die von nichts wissen, wachsen auf und sterben.
Hugo von Hofmannsthal
Dass wir alle sterben werden, dass unsere Existenz also nur ein »Da-Sein zum Tode« (Heidegger) ist, das ist die einzige Gewissheit, die das Leben uns beschert. Diese banale Wahrheit wird tagtäglich so tausendfach bestätigt, dass wir ihr kaum noch Beachtung schenken oder sie aber mit allen Mitteln aus unserem Bewusstsein zu verdrängen suchen. Dabei sterben bei weitem nicht alle wie in Deutschland im statistischen Durchschnittsalter von 78,9 Jahren für den Mann und 83,6 Jahren für die Frau (Statistisches Bundesamt, 2020). In Afrika und Asien wird wesentlich jünger gestorben.
Ein alter Spruch besagt, dass jeder Mensch, sobald er geboren ist, schon alt genug zum Sterben ist. Aber der frühzeitige Tod – »mors immatura«, »der unreife Tod«, wie die Römer sagten – wurde immer als besonders schmerzlich empfunden. Indem er die natürliche Ordnung umkehrt, zwingt er die Eltern, ihre eigenen Kinder zu begraben. Nichts ist tragischer als die Unterbrechung der Generationenkette, das Auslöschen der Zukunftsperspektiven.
Dank besserer Gesundheitssysteme, Impfungen, besserer Ernährung und Trinkwasserversorgung geht die weltweite Kindersterblichkeit glücklicherweise konsequent zurück. Laut einer aktuellen Schätzung der Vereinten Nationen (UNICEF, WHO) hat sie sich in den letzten 30 Jahren mehr als halbiert, d.h. von 12,5 Millionen Kindern unter fünf Jahren (1990) auf 5,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren (2019). Immerhin sterben weltweit täglich noch rund 14.000 Kinder in dieser Altersstufe. Hinter dieser Zahl von Verlusten verbirgt sich ein unvorstellbarer Abgrund menschlicher Tragödien, den der UNICEF-Bericht von 2001 treffend zum Ausdruck gebracht hat: »The true scale of the children injury tragedy should be gauged by its depth and its breadth – by asking not only how many families are affected but also how severely. And in this case the multiplier – the depth of grief and anguish involved in the death of a child – is beyond all measuring.« Der Schmerz über den Verlust eines Kindes übersteigt jegliches Maß.
»Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen, die von nichts wissen, wachsen auf und sterben« – der unfassbar heimliche Übergang vom ahnungslosen Wachstum zum jähen Sterben kann nicht prägnanter zum Ausdruck kommen als in den bekannten Versen Hugo von Hofmannsthals. Unwissenheit und Unschuld sind die Eigenschaften, die man den Kindern in den meisten Kulturkreisen seit jeher zuschreibt. Sie haben sich nicht gegen göttliche oder menschliche Gesetze verfehlt oder »versündigt« und kehren makellos zum Ursprung zurück. Für die Kindergräber hat die Antike den schönen Spruch gefunden: »Die Erde sei dir leicht!«, da auch die Frühverstorbenen die Erde nicht belastet haben, weder durch ihr Gewicht noch durch ihre Taten.
Niobe beweint ihre Kinder.
Für die überlebenden Eltern indes bricht eine Welt zusammen. Der Mythos der Niobe illustriert es greifbar: Nach dem jähen Tod ihrer Kinder ist die Mutter so untröstlich, dass der Schmerz sie zu Stein erstarren lässt. Der geduldige Hiob akzeptiert den Tod seiner 50 Söhne und Töchter mit dem berühmten Satz: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat es genommen.« Aber Hiob ist nur die paradigmatische Figur eines Lehrgedichts, kein Mensch aus Fleisch und Blut. Rachel beweint ihre Kinder, König Davids Klagerufe über den Tod des aufrührerischen Sohnes Absalom – »Absalom, Absalom, mein Sohn, o wäre ich doch an deiner Stelle gestorben!« – hallen durch den Palast und zeigen uns den biblischen Menschen in seinem ganz unheroischen Trauerschmerz. Maria gilt als die »Mater dolorosa«, als die schmerzensreiche Mutter schlechthin. Wie sie unter dem Kreuz steht oder den Leichnam ihres Sohnes auf ihren Knien trägt, das hat die abendländische Kunst zu zahllosen »Stabat mater«- und »Pietà«-Darstellungen inspiriert. Und nicht selten wird auf diese fast archetypischen Situationen unaussprechlichen Leides die Klage des Propheten Jeremias angewandt: »O vos omnes qui tansitis, animadvertite et videte, si quis dolor similis est dolori meo« (»O ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut doch und seht, ob ein Schmerz meinem Schmerze ähnlich ist«). Gerade die Erfahrung des Leides erklärt, warum man Maria seit jeher als Trösterin in allen leidvollen Lagen anruft, warum der Marienkult so tiefe Wurzeln im Volk schlagen konnte.
Die zahlreichen Zeugnisse der Vergangenheit lassen vermuten, dass seit jeher der Verlust eines Kindes als das schlimmste Unglück empfunden wurde, das Eltern widerfahren kann. Das scheint eine anthropologische Konstante zu sein. Noch einen Schritt weiter geht die französische Psychologin Ginette Raimbault, indem sie behauptet: »Der Schmerz über den Verlust eines Kindes ist in einer Epoche so intensiv wie in der andern.« Vielleicht drängt sich dennoch eine differenziertere Beurteilung auf, die den historischen Umständen Rechnung trägt.
Altertum
In fast allen Gesellschaften des Altertums hat das Kindersterben stumme, aber deutliche Zeugnisse hinterlassen.
Ramses II. (1303–1213 v. Chr.), der bedeutendste der ägyptischen Pharaonen, hat über die Hälfte seiner 110 Kinder begraben müssen. Um das Andenken seiner verstorbenen Söhne zu ehren, genauer »um ihr ewiges Leben zu sichern«, ließ der trauernde Pharao das umfangreichste Mausoleum des »Königstals« erbauen. Die Entdeckung dieses wahrhaften Labyrinths von über 100 Kammern durch Kent Weeks im Jahre 1995 gilt als eine der archäologischen Sensationen des 20. Jahrhunderts. Ramses überlebte zwölf »Kronprinzen«, erst der 13. Dauphin lebte lange genug, um die Nachfolge seines Vaters anzutreten. Ramses II. hat 67 Jahre lang regiert.
Die archäologischen Untersuchungen der altgriechischen Gräber belegen eine hohe Kindersterblichkeit; die meisten Kinder starben, bevor sie das dritte Lebensjahr vollendet hatten. Die Häufigkeit der Verluste und der Schwangerschaften hat vermutlich eine allzu starke Bindung der Eltern an die Kleinkinder verhindert. Aber die Gräber, die Grabstelen, die Beigaben (Statuetten, Keramiksaugfläschchen, Spielzeug, Puppen) sowie die attischen Inschriften zwischen dem 8. und 6. vorchristlichen Jahrhundert offenbaren teilweise eine tiefere Trauer bei Kindern als bei manchen Erwachsenen. Grundsätzlich war Trauer bei einem Kindertod eine pietätvolle Verpflichtung. Der athenische Redner Aischines (390–314) warf seinem Gegner Demosthenes (384–322) vor, diese Pflicht verletzt zu haben, weil er bereits sieben Tage nach dem Tod seiner Tochter die Trauerkleidung abgelegt hatte. Das galt als ein schlimmer Verstoß gegen eine religiöse Verpflichtung.
Der römische König Numa Pompilius (715–672), dem man die Vorschriften der religiösen Einrichtungen zuschreibt, begrenzte streng die Trauerdauer der Eltern. Gemäß Plutarch (Numa 12,3) soll er sogar die Trauer für ein Kind unter drei Jahren verboten haben. Jenseits dieses Alters durften die Eltern so viele Monate Trauer tragen, wie das Kind dieses Alter überschritten hatte, bei einem Maximum von zehn Monaten. Bis zum Alter von 40 Tagen, also bis zu den ersten Zähnen des Milchgebisses, wurden die Kinder nicht eingeäschert, aber sie wurden in einer Nische in der Hauswand begraben (Plinius nat., 7,72, Juvenal 139–140 »terra clauditur infans«).
Im 1. Jahrhundert vor Christus beruft sich Cicero noch auf Numa Pompilius, wenn er sich in seinen »Tusculanae disputationes« gegen jegliche Trauerkundgebung für ein Kind unter drei Jahren ausspricht. Aber diese stoische Haltung war weder repräsentativ für alle römischen Jahrhunderte noch für alle Eltern, nicht einmal für ihn selbst. Beim Tod seiner einzigen Tochter Tullia fiel er auf durch übermäßige öffentliche Schmerzensäußerungen, die von vielen Zeitgenossen als übertrieben kritisiert wurden.
Kaiser Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) wurde zutiefst getroffen durch den Tod von vier jungen Männern, die alle als Thronnachfolger galten: zuerst Marcellus (23. v. Chr.), der Sohn seiner Schwester Octavia, dann seine beiden Neffen Lucius Caesar und Caius Caesar, die Söhne seiner einzigen Tochter Julia, die in einem Abstand von zwei Jahren 2 und 4 nach Chr. dahinstarben. Zahlreiche Trauerdenkmäler, die an vielen Orten des Kaiserreichs errichtet wurden, zeugen von einem wahren Gedächtniskult und dass die römischen Städte an der tiefen Trauer des Kaisers Anteil nahmen, u.a. ein Traueraltar in Reims, ein Traueraltar in Trier, die berühmte »Maison carrée« in Nîmes, ein Tempel zu Ehren der beiden Brüder. Anlässlich des Todes von Drusus Nero, dem Schwiegersohn des Kaisers, schrieb Ovid eine lange »Consolatio«, eine Gattung, die auch von Seneca gepflegt wurde. In seiner »Consolatio ad Marciam« erwähnt er auch die...
| Erscheint lt. Verlag | 18.10.2021 |
|---|---|
| Verlagsort | Weilerswist |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
| Schlagworte | berühmte Persönlichkeiten • Eltern • Europäische Kulturgeschichte • Fürsten • Kindertot • Komponisten • Politiker • Schicksalsschlag • Schriftsteller • Trauer • Trost • Unglück • Verlust |
| ISBN-10 | 3-947373-74-0 / 3947373740 |
| ISBN-13 | 978-3-947373-74-1 / 9783947373741 |
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