Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Die Geburt der Philosophie im Garten der Lüste (eBook)

Michel Foucaults Archäologie des platonischen Eros

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
224 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75063-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Geburt der Philosophie im Garten der Lüste - Wilhelm Schmid
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
(CHF 14,65)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Die Liebe, das Verlangen, die Lüste - kaum etwas hat die Menschen, quer durch die Zeiten, mehr fasziniert als der Eros. Aber mit der angenehmen erotischen Erfahrung gehen seit jeher unangenehme Irritationen einher. Wie lassen sich die überbordenden Lüste mäßigen? Was ist der richtige Umgang mit den Lüsten? Denn die am erotischen Spiel Beteiligten laufen Gefahr, zu Sklaven der Lust zu werden. Oder sie werden um der Lust willen nur 'benutzt', verletzt, entwürdigt.

In der Antike kümmerte sich die Philosophie um solche Fragestellungen, die der modernen Philosophie keiner Beachtung mehr würdig zu sein scheinen - ohne daß man sage könnte, die entsprechenden Erfahrungen seien modernen Menschen fremd. Wer Erotik und Asketik wieder zum Gegenstand einer bewußten Lebensführung machen will, kann sich inspirieren lassen von der antiken Philosophie, für die der richtige Umgang mit den Lüsten ganz selbstverständlich ein grundlegender Bestandteil der Lebenskunst war.

Wilhelm Schmid, einem breiten Publikum bekannt geworden durch sein Buch 'Philosophie der Lebenskunst', skizziert die antike Landschaft der Lüste, in deren Umfeld die Philosophie überhaupt erst 'geboren' worden ist. Er folgt dabei überlegungen des französischen Philosophen Michel Foucault (1926-1984) und interpretiert das wichtigste Werk der antiken Philosophie des Eros, Platons Symposion, neu. Denn hier wird ein Denken entfaltet, das große Bedeutung für die abendländische Kultur gewinnen sollte: Entgöttlichung des Eros und seine Anbindung an das Subjekt, das für ihn Verantwortung trägt; Umwendung der Macht der Lust in das Verlangen nach Wahrheit; Orientierung des Lebens an der Idee der Schönheit, die zum Leitstern für die philosophische Lebenskunst wird.



Wilhelm Schmid, geboren 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin. Umfangreiche Vortragstätigkeit im In- und Ausland. Viele Jahre lehrte er Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Zusätzlich war er tätig als Gastdozent in Lettland und Georgien sowie als philosophischer Seelsorger an einem Krankenhaus in der Schweiz. 2012 wurde ihm der deutsche Meckatzer-Philosophie-Preis für besondere Verdienste bei der Vermittlung von Philosophie verliehen, 2013 der schweizerische Egnér-Preis für sein Werk zur Lebenskunst.

Wilhelm Schmid, geb. 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Viele Jahre lang war er als Gastdozent in Riga/Lettland und Tiflis/Georgien, sowie als »philosophischer Seelsorger« an einem Krankenhaus bei Zürich/Schweiz tätig. Umfangreiche Vortragstätigkeit, seit 2010 auch in China und Südkorea. 2012 wurde er mit dem Meckatzer-Philosophie-Preis und 2013 mit dem Egnér-Preis ausgezeichnet.

Ars erotica und Scientia sexualis


Bereits 1969 hatte Foucault angekündigt, eine Geschichte der Sexualität schreiben zu wollen. In seinem Buch »Archäologie des Wissens«, das zu diesem Zeitpunkt erschien und in welchem er es unternahm, nach einer Serie historiographischer Arbeiten das angewandte Instrumentarium theoretisch zuzuspitzen und auf den Begriff zu bringen, nannte er als mögliche Nutzanwendung seiner neuentwickelten archäologischen Methode »eine archäologische Beschreibung der ›Sexualität‹«.1 Ein Jahr später, als er am 2. Dezember 1970 die Inauguralvorlesung am Collège de France hielt (er hatte sich in einer Kandidatur um den Lehrstuhl für Geschichte der Denksysteme gegen Paul Ricœur durchgesetzt),2 sprach er von einer möglichen Arbeit über den »Diskurs der Sexualität«.3 Während er zu diesem Zeitpunkt noch vor allem eine Untersuchung der Verbote, die diesen Diskurs treffen, leisten wollte, bekannte er nach Veröffentlichung seines Buches »Überwachen und Strafen« 1975, daß er diese Konzeption nun »sehr gern über Bord werfen würde«,4 und schockierte sein Publikum mit der Veröffentlichung des ersten Bandes einer »Histoire de la sexualité « unter dem Titel »Der Wille zum Wissen« (La volonté de savoir).

Hatte die politisch-kulturelle Bewegung der sechziger Jahre im Rahmen ihres Programms einer Umkehrung der Werte vor allem die sexuelle Befreiung gegen die vermeintliche Repression der bürgerlichen Gesellschaft gewandt, so ging Foucault nun dazu über, nach einer Phase der bloßen Setzung von Gegenwerten die Frage nach den Werten differenzierter zu betrachten. Vehikel war ihm dabei die Untersuchung der Sexualmoral und sexuellen Praktiken der modernen abendländischen Zivilisation; sie erbrachte die Erschütterung der in der Maibewegung lange mit Überzeugung gehüteten »Repressionshypothese«, wie Foucault sie nun nannte.5 War man lange davon ausgegangen, daß die Sexualität in den modernen bürgerlichen Gesellschaften unterdrückt worden sei und befreit werden müsse, so ging Foucault einen Schritt weiter zurück: »Lange Zeit haben gewisse Leute sich vorgestellt, daß die Strenge der sexuellen Codes in der Form, in der wir sie kannten, unerläßlich sei für die ›kapitalistisch‹ genannten Gesellschaften. Aber die Aufhebung der Codes und der Zerfall der Verbote vollzogen sich zweifellos leichter, als man geglaubt hatte (was recht gut anzuzeigen scheint, daß ihre Daseinsberechtigung nicht die war, an die man glaubte), und das Problem einer Ethik als Form, die man seinem Verhalten und seinem Leben gibt, hat sich von neuem gestellt.«6

Keineswegs leugnet Foucault dabei das Phänomen einer Repression der Sexualität, er kommt aber zu dem Schluß, daß zu ihrer Technik selbst noch jener »Wille zum Wissen« gehört, der nicht vor dem Tabu halt gemacht, vielmehr »eifrigst« sich bemüht hat, eine Wissenschaft der Sexualität, eine Scientia sexualis zu konstituieren.7 Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches »Der Wille zum Wissen« stellt Foucault klar, daß es ihm nicht darum gegangen sei, eine »Geschichte der sexuellen Verhaltensweisen in den abendländischen Gesellschaften« zu schreiben, sondern die Frage zu behandeln, »wie sind diese Verhaltensweisen zu Wissensobjekten geworden? Auf welchen Wegen und aus welchen Gründen hat sich der Erkenntnisbereich organisiert, den man mit dem relativ neuen Wort ›Sexualität‹ umschreibt? Es handelt sich hier um das Werden eines Wissens, das wir an seiner Wurzel fassen möchten.«8

Unter das Programm einer Repression fällt für Foucault die Forderung, »alles zu sagen« über die Dinge der Sexualität. Er beobachtet geradezu eine »diskursive Gärung« in diesem Bereich, die sich seit dem 18. Jahrhundert beschleunigt hat.9 Die Quellen, auf die er sich stützt, sind einerseits Katechismen für Beichtväter und Beichtende, andererseits »skandalöse« Literatur wie die Werke de Sades, schließlich wissenschaftlich-analytische Texte sowie Texte verwaltungstechnischer bzw. juristischer Natur (Polizeiverordnungen, Gerichtsprotokolle). Die Anreizung zum Sagen, die hier zum Ausdruck kommt bzw. sich niederschlägt, sowie die neue »Jagd auf die peripheren Sexualitäten«10, die hier dokumentiert ist, legt Zeugnis ab von jener diskursiven Gärung, in der sich die moderne Wissenschaft der Sexualität konstituiert hat.

Der modernen Scientia sexualis stellt Foucault die Ars erotica alter Gesellschaften des Fernen Ostens gegenüber, allen voran China.11 Er will weg von der Erotik de Sades, die »zu einer Disziplinargesellschaft gehört«.12 In der Kunst der Erotik werde Wissen und Wahrheit »aus der Lust selber gezogen, als Erfahrung gesammelt, auf ihre Qualität hin analysiert und in ihren Ausstrahlungen im Körper und in der Seele verfolgt, und dieses kunstvolle Wissen wird unter dem Siegel des Geheimnisses in der Initiation durch einen Meister an jene übertragen, die sich seiner würdig erwiesen haben und die es nun wieder in ihre Lust einströmen lassen, um sie intensiver, stärker, vollkommener zu machen«.13 Das Wissen, das der Erfahrung entnommen wird, wird zurückgewendet auf die Praktik, auf den Umgang mit den Lüsten; die Lust wird gesehen nicht unter dem Kriterium des Erlaubten und Verbotenen, und auch nicht unter Bezug auf ein Nützlichkeitskriterium, sondern im Hinblick auf die ihr innewohnenden Qualitäten und Intensitäten, deren verfeinerte Wahrnehmung und Anwendung. »Auf diese Weise konstituiert sich ein Wissen, das geheim bleiben muß, nicht weil sein Gegenstand irgendeiner Schändlichkeit verdächtig wäre, sondern weil es mit größter Behutsamkeit aufbewahrt werden muß, verlöre es doch, wie die Überlieferung lehrt, bei leichtfertiger Ausbreitung seine Wirksamkeit und Tugendkraft.«14

Der »Kunst der Initiationen«, charakteristisch für eine Ars erotica, ist das Verfahren der Scientia sexualis »streng entgegengesetzt«.15 Deren Zweck ist nicht praktische Unterweisung und Wahrung des Geheimnisses, sondern das Aussagen der Wahrheit, das Alles-Sagen, die Praktik des Geständnisses. In ganz zugespitztem Sinne meint diese Wahrheit die Offenbarung des Verborgenen (a-lēthē), den Blick hinter den Schleier. Der Macht der Lust tritt das Verlangen nach Wahrheit entgegen. Der Wahrung des Geheimnisses steht das Geständnis der Wahrheit gegenüber. »Im Abendland ist der Mensch ein Geständnistier geworden.«16

Frappierend ist jedoch weniger die Praktik, die das Geständnis der Wahrheit zu erzwingen versteht, vielmehr erscheint, was ursprünglich äußerer Zwang war, mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, ja, es wird als ein Akt der Freiheit betrachtet, alles zu sagen und die Wahrheit zu sagen, gemäß einer traditionellen Verknüpfung von Wahrheit und Freiheit. An die Stelle einer Ars erotica ist geradezu eine Art von »Erotik der Wahrheit« getreten17 – die Lust an der Analyse tritt auf als neue Wollust im Ensemble der Lüste, ist aber gegen diese gewendet. Beichte und Psychoanalyse18 erscheinen hier in dasselbe Programm verstrickt: Der Wahrheit nämlich auf die Spur zu kommen, sie zu formulieren, zu therapieren und zu normalisieren. Auf Seiten des Subjekts korrespondiert diesem Ansinnen geradezu ein Verlangen danach, die Wahrheit zu sagen, und die »Wollust, sich interpretiert zu fühlen«.19 Gegen die Alleinherrschaft des Sexus und das Ansinnen, in ihm die Wahrheit aufzufinden und auszusagen, geht es Foucault darum, »andere Formen von Lüsten, Beziehungen, Zusammenleben, Bindungen, Lieben, Intensitäten« zu finden und herzustellen,20 neue Ansätze zu einer Art von Ars erotica. Dem entspricht die Abkehr davon, »ad infinitum das immergleiche Anti-Repressionslied« zu singen, dem doch niemand mehr zuhört.21

Foucaults Untersuchung über den Willen zum Wissen ist weniger ausgewiesene Untersuchung als vielmehr deren Ankündigung, ein, wie er selbst sagte, »Programm-Buch«.22 Das weitere Programm sah noch zum Zeitpunkt des Erscheinens der deutschen Übersetzung 1977 wie folgt aus: Band 2 »Die Geständnisse des Fleisches«, Band 3 »Der Kinderkreuzzug«, Band 4 »Bevölkerung und Rassen«, Band 5 »Die Frau, die Mutter und die Hysterische«, Band 6 »Die Perversen«.23 Das Erstaunen war groß, als Foucault nach einer Pause von acht Jahren ganz anders und neu ansetzte. Nicht nur erschien die Fortsetzung der »Geschichte der Sexualität« wesentlich später, als Foucault selbst vorgesehen hatte, sondern, wie er in einem einleitenden Abschnitt »Modifizierungen« bekannte, unter einer »ganz anderen Form«.24

Vom ursprünglichen Plan war nicht viel übriggeblieben. Die neue Form des Projekts, das Foucault nun präsentierte, sah nurmehr vier Bände vor.

Der ursprünglich zweite Band sollte nun den Abschluß bilden; seine Publikation aus dem Nachlaß steht noch aus, das Manuskript war von Foucault noch abgeschlossen worden.25 Anstelle der übrigen Titel erschienen 1984 gleichzeitig »L’usage des plaisirs« und »Le souci de soi«, so daß die gesamte Reihe sich wie folgt darstellt:

Band 1: Der Wille zum Wissen (La volonté de savoir)

Band 2: Der Gebrauch der Lüste (L’usage des plaisirs)

Band 3: Die Sorge um sich (Le souci de soi)

Band 4: Die Geständnisse des Fleisches (Les aveux de la chair)

Bei der Angabe der Gründe für diesen Umsturz des ursprünglichen Plans gab Foucault sich charakteristisch eigenwillig. Erklärtermaßen war es immer sein Bestreben...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Eros • Foucault • Foucault Michel • Foucault, Michel • Gott • Histoire de la sexualité • L' usage des plaisirs • Meckatzer-Philosophie-Preis 2012 • MICHEL • Plato • Preis der Dr. Margrit Egnér-Stiftung 2013 • ST 3215 • ST3215 • suhrkamp taschenbuch 3215 • Symposium
ISBN-10 3-518-75063-1 / 3518750631
ISBN-13 978-3-518-75063-6 / 9783518750636
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
100 Fragmente des Glücks | Vom Autor der Bestseller »Glück«, …

von Wilhelm Schmid

eBook Download (2025)
Insel Verlag
CHF 11,70
Herrscher und Mensch einer Zeitenwende

von Manfred Hollegger; Markus Gneiß

eBook Download (2025)
Kohlhammer Verlag
CHF 25,35