Geschichte des Urchristentums (eBook)
684 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
978-3-647-99688-2 (ISBN)
Dr. theol. Dietrich-Alex Koch ist Professor em. für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Dr. theol. Dietrich-Alex Koch ist Professor em. für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
ALKIER, ST., Urchristentum. Zur Geschichte und Theologie einer exegetischen Disziplin, BHTh 83, Tübingen 1993; CONZELMANN, Geschichte; DUNN, Beginning; GOPPELT, Die apostolische und nachapostolische Zeit; GRAF, F. W./WIEGANDT, K. (Hg.), Anfänge des Christentums; HYLDAHL, History; LIETZMANN, H., Art. Altchristliche Kirche, RGG2 1, 1927, 241–249; LINDEMANN, A., Art. Urchristentum, RGG4 8, Tübingen 2005, 820–825; LOHSE, E., Das Urchristentum. Ein Rückblick auf die Anfänge, Göttingen 2008; LÜDEMANN, G., Das Urchristentum. Eine kritische Bilanz seiner Erforschung, ARGU 12, Frankfurt/M. 2002; SCHENKE, Urgemeinde; VOUGA, Geschichte; DERS., Art. Urchristentum, TRE 34, 2002, 411–426; WEIZSÄCKER, C., Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche, Freiburg 1886; ZELLER, Entstehung; DERS., Konsolidierung.
1.1 Die Komplexität der Aufgabe
Eine Darstellung der Entstehung und Entwicklung des Urchristentums sieht sich sehr schnell mit dem (Selbst-)Anspruch konfrontiert, nicht nur eine möglichst vollständige Materialdarbietung, sondern darüber hinaus auch eine umfassende Deutung der grundlegenden Epoche des Christentums zu liefern. Und hierfür reicht eine Beschränkung auf die sog. Ereignisgeschichte nicht aus. Wenn es sich beim Urchristentum um eine genuin religiöse Bewegung gehandelt hat, sind deren religiöse Impulse freizulegen, und wenn sich diese religiöse Bewegung schon sehr früh über die von ihr formulierten Glaubens- und Lehrinhalte definierte und Interpretation und Weitergabe dieser Überlieferung zu ihrem Selbstverständnis gehörten, dann ist der gesamte Bereich der zentralen religiösen Vollzüge (Gottesdienst, Taufe, Herrenmahl), aber auch der Theologiebildung (d.h. Christologie, Eschatologie, Anthropologie, Ethik) einzubeziehen. Es müsste sich also um eine Ereignisgeschichte handeln, die zugleich eine Darstellung der Theologiegeschichte, aber auch der Liturgiegeschichte, der Literaturgeschichte und der Sozialgeschichte des Urchristentums umfasst.1 Dies alles müsste außerdem von vornherein in den Gesamthorizont der antiken Welt hineingestellt werden. Es wären also laufend die jüdische und nichtjüdische Welt des östlichen und auch des zentralen Mittelmeerraums zu berücksichtigen, die jeweils genauso ihre Ereignisgeschichte, ihre Religionsgeschichte, ihre Literaturgeschichte und ihre Sozialgeschichte haben. Denn in diesen Kontexten ist das Urchristentum entstanden, und hier hat es seine Identität entwickelt. Eine arbeits- und darstellungsökonomisch praktikable Lösung rückt dann allerdings in weite Ferne.
Deshalb wird in der folgenden Untersuchung die sog. Ereignisgeschichte Leitfaden und Rückgrat der Darstellung sein, um zumindest in diesem Bereich – soweit die Quellenlage es zulässt – eine Gesamtsicht zu erarbeiten.2 Theologiegeschichte, Liturgie-, Literatur-, Sozial- und Religionsgeschichte werden herangezogen, um die Abläufe der Ereignisgeschichte angemessen erklären zu können, doch werden diese Aufgabenbereiche nicht als eigenständige Arbeitsfelder behandelt. Der grundlegenden geschichtlichen Verflechtung des Urchristentums mit der Antike des 1. und 2.Jh. n.Chr. wird jedoch insofern Rechnung getragen, als eine knappe Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der hellenistisch-römischen Welt und des antiken Judentums vorangestellt wird.
1.2 Die Fraglichkeit des Gegenstands
Der Gegenstand einer Geschichte des Urchristentums ist in den letzten Jahrzehnten immer fraglicher geworden. Dies zeigt sich beispielhaft an der Frage der Bezeichnungen.
Der Begriff »Apostolisches Zeitalter« als Bezeichnung für die erste christliche Generation (und der Begriff »Nachapostolisches Zeitalter« dann für die zweite und dritte Generation) wurde lange Zeit relativ selbstverständlich gebraucht, so insbesondere von Carl Weizsäcker (1886), Hans Lietzmann (1927), Leonhard Goppelt (1966) und auch Niels Hyldahl (1997).3
Hans Conzelmann wandte sich 1969 entschieden gegen die Verwendung des Begriffs eines »apostolischen Zeitalters«, weil dieser sich einem bestimmten Geschichtsbild verdanke, aber nicht der geschichtlichen Wirklichkeit entspreche:4 Die Vorstellung einer von den Aposteln einheitlich geleiteten Anfangsphase der Kirche habe sich in der Forschung längst aufgelöst, die »apostolische« Herkunft der meisten neutestamentlichen Schriften, abgesehen von den echten Paulusbriefen, sei längst als Postulat erkannt und der im Begriff enthaltene Anspruch der Normativität Resultat einer späteren Entwicklung.
Diese Kritik ist grundsätzlich berechtigt. Insbesondere die Assoziation einer reinen Ursprungsphase der Kirche (eine Sicht, die ja schon von der Apostelgeschichte befördert wird), der dann geradezu zwangsläufig der Abfall folgte, macht den Begriff des »Apostolischen Zeitalters« problematisch. Er reduziert zudem die geschichtliche Wirklichkeit der ersten christlichen Generation zu sehr auf den begrenzten Personenkreis der Apostel, der zudem nie als geschlossene Gruppe gehandelt hat. Dennoch wird im Laufe der Darstellung zu berücksichtigen sein, dass das Apostelamt eine für die erste Generation charakteristische Institution war, und zwar so charakteristisch, dass es nicht in die zweite oder dritte Generation hinein verlängert wurde.
Der demgegenüber offenere Begriff »Urchristentum«, den Hans Conzelmann bevorzugte, ist aber später in ähnlicher Weise kritisiert worden.5 In der Tat ist der Begriff »Urchristentum« ursprünglich ebenfalls wertend verwendet worden. So benutzte ihn bereits der Aufklärungspädagoge und -theologe Johann Bernhard Basedow (1724–1790)6 als Bezeichnung für »den ursprünglichen ›Zweck und Sinn der Lehre Jesu und seiner Apostel‹«,7 um diese der orthodoxen Kirchenlehre kritisch gegenüberzustellen. Wo vom »Urchristentum« geredet wird, werde – so lautet die Kritik – daher immer noch ein normativer Begriff benutzt und nicht zwischen Beginn und Wesen des Christentums unterschieden.8
Allerdings: Die Einsicht in die gar nicht so ›idealen‹ Abläufe in der Anfangsphase des Christentums verbietet es keineswegs, den Begriff »Urchristentum« zu verwenden,9 sofern damit nicht die Vergangenheit idealisiert, sondern zum Ausdruck gebracht werden soll, dass in dieser Anfangsphase grundsätzliche Weichenstellungen erfolgten, die für alle späteren Epochen des Christentums von erheblicher Folgewirkung waren. Zwei dieser Weichenstellungen, von denen eine für das Binnenverhältnis und die andere für das Außenverhältnis des Christentums fundamental ist, seien genannt:
1. In den ersten 120 Jahren des Christentums sind sämtliche Schriften entstanden, die in der zweiten Hälfte des 2.Jh. n.Chr. dann von der übergroßen Mehrheit der christlichen Gemeinden als kanonisch rezipiert wurden. Insofern hier die bis heute gültigen Leittexte des Christentums entstanden sind, die die gemeinsame Grundlage aller christlichen Kirchen und Konfessionen bilden, hat diese Epoche grundlegende Bedeutung für die Christenheit insgesamt.10
2. Das Christentum ist in einem stabilen politischen Gesamtsystem, dem Römischen Reich, entstanden und hat ein funktionierendes Verwaltungs- und Rechtssystem vorgefunden, war jedoch in den ersten drei Jahrhunderten seiner Existenz von allen Machtmitteln ausgeschlossen. Es hat dennoch das vorhandene Rechtssystem akzeptiert und kein eigenes Recht entwickelt. Dies gilt dann auch für das 4. und 5.Jh. n.Chr., als das Christentum in die politische Gesamtverantwortung für das Römische Reich einbezogen wurde. Die Folge ist, dass es bis heute im Traditionsbereich des Christentums kein »christliches«, sondern allenfalls ein »Römisches« Recht gibt. Der Unterschied zum Islam, der unter ganz anderen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen entstanden ist und daher ein eigenes Recht entwickelt hat, das bis heute zum Identitätsmerkmal islamischer Gesellschaften geworden ist, ist offenkundig.
Beim Begriff »Urchristentum« geht es also nicht darum, die Anfangsphase des Christentums zu verklären, sondern um die Wahrnehmung des geschichtlich grundlegenden Charakters dieser Epoche. Dagegen ist der Begriff »Frühes Christentums« in seiner zeitlichen Offenheit so unbestimmt, dass er als Beschreibungsbegriff für die Anfangsphase kaum geeignet ist.11
1.2.2 Die Frage der Identifizierbarkeit
Darüber hinaus wird die Frage gestellt, ob es überhaupt ein identifizierbares Phänomen »Urchristentum« gegeben hat. So kann die innere Divergenz der verschiedenen christlichen Gruppen der ersten drei bis vier Generationen so sehr betont werden, dass eine einheitliche Größe »Urchristentum« gar nicht mehr sichtbar wird, man also zu dem Ergebnis kommt, dass es »das« Urchristentum überhaupt nicht gegeben habe und man allenfalls von »(Ur-)Christentümern« sprechen könne.12
Zusätzlich kann man darauf hinweisen, dass die Herauslösung des frühen Christentums aus dem Judentum ein schrittweiser und örtlich jeweils unterschiedlich verlaufender Prozess gewesen ist. Daher sei auch in dieser Hinsicht vor 150 n.Chr. kaum eine gemeinsame christliche Identität feststellbar – womit ebenfalls der Gegenstand einer »Geschichte des Urchristentums« entfiele und allenfalls eine Beschreibung derjenigen Gruppen möglich wäre, aus denen sich dann später das Christentum entwickelt hat.
...| Erscheint lt. Verlag | 13.8.2014 |
|---|---|
| Co-Autor | Matthias Hanke |
| Zusatzinfo | mit 26 Abb. und 10 Tab. |
| Verlagsort | Göttingen |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
| Schlagworte | Exegese • Neues Testament • Urchristentum |
| ISBN-10 | 3-647-99688-2 / 3647996882 |
| ISBN-13 | 978-3-647-99688-2 / 9783647996882 |
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