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Die Kraft der Kunst (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1., Originalausgabe
179 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78740-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kraft der Kunst - Christoph Menke
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Noch nie war die Kunst sichtbarer, präsenter und prägender als heute und noch nie war sie zugleich so sehr ein bloßer Teil der gesellschaftlichen Prozesse: eine Ware, eine Unterhaltung, eine Meinung, eine Erkenntnis, eine Handlung. Die gesellschaftliche Allgegenwart der Kunst geht einher mit dem zunehmenden Verlust dessen, was wir ihre ästhetische »Kraft« nennen können. »Kraft« - im Unterschied zu unseren »vernünftigen Vermögen« - meint hier den unbewussten, spielerischen, enthusiastischen Zustand, ohne den es keine Kunst geben kann. Die philosophische Reflexion auf diesen Zustand führt Christoph Menke zur Bestimmung ästhetischer Kategorien - Kunstwerk, Schönheit, Urteil - und zum Aufriss einer ästhetischen Politik, das heißt einer Politik der Freiheit vom Sozialen und der Gleichheit ohne Bestimmung.

Christoph Menke, geboren 1958, ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Cover 1
Informationen zum Buch/Autor 2
Impressum 4
Motto 5
Inhalt 7
Vorbemerkung 9
Die Kraft der Kunst. Sieben Thesen 11
I. Ästhetische Kategorien 15
1. Das Kunstwerk: zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit 17
2. Die Schönheit: zwischen Anschauung und Rausch 41
3. Das Urteil: zwischen Ausdruck und Reflexion 56
4. Das Experiment: zwischen Kunst und Leben 82
Anhang: Experiment und Institution 103
II. Ästhetisches Denken 107
1. Ästhetisierung – des Denkens 111
2. Ästhetische Freiheit: Geschmack wider Willen 132
Anhang: Sechs Sätze zur Begriffsstruktur ästhetischer Freiheit 150
3. Ästhetische Gleichheit: die Ermöglichung der Politik 158
Textnachweise 176
Namenregister 178

171.
Das Kunstwerk: zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit


Es ist eine wesentliche Bestimmung der Kunst, in der Gestalt von Werken zu existieren. Das bedeutet, daß die Kunst eine Weise menschlicher Tätigkeit ist; Kunstwerke sind nicht natürlich. Und daß die Kunst in der Gestalt von Werken existiert, bedeutet weiterhin, daß sie eine Tätigkeitsweise ist, die sich in wie auch immer flüchtigen Objektivierungen darstellt. Der »Mensch als Geist verdoppelt sich«.[1] Im Werk tritt die Tätigkeit »aus sich heraus«, »denn vom Tun frei entlassen als seiende Wirklichkeit, ist die Negativität als Qualität an ihm«.[2] Die Kunst hat Werkcharakter, weil ihre Tätigkeit kein bloßes »Sich-Aussprechen der Individualität« ist:

Das Werk ist die Realität, welche das Bewußtsein sich gibt; es ist dasjenige, worin das Individuum das für es ist, was es an sich ist, und so, daß das Bewußtsein, für welches es in dem Werke wird, nicht das besondere sondern das allgemeine Bewußtsein ist; es hat sich in dem Werke überhaupt in das Element der Allgemeinheit, in den bestimmtheitslosen Raum des Seins hinausgestellt.[3]

Die Kunst existiert in Werken, nicht weil ihre Existenz stets objekt- oder dauerhaft ist, sich also gegenüber der Kunst als einer Tätigkeit – der Hervorbringung und Erfahrung, die sich hier und jetzt vollzieht – verselbständigt (wie die Kritik der Werkkategorie im Namen des ästhetischen Ereignisses und Erlebnisses meint[4]). Die Kunst existiert vielmehr in Werken, weil ihre Tätigkeit in sich negativ oder allgemein ist; negativ, weil sie die Bestimmungsmacht des Natürlichen, bloß Individuellen bricht; allgemein, weil ihre 18Tätigkeit für andere da ist und zu gelten beansprucht. Nicht »Permanenz« definiert das Werk, sondern daß es »in einem öffentlichen Raum zwischen ästhetisch erfahrenden Subjekten lokalisiert ist, ein ›Objekt‹, worauf diese Subjekte im ästhetischen Diskurs sich beziehen und gleichsam zurückkommen können«.[5]

Negativität und Allgemeinheit sind die Bestimmungen der Normativität; Werkhaftigkeit im allgemeinen Sinn – den Hegel gegen die Auffassung der menschlichen Tätigkeit als ein bloßes »Sich-Aussprechen der Individualität« geltend macht – ist ein Kennzeichen ihrer Normativität, ihrer Existenz oder Wirklichkeit für andere. Die erste Antwort auf die Frage, weshalb die Kunst in der Gestalt von Werken existiert, lautet also, daß auch die Kunst in einer Tätigkeit besteht, die in ihrem Vollzug ihre individuelle Quelle überschreitet, um eine öffentliche Wirklichkeit, im Allgemeinen, zu gewinnen. Die Kunst ist werkhaft – das hat nicht den äußerlichen Sinn, daß ihr eine Tätigkeit der Herstellung vorhergegangen ist (die auch lediglich in einem Akt des Hierher- oder Ausstellens bestehen kann). Die Kunst ist vielmehr werkhaft, weil sie die Wirklichkeit einer normativen Tätigkeit ist, weil sie »Geist«[6] ist.

Diese erste Antwort auf die Frage nach dem Werkcharakter der Kunst ist ebenso zutreffend wie unzureichend. Wenn sie als die ganze Antwort genommen wird, verstellt sie den spezifisch ästhetischen Werkcharakter der Kunst. Wer das Kunstwerk als normatives, geistiges Werk definiert, verfehlt es in seinem Wesen.

1. Möglichkeit und Wirklichkeit


Weil die Kunst eine menschliche Tätigkeit ist, die in der Gestalt von Werken existiert, liegt es nahe, im Nachdenken über die Kunst der Form philosophischer Untersuchung zu folgen, die uns für werkhervorbringende, also allgemeine (oder öffentliche oder normative oder geistige) menschliche Tätigkeiten vertraut ist. In dieser 19eingeübten Form ist das philosophische Untersuchen durch einen Zweischritt von Behauptung und Frage definiert. Die Behauptung ist eine Existenzbehauptung – die Behauptung der Existenz jedoch nicht eines Einzeldings, sondern einer Klasse von durch menschliche Tätigkeiten hervorgebrachten Dingen, hier also: von der Klasse der Kunstwerke. Die Existenzbehauptung, mit der das vertraute philosophische Nachdenken über die Kunst beginnt (oder: die Existenzbehauptung, mit der das philosophische Nachdenken über die Kunst vertraut macht), besagt: »Es gibt Kunstwerke.« Die Frage richtet sich auf das, was Dinge dieser Art – Kunstwerke – möglich macht. In vorläufiger Formulierung: Sie richtet sich auf das ermöglichende Potential, das Vermögen, als dessen Aktualisierung die Tätigkeit, die diese Dinge, Kunstwerke, hervorbringt, zu verstehen ist. Die vertraute Weise, das Nachdenken über die Kunst zu beginnen, besteht darin, zuerst zu behaupten: »Es gibt Kunstwerke«, und dann zu fragen: »Wie sind sie möglich?«

Das ist eine wohlbekannte Untersuchungsweise: Es ist die Untersuchungsweise der Philosophie seit Sokrates. Für sie ist wesentlich, das Sein und die Seinsweise von Dingen nicht einfach hinzunehmen, sondern zu befragen oder zu »problematisieren«: in dem Sein und der Seinsweise von Dingen einer bestimmten Art weder eine selbstverständliche Gegebenheit noch ein Wunder zu sehen, das wir bloß anstaunen, sondern (wie man seit Aristoteles sagt) ein »Problem«;[7] etwas also, das wir verstehen oder erklären wollen. Und die Form dieser philosophischen Erklärung besteht darin, daß wir das zum Problem gewordene Wirkliche als die Verwirklichung einer Möglichkeit beschreiben.

Bevor die Logik dieser Verstehensform näher bestimmt werden kann, bedarf es einer Bemerkung dazu, wie der Zweischritt von (Existenz-) Behauptung und (Möglichkeits-) Frage nicht verstanden werden darf: so als ließe sich die Existenz von Kunstwerken mit Gewißheit feststellen, bevor die Frage nach ihrer Möglichkeit beantwortet worden ist. Wenn man die Frage, wie Kunstwerke möglich sind, nicht beantworten kann, dann kann man auch nicht ihre Existenz behaupten. Die Möglichkeit geht der Wirklichkeit voraus: Wenn wir nicht verstehen, wie Kunstwerke möglich sind, können 20wir nicht wissen, ob es sie – das heißt diese Klasse von Dingen – wirklich gibt. Die Frage nach der Möglichkeit der Kunstwerke ist daher zugleich die Frage nach ihrer Wirklichkeit. An die Stelle der bisherigen Formulierung der vertrauten philosophischen Untersuchungsform »Es gibt Kunstwerke. Wie sind sie möglich?« könnte man daher auch diese setzen: »Wir glauben, daß es Kunstwerke gibt. Gibt es sie wirklich?« Die Antwort auf beide Fragen – »Wie sind Kunstwerke möglich?« und: »Gibt es Kunstwerke?« – ist ein und dieselbe.

Das zeigt sich im Blick auf die Fragen, in denen das skizzierte philosophische Untersuchungsprogramm seine uns vertraute Gestalt gefunden hat. Kants Frage in der ersten Kritik lautet: »Wie sind Naturwissenschaften und generell objektives Erkennen möglich?«, und in der zweiten Kritik: »Wie ist moralisches Urteilen oder vernünftige Selbstbestimmung möglich?« Zwar schreibt Kant in der Kritik der reinen Vernunft: »Von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen.«[8] Aber diese Abfolge von Existenzbehauptung und Möglichkeitsfrage täuscht. Denn ob es naturwissenschaftliches Wissen von gesetzesmäßigen Zusammenhängen (und nicht nur Annahmen über mehr oder weniger wahrscheinliche Verknüpfungen) und ob es moralisches Handeln allein aus Achtung vor dem Gesetz (und nicht nur aus mehr oder weniger egoistischen sinnlichen Antrieben) tatsächlich gibt, läßt sich auch nach Kants Verständnis erst dann entscheiden, wenn die Fragen nach der Möglichkeit jenes Wissens und Handelns beantwortet sind; wenn man also weiß, wie solches Wissen und Handeln und damit ob es überhaupt möglich ist. Es scheint zwar, als sei die philosophische Frage nach der Möglichkeit des Wissens von (Natur-) Gesetzen und des Handelns aus Moral (-Gesetzen) nur die Frage danach, wie wir uns etwas erklären können, dessen wirkliche Existenz bereits unbezweifelbar feststeht. In Wahrheit geht es in der philosophischen Frage 21nach der Möglichkeit aber um die Wirklichkeit von Wissen und Moral. Verstehen wir ihre Möglichkeit nicht, dann gibt es sie auch nicht.

Und das gilt auch für die Kunst: Wenn es nicht gelingt, eine Antwort auf die Frage nach ihrer Möglichkeit zu gewinnen und einen überzeugenden Begriff der Kunst zu entfalten, dann wissen wir auch nicht, ob es Kunstwerke wirklich gibt. Die philosophische Frage nach der Möglichkeit der Kunst ist also alles andere als folgenlos; es geht in ihr nicht nur um die Theorie, sondern um die Wirklichkeit der Kunst. Denn es ist das Begreifen, das der Wirklichkeit zugrunde liegt – nicht umgekehrt.

2. Die Unbegreifbarkeit der Kunst


Wie versteht die Philosophie (von Sokrates bis Kant und darüber hinaus) die Frage nach der Möglichkeit, durch deren Beantwortung sie ein Phänomen verstehen will? Wonach fragen wir, wenn wir nach Bedingungen der Möglichkeit fragen – danach, was etwas ermöglicht? Die Philosophie versteht diese Frage als die nach der Möglichkeit des Gelingens. Genauer: danach, wie wir – die dadurch zu »Subjekten« (der Erkenntnis, der Moral, der Kunst) werden – etwas gelingen lassen können.[1]

Das läßt sich so verstehen: Die Akte der Erkenntnis oder der Moral gehören in den Bereich von menschlichen Tätigkeiten, die gelingen oder mißlingen können. Erkenntnis und Moral sind Werke im eingangs erläuterten Sinne Hegels: nicht ein bloßes »Sich-Aussprechen der Individualität«, sondern als...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Ästhetik • Kunst • STW 2044 • STW2044 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2044 • Wissenschaft
ISBN-10 3-518-78740-3 / 3518787403
ISBN-13 978-3-518-78740-3 / 9783518787403
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