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Erziehung zur Mündigkeit (eBook)

Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959 bis 1969
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
148 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73845-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Erziehung zur Mündigkeit - Theodor W. Adorno
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Erziehung zur Mündigkeit sammelt Vorträge und Gespräche, die von 1959 bis 1969 im Hessischen Rundfunk gesendet wurden. Sie zeigen einen »anderen« Adorno als die meisten seiner Bücher: er wirkt unmittelbare kommunikativer, verständlicher; er leitet den Leser - wie einst den Hörer zum Mitdenken und schließlich zum Selbstdenken an.'



<p>Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über <em>Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie</em>. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.</p>

Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.

Philosophie und Lehrer


Es ist meine Absicht, einiges über die sogenannte allgemeine Prüfung in Philosophie zu sagen, die zu dem Referendarexamen für das wissenschaftliche Lehramt an Höheren Schulen im Lande Hessen hinzugehört. Was ich bei diesem Examen seit nun elf Jahren beobachtete, hat mich zunehmend besorgt gemacht, daß der Sinn jener Prüfung falsch verstanden wird, daß sie ihren Zweck verfehlt. Darüber hinaus mußte ich über die Mentalität der zu Prüfenden nachdenken. Ich glaube, deren eigenes Unbehagen an der Prüfung zu spüren. Viele fühlen sich ihr von Anbeginn fremd und nicht recht gewachsen; manche hegen Zweifel an ihrem Sinn. Ich glaube, deshalb über die Sache reden zu müssen, weil das Ergebnis der Prüfung selbst vielfach von den Momenten abhängt, auf die ich stieß und die den Kandidaten nicht durchweg bewußt sind. Falsch wäre die Haltung eines Examinators, der nicht grundsätzlich jenen zu helfen sucht, über die zu urteilen seine Funktion ihn nötigt, auch wenn solche Hilfe einen Stachel hat. Für meine Worte habe ich allein einzustehen; doch dürften mir in vielem meine Kollegen zustimmen; insbesondere weiß ich, daß Horkheimer zu denselben Ergebnissen gelangte. Selbstverständlich finden sich unter den Kandidaten nicht wenige, für welche meine Befürchtungen nicht zutreffen. Das sind meist solche, die von sich aus ein spezifisches Interesse an der Philosophie nehmen; häufig haben sie als Teilnehmer an unseren Seminaren ein genuines Verhältnis zur Philosophie gewonnen. Auch über ihren Umkreis hinaus fehlt es nicht an Studierenden mit Horizont und geistiger Sensibilität. Als eigentlich gebildete Menschen bringen sie vorweg schon mit, was durch jene Prüfung, fragmentarisch und unzulänglich genug, als existent oder nichtexistent ermittelt werden soll. Aber mit meiner Kritik ziele ich keineswegs nur auf diejenigen, die das Examen nicht bestanden haben. Diese sind oftmals nur ungeschickter, aber keineswegs weniger qualifiziert als jene Mehrheit, die man formeller Kriterien wegen passieren läßt. Vielmehr ist es geradezu die Signatur des fatalen Zustands – wahrhaft eines Zustands, ohne individuelle Schuld einzelner Versagender –, daß auch solche seine Spuren tragen, die das Examen glatt oder, wie ein im Grunde bereits kränkender Ausdruck lautet, als guter Durchschnitt bestehen. Oft hat man das Gefühl, diesen oder jenen müsse man durchlassen, weil er die meisten dingfesten und kontrollierbaren Fragen mehr oder minder korrekt beantwortete; man wird aber dieser Entscheidung, so angenehm sie für den Einzelnen ist, nicht recht froh. Wenn man streng nach dem Sinn und nicht nach dem Buchstaben der Examensordnung prüfte, müßten solche Kandidaten negativ bewertet werden, vollends im Gedanken an die Jugend, die ihnen als Lehrern einmal überantwortet wird, und mit der mich zu identifizieren ich mich freilich noch nicht zu alt fühle. Der bloße Bedarf an Lehrkräften sollte nicht denen zugute kommen, die ihrer Beschaffenheit nach vermutlich das Gegenteil dessen bewirken, was jener Bedarf verlangt. Die gesamte Situation ist fragwürdig gerade in den Aspekten, um derentwillen die allgemeine Prüfung eingeführt wurde. Ich halte es für besser, das offen auszusprechen und zur Reflexion anzuregen, als schweigend weiter einer Praxis mich zu verschreiben, die bei den Prüfern unweigerlich zur Routine und Resignation führen muß und bei den Kandidaten selbst zur Geringschätzung dessen, was man von ihnen fordert; einer Geringschätzung, die oft nur dünne Hülle ist für die Geringschätzung ihrer selbst. Freundlicher ist es, unfreundlich zu sein, als mit einem umgänglichen Gestus, der bequem genug wäre, über das hinwegzugleiten, was im Bewußtseinsstand der zu Prüfenden ihrer eigenen besseren Möglichkeit, wie ich sie einem jeden zutraue, feind ist. Wohlwollen und Rücksicht sind der Humanität selbstverständlich; unter denen, die an unserer Universität in Philosophie zu prüfen haben, wird es keiner daran fehlen lassen. Aber wir wollen human sein nicht nur gegen die Kandidaten, deren Ängste wir uns gut vorstellen können, sondern auch zu jenen, die ihnen einmal gegenübersitzen, die wir nicht sehen; und denen vom ungeformten und ungebildeten Geist größere Unbill droht als irgendeinem von unseren geistigen Ansprüchen. Man braucht dazu gar nicht erst, was Nietzsche Fernstenliebe nennt; ein wenig Vorstellungskraft genügt.

Wenn ich sagte, daß diejenigen, die der Prüfung wirklich gewachsen sich zeigen, oft solche sind, die an philosophischen Seminaren aktiv sich beteiligt haben, so wollte ich damit keinen institutionellen Druck ausüben. Ich nehme den Gedanken der akademischen Freiheit überaus ernst und halte es für völlig gleichgültig, auf welche Weise ein Student sich bildet, ob als Teilnehmer von Seminaren und Vorlesungen oder bloß durch die eigene Lektüre. Ich wollte überhaupt nicht den Sinn dieses Examens der fachlich philosophischen Ausbildung gleichsetzen. Gemeint habe ich nur, daß solche, die es über den einzelwissenschaftlichen Betrieb hinaus zu jenem Bewußtsein des Geistes von sich selbst drängt, der nun einmal Philosophie ist, im allgemeinen der Konzeption des Examens entsprechen. Kindisch wäre es zu erwarten, ein jeder wollte oder könnte ein professioneller Philosoph werden; gegen eben diesen Begriff hege ich gründliches Mißtrauen. Wir wollen unseren Schülern nicht die déformation professionelle derer zumuten, die automatisch ihr eigenes Gebiet für das Zentrum der Welt halten. Philosophie genügt nur dort sich selbst, wo sie mehr ist als ein Fach. Die allgemeine Prüfung, heißt es im Paragraphen 19 der Prüfungsordnung, an die so viele peinlich sich halten, »soll feststellen, ob der Bewerber den Bildungssinn und die Bildungskräfte seiner Fachgebiete erfaßt hat und sie von den lebendigen philosophischen, pädagogischen und politischen Fragen der Gegenwart her zu betrachten versteht« (S. 46). Ausdrücklich wird dem hinzugefügt: »doch darf die philosophisch betonte Prüfung sich nicht in fachphilosophische Fragen verlieren, sondern muß sich auf solche richten, die für die lebendige Bildung heute wesentlich sind, wobei die Fachgebiete des Bewerbers die Richtung geben«. Mit anderen Worten, die allgemeine Prüfung will, soweit so etwas überhaupt einer Prüfung möglich ist, eine Vorstellung davon gewinnen, ob die Kandidaten in der Reflexion auf ihr Fach, also indem sie bedenken, was sie vollbringen, und auch in der Reflexion auf sich selbst, sich über den Umkreis des tatsächlich Angeeigneten erheben. Ganz einfach dürfte man sagen: ob sie geistige Menschen sind, schwänge nicht in dem Wort ›geistige Menschen‹ eine bestimmte Art Hochmut mit, die Erinnerung an elitäre Herrschaftswünsche, die gerade den Akademiker an der Selbstbesinnung verhindern. Das Wort ›geistiger Mensch‹ mag abscheulich sein, aber daß es so etwas gibt, merkt man erst an dem Abscheulicheren, daß einer kein geistiger Mensch ist. Wir möchten also in dieser Prüfung sehen, ob diejenigen, die als Lehrer an Höheren Schulen mit einem schweren Maß an Verantwortung für die geistige und reale Entwicklung Deutschlands belastet sind, Intellektuelle sind oder, wie Ibsen vor nun schon achtzig Jahren es nannte, bloße Fachmenschen. Daß der Ausdruck ›Intellektuelle‹ durch die Nationalsozialisten in Verruf geriet, dünkt mir nur ein Grund mehr, ihn positiv aufzunehmen: ein erster Schritt der Selbstbesinnung ist es, Dumpfheit sich nicht als höheres Ethos zuzuschreiben, Aufklärung nicht zu verlästern, sondern der Hetze gegen die Intellektuellen, wie immer sie auch sich tarnt, zu widerstehen. Ob jedoch einer ein Intellektueller ist, manifestiert sich vor allem im Verhältnis zu seiner eigenen Arbeit und zu dem gesellschaftlichen Ganzen, dessen Teil sie bildet. Dies Verhältnis, nicht die Beschäftigung mit Spezialgebieten wie Erkenntnistheorie, Ethik oder gar Philosophiegeschichte, macht überhaupt das Wesen von Philosophie aus. So hat es ein Philosoph, dem schwerlich jemand die Qualifikation in den besonderen philosophischen Disziplinen wird abstreiten wollen, formuliert. Im deduzierten Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt – gemeint ist die Universität – sagt Fichte: »Nun ist dasjenige, was die gesamte geistige Tätigkeit, mithin auch alle besonderen und weiter bestimmten Äußerungen derselben wissenschaftlich erfaßt, die Philosophie: von philosophischer Kunstbildung aus müßte sonach den besonderen Wissenschaften ihre Kunst gegeben und das, was in ihnen bisher bloße, vom guten Glück abhängende Naturgabe war, zu besonnenem Können und Treiben erhoben werden; der Geist der Philosophie wäre derjenige, welcher zuerst sich selbst und sodann in sich selber alle anderen Geister verstände; der Künstler in einer besonderen Wissenschaft müßte vor allen Dingen ein philosophischer Künstler werden, und seine besondere Kunst wäre lediglich eine weitere Bestimmung und einzelne Anwendung seiner allgemeinen philosophischen Kunst.« Oder, vielleicht noch schlagender: »Mit diesem also entwickelten philosophischen Geiste, als der reinen Form des Wissens, müßte nun der gesamte wissenschaftliche Stoff in seiner organischen Einheit auf der höheren Lehranstalt aufgefaßt und durchdrungen werden.« Diese Sätze gelten heute nicht weniger als vor hundertundfünfzig Jahren. Der emphatische Begriff von Philosophie, den die Bewegung des deutschen Idealismus intendierte, als der Geist der Zeit mit ihr war, fügte nicht Philosophie als Sparte den Wissenschaften hinzu, sondern suchte sie in der lebendigen Selbstbesinnung des wissenschaftlichen Geistes. Betrachtet man aber den Prozeß der Spezialisierung, der diese Idee von Philosophie zur Phrase von Festrednern erniedrigte, tatsächlich als ein Schlechtes, als Ausdruck der Verdinglichung des Geistes, die dieser mit der...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Becker • Becker Hellmut • Becker, Hellmut • Erziehung • hellmut • Mündigkeit • Pädagogische Philosophie • ST 11 • ST11 • suhrkamp taschenbuch 11
ISBN-10 3-518-73845-3 / 3518738453
ISBN-13 978-3-518-73845-0 / 9783518738450
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