KI oder nie! (eBook)
288 Seiten
Wiley-VCH (Verlag)
978-3-527-85495-0 (ISBN)
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Was ist Künstliche Intelligenz?
Abbildung 2: Die Roboterdame »Maria« (Brigitte Helm) aus Fritz Langs »Metropolis« (1927), ein ikonischer Maschinenmensch und erster Roboter der Filmgeschichte.
Foto: Horst von Harbou, Setfotograf (1879–1953).
Im Zusammenhang mit Kafka und Freud haben wir gesehen, wie tief Ängste verwurzelt sind und dass es vielerorts an Verständnis mangelt. Es mag für ein Wirtschaftsbuch ungewöhnlich anmuten, doch möchte ich Sie, bevor wir uns in großen Schritten dem heutigen Stand nähern, weiter zurück auf eine Reise an den Anfang eines Menschheitstraums mitnehmen. Keine Sorge, Sie brauchen kein Informatikstudium. Um zu verstehen, wie weit die Technologie fortgeschritten ist und was ihr noch fehlt, hilft ein Blick über die Schulter.
2.1 Eine lange Reise: Was bisher geschah
Schon vor ChatGPT und autonomen Maschinen gab es Entwicklungen, die bis in die Gegenwart wirken, Menschen faszinieren und antreiben. Hier liegt der Hype begründet, der uns bis heute mitreißt oder innerlich frustriert, wenn etwas nicht wie erwartet funktioniert. Bevor ich kurz darauf eingehe, was Künstliche Intelligenz alles ist, sollten wir darüber sprechen, was sie (noch) nicht ist: KI hat zumindest im Augenblick relativ wenig mit menschlicher Intelligenz zu tun, die beispielsweise Emotionen, Empathie und dergleichen beinhaltet. Über das Ausmaß der Empfindungsmöglichkeiten gibt es manchen Streit in eingeweihten Kreisen. Auch bei der Frage, ob KI ein Selbstbewusstsein hat, gehen die Meinungen (vorsichtig gesagt) auseinander. Hauptgrund für alle diese Unterschiede ist wohl, dass KI im Kern gar nicht komplett definiert ist und ständig weiterentwickelt wird. Dabei verschieben einige Tech‐Unternehmen wie OpenAI gerne bewusst und zum eigenen Vorteil die Definitionsgrenzen, um neue Errungenschaften glanzvoller darzustellen, als sie sind.
Es folgt ein Ritt durch die KI‐Geschichte, die eng verknüpft ist mit Robotik und Science‐Fiction. Weil es nur ein Überblick sein soll, will ich gar nicht alle Einzelschritte wiedergeben, aber zumindest Lust auf mehr machen.
Frühe Theorien: Antike KI‐Roboter
Die Menschheit träumt bereits lange davon, gottgleich nach ihrem eigenen Abbild neues Leben erschaffen zu können. Es gibt die kollektive Sehnsucht, ein Geschöpf zu finden, das denkt und handelt wie wir, und das uns unterstützen kann. Und nun, dank Künstlicher Intelligenz und programmierbaren Geräten, ist dieser Traum erreichbarer als je zuvor. Aber was meinen Sie, wie alt dieser Traum ist? Zehn Jahre, 20 Jahre? Raten Sie noch einmal. Es sind mehr als 2000 Jahre, wahrscheinlich sogar doppelt so viel.
Ob Sie es glauben oder nicht, es wimmelt in alten Schriften vor künstlichen Wesen und Automaten: im sumerischen und babylonischen Gilgameš ‐Epos, der zu den ältesten schriftlichen Aufzeichnungen überhaupt zählt, in Erzählungen aus Ägypten und China und in der griechischen und römischen Mythologie. Vor mindestens 4000 Jahren dachten sich Menschen Geschichten von einem aus Lehm geschaffenen Wesen aus. Dieses krabbelt erst tierähnlich wild am Boden, wird dann menschengleich und bekommt schließlich Geist und Einsicht eingehaucht und Sprache beigebracht. Man könnte meinen, aus dem Staubsauger‐Roboter wird ein Android, aber das ist meine Interpretation. Die Babylonier machen diesen Enkidu zum Assistenten und Begleiter von König Gilgameš (tausende Jahre später wird er in Marvel ‐Comics zu einem der Avengers, doch das ist eine andere Story).
Künstliche Vögel, synthetische Dienstboten und gehende Statuen spielen in der Antike viele Rollen. So eine ist der Riese Talos aus der griechischen Sage um »Jason und die Argonauten«, der je nach Geschichtsvariante von Zeus oder Hephaistos geschaffen wurde. Heute würde man ihn als autonomen Roboter ansehen: Er warf selbstständig mit Steinen nach feindlichen Schiffen und schützte so die griechische Insel Kreta wie eine frühe Firewall. Die ebenfalls aus Lehm erschaffene wunderschöne Pandora (ja, die mit der todbringenden Büchse) war wohl der erste menschgeschaffene Fembot, ein humanoider Roboter in Frauengestalt, in den man sich verlieben konnte (die Pornoindustrie lässt grüßen!). Dieser Apparat war ebenso schlau wie durchtrieben und bestrafte die Menschheit mit ihren Plagen. Ich sag's ja nur. Gruselt es Sie auch, wenn Sie das lesen: Hat das Altertum hier Künstliche Intelligenz vorhergesehen? Sollten heutige Robotik‐Entwickler mehr mit Lehm und Steinen experimentieren? Sind wir am Ziel der Reise?
Wissenschaftshistorikerin Adrien Mayor beschreibt in ihrem Buch »Götter und Maschinen. Wie die Antike das 21. Jahrhundert erfand« (Herder, 2020) die Suche nach Biotechne (mit Kunst hergestelltes Leben) und zeigt frühe Gedanken um Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die Gesellschaft. Dieses Buch hätte ich mir im Latein‐ und Griechischunterricht gewünscht!
Vom Golem zur Maschine
Über die Jahrhunderte hinweg fasziniert die Suche nach einem automatischen Diener: Auf das 12. Jahrhundert datiert, finden sich erste jüdische Darstellungen vom Golem (hebräisch formlose Masse; dummer unfertiger Mensch), einem Lehm‐Wesen (schon wieder!) ohne freien Willen, das stumpf, aber stark ist und Befehle ausführt, die man ihm auf einem Zettel unter die Zunge legt. Klingt das nicht nach Lochkartenprogrammierung? Der Golem wirft Fragen nach Grenzen der Schöpfung auf: In vielen Erzählungen gerät die Kreatur außer Kontrolle. Diese Befürchtung besteht auch bei KI‐Systemen.
Leonardo Da Vinci malte mit der Mona Lisa Anfang des 16. Jahrhunderts nicht nur das wohl am meisten abfotografierte und gepostete Kunstwerk der Geschichte. Er war darüber hinaus technisch begabt und experimentierfreudig. Ein paar Jahre vor seinem Meisterwerk, um 1495, entwarf und baute er im Rahmen seiner anatomischen Studien einen mechanischen Ritter, Leonardos Roboter genannt, der die Arme heben oder mithilfe von Seilzügen scheinbar wie von selbst sich setzen und aufstehen konnte. Sogar sein Visier konnte er aufklappen. Automatisch lief da aber noch gar nichts ab.
… dann muss es halt ein Mensch machen
Vielleicht haben Sie schon den Begriff Schachtürke oder Mechanical Turk gehört. Gemeint ist einer der größten Täuschungsfälle der Geschichte, der sinnbildlich bis heute andauert. Das historische Vorbild stammt vom österreichisch‐ungarischen Hofbeamten und Mechaniker Wolfgang von Kempelen, der in Wahrheit ein früher Illusionist war. Er präsentierte 1769 seinem Publikum eine Holzkiste mit einer scheinbar automatisch funktionierenden, traditionell orientalisch gekleideten Puppe, dem Türken, der nahezu jedes Schachspiel gewinnen konnte. Was die Gegner und Zuschauer nicht wussten: Im Inneren des Apparates verbarg sich keine ausgeklügelte und überlegene Maschine, sondern ein kleiner Mensch, der alles steuerte. Der Trick soll erstaunlich lange durchgegangen sein. Vermutlich wollten die Leute glauben, dass es funktioniert.
Die Idee hat sich bis ins 21. Jahrhundert gerettet: So spricht man heute in der Computerwelt vom Mechanical Turk, wenn bei scheinbar automatischen Prozessen von Menschenhand eingegriffen und nachgeholfen werden muss, ohne dass Nutzende es erkennen. Amazon bietet auf MTurk.com seine Clickworker aus aller Welt an, die sogenannten Turker, die mit schnell zu erledigenden Aufgaben wie der Erkennung von Bildern, dem Transkribieren von Texten oder einem Umstellen von Informationen in Datensätzen wenige US‐Cent verdienen. Wenn Sie dachten, das liefere längst die KI: Der Dienstleister Appen wirbt damit, KI‐Modelle von Google, Meta und anderen Techfirmen mit über einer Million Clickworkern weltweit zu »optimieren«, also korrigieren. Wie viel Zeit die Niedriglöhner für einen fundierten Faktencheck der Antworten haben, ist nicht bekannt.
Kontrollverlust und Mensch‐Maschine
Die Vorstellung vom Homunculus (lateinisch Menschlein), das künstlich geschaffen wird und beinahe magisch kleine Aufgaben ausführt, wurde von der Antike bei Cicero und Plautus über das Spätmittelalter beim Alchemisten und Apotheker Paracelsus bis hin zu Goethes Faust II bewahrt.
Kontrollverlust über die Technik thematisiert Goethe 1797 in der Ballade vom Zauberlehrling (aufgegriffen in Disneys Fantasia mit Micky Maus):
»Und nun komm, du alter Besen! / Nimm die schlechten Lumpenhüllen! /Bist schon lange Knecht gewesen; / Nun erfülle meinen Willen!«
Doch der zuvor nützliche Besen kann irgendwann nicht gestoppt werden:
»Die ich rief, die Geister / Werd' ich nun nicht los.«
Meist ist nur von Seele oder Geist der leblosen Hülle die Rede. Die Vorstellung, dass der Mensch ebenso nur eine perfekt...
| Erscheint lt. Verlag | 11.9.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
| ISBN-10 | 3-527-85495-9 / 3527854959 |
| ISBN-13 | 978-3-527-85495-0 / 9783527854950 |
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