Cornelia Strobel, Dr., Dipl.-Chem.; hypnosystemische Organisationsberaterin, Coach und Teamentwicklerin (DBVC); Ausbilderin und Supervisorin; Inhaberin von Transform Organizations; Lehrbeauftragte an der KSH München.
Cornelia Strobel, Dr., Dipl.-Chem.; hypnosystemische Organisationsberaterin, Coach und Teamentwicklerin (DBVC); Ausbilderin und Supervisorin; Inhaberin von Transform Organizations; Lehrbeauftragte an der KSH München.
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Wir starten eine Expedition.
Entscheidungen zu treffen ist eine der uns vertrautesten Sachen der Welt. Das tun wir, seit wir atmen. Das tun wir intuitiv, überlegt, riskant – in der uns ureigenen Entscheidungslogik. Es gibt reichlich Literatur zum »persönlichen Entscheiden«. Diese beschäftigt sich mit unseren Mustern, Denkweisen, Denkfallen, Risikofreudigkeit, Risikoaversivität etc. In der Regel behandelt sie das Entscheiden als ganz persönliche Angelegenheit.
Als Beraterin, Trainerin und Coach beschäftigt mich das Wirken von und in Organisationen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Organisationen unser Weltgeschehen stärker bewirken als Einzelpersonen. Sei das nun in festen Verbünden wie in Unternehmen, Parteien, NGOs oder in organisationsähnlichen Netzwerken der vielfältigen Communities, die es zwischenzeitlich gibt. Für mich ist diese Überzeugung direkt verbunden mit der Frage: Wie können Organisationen gut entscheiden, um zu einem sinnvollen Wirken in unserer Gesellschaft zu kommen? Um mit den Worten von Niklas Luhmann zu sprechen: Organisationen bestehen aus Entscheidungen, Folgeentscheidungen und der Kommunikation über diese Entscheidungen und Folgeentscheidungen. Hat eine Organisation nichts mehr zu entscheiden, hört sie gemäß Luhmann auf zu existieren. Dieses »organisationale Entscheiden« findet statt, seit es Organisationen gibt.
In klar hierarchisch geprägten Zeiten war es sauber geregelt – zumindest in der Theorie. Entschieden, informiert und kontrolliert hat die oberste Riege, und der Rest der Organisation setzt diese Entscheidungen mehr oder weniger um. Diese Logik findet sich heute noch in Begrifflichkeiten wie: Command & Control, Execute, Key Performance Indicator (KPI) wieder. Also eigentlich doch alles gut. Wie jedoch auch in hierarchischen Systemen die Wege »unergründlich« sein können, erleben wir alle.1 Systemimmanente Zielkonflikte, Paradoxien, Differenzen zwischen Vision und täglichem Erleben, … Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass Organisationen überhaupt funktionieren. Die Führungs- und Managementliteratur bietet vielfältige Ansätze, diese Phänomene zu verstehen und sie zu erklären.
Zwischenzeitlich werden Organisationen vermehrt mit zusätzlichen Herausforderungen wie VUKA, BANI, Agilität, Industrie 4.0, Digitalisierung, KI, Klimakrise, Krieg in Europa, Auswirkungen der Pandemie etc. konfrontiert, die oft Ohnmacht, Angst, Hilflosigkeit, Ungestüm, Schnellschüsse, Autokratie etc. erzeugen. Was dazu einlädt bzw. sogar erzwingt, sich »neu zu erfinden«, sich zu transformieren.
Folgen wir der Spur: Organisationen haben einen wichtigen Einfluss auf unser Gesellschaftsgeschehen, stellt sich für mich die Frage: Welchen positiven Beitrag können Organisationen leisten, um diese Herausforderungen des Gestaltens der Zukunft anzunehmen, Gegenwart in einem anderen Licht erscheinen zu lassen, also anders zu rahmen und die Vergangenheit bestmöglich zu integrieren unter der Überschrift: Die Probleme von heute beruhen auf den Entscheidungen von gestern!
Dies wiederum lädt dazu ein, sich mit dem Entscheiden in Organisationen ganz bewusst und vertieft auseinanderzusetzen. Denn auch hier erleben wir ähnliche Ungewissheiten, insbesondere, da immer spürbarer wird: Das Prinzip der Hierarchie allein trägt schon länger nicht mehr. Das zeigt sich in Begrifflichkeiten wie Selbstorganisation, Netzwerkstrukturen, Partizipation, Ambidextrie etc. Aus ihnen werden Erwartungen abgeleitet. Entsprechende Literatur – häufig unter dem Fokus, was diese Erwartungen für Führung bedeuten, füllen zwischenzeitlich Regale.
Was soll eine Führungskraft nicht alles an Kompetenzen, Haltungen und Aufgaben in sich sozusagen als Person vereinigen!? Manches Mal beschleicht mich der Gedanke: Vor lauter Angst, in der Zeit von New Work nicht mehr gebraucht zu werden, werden viel zu viele neue Anforderungen und Erwartungen an Führungskräfte gestellt. Sie sollen managen, inspirieren, innovieren, optimieren, führen, koordinieren und dabei authentisch, glaubwürdig und gerecht sein. Sie sollen partizipativ, demokratisch und Unternehmer im Unternehmen sein. Auch sollen sie exekutieren, reporten, vertrauensvoll, transparent und glaubwürdig sein, Orientierung geben, Freiraum lassen, verantwortlich und mutig sein sowie Sinn stiften. Sie sollen die Fähigkeit zu Selbstreflexion und Selbstcoaching haben – um nur einige zu nennen.
So viele Anforderungen auf einmal legen den Verdacht nahe: Da geht es um den Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit. Denn all das erscheint ja nicht genug – jede dieser Anforderungen zieht weitere nach sich. Wie sollen wir als Einzelne diesen Anforderungen denn jemals gerecht werden? Somit sind wir mitten im »Entscheiden«, wie wir es hier verstehen wollen. Denn Entscheiden bedeutet, mit Unsicherheit und Ungewissheit umzugehen und handlungsfähig zu bleiben. Wieso denken wir nicht viel mehr in den Möglichkeiten, die in der Organisation liegen, um all diese Anforderungen zu erfüllen? Weshalb gelingt es uns so wenig, uns vom Individuum zu lösen und in den Dimensionen von Organisation zu denken?
Eine sehr geschätzte Kollegin antwortete mir einmal auf diese von mir gestellte Frage, der Begriff »Organisation« erzeuge keine Bilder im Kopf. Wenn wir Nöte, Sorgen, Freuden, Erfolge von Führungskräften beschreiben, sehen wir das vor uns. Bei Teams geht das auch ganz gut, sei es beim Feiern, Arbeiten – häufig mit der Brücke zum Sport. Weshalb erzeugt der Begriff der Organisation so wenige Bilder? Er ist ja nun auch schon einige Jahrhunderte alt.
Wenn wir uns Organisationen vorstellen, was sehen wir da? Niklas Luhmanns Bild? Was hat er gesehen, als er seine Definition von Organisationen formulierte? Wie ist sein Bild entstanden? Wie ist es ihm gelungen, diesen Schritt zu tun? Und warum tun wir uns damit so schwer?
Vielleicht führt uns die Anfeindung, der Luhmann ausgesetzt war, als er sein Modell vorstellte, auf eine heiße Spur. Ihm wurde Menschenfeindlichkeit, unsoziales Verhalten usw. vorgeworfen, da sein Modell die darin agierenden Individuen als relevante Umwelt für das System Organisation beschrieben hat und nicht als des »Pudels Kern«. Und das lässt sich nicht so leicht mit unserer westlichen Kultur in Einklang bringen.
Denn spätestens seit Descartes’ »Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich« steht das Individuum, das Subjekt, das denkt, handelt und sich über Natur und Dinge stellt, im Zentrum unserer europäischen Philosophie und Kultur. Wie hinderlich ist unsere Fixierung auf das Individuum im Kontext der heutigen Anforderungen? Und wie nützlich ist sie? Wie weit hat sie uns gebracht, und wie weit kann sie noch tragen? Was gilt es neu zu entdecken? Welche »Angebote« anderer Sicht- und Lebensweisen wären nützlicher, um mit den heutigen Herausforderungen unserer Welt besser zurechtzukommen? Wie sind andere Kulturkreise diesbezüglich unterwegs? Wer oder was steht dort besonders im Zentrum?2
Wenden wir uns wieder den Organisationen zu mit all ihren Herausforderungen wie Globalisierung, Digitalisierung, Komplexität, Wachstumsdruck, Ungewissheit bei gleichzeitiger Forderung nach Lebensbalance, Partizipation und Demokratisierung. Wie weit kommen wir unter diesen Rahmenbedingungen mit unserer bisherigen Art und Weise zu entscheiden – also mit unserem selbstverständlichen Modus, der Orientierung schafft, vermeintlich Sicherheit gibt in ungewissen Zeiten? Wie schön wäre es doch, wenn Entscheiden tatsächlich Sicherheit produzieren würde?
Denn im Moment der Entscheidung wissen wir nicht, ob sie richtig oder falsch ist. Das zeigt erst die Zukunft. Planerstellung und Planüberprüfung, verbunden mit der Erwartung, dass die Pläne sich erfüllen, wenn wir nur eng genug überwachen, permanent nachjustieren und über Zielvereinbarungssysteme die »Individuen bei Stange halten«, erweist sich als zunehmend auf immer tönernen Füßen stehende Vorgehensweise.
Was wir heute mehr denn je brauchen:
- – Chancen und Gefahren gleichzeitig bespielen, in Polaritäten und Kreisläufen denken, justieren, neugestalten, oder anders formuliert:
- – als Organisation dynamische Risikokompetenz entwickeln, und das bedeutet nichts anderes als gemeinsam zu riskieren.
Denn Ergebnissicherheit, so es sie je gab, war gestern – Prozesssicherheit ist, was wir heute in den Fokus nehmen können. Und wir wissen um deren Bedeutung. Gemeinsam können wir den Entscheidensprozess so gestalten, dass er transparent und nachvollziehbar ist. Jeder Beteiligte3 soll sich als integraler Bestandteil dieses Prozesses fühlen und die gegenseitige Abhängigkeit in seinen Funktionen und Rollen verstehen. So können wir sicherstellen, dass alle mitwirken und sich engagieren, um gemeinsam...
| Erscheint lt. Verlag | 1.4.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Management |
| Verlagsort | Heidelberg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
| Schlagworte | Beratungsprozess • Dialog • Entscheiden • Entscheidungskultur • Entscheidungsprozess • Führen • Führung • Interaktionsprozesse • Kollaboration • Kommunikationsprozesse • Konflikt • Perspektivenvielfalt • Prozess • Risiko • Rolle • Teams • Transformation • Transformationsprozess • Verantwortung |
| ISBN-13 | 9783849785307 / 9783849785307 |
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