Die Inflation von 1923 (eBook)
368 Seiten
FinanzBuch Verlag
9783986091200 (ISBN)
Frank Stocker ist Wirtschaftsexperte und Historiker. Er hat Politik und Geschichte in Freiburg und Heidelberg studiert und arbeitet seit 20 Jahren als Wirtschafts- und Finanzredakteur bei WELT und WELT AM SONNTAG. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2012 mit dem Deutschen Journalistenpreis.
Frank Stocker ist Wirtschaftsexperte und Historiker. Er hat Politik und Geschichte in Freiburg und Heidelberg studiert und arbeitet seit 20 Jahren als Wirtschafts- und Finanzredakteur bei WELT und WELT AM SONNTAG. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2012 mit dem Deutschen Journalistenpreis.
KAPITEL 1
Der Auftakt
1914 bis 1918
Die Menschenmassen standen Spalier, sie jubelten den vorbeimarschierenden Soldaten zu, deren Gewehre mit Blumen geschmückt waren. Euphorisch begrüßten viele Deutsche im August 1914 den Beginn des Ersten Weltkriegs. Selbst Thomas Mann sprach begeistert von einer »Reinigung«, die der Krieg bedeute, von einem Ausstieg des Künstlers aus der »Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte«.1
Als »Erster Weltkrieg« wurde das folgende Schlachten und Töten erst Monate danach erstmals bezeichnet. Im August 1914 war noch niemandem klar, wie allumfassend dieser Krieg werden würde und dass dies der Beginn einer Epochenwende war, die den Sturz alter Monarchien und Mächte auslöste, sei es in Deutschland, Österreich-Ungarn oder Russland, und die den Aufstieg neuer Weltmächte wie der USA und der Sowjetunion sowie neuer Ideologien wie des Kommunismus und des Faschismus beförderte. Als »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« wurde dieser Krieg später bezeichnet. Er legte die Basis für viele der gewaltigen Umbrüche des 20. Jahrhunderts.
Doch in jenen Hochsommertagen des Jahres 1914 ahnte niemand all diese Folgen. Die meisten Deutschen glaubten an einen kurzen, schnellen Waffengang, der natürlich siegreich enden würde. Sie fühlten sich erinnert an das, was etwas mehr als vier Jahrzehnte zuvor passiert war. 1870/1871 hatten die deutschen Truppen Frankreich binnen weniger Wochen niedergerungen, und gestützt auf die Bajonette war danach das Deutsche Kaiserreich gegründet worden.
Doch diesmal verlief der Krieg bekanntlich anders. Deutschland unterlag nach vier zermürbenden Jahren, die Millionen Menschenleben kosteten. Und es folgte kurz danach die große Inflation, die schließlich 1923 die Deutschen all ihrer Ersparnisse beraubte, die nationale Wirtschaft völlig zerrüttete und das Land fast auseinanderfallen ließ. Die Basis hierfür wurde genau in jenen Augusttagen des Jahres 1914 gelegt. Damals begann das Unglück.
Ein Krieg kostet nicht nur stets viele Menschenleben, er kostet auch viel Geld, das war damals nicht anders als heute. Mit dem Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914, bei dem der österreichische Thronfolger und seine Frau ermordet wurden, eskalierte die zuvor bereits angespannte Lage in Europa nach und nach endgültig. Das Kaiserreich begann nun, sich intensiv auf einen Krieg vorzubereiten, und erklärte schließlich am 1. August Russland und am 3. August Frankreich den Krieg. Begleitet wurde all das von einer großen Begeisterung im Volk.
»Der Lustgarten war den Nachmittag von einer dichtgedrängten Menschenmenge besetzt«, beschrieb das Berliner Tagblatt die Szenerie des 1. August. »Etwa um 5 ½ Uhr wurde dem Publikum durch Adjutanten, Offiziere und Schutzmannswachtmeister die erfolgte Mobilmachung bekanntgegeben, worauf es zu großen Begeisterungskundgebungen kam.« Dann wälzte sich die Menge zum kronprinzlichen Palais. »Plötzlich zeigten sich der Kaiser und die Kaiserin auf dem Mittelbalkon des Schlosses. Sogleich wurde die Absperrung aufgehoben und die Menge eilte im Laufschritt unter unaufhörlichen Hochrufen über die Brücke vor das Schloss, ›Heil dir im Siegerkranz‹ und ›Deutschland, Deutschland über alles‹ singend.« Der Kaiser hielt eine kurze Ansprache, die in den Worten gipfelte, er kenne »keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr«, stattdessen seien »heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder«. Stürmische Hochrufe folgten.2
Doch die Begeisterung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch diese Phase der Mobilmachung, als der Krieg noch gar nicht richtig begonnen hatte, bereits enorme finanzielle Mittel erforderte, Geld für Soldaten, Material und Transport. Geld, das der Staat nicht hatte.
Denn so groß und mächtig das Deutsche Kaiserreich auf der Bühne der Weltpolitik auftrumpfte, so kompliziert und dünn war gleichzeitig sein finanzielles Fundament. Die Reichsverfassung von 1871 war explizit so angelegt, dass die Finanzmacht bei den Bundesstaaten lag – der preußische Finanzminister soll den Staatssekretär des Reichsschatzamtes gar lange Jahre wie einen zu Gehorsam verpflichteten Untergebenen behandelt haben.
Das Reich selbst hatte nur die Zollhoheit und durfte zudem indirekte Steuern erheben, die damals jedoch die unbedeutenderen Abgaben darstellten und im Staatshaushalt dieser Zeit nur einen Bruchteil ausmachten, beispielsweise auf Tabak, Branntwein oder Salz. Direkte Steuern, beispielsweise die Einkommensteuer, waren dagegen den Bundesstaaten vorbehalten. Zwar traten sie dem Reich von ihren Einnahmen jedes Jahr über sogenannte Matrikularbeiträge einen Teil ab. Doch große Summen waren auch das nicht.
Denn die Steuern, die die Länder erhoben, waren extrem niedrig. In Preußen betrug der Satz der Einkommensteuer für Jahreseinkommen von 900 bis 1.050 Mark sage und schreibe 6 Mark, also rund 0,6 Prozent. Das Durchschnittseinkommen lag 1913 nur knapp darüber, bei 1.182 Mark.3 Der Steuersatz stieg dann schrittweise bis auf 4.000 Mark für Einkommen zwischen 100.000 und 105.000 Mark, also rund 4 Prozent4 – davon kann heute jeder Arbeitnehmer nur träumen.
Über Steuererhöhungen Geld für den Krieg zu beschaffen, wäre also ein kompliziertes Unterfangen gewesen, da dies über die Bundesstaaten hätte geschehen müssen, und es hätte auch nur wenig gebracht, selbst wenn die Sätze vervielfacht worden wären. Denn die Kriegskosten wuchsen exorbitant. Im letzten Fiskaljahr vor dem Krieg, von April 1913 bis März 1914, hatte das Deutsche Reich gerade einmal 3 Milliarden Mark ausgegeben. Im Fiskaljahr 1914/1915 war es dann mit 9 Milliarden schon dreimal so viel. Im Jahr darauf stiegen die Ausgaben sogar auf 28 Milliarden, danach auf 52 Milliarden. Erst 1918/1919 gingen sie wieder leicht auf 44 Milliarden Mark zurück.5 So verwundert es nicht, dass bis Kriegsende nur etwa 14 Prozent der gesamten Kriegskosten Deutschlands über Steuern finanziert wurden.6
Die Weichen, um das Geld auf anderem Wege zu beschaffen, stellte die Reichsregierung gleich in den ersten Kriegstagen. Am 4. August kam der Reichstag zusammen, um die entsprechenden Gesetze zu beschließen. »Was uns auch beschieden sein mag, der 4. August 1914 wird bis in alle Ewigkeit hinein einer der größten Tage Deutschlands sein«, kommentierte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg begeistert, als die Beschlüsse gefasst waren.7
Tatsächlich sollte dieser Tag bis in alle Ewigkeit in Erinnerung bleiben – allerdings in einem ganz anderen Sinne, als von Bethmann Hollweg dies vermutlich gedacht hatte. Es war der erste Tag auf der Rutschbahn Richtung Inflation. Denn die Beschlüsse des Reichstags stellten die Finanzverfassung des Reiches auf den Kopf.
Diese war einst mit der Gründung der Reichsbank 1876 auf ein stabiles und wohldurchdachtes Fundament gestellt worden. Seither war die Währung des Kaiserreiches durch Gold gedeckt – sie wurde daher auch als Goldmark bezeichnet. Die Bürger konnten ihre Banknoten jederzeit in eine entsprechende Menge des Edelmetalls umtauschen. Dazu war ein Drittel des gesamten in Umlauf befindlichen Bargeldes bei der Reichsbank in Form von Gold hinterlegt. Zu zwei Dritteln bestand die Deckung aus Handelswechseln der privaten Wirtschaft, also verbrieften Zahlungsansprüchen, die Kunden ihren Lieferanten ausgestellt hatten. Im Gegensatz zu Gold konnte deren Wert zwar schwanken, doch sie bezogen sich ebenfalls auf reale Güter, die produzierten Waren.
Das war eine außerordentlich kluge Konstruktion. Denn rein goldgedeckte Währungen haben einen entscheidenden Nachteil: Sie können Deflation verursachen. Wenn die Wirtschaft rasant wächst – wie es am Ende des 19. Jahrhunderts der Fall war –, dann steigt auch der Bargeld- und Kreditbedarf von Unternehmen und Privathaushalten schnell. Wenn die Banken dann jedoch kein zusätzliches Gold in ihre Tresore füllen können, dürfen sie auch kein zusätzliches Geld ausgeben. Sie können der wachsenden Wirtschaft nicht die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen. Dann gibt es zwar immer mehr Waren, die Geldmenge bleibt jedoch konstant. Die Folge: Der Preis der Waren sinkt, es kommt zu einer Deflation. Das wiederum führt dazu, dass sich Firmen und Privatpersonen beim Einkauf zurückhalten. Schließlich könnte die Ware ja in Kürze noch günstiger zu haben sein. Die Nachfrage geht zurück, als Folge davon bricht die Produktion ein, und die Wirtschaft gerät in einen Abwärtsstrudel. Genau das passierte im 19. Jahrhundert in verschiedenen Ländern immer wieder.
Abb. 1: Banknote zu 100 Mark
Quelle: privat
Indem die Bargeldmenge im Kaiserreich jedoch zu zwei Dritteln an Handelswechsel gebunden war, deren Volumen natürlich von der Konjunktur abhing, konnte die Bargeldmenge leichter mit dem Wirtschaftswachstum Schritt halten: Je mehr produziert wurde, umso mehr Handelswechsel gab es. Zwar musste entsprechend auch die Goldmenge, die...
| Erscheint lt. Verlag | 16.8.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Wirtschaft |
| Wirtschaft ► Volkswirtschaftslehre | |
| Schlagworte | Besetzung des Ruhrgebietes • Bodenmark • Deutsche Geschichte • Erster Weltkrieg • Geld drucken • Geld nichts mehr wert • Geschichte • Goldmark • Gustav Stresemann • Hyperinflation • Mathias Erzberger • Papiergeld • Rentenmark • Reparationszahlungen • Roggenmark • Staatsverschuldung • Versailler Vertrag • Vertrag von Versailles • Währungsreform • Walther Rathenau • Weimarer Republik • Zwanziger Jahre |
| ISBN-13 | 9783986091200 / 9783986091200 |
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