Sinnlos glücklich (eBook)
261 Seiten
Verlag Franz Vahlen
978-3-8006-6761-1 (ISBN)
Die ganze Arbeitswelt redet von Sinn. Jeder sucht ihn, doch kaum jemand findet ihn - schon gar nicht bei der Arbeit. Wieso macht man den Job eigentlich, in einem Unternehmen, das man nicht richtig kennt, dessen Chef man nicht mag, in einer Wirtschaft, die man nicht mehr versteht? New-Work-Konzepte mit Sinnstiftung durch Arbeit, mit 'Why' und 'Purpose', versprechen viel. Aber trotz neuer Freiheiten bleiben viele Menschen unzufrieden und jagen immer dem nächsten, besseren und vor allem sinnvolleren Job hinterher.
Das Buch entlarvt eine regelrechte Sinn-Industrie von Beratern und Unternehmen, die vorgeben, die 'Welt zu retten'. Sich auf diese New-Work-Köder einzulassen macht - im Gegenteil - unglücklich. Warum Sinngebung durch Unternehmen keinen Sinn macht, und wie man dennoch, ganz ohne Sinn, Erfüllung durch Arbeit findet, zeigt dieses Buch.
Der Autor zeigt neue Wege der Psychologie und Philosophie, um dem Unsinn mit dem Sinn zu entkommen, und wie man im Arbeitsleben ohne Sinn auskommt: es ist die Tätigkeit an sich, die glücklich macht, wenn man das tut, was man gerne macht und immer schon gut konnte. Es ist Zeit für einen 'Existenzialismus der Arbeit', in dem pures Erleben, Freiheit und Selbstbestimmung den Beruf bestimmen. Es ist Zeit für einen 'Sisyphos 2.0', wo Arbeit nicht das mühsame Auf und Ab ist, sondern die Lust, einfach etwas zu bewegen. Mit diesem Buch kann jeder eben einfach sinnlos glücklich werden.
13I. Der Unsinn mit dem Sinn
„Wer leere Phrasen drischt, muss mit dem Risiko leben, an dem aufgewirbelten Staub zu ersticken.“
Margot S. Baumann
141. Gelobt sei, was Sinn macht
Sinn ist Trend. Das fordern die Leute und das bieten die Arbeitgeber seit kurzem in rauen Mengen an: Sinn. Alle reden davon. Alle stellen plötzlich die Sinnfrage. Bei der Arbeit. Früher haben wir dem Boss die Gehaltsfrage gestellt, heute stellen wir uns und ihm die Sinnfrage:
Macht meine Arbeit Sinn?
Was mache ich hier im Büro, in der Werkshalle überhaupt und sowieso? Was ist der tiefere Sinn des Lebens und der Arbeit?
Wenn unsere Eltern so eine Frage laut bei der Arbeit ausgesprochen hätten, wenn sie überhaupt derart keck gewesen wären, man hätte sie mindestens ausgelacht, wenn nicht für komplett meschugge erklärt. Heute ist es umgekehrt. Wer vor der Frühstückspause um Neun nicht schon mindestens dreimal die Sinnfrage gestellt hat, muss zur Strafe freitags für die Zukunft demonstrieren. Sinn ist in.
Sinn ist in den letzten Monaten dermaßen in, dass sich bei mir inzwischen die Anfragen verunsicherter Vorstände, Führungskräfte, Arbeiter und Angestellter häufen, die hinter vorgehaltener Hand wissen wollen, ob sie veräppelt werden oder ob der Sinn der Arbeit tatsächlich mehr sei als eine aufgeblasene Worthülse aus dem New Work-Vokabular. Ich beruhige sie dann und erkläre ihnen, dass der Sinn der Arbeit keine leere Worthülse sei.
Es ist viel schlimmer.
Ich glaube, dass der Trend ein Manipulationsversuch ist, mit dem Arbeitnehmer letztendlich für dumm verkauft werden sollen. Dass dieser Trend die Arbeit mit etwas aufzuladen versucht, das die meisten Jobs gar nicht zu leisten im Stande sind – und vor allem gar nicht nötig haben! Und wir können nicht alle bei Greenpeace, als Virologen oder als Notärzte arbeiten.
Sollten wir das denn?
Sinn und Schicksal
15Wer beobachtet, welches Bohei um den Sinn der Arbeit gemacht wird, muss zum Schluss kommen, dass der Sinn der Arbeit über das Schicksal der Welt entscheidet. Mindestens.
Das ist ein guter Ansatzpunkt. Denn das Schicksal der Welt ist bestens dokumentiert; wir brauchen lediglich die Geschichtsbücher aufzuschlagen.
Wenn der Sinn der Arbeit so eminent, so schicksalsträchtig wäre, dann müssten sich in den Geschichtsbüchern doch jede Menge historischer Belege finden – und siehe da: Sobald man einen Sinn-Fan nach Belegen fragt, wird mit schöner Regelmäßigkeit das Lehrbuch-Beispiel vom Bau der Kathedrale zitiert1. Es geht so:
Ein Mann geht über den Vorplatz einer Kathedrale im Bau und trifft nacheinander drei Steinmetze, die exakt dieselbe Tätigkeit ausüben: Steine behauen. Jeden von ihnen fragt er, was er da mache. Der erste Metz antwortet: „Ich behaue Steine.“ Der zweite sagt: „Ich fertige Balustraden.“ Der dritte aber sagt: „Ich baue eine Kathedrale!“ Wer von den dreien ist der beste Steinmetz?
Rhetorische Frage. Natürlich der dritte. Warum? Weil nur er und er allein den Sinn seiner Arbeit, den Purpose erkannt hat, und weil dieser noble Sinn ihn heftiger als jede herkömmliche Motivation zu Höchstleistung antreibt. Niemand würde das bezweifeln.
Ich bin dieser Niemand.
Denn natürlich hat es diese Lehrgeschichte in praxi nie gegeben und vor allem nicht ihre postulierte Motivationswirkung – deshalb ist es eine Lehrgeschichte. Sie ist eine Parabel, eine erfundene Geschichte zu Lehrzwecken – oder zur Manipulation, wenn Sie so möchten. Davon kann sich jeder überzeugen, der einen Blick auf die echte Geschichte der Menschheit wirft. Picken wir ein recht plakatives und dramatisches Beispiel heraus.
Die Schlacht um Midway – Pathos oder Pragmatismus?
16Die Schlacht um die Midway-Inseln im Pazifik war ein historischer Wendepunkt im Verlauf des zweiten Weltkriegs. Hätten diesen Punkt nicht die Amerikaner für sich entschieden, würden Sie diese Zeilen jetzt womöglich in japanischen Schriftzeichen lesen oder nächste Woche zur Blockwart-Wahl gehen. Midway war kriegsentscheidend, und diese Kriegsentscheidung konnte und kann recht eindeutig auf den Beitrag eines einfachen Soldaten zurückgeführt werden. Aha, Captain America in echt!
Genau das suggeriert der Sinn-Hype: Wenn jemand komplette Kriegsverläufe beeinflussen und das Schicksal der ganzen Welt wenden kann, dann doch wohl einer, der vom Sinn seiner herkuleischen Aufgabe durchdrungen ist, mindestens jedoch vom noblen Purpose der flammenden Vaterlandsliebe und dem ebenso noblen Bestreben, dem sinnlosen Morden ein Ende zu bereiten. Ja?
Ganz im Gegenteil. Wie kommen wir überhaupt auf die Idee, dass der Noble Purpose irgendeinen kriegsentscheidenden Impact hätte? Vom Streamen der Marvel-Blockbuster? Wo doch die echte Geschichte der Menschheit voll von Episoden und Begebenheiten ist, die das Gegenteil beweisen. Nie in der Geschichte der Menschheit hat der Sinn einer Aufgabe einen größeren Unterschied gemacht – das behauptet lediglich das ex post verbrämende Pathos. In Wirklichkeit läuft das Ganze umgekehrt.
Betrachten wir doch mal die Kriege und anderen Amokläufe der Menschheitsgeschichte: Je stärker bestimmte Leute ihrem irren Handeln irgendeinen übergeordneten Sinn aufpfropften – und das heute noch tun – desto eher endete es für ihre leichtgläubige und sinnsuchende Gefolgschaft im Speziellen und die Menschheit im Allgemeinen in Fiasko und Massenmord.
Auch das Umgekehrte gilt: Wenn in der Menschheitsgeschichte etwas Bahnbrechendes geschah, dann steckte dahinter nicht selten kein höherer, sondern ein im Gegenteil eher ganz pragmatischer Sinn.
Genau das beweist Midway, detailliert nachzulesen in Craig L. Symonds „The Battle of Midway“ (2011). Der wahre Held von Midway – falls es in Kriegen Helden gibt, Yoda war da ganz 17anderer Meinung – war kein Captain-America-Verschnitt, sondern der Inbegriff eines einfachen Arbeiters und Soldaten, der nicht von hehrem Purpose getrieben war, sondern schlicht seine Arbeit liebte – nicht das Pathos.
Mehr noch: Dieser einfache Soldat namens Joseph J. Rochefort stellte sich eben und gerade nicht die Sinnfrage bei der Arbeit, sondern erledigte schlicht und einfach seine Arbeit wie ihm aufgetragen wurde. Nicht die Sinnfrage entschied diese und jede andere Schlacht – auch wenn Comics und Filme wie „300“ Millionenbudgets verballern, um uns vom Gegenteil zu überzeugen. Nicht ein abgehobener, pathetischer Purpose entschied diese Schlacht, sondern die gewissenhafte Arbeit von Joseph J. Rochefort: Er war Kryptoanalytiker, im Volksmund „Codebreaker“ genannt.
Er entschlüsselte den Code der Japaner, was deren geheime Funksprüche in Klartext verwandelte und die Schlacht entschied. Warum tat er das? Weil er den höheren Sinn seiner Arbeit erkannt hatte? Weil er der Welt den Frieden bringen wollte? Nein.
Weil er gut im Kreuzworträtseln war.
Deshalb hatte ihn sein Vorgesetzter, Commander Chester Jersey Monate zuvor vom Tankschiff Cuyama für die neu gebildete „Code & Signal Section“ der Navy vorgeschlagen: „Der Mann ist gut im Kreuzworträtseln, der knackt sicher auch gerne Code-Rätsel.“ Das tat er. Und entschied Midway.
Was will uns das sagen?
Tat, nicht Sinn
Nicht die Sinnfrage entscheidet Schlachten, Karrieren und das Schicksal der Welt, sondern gewissenhafte Arbeit, Arbeit, die man gerne und deswegen gut erledigt – und das, was man damit erreicht: Impact.
Was etwas absolut Sinnvolles erreicht, das keinen oder kaum Impact entwickelt, beweisen freitags die Demonstranten fürs Klima. Sinn ohne Einfluss ist wie eine stillgelegte Lok auf dem Abstellgleis: Man kann noch so sehr den Kessel anheizen – die Lok kommt trotzdem nicht weit.
Nicht der Sinn entscheidet, sondern die Tat.
18Nicht das, was Sinnvoll ist, verändert die Welt – sonst hätten wir keine Klimakrise – sondern das, was getan wird: Daher die Klimakrise; es wird zu wenig getan, obwohl das allen Sinn der Welt machen würde. Der Sinn ist ein Gedanke, und Gedanken sind nicht nur frei, sondern wohlfeil. Es macht absolut Sinn, das Klima zu retten, und was machen viele selbsternannte Klima-Kümmerer?
Sie denken über die nächste Fernreise nach, laden ihr Smartphone unreflektiert mit Atomstrom oder genießen Veggie-Food auf nicht nachhaltiger Palmöl-Basis: Sinn und Tat, Feuer und Wasser. Das ist der Unsinn vom Sinn. So wird Schindluder mit dem Sinn getrieben.
Ich möchte sogar behaupten, dass es aus Sicht der Psychologie überhaupt keinen Sinn im herkömmlichen Sinne gibt. Nur weil wir über etwas wie den Sinn nachdenken können, heißt das nicht, dass der Sinn unser Handeln bestimmt – wie jeder weiß, der schon mal eine Diät machen wollte, total motiviert daran dachte und dann doch wieder Sahnetorte goutierte. Sinn ist ein erbärmlicher Ersatz für Taten.
Midway wurde nicht durch den Sinn entschieden, sondern durch die Liebe zum Kreuzworträtsel. Joseph J. Rochefort folgte keinem Pathos, keinem Sinn, sondern machte einfach nur das, was er gut konnte, was er mochte und worin er gut war. Sinnsuchende entscheiden keine Kriege – selbst wenn Kriege Sinn machen würden, was sie nicht tun.
Auch der Vorgesetzte von Soldat Rochefort hatte niemanden mit besonderer Vaterlandsliebe oder pathetischen Opferbereitschaft gesucht, sondern lediglich einen ordentlichen Handwerker.
Und doch geben heute Konzerne Millionen aus, um umworbenen Bewerbern und pingeligen Endkunden jenseits jeden Zweifels klar zu...
| Erscheint lt. Verlag | 26.11.2021 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
| Schlagworte | Achtsamkeit • Arbeitspsychologie • Motivation • new work • Sinn |
| ISBN-10 | 3-8006-6761-4 / 3800667614 |
| ISBN-13 | 978-3-8006-6761-1 / 9783800667611 |
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