Der Erfindergeist der Tiere (eBook)
192 Seiten
Christian Brandstätter Verlag
978-3-7106-0888-9 (ISBN)
Die Kognitionsbiologin Alice Auersperg ist Gründerin und Leiterin des Goffin-Labs am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Sie forscht zu tierischer Intelligenz an Forschungsstätten und Zoos sowie im Freiland, aktuell vor allem mit Papageienvögeln, aber auch interdisziplinär mit Affen, Kindern und Robotern. Zuvor arbeitete sie u.a. an der Universität Edinburgh, der Universität Wien und an der Universität Oxford. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der O?AW.
Die Kognitionsbiologin Alice Auersperg ist Gründerin und Leiterin des Goffin-Labs am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Sie forscht zu tierischer Intelligenz an Forschungsstätten und Zoos sowie im Freiland, aktuell vor allem mit Papageienvögeln, aber auch interdisziplinär mit Affen, Kindern und Robotern. Zuvor arbeitete sie u.a. an der Universität Edinburgh, der Universität Wien und an der Universität Oxford. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. Patricia McAllister-Käfer ist freie Journalistin und Schreibmentorin. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit für Auftraggeber wie "Die Presse" oder "Datum" mit dem Verhältnis zwischen Natur und Mensch – und damit, wie es sich erzählen lässt.
Wozu Überhaupt intelligenz?
Ein Seehase hat mutmaßlich kein schlechtes Leben. Die Meeresschnecke, mit wissenschaftlichem Namen Aplysia, lebt am Meeresboden, ernährt sich vegetarisch von Algen und Tang und kann – ähnlich einem Tintenfisch – eine violette Tintenwolke erzeugen, um sich bei Gefahr unbemerkt aus dem Staub zu machen.
Die Aplysia californica ist keine Unbekannte in der Wissenschaft. An ihr konnte gezeigt werden, dass und wie Lernen selbst bei sehr einfachen Weichtieren möglich ist – übrigens vom Exil-Österreicher Eric Kandel, der für seine Aplysia-Forschungen den Nobelpreis gewann. Dass die Aplysia zum Forschungsobjekt wurde, ist nicht verwunderlich: Ihr Nervensystem ist sehr einfach gebaut und vor allem derart groß (die Schnecke kann bis zu zwei Kilogramm auf die Waage bringen), dass sich an ihr neuronale Vorgänge teils auch ohne Mikroskop untersuchen lassen.
Kandel wies nach, dass auch die so einfachen Seehasen sich konditionieren lassen. Das heißt, sie sind zum Lernen fähig: Je öfter bei ihnen durch eine Berührung an einer bestimmten Stelle der Kiemenrückziehreflex ausgelöst wurde (um die lebenswichtigen Atmungsorgane vor einem möglicherweise bevorstehenden Angriff zu schützen), desto eher blieb dieser Reflex aus. Der Seehase hatte gelernt, dass nichts Gefährliches passiert, wenn er berührt wird.
Diese Fähigkeit zum Lernen lässt sich wohl als die Basis von Intelligenz vorstellen. Dabei hat der Seehase nicht einmal ein Gehirn in unserem Sinn. Man kann also auch als hirnloser Organismus ein gutes Leben führen, das rein auf Reflexen beruht.
Warum lohnt es sich dennoch, in ein Gehirn zu investieren? Immerhin benötigt etwa das menschliche Gehirn 21 Prozent der unserem Körper zur Verfügung stehenden Energie, beim Schimpansen sind es noch rund zehn Prozent. Nun, jede Tierart besetzt in ihrer Umwelt eine ökologische Nische, innerhalb derer sie sich bewegt. Und je zuverlässiger und spezialisierter ein Tier in dieser Nische „von der Natur“ versorgt wird – beim Seehasen vom Grünzeug am Meeresboden –, desto weniger braucht es ein leistungsfähiges Zentralnervensystem. Um sich an diese Nische ideal anzupassen, haben viele Tierarten unterschiedliche Eigenheiten in ihrem Verhalten und ihrer Anatomie entwickelt.
Da sind zum Beispiel die Koalas. Sie fressen ausschließlich Blätter und sind spezialisiert auf bestimmte Eukalyptus-Arten. Um ein energiesparendes Baumleben zu ermöglichen, haben sie scharfe, kurvige Krallen, ihr Körper ist muskulös und ihre Oberarme sind verlängert. Zudem sind ihre Zähne und ihr Verdauungssystem auf eine fasrige Pflanzendiät angepasst. Und sie schlafen ungewöhnlich viel. Der Koala hat in seinem Eukalyptusbaum alles, was er braucht, sein Leben ist nicht besonders komplex. Eine weitere Sparmaßnahme scheint sich also geradezu anzubieten: sein – für ein Beuteltier seiner Größe – ausgesprochen kleines Gehirn, das nicht einmal die ganze Schädelhöhle füllt.
Wann und warum aber braucht es ein leistungsfähiges Gehirn, und damit höhere Intelligenz, wenn die uns so viel Energie kostet? Es gibt doch jede Menge Tiere, die über die Jahrmillionen evolutionsbiologisch wahnsinnig erfolgreich waren, auch ganz ohne intelligent zu sein. Ist Intelligenz eigentlich unnötig?
Wenn man Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit dem Thema beschäftigen, fragt, was unter Intelligenz eigentlich zu verstehen ist, kann man sich ziemlich sicher sein, dass man selten die gleiche Antwort bekommt. In der biologischen Forschung sind sich die meisten jedoch darüber einig, dass Intelligenz eine gewisse Flexibilität des Geistes bedeutet, welche eine Anpassungsfähigkeit des Körpers erlaubt. Durch Intelligenz können wir und andere Tiere uns an Komplexitäten in unserer Umwelt anpassen. Solange genügend Eukalyptusbäume vorhanden sind, in denen der Koala wohnen und von denen er sich ernähren kann, ist alles bestens. Doch wenn plötzlich der gewohnte Lebensraum, hier die Eukalyptusbäume, verschwindet, kann eine Spezialisierung zum Problem werden und eine Art aussterben.
Unser Gehirn ist also eine Art „Problemlösungsorgan“, das uns hilft, mit unvorhersehbaren Umweltbedingungen (Situationen) umzugehen. Wenn ein Tier ständig mit Veränderungen zu tun hat, dann zahlt sich das hohe Energie-Investment in die neuronale Masse aus, davon ist die Forschung heute überzeugt.
Eine andere Frage ist noch ungeklärt: Was genau sind das für Komplexitäten, für die sich aufwendige Gehirne wie das unsere entwickelt haben? Wie häufig in den Wissenschaften gibt es dazu Hypothesen und Theorien, die sich auf unterschiedliche Sphären beziehen; die prominentesten sind derzeit soziale und die ökologische Intelligenzhypothesen. Früher schlossen sich diese Hypothesen gegenseitig aus, heute betrachten wir sie eher als komplementär, also einander ergänzend. Auf eine einzige Hypothese einigen konnte sich die Wissenschaft bisher allerdings nicht. Wo gehen die Meinungen auseinander?
Wie entsteht intelligenz in der evolution?
Vertretende sozialer Intelligenzhypothesen meinen, dass sich besonders große Gehirne und fortgeschrittene kognitive Fähigkeiten durch ein komplexes soziales Umfeld entwickeln. Ein prominenter Vertreter der Hypothese der Sozialen Intelligenz ist Robin Dunbar, ein britischer Anthropologe und Biologe. Er sagt: Wer mit vielen anderen Artgenossen zu tun hat, muss sich anpassen, um die vielen sozialen Beziehungen im Kopf zu behalten und unterschiedlich zu pflegen, ohne andere vor den Kopf zu stoßen.
Primatologen der schottischen University St Andrews, Andrew Whiten und Richard Byrne, vertreten zudem eine machiavellische Intelligenzhypothese: Sie argumentieren, dass besonders Wettbewerb in sozialen Beziehungen die Entwicklung von Intelligenz zu fördern scheint. Wer weiß, mit welchen Artgenossen er Freundschaften pflegen sollte und mit welchen es sich weniger lohnt, wie man andere an der Nase herumführen kann und letztendlich auch wie man sich mit einem verärgerten Freund wieder versöhnt, hat es in einer Primatengruppe leichter. Dies kann einen Überlebens- und Fortpflanzungsvorteil darstellen.
Demzufolge formt also unsere soziale Umwelt unser Gehirn: Wie groß ist die Gruppe, in der wir oder andere Tiere uns zurechtfinden müssen? Wie groß ist die Anzahl der Beziehungen, die wir aufrechterhalten möchten? Wie viele Arten von Beziehungen gibt es in unserer Gruppe und wie gehen wir jeweils mit ihnen um? Was wird gebraucht, um andere in der Gruppe manipulieren zu können? Zum Teil sind diese Hypothesen wissenschaftlich gestützt. Zum Beispiel haben Vögel mit anhaltender Paarbindung größere Gehirne als andere Vögel, die sich saisonal paaren. Auch bei den höheren Primaten korreliert Gruppengröße mit Großhirnrinde, was heißt: Je größer die Gruppen, desto leistungsfähiger auch die Großhirnrinde.
In der Anhängerschaft ökologischer Intelligenzhypothesen sieht die Sache naturgemäß anders aus: Für die Gehirnentwicklung sei die Komplexität, die sich aus der physischen Umwelt eines Tieres ergibt, verantwortlich. Und mit dieser Komplexität der Umwelt kann Mensch oder Tier in unterschiedlicher Gestalt konfrontiert sein:
Zum einen kann die Komplexität darin bestehen, an Futter zu gelangen, das eingeschlossen oder außer Reichweite ist. Diese Extractive foraging hypothesis oder „Hypothese vom Futterherausholen“ stellten Sue Parker und Kathleen Gibson 1977 auf, als von der technischen Intelligenz der Vögel, mit der wir uns heute auseinandersetzen, noch keine Rede war. Damals ging es vor allem darum, die Intelligenz der Schimpansen zu erklären. Dass diese Großen Menschenaffen sogar Werkzeuge verwenden, verbreitete sich rasch auch außerhalb der Forschung und gehört seit Langem zum Allgemeinwissen. Parker und Gibson boten als Erklärung an, dass diese Tiere eben davon abhängig sind, nahrhaftes Futter zu „extrahieren“, also irgendwo herauszuholen oder sich den essbaren Teil erst einmal zu erschließen: Kerne, Früchte oder Nüsse aus einer Schale, Insekten aus ihrem Bau.
Zunächst betrachteten die Wissenschaftlerinnen diese These als exklusiv: Die Schimpansen seien nicht deshalb so schlau, weil sie in einer Gruppe mit komplexen Beziehungen zusammenleben, sondern weil sie Köpfchen brauchen, um an das beste Futter zu gelangen. Später modifizierte Parker sie dahingehend, dass auch soziale Bedingungen eine Rolle spielen. Zum Beispiel gingen die Fähigkeit, komplexen Werkzeuggebrauch zu erfinden, und die Fähigkeit, ihn an andere Artgenossen durch soziales Lernen weiterzugeben, miteinander Hand in Hand.
Davon abgesehen kann Komplexität auch darin bestehen, an besonderes Futter in den Baumwipfeln des Dschungels...
| Erscheint lt. Verlag | 26.2.2025 |
|---|---|
| Mitarbeit |
Assistent: Patricia McAllister-Käfer |
| Verlagsort | Wien |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
| Technik | |
| Schlagworte | Erfindergeist • erfinderisch • Goffin-Kakadu • innovativ • Intelligente Tiere • Intelligenz • Intelligenz der Tiere • Interdisziplinär • Kakadu • Kakadus • Kapuzineraffen • Kognition • Kulturtechniken • Papageienvogel • Primaten • Probleme lösen • Rabenvogel • Rabenvögel • Tier und Technik • Verhaltensforschung • Werkzeugkiste |
| ISBN-10 | 3-7106-0888-0 / 3710608880 |
| ISBN-13 | 978-3-7106-0888-9 / 9783710608889 |
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