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Das stille Sterben der Natur (eBook)

Wie wir die Artenvielfalt und uns selbst retten
eBook Download: EPUB
2025
274 Seiten
C.Bertelsmann Verlag
978-3-641-32547-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das stille Sterben der Natur - Matthias Glaubrecht
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Gefährliche Ignoranz: Wir befinden uns mitten in einem weltumspannenden Artensterben – Wie falsche Weichenstellungen in Politik und Gesellschaft unsere natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen und was wir tun sollten

Von vielen unbemerkt verschwinden immer mehr Tiere und Pflanzen aus unserer Umwelt, was unsere Lebensgrundlagen zunehmend gefährdet. Der bekannte Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht klärt seit Jahren über die Bedeutung der Artenvielfalt und die verheerenden Folgen des Artensterbens auf. Hier beschreibt er Gründe, warum wir die Krise der Biodiversität zu wenig wahr- und zu wenig ernst nehmen: Wir fokussieren zu sehr auf den Klimawandel, hinzu kommen das Versagen des klassischen Naturschutzes und eine oft verfehlte Wissenschaftspolitik, die ökologische und biosystematische Forschung zu wenig fördert. Glaubrecht ruft dazu auf, endlich zu handeln: das heißt, ausreichend große Naturschutzgebiete konsequent für funktionierende Lebensgemeinschaften zu schützen, zu renaturieren und die Biodiversitätsforschung voranzutreiben.

Der Evolutionsbiologe und Biosystematiker Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, ist Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Projekts Evolutioneum/Neues Naturkundemuseum Hamburg am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels. Er war zuvor Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg und Leiter der Abteilung Forschung am Museum für Naturkunde Berlin. Glaubrecht schreibt regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften wie »Die Zeit«, »Die Welt« und »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, war an TV-Produktionen beteiligt und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter »Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten« (2019). Für seine Arbeit erhielt er 1996 den Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnete ihn 2023 mit dem renommierten Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa aus.

Am Anfang vom Ende? – Worum es wirklich geht


Am letzten Tag im vergangenen Mai stand ich am Fuß des Vesuvs, inmitten der Ruinen des antiken Herculaneum. Dieser Ort rangierte lange schon ganz oben auf meiner Liste jener Ziele, zu denen ich unbedingt reisen wollte, um sie mit eigenen Augen zu sehen. Nun gab es endlich einen willkommenen Anlass, einen Vortrag an der Stazione Zoologica in Neapel. Am nächsten Tag fuhr ich entlang der Bucht bis nach Ercolano, wo ich mitten in der Ortschaft das archäologische Grabungsgelände der antiken Stätte fand. Zeitgleich mit dem nahe gelegenen Pompeij war auch die kleine Stadt Herculaneum vor zweitausend Jahren beim Ausbruch des Vulkans durch vulkanische Asche, Bimssteinregen und Lava zerstört worden, Tausende Menschen starben. Offenbar hatte der Vesuv damals seinen Gipfel gesprengt und vielen Bewohnern der Ansiedlung keine Zeit mehr zur Flucht gelassen.

Jetzt, an diesem warmen Frühsommertag, breitete sich eine unbeschwerte Ruhe über den Ruinen der antiken Stadt aus, die vor dreihundert Jahren unter den meterhohen Ablagerungen wiederentdeckt wurde. Mittlerweile ist Herculaneum wenigstens teilweise freigelegt und zählt, zusammen mit den archäologischen Stätten von Pompeji, zum UNESCO-Welterbe. Von hier schweifte mein Blick immer wieder hinauf zum wolkenumkränzten Kegel des Vulkanbergs, der sich so scheinbar friedlich im Hintergrund erhob. Doch ich wusste, dass der Schein trügt: Der Vulkanismus am Vesuv ist einer der aktivsten weltweit. Bereits im September und Oktober des Vorjahres hatte die Erde über einige Wochen hinweg wiederholt gebebt, und lautes Grollen und Krachen versetzte die in diesen Dingen eher unerschrockenen Neapolitaner in Angst. Die Beben nahmen zu, im März, April und Mai 2024 rumorte es wieder, Erdstöße bis zur Stärke 4,4 wurden rund um die sogenannten Campi Flegrei, die »brennenden Felder«, im Westen der Stadt gemessen.

Am Rande der Metropolregion Neapel gelegen, in der mehr als vier Millionen Menschen leben, gelten die über hundert Quadratkilometer großen Phlegräischen Felder bei Geologen als größter aktiver Supervulkan – und als einer der gefährlichsten. Kaum mehr als eine Woche vor meiner Reise nach Neapel hatte es in der Region eines der schwersten Erdbeben seit Jahrzehnten gegeben. Die Gefahr eines erneuten Ausbruchs ist inzwischen eindeutig gestiegen, zumal Experten zuletzt Hinweise fanden, dass sich Magma und Gase in nur wenigen Kilometern Tiefe unter den Phlegräischen Feldern ansammeln. Doch das verdrängen die Neapolitaner meistens erfolgreich.

Als ich wenig später oben auf dem Gipfel des Vesuvs am Kraterrand stand und von dort über die dichten Ansiedlungen blickte, die sich bis zur im Dunst verschwindenden Großstadt erstreckten, fragte ich mich mit leichtem Schaudern, wie die Menschen wohl auf den nächsten größeren Ausbruch des schlummernden Vulkans reagieren. Niemand weiß, wann dies sein wird; doch er wird kommen. Eine Evakuierung der gesamten gefährdeten Region wird eine Herkulesaufgabe sein. Und wenn der rumorende Vesuv oder die »brennenden Felder« wieder aus- und aufbrächen, wäre dies nicht nur eine Katastrophe für Neapel und die nähere Umgebung. Die zu erwartenden meterdicken Ascheschichten, unter denen Mittelitalien versinken würde, wären dabei nur ein kleiner Teil der Katastrophe; betroffen wären außerdem die Infrastruktur und die Ernährung von vielen Millionen Menschen in Europa und vielleicht darüber hinaus. Ein großer Vulkanausbruch im Mittelmeerraum dürfte wegen seiner Auswürfe und Gase, die kilometerweit hinauf in die Atmosphäre ziehen, weitreichende Konsequenzen haben und könnte unter Umständen sogar unser Klima, die Umwelt und damit das Leben rund um den Erdball massiv beeinflussen.[1]

Aber die Bewohner der Stadt und der Umgebung des Vesuvs sind, wie mir schien, geradezu demonstrativ gelassen und erfreuen sich ihres mediterranen Lebens am Golf von Neapel. Wenn sie doch einmal, wie unlängst, eines der stärkeren Beben beunruhigt, ist dies bald darauf wieder vergessen – ebenso, dass sie wie ihre Vorfahren seit Tausenden von Jahren mitten in einer der tektonisch gefährlichsten Regionen Europas und der Erde leben.

Ähnlich wie die Neapolitaner, das wurde mir dort am Vesuv inmitten der Zeugnisse historischer Zerstörung einmal mehr klar, verdrängen wir alle – die inzwischen mehr als acht Milliarden zählende Menschheit – uns drohende Gefahren; jedenfalls, solange sie uns nur potenziell und eben nicht ganz unmittelbar bedrängen. Als Spezies, so formulierte es der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen einmal treffend, seien wir Menschen darauf programmiert, nicht vorausschauend zu denken und eine Zukunft, die vielleicht nie eintritt, einfach abzutun.[2] Mag sein, dass der Mensch seit Langem im Leugnen selbst des Lebensbedrohlichen erprobt ist, doch weil wir einen bereits dicht besiedelten Planeten bewohnen, hat dies heute sehr viel fatalere Folgen. Natürlich sind wir gern sorglos und bequem. Wie aber ist es möglich, dass wir – obwohl wir nicht erst seit gestern und immer besser wissen, dass akuter Handlungsbedarf besteht – doch einfach so weitermachen wie gehabt, als spürten wir das Rumoren und das Beben unter unseren Füßen nicht? Ohne Frage besteht eine ebenso erhebliche wie erstaunliche Diskrepanz zwischen der Dringlichkeit und der Wahrnehmung eines Problems. Offenkundig haben wir Menschen ein Problem damit, Risiken realistisch einzuschätzen und entsprechend Vorsorge zu treffen.

Fokussiert auf die jeweiligen Augenblickskrisen der Zeit leiden wir unter akuter Amnesie, sobald keine direkte Gefahr für unser Wohlbefinden mehr droht. Und genauso gehen wir auch mit der wohl größten Gefahr für das Überleben der Menschheit um – dem schleichenden Artenschwund und Artensterben, der Krise der Biodiversität, die zunehmend unsere Lebensgrundlagen bedroht. Denn wir Menschen greifen nicht nur in die Geosphäre ein, indem wir einen signifikanten Anstieg der Temperatur der Atmosphäre und der Oberfläche der Meere herbeiführen. Vielmehr beeinflussen wir längst auch in vielfältiger Weise die Biosphäre und sind selbst zu einem Evolutionsfaktor des Lebens auf unserem Planeten geworden. Bedingt dadurch nehmen die Vielfalt und Vielzahl der Lebewesen auf der Erde in dramatischer Weise ab, und zwar stärker noch, als bisher ohnehin schon vermutet wurde. Demnach sind im Durchschnitt mehr als zwei Drittel aller untersuchten Tierbestände in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen.[3]

Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) warnt davor, dass in wenigen Jahrzehnten eine Million von schätzungsweise acht oder neun Millionen auf der Erde existierenden Tier- und Pflanzenarten ausstirbt. Jüngste Hochrechnungen zeigen für Europa, dass im Schnitt etwa ein Fünftel der untersuchten Arten vom Aussterben bedroht ist. Rechnet man diese Daten weltweit hoch, wären sogar zwei Millionen Arten in Gefahr, für immer zu verschwinden – beinahe doppelt so viele, wie vom IPBES angenommen.[4] Das kann und darf uns keinesfalls gleichgültig sein. Denn jede Art ist ein wichtiger Bestandteil des Werkzeugkastens der Natur, der sich über einen sehr langen Evolutionszeitraum perfektioniert hat. Diese aufeinander abgestimmte Vielfalt an Arten baut sämtliche uns umgebende Ökosysteme auf; sie sind wie die Maschen eines ökologischen Netzes, die nicht beliebig entfernt werden dürfen, wenn es noch seine Funktion erfüllen soll. Es sind die Ökosysteme, die diesen Planeten erst zu einem belebten und für uns und andere bewohnbaren Ort im Universum machen – dem einzigen, von dem wir dies mit Sicherheit wissen und sagen können.

Aber vielen Menschen scheint immer noch nicht klar zu sein, dass Biodiversität mehr ist als das Steckenpferd verschrobener Biologen oder das ästhetische Sahnehäubchen einer uns nun einmal umgebenden natürlichen Umwelt. Die Artenvielfalt ist vielmehr unsere Lebensversicherung; denn einer funktionierenden Biodiversität in den Böden und der darauf gedeihenden Vegetation, in Gewässern und Meeren verdanken wir sauberes Wasser und Luft sowie sämtliche Nahrungsmittel und unsere Gesundheit. Alles, was wir sind und was wir tun, hängt von der Natur ab.

Diese Natur aber müssen wir neu denken, das Leben auf der Erde neu sehen. Denn ohne Übertreibung und ohne jedes Pathos können wir sagen: Der enorme, wachsende Verlust irdischer Lebensformen stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar; und wie wir damit umgehen, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen – mehr noch als der und unabhängig vom gegenwärtig so viel debattierten Klimawandel. So meine Behauptung hier. Wir müssen erkennen und anerkennen, dass hinter jedem Wachstum der Wirtschaft, hinter unserem Wohlstand und dem Wohlergehen wenigstens der meisten in der westlichen Welt, hinter unserer Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit im globalen Norden der Niedergang der Natur lauert. Wir sehen zu, wie unsere moderne Zivilisation den Planeten entwaldet, die Ozeane entleert und wie wir Krieg gegen die Natur führen. Wir erleben ein weiteres naturhistorisches Massensterben der Tier- und Pflanzenwelt – das sechste Artensterben, das dieses Mal allerdings allein menschengemacht ist. Doch immer noch verweigern wir uns dieser Erkenntnis, ignorieren wir die globale Artenkrise und schenken dem Leben um uns herum nicht ausreichend Aufmerksamkeit.

Haben sich unsere Lebensbedingungen in den zurückliegenden Jahrzehnten global gesehen nicht insgesamt erheblich verbessert? So könnte man durchaus einwenden. Nach wie vor scheint die Natur auf diesem Planeten...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Technik
Schlagworte 30x30 ziel • artensterben klimawandel • Biodiversität • Biodiversitätskonvention • Biologie • Biologiestudium • buch ende der evolution • cbd cop • Convention on Biological Diversity • cop 15 montreal • cop 16 cali • Dirk Steffens • eBooks • eo wilson • Flächenschutz • half earth • Insektensterben • Jan Haft • Kipppunkte • Kolbert 6. Sterben • Luisa Neubauer • Nationalparks • Naturschutz • Netz des Lebens • Ökologie • Ökoregionen • Ökosystem Erde • planetare Grenzen • Rachel Carson • Rote Liste • Schutzgebiete • Tag der Erde • Taxonomie • Übereinkommen über biologische Vielfalt • un biodiversity conference • Vogelschutz • weltnaturkonferenz • Windräder • WWF
ISBN-10 3-641-32547-1 / 3641325471
ISBN-13 978-3-641-32547-3 / 9783641325473
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