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Learning Spaces

Learning Spaces

Buch | Softcover
208 Seiten | Ausstattung: Druckwerk
2022
Arch+ (Verlag)
978-3-931435-72-1 (ISBN)
CHF 33,55 inkl. MwSt

Editorial 1
Anh-Linh Ngo
Einleitung 10
Was ist ein Lernraum?
Momoyo Kaijima
Einleitung 16
Die Nutzer*innen von Lernräumen verstehen
Empirische Methoden in der Architekturforschung
Beatrix Emo und Christoph Hölscher
A1 Essay 20
Informelle Lernräume
Grégoire Farquet und Beatrix Emo
B1 Workshop 28
Informal Learning Spaces Studio
C1 Essay 32
Schulen als soziale Komplexe
Raumangebot für ein selbstgesteuertes Lernen
Ahmed Tarek Zaky Fouad und Kerstin Sailer
A2 Glossar 36
Glossar für die Lernräume der Zukunft
Beatrix Emo und Grégoire Farquet
B2 Workshop 42
Informelles Lernen in Durchgangsräumen
C2 Interview 46
Lernagilität: Auf künftiges Lernen vorbereiten
Manu Kapur im Gespräch mit Beatrix Emo und ­
Grégoire Farquet
A3 Interview 50
Gebäude als Infrastrukturen
Anne Lacaton im Gespräch mit Momoyo Kaijima, ­Grégoire Farquet und Beatrix Emo
B3 Case Study 62
ENSA Nantes
C3 Interview 68
Eigene Perspektiven entwickeln
Karin Sander und Tobias Becker im Gespräch mit 
Grégoire Farquet und Momoyo Kaijima
A4 Interview 76
Die Handlungsmacht der Zwischenräume
Alexandre Theriot im Gespräch mit Grégoire Farquet 
und Momoyo Kaijima
B4 Case Study 82
EPFL–UNIL Lausanne
A5 Interview 84
Team 10 und die demokratische Schule
Tom Avermaete im Gespräch mit Grégoire Farquet 
und Momoyo Kaijima
B5 Case Study 94
TU Delft
C5 Interview 100
Lefebvre und die Eruption von Nanterre
Łukasz Stanek im Gespräch mit Anh-Linh Ngo, 
Grégoire Farquet, Beatrix Emo und Momoyo Kaijima
A6 Essay 106
Das Netz: Metapher und Struktur der Urbanität
Tom Avermaete
B6 Case Study 114
FU Berlin
C6 Interview 120
Wissenswelten
Moderne Universitäten und Lernterritorien
Reinhold Martin im Gespräch mit Anh-Linh Ngo, 
Mirko Gatti, Grégoire Farquet und Beatrix Emo
A7 Interview 126
Lernen in Halle 180: Umnutzung einer ­ehemaligen ­Fabrikhalle
Martin Tschanz im Gespräch mit Momoyo Kaijima und Grégoire Farquet
B7 Case Study 138
ZHAW Winterthur
C7 Essay 144
Open Plan, oder doch: Entschulte­ ­Gesellschaft?
Lernumwelten am Wendepunkt, ca. 1971
Tom Holert
A8 Essay 154
Xenotheka
Topografien analoger und digitaler Bibliotheken
Maarten Delbeke
B8 Workshop 160
Wissenschaftliche Bibliotheken
C8 Essay 164
„Classroom without Walls“
Von Teaching Machines zu Machine Learning
Georg Vrachliotis
A9 Essay 174
Lernorte in Japan
Yasuaki Onoda
B9 Workshop 182
Learning Spaces in Pandemic Times
C9 Essay 196
Lernen im Feld: Die Satoyama School of Design
Yoshiharu Tsukamoto und Siena Hirao
Beteiligte 204
Bildnachweise 207
Impressum 208

Dialektik der Selbstaufklärung Text: Anh-Linh Ngo 
 „Ich werde es hoffentlich stets ablehnen, Menschen überzeugen zu wollen. Man kann nur versuchen, ihnen die Möglichkeiten zu zeigen, aus denen sie wählen können.“1 Dieses Zitat aus der Erzählung „Die Kirschen der Freiheit“ von Alfred Andersch war der ersten ARCH+ Ausgabe, die im Januar 1968 an der Universität Stuttgart erschien, als Leitsatz vorangestellt. Daraus spricht der Wunsch der Redaktion aus Studierenden und Lehrenden nach einer anderen Form der Lehre, die die Mündigkeit des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt – aber auch die Einsicht, dass wirkliches Lernen weniger im Nachahmen fremder Überzeugungen als vielmehr im Erkennen von Möglichkeiten besteht. Dieses Selbstverständnis atmet den Geist der Zeit, in der sich die deutsche Gesellschaft nach der unmittel­baren Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg in unbekanntes Terrain vorwagte. Und so verwundert es nicht, dass der erste Beitrag der ersten Nummer ein Por-trät des nur drei Jahre zuvor gegründeten Wiener Instituts für Zukunftsfragen war, das der Redaktion wohl als Idealentwurf eines Lernorts erschien: Das Institut stelle „seine bisherige Arbeit primär unter das Motto ‚Erziehung zur Zukunft‘, indem es junge Menschen im Rahmen von Seminaren und einer zu interdisziplinärem Denken zwingenden Gruppenarbeit zur Zukunftsoffenheit und kritischen Gestaltung des Kommenden anregte“.2 Da die Redaktion diesen Ort an der eigenen Universität nicht vorfand, erfand sie kurzerhand die ARCH+ als Medium des Selbststudiums, als idealen Lernort. Die Formel „Erziehung zur Zukunft“ lässt bereits jenes pädagogische Ziel anklingen, das der Lernwissenschaftler Manu Kapur in dieser Ausgabe mit dem Begriff der „Lernagilität“ umschreibt: die „strategische Fähigkeit, mit dem Unsicheren, dem Neuen, dem nicht Kuratierten, dem Chaos zurechtzukommen“.3 Dahinter verbirgt sich jedoch auch jene technokratische Tendenz, die in den ersten Jahrgängen der ARCH+ vorherrschte. Diese Ausrichtung mag aus heutiger Sicht erstaunen, doch darin wird die mentale Disposition der damaligen Gesellschaft insgesamt sichtbar, die die Forderung nach mehr Partizipation und Selbstbestimmung mit der Mobilisierung des ungebrochenen Fortschritts-
denkens und des Zukunftsoptimismus verband. Nur in dieser Verquickung von gesellschaftlicher Liberalisierung und technokratischer Zukunftsoffenheit lässt sich die Tragik des Moments ermessen, als die Forderung nach größerer demokratischer Wahlfreiheit und Pluralität mit dem neoliberalen Appell an Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit in wirtschaftlicher und gesellschaft­licher Hinsicht zusammenfiel. Daran erinnern die Essays von Tom Holert und Georg Vrachliotis, die die ersten Schritte des digitalen Lernens auch als erste Schritte der Privatisierung des Lernens beschreiben. Beide Autoren rücken damit dankenswerterweise die Kybernetik 
als Faszinosum der ersten ARCH+ Generation in eine 
kritische Perspektive. In seiner Analyse der US-amerikanischen Juanita High School als „eine pädagogische Experimentalanordnung mit dem äußeren Erscheinungsbild eines Logistik-
zentrums“4 macht Holert nicht nur auf die „zentralen Konzepte progressiver Bildungstheorie und -planung seit den mittleren 1960er-Jahren“5 aufmerksam, sondern verweist auch auf die erstaunliche Nonchalance, mit der der staatliche Bildungsauftrag bereits damals an private Firmen ausgesourct wurde: „‚Soziotechnisch‘ im Sinne kybernetischer Arbeits-
planung war das ‚Juanita-Konzept‘ schon deshalb, weil der Unterricht in den mathematischen, naturwissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und linguistischen Fächern in den ersten beiden Jahren der Schule über einen Vertrag mit der Westinghouse Learning Corporation koordiniert wurde. Westinghouse war einer der großen Mischkonzerne in den Vereinigten Staaten, der ähnlich wie General Elec-
tric, Litton Industries oder Morton Thiokol in den 1960er-Jahren in die Entwicklung von Lernprogrammen und Unterrichtsmaterialien investierte.“6 Mit den weitreichenden Folgen dieser Entwicklung leben wir heute: Die globale digitale Technologie wird 
von einer Handvoll privater Tech-Unternehmen dominiert. Wenn heute jedes Smartphone eine „teaching machine“, jedes Tablett ein „learning device“ ist, hat sich dann der kybernetische Traum des individualisierten Lehrautomaten, den Vrachliotis nachzeichnet, bewahrheitet? „Im Zentrum stand eine stärkere Individualisierung des Unterrichts und der Aufbau neuartiger Formen der interdisziplinären Wissensproduktion. Dazu gehörten Kreativitätsforschung und brainstorming ebenso wie die Entwicklung spezieller Think-Tanks und ‚auto-instructional programs‘. Die Individualisierung des Lernens hatte die Gründung von Educational Technology, kurz edtech, zur Folge, einem neuartigen Forschungszweig der Bildungs-
industrie […]. Edtech versprach Effizienz in jeglicher Hin-
sicht, in der Wissensproduktion wie auch im ideologischen Schutz vor kommunistischem Gedankengut.“7 Was Vrachliotis hier nur implizit formuliert: Es ist wohl die im Ursprung der Digitalisierung angelegte Warenförmigkeit der Daten, der Datenkapitalismus selbst, der den langfristigen „ideologischen Schutz“ bis heute entfaltet. Die Immunisierung ist so umfassend, dass wir uns eine andere digitale Welt gar nicht mehr vorstellen können. Wir leben ein auto-instruiertes Leben, das durch Maschinelles Lernen mit unseren eigenen Daten, über die wir die Hoheit verloren haben, gefüttert wird. „Mit Maschinen zu lernen heißt, sie etwas über dich lernen zu lassen. Es ist, als würde man McLuhan in entgegengesetzter Richtung und mit umgekehrten Vorzeichen lesen müssen, um zu verstehen, dass es nun die algorithmischen environments sind, die etwas über uns lernen.“8 Der historische Rückblick auf Lernorte in dieser Ausgabe zeigt, wie stark Architektur dabei mitgewirkt hat, das Imaginäre des heraufziehenden digitalen Zeitalters durch räumliche Konzepte der Offenheit, der Vernetzung, der Interaktion zu prägen. Heute stehen wir, auch architektonisch, vor der Aufgabe, mit den Folgen dieser Entwicklung umzugehen: Wie entkommen wir der Kaskade der Berechenbarkeit durch Künstliche Intelligenz, die mehr über uns lernt, als uns lieb ist? Wird diese Frage mitverhandelt, wenn in der derzeitigen Diskussion um Orte des Lernens so viel von undeterminierten, nutzungsoffenen, „freien“ Räumen und Programmen die Rede ist? Vielleicht suchen wir damit nach räumlichen Bildern, die uns unserer Selbstwirksamkeit versichern? Im Kern geht es immer noch um das uneingelöste Versprechen der Selbstermächtigung mündiger Individuen. Was allerdings bleibt von diesem Versprechen, wenn die Maschine bereits vor uns weiß, was wir als nächstes brauchen, wollen, begehren? Mit anderen Worten: Wie frei sind wir, wenn wir computierbar, buchstäblich berechenbar geworden sind? Wenn wir diese Frage beantworten wollen, wenn wir den emanzipatorischen Anspruch nicht aufgeben wollen, gibt es wie bei allen Freiheitsfragen nur eine Antwort: Wir müssen sie als eine politische Frage behandeln. Dies hat jüngst Niklas Maak mit seinem „Servermanifest“9 getan. In einem kleinen roten Büchlein, das sich damit auch gestalterisch bewusst als politisches Pamphlet zu erkennen gibt, fordert er auf, „Data Center als Politikmaschinen“ anzuerkennen und als das zu behandeln, was sie sind: Zentren der Macht. Und der Macht kann man gewaltfrei nur mit den Mitteln der Aufklärung beikommen. Indem Maak also die Serverfarm als öffentliches Bürgerzentrum denkt, setzt er in aufklärerischer Tradition das arkane Wissen dem öffentlichen Diskurs aus. Auch wenn der Autor hier eine andere Typologie im Sinn hat – die eines Civic Center nach dem Beispiel des Centre Pompidou für das digitale Zeitalter –, so ist unverkennbar, dass er das Bild eines lernenden Raumes wie auch eines Lernraums (in der doppelten Bedeutung des englischen Begriffs learning space, um den es in dieser Ausgabe geht) entwirft, „in dem Aufklärung darüber stattfindet, wer die Künstliche Intelligenz, die Plattformen, die Cloud und die Algorithmen kontrolliert, wie wir analysiert, vorausberechnet und überwacht werden, was Hoheit über die eigenen Daten eigentlich bedeutet, was passiert, wenn man sie verliert, wie man sie zurückerlangt und welche neuen Formen partizipativer Demokratie dann möglich wären?“10 Doch was heißt im Zeitalter von machine learning schon Aufklärung? Wenn die Maschine uns immer einen Schritt voraus ist? Uns intimer kennt als wir uns selbst? Da eine digitale Maschinenstürmerei und kulturpessimistisches Rollback für ein progressives Denken nicht in Frage kommen, müssen wir uns stattdessen darüber Gedanken machen, wie die technische Entwicklung für emanzipative Zwecke eingespannt werden kann: „Wenn wir aber von unseren digitalen Zwillingen, 
die in privaten Serverfarmen aufgewachsen sind, aus einer spekulativen Zukunft heraus angegriffen werden, dann könnte das öffentliche Bürgerzentrum / die Serverfarm zu einem Raum werden, in dem wir auf die datenbasierte Vorbestimmung unseres zukünftigen Verhaltens mit Präventivschlägen reagieren und lernen, unser mögliches zukünftiges Selbst besser zu kennen, als es Tech-Unternehmen könnten. Das Bürgerzentrum / die Serverfarm wäre eine poetisch-politische Maschine der Selbstvorhersage.“11 Das politische Versprechen, das mit einer solchen Argumentation einhergeht, muss allerdings über eine 
benigne „Architektur der Aufklärung“ hinausgehen, wie Maak sein Manifest untertitelt hat, wenn unter Aufklärung im herkömmlichen Sinne eine universale Rationalität verstanden wird, die Illusionen oder Irrtümer offenlegt. Dafür ist die Sache heute viel zu vertrackt. Das poetisch-politische Versprechen müsste stattdessen heute eine lernende Architektur der Selbstaufklärung zum Ziel haben – die uns vor unserem zukünftigen Selbst schützt. Diese Dialektik der Selbstaufklärung muss das Programm 
zukünftiger Orte des Lernens bilden. 
 
 
 Dank Mit der Gastredaktion dieser Ausgabe hat Momoyo Kaijima, gemeinsam mit Grégoire Farquet von ihrem Lehrstuhl für Architectural Behaviorology sowie Christoph Hölscher und Beatrix Emo vom Lehrstuhl für Cognitive Science der ETH Zürich, uns zurück zu den Wurzeln der ARCH+ geführt, die selbst in einem universitären Umfeld als alternativer Ort des Lernens entstanden ist. Für die engagierte und anregende Zusammenarbeit danke ich allen Beteiligten von ganzem Herzen. Großer Dank gebührt auch dem ARCH+ Team, allen voran Mirko Gatti (Projektleitung), Nora Dünser (Redaktion und CvD) und Franziska Gödicke, sowie den Stipendiat*innen Paul Barth, Mojan Kavosh, Sarah Knechtel und Victor Lortie, für die ARCH+ einen aktuellen Lernort darstellt. 1 Leitsatz, in: ARCH+ 1 (Januar 1968), S. 1 2 Wilfried Mündel: „Institut für Zukunftsfragen, Wien“, in: ARCH+ 1 (Januar 1968), S. 15–16, hier S. 16 3 Manu Kapur im Gespräch mit Beatrix Emo und Grégoire Farquet: „Lernagilität: Auf künftiges Lernen vorbereiten“, in dieser Ausgabe, S. 46–49, hier S. 48 4 Tom Holert: „Open Plan, oder doch: 
Entschulte Gesellschaft?“, in dieser Ausgabe, 
S. 144–153, hier S. 145 5 Ebd., S. 145 6 Ebd., S. 147 7 Georg Vrachliotis: „‚Classroom without Walls‘. Von Teaching Machines zu Machine Learning“, in dieser Ausgabe, S. 164–173, hier S. 167 8 Ebd., S. 172 9 Niklas Maak: Servermanifest – Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen, Berlin 2022 10 Ebd., S. 71 11 Ebd., S. 73

Erscheinungsdatum
Zusatzinfo zahlreiche farb. Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Maße 235 x 297 mm
Gewicht 850 g
Einbandart geklebt
Themenwelt Technik Architektur
Schlagworte Architectural Behaviorology • Bildungssysteme • cognitive science • ETH Zürich • Grégoire Farquet • Lehrende • Lernraum • Momoyo Kaijima • Orte des Lernens • Studierende • Wissensvermittlung
ISBN-10 3-931435-72-5 / 3931435725
ISBN-13 978-3-931435-72-1 / 9783931435721
Zustand Neuware
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