Geballte Kraft (eBook)
132 Seiten
Musaicum Books (Verlag)
978-80-272-2868-3 (ISBN)
Auf der Place de la Concorde (1843)
Und nun hundert Jahre zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts! Europa lebt noch in der ein wenig verschlafenen, aber letzten Endes ganz gemütlichen Zeit des Vormärz.
Auf Preußens Thron ist vor drei Jahren der vierte dem dritten Friedrich Wilhelm gefolgt, ohne daß sich dadurch allzuviel geändert hätte. In der Artilleriewerkstatt zu Spandau ist der Secondelieutenant Werner Siemens von Staats wegen mit Arbeiten zur Verbesserung der militärischen Sprengstoffe beschäftigt. Privatim befaßt er sich in jeder freien Stunde mit den überraschenden elektro-chemischen Wirkungen, die sich mit den von dem deutschen Physiker Robert Bunsen erfundenen galvanischen Elementen erzielen lassen. Wenn diese Elemente auch noch ihre Schattenseiten haben, mit: scharfen, übelriechenden Säuren gefüllt werden müssen und die elektrische Energie durch Oxydation des teuren Zinkmetalles erzeugen, so sind sie doch zur Zeit die einzigen wirklich ergiebigen Stromquellen. In der Tat hat es sich für den jungen Offizier auch gelohnt, die Unbequemlichkeiten, die mit ihrer Benützung verbunden sind, auf sich zu nehmen. Schon sind ihm schöne galvanische Vergoldungen und Vernicklungen gelungen, für welche die Industrie sofort großes Interesse zeigt ..., und immer mehr entwickelt der junge Artillerieoffizier sich bei diesen Arbeiten zum Wissenschaftler und Techniker. –
In Frankreich regiert um die gleiche Zeit Louis Philippe aus dem Hause Orléans. »Leben und leben lassen!« lautet die Losung des gutmütigen, dicken Bürgerkönigs, und die Geschäfte gehen nicht schlecht unter seinem Regime. Handel und Wandel florieren, und auch die Wissenschaften stehen in Blüte. Zwar ist André Marie Ampère schon seit sieben Jahren tot, doch seine bahnbrechenden Forschungen auf dem Gebiet der Elektrodynamik sichern nicht nur seinem Namen die Unsterblichkeit, sondern haben auch der französischen Physik zu einer führenden Stellung verholfen.
Schon sind seine Schüler und Nachfolger am Werk, die von ihm aufgedeckten Wechselwirkungen zwischen elektrischen Strömen und Magneten praktisch auszuwerten. Schon schnurren in den Laboratorien hier und dort Maschinchen, die, bald von Batterieströmen bewegt, ein wenig mechanische Energie liefern, bald auch im umgekehrten Prozeß, mechanisch angetrieben, elektrische Ströme erzeugen. Aber das alles ist eben erst im Entstehen. Vorläufig sind diese Apparate noch nicht vom Laboratoriumstisch heruntergekommen, und viel Wasser wird noch die Seine hinunterlaufen, bevor einmal brauchbare Stromquellen und Arbeitsmaschinen daraus werden. Noch immer ist man auf galvanische Elemente angewiesen, wenn man mit stärkeren elektrischen Strömen operieren und die mannigfachen Äußerungen und Erscheinungen der rätselhaften Naturkraft Elektrizität demonstrieren will; und das will man im Herbst des Jahres 1843 in Paris wieder einmal in größerem Stil unternehmen.
Der Physiker Professor Deleuil hat sich vorgenommen, den Einwohnern von Paris in einem groß angelegten Versuch die Beleuchtung der Zukunft, die elektrische Beleuchtung, vorzuführen. Einen Bundesgenossen für seine Pläne hat er in seinem Kollegen Dr. Archereau gewonnen, der bereits ganz brauchbare Regelwerke für das elektrische Bogenlicht konstruiert hat. Nun sitzen sie an einem Septembertag in dem physikalischen Cabinet von Dr. Archereau und besprechen das Unternehmen.
»Ganz groß soll es werden, mon confrère, einen großen Platz müssen wir mit dem neuen Licht beleuchten ...«, ruft der quecksilbrige, lebhafte Deleuil.
»Wie wäre es mit der Place de l'Opéra?« fragt der bedächtigere Archereau. »Man könnte die Lampen auf der Balustrade des Opernhauses aufstellen und den Platz von oben her anstrahlen.« Fast entrüstet springt Deleuil mit einer abwehrenden Bewegung auf.
»Viel zu klein, mein Lieber! Das würde die Mühe nicht lohnen. Den größten, schönsten Platz von Paris müssen wir für die Vorführung haben. Die Place de la Concorde würde das Richtige sein. Übrigens ...«, während er weiterspricht, läßt er sich wieder auf seinem Stuhl nieder, »von oben anstrahlen ...? Die Idee läßt sich hören; das könnte Effekte geben. Die Statue der Stadt Straßburg auf der Place de la Concorde ..., hundert Fuß über dem Straßenpflaster ... ein mächtiges Bogenlicht hoch oben auf den Knien der Bildsäule, das müßte wirken, mon confrère, die größte ... stärkste Lampe ... die stärkste, die es gibt ... einen Parabolspiegel dahinter, das Licht aus der Höhe auf den Platz geworfen ...« Zum zweiten Male springt Deleuil auf und läuft gestikulierend in dem Cabinet hin und her, während die Worte weiter von seinen Lippen sprudeln: »... die Gaslaternen müssen natürlich ausgedreht werden ... unsere Pariser werden staunen, wenn das neue Silberlicht den Platz überflutet.«
Er spricht noch weiter, und eine Weile läßt ihn Dr. Archereau ruhig gewähren. Doch dann, als Deleuil einmal eine Pause macht, nimmt auch er das Wort.
»Die größte meiner Lampen wollen Sie aufstellen?«
»Die größte und stärkste Lampe, die es überhaupt gibt«, bestätigt Professor Deleuil die Frage.
»Hm, hm.« Archereau streicht sich nachdenklich über die Stirn. »Meine größte Lampe braucht viel Strom. Wie ich es überschlage, werden wir eine Batterie von 200 Elementen brauchen.«
»Richtig, mon confrère. Die brauchen wir«, fällt ihm Deleuil ins Wort. »Die brauchen wir, und die werden wir auch schnell haben.«
Nachdenklich stützt Archereau den Kopf in die rechte Hand. Zögernd beginnt er zu sprechen. »Für die stärksten Lampen brauchen wir auch die größten Elemententypen. Ich zweifle, ob sich zweihundert Exemplare davon so schnell auftreiben lassen. Die Gläser dafür werden wahrscheinlich erst angefertigt, die Tondiaphragmen dafür erst geformt und gebrannt werden müssen. Es kann Wochen dauern, bis wir alles zusammen haben.«
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, unterbricht ihn Deleuil, »wir brauchen schönes Wetter für unser Experiment. Bei Regen und Schnee geht der größte Teil der Wirkung zum Teufel. Die Bäume auf der Place de la Concorde müssen noch in vollem Laub stehen. Mildes Herbstwetter muß herrschen, wenn wir die Illumination veranstalten, sonst läuft uns das Publikum davon.«
Archereau wirft einen Blick auf den Wandkalender.
»Wir schreiben heute den 15. September, Herr Professor Deleuil«, meint er danach. »Da ist nicht viel Zeit zu verlieren, wenn wir mit der Witterung noch zurechtkommen wollen.«
»Ah bah!«, schiebt Deleuil den Einwand beiseite. »Die neuen Gläser können in acht Tagen geblasen sein. Die liefert uns jede Glashütte. Die Diaphragmen brauchen auch keine längere Zeit. Es gibt da eine Poterie in la Courneuve, die uns die Sache machen kann. Ich bin mit dem Besitzer bekannt, werde noch heute nachmittag zu ihm hinausfahren, sobald wir die Maße festgelegt haben. Dicht dabei, in St-Denis, ist auch eine Glashütte. Da läßt sich alles in einer Tour erledigen. Nur über die Maße müssen wir uns vorher klarwerden. Welche Größe haben Sie sich ungefähr gedacht?«
Schon greift Deleuil nach einem Bleistift, um zu Papier zu bringen, was sie nun beschließen wollen, als Archereau mit einem neuen, schwerwiegenden Einwand kommt.
»Haben Sie auch daran gedacht, welche Kosten das Unternehmen verschlingen wird?«
Kosten?! Zum erstenmal fällt das Wort in ihrer Unterredung, und es nimmt bald eine bedrohliche Gestalt an, als Deleuil nun die Zahlen notiert, die Archereau vorbringt.
»200 Elemente soll die Batterie haben. Rechnen wir für das einzelne Element ohne Säurefüllung einmal 30 Franken ...«
»30 Franken? Ist das nicht zu hoch gegriffen?« versucht Deleuil zu widersprechen.
»Nicht zu hoch und nicht zu niedrig«, verteidigt Archereau seine Zahl. »Ich denke, daß wir mit diesem Satz ohne Komplikationen und Nachforderungen auskommen werden.
»6000 Franken für die leere Batterie«, notiert Deleuil auf seinem Block.
»Für die Füllung werden wir pro Element 10 Franken ansetzen müssen«, stellt Archereau weiter fest. Wieder protestiert Deleuil gegen die Höhe des Betrages, aber Archereau belehrt ihn schnell eines Besseren.
»Sie müssen an die nötige Nachfüllung denken, mon confrère. Die Salpetersäure muß stündlich erneuert werden, wenn die Batterien ihre volle Kraft behalten sollen. Wenigstens vier Stunden, ich denke etwa von 6 bis 10 Uhr abends, soll unsere Lampe brennen. Da müssen wir viel Salpetersäure in Reserve haben.«
»2000 Franken für Chemikalien«, schreibt: Deleuil als zweiten Posten nieder.
»Rechnen wir für die Aufstellung der Batterie, für die Montage der Lampen und als Löhne für die nötigen Hilfskräfte noch einmal 2000 Franken«, fährt Archereau in seinen Darlegungen fort, »so kommen wir auf insgesamt 10 000 Franken. Die Lampe haben wir, gottlob«. Er deutet, während er es sagt, auf die messingenen großen Regelwerke, die in einer Vitrine an der Wand stehen. »Ja, mein Lieber, 10 000 Franken, und 2000 hätte ich noch gern für Unvorhergesehenes. Das wäre die Summe, die wir für unsere Illumination benötigen. Ich habe sie nicht. Die Mittel meines Cabinets sind leider beschränkt. Verfügen Sie darüber?«
Jetzt ist es an Deleuil, die Stirn in nachdenkliche Falten zu legen. Er hat die Summe ebensowenig disponibel wie der andere. So hoch hat er sich die Kosten dieser Illumination überhaupt nicht vorgestellt und bisher kaum an die Geldfrage gedacht. Aber da der andere nun das heikle Problem aufwirft, beginnt sein lebhafter Geist auch sofort zu arbeiten.
»Die Kostenfrage?...
| Erscheint lt. Verlag | 15.11.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | Prague |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction |
| Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Technik | |
| Technik ► Nachrichtentechnik | |
| Schlagworte | 19. Jahrhundert • Behemoth 2333 • Der letzte Wohnsitz Gottes • deutscher ingenieur • elektrische Nachrichtenübermittlung • elektrischer Telegraph • Enceladus • Europäischer Kontinent • Flug 39 • Harry Potter • herman hesse • Historischer Roman • Isle of Seven • Riesenstaaten • Science-Fiction-Autor • Science-Fiction-Themen • Technologie • The Gender Game • Thomas Mann • Transport |
| ISBN-10 | 80-272-2868-9 / 8027228689 |
| ISBN-13 | 978-80-272-2868-3 / 9788027228683 |
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