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Das geheime Liebesleben der Pinguine (eBook)

Ein vergessener Polarforscher, ein aufregender Fund und eine erstaunliche Erkenntnis
eBook Download: EPUB
2021
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-25229-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das geheime Liebesleben der Pinguine - Lloyd Spencer Davis
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Eine bislang unerzählte Geschichte aus dem großen Zeitalter der Polarexpeditionen

Als der legendäre Polarforscher Robert F. Scott seine letzte Etappe zum Südpol antrat, ließ er sechs Teilnehmer der Expedition an der Basisstation zurück. George Murray Levick war einer von ihnen. Über Monate hinweg in einer Eishöhle überwinternd, gelang es ihm als Erstem, Adeliepinguine zu studieren. Was er sah, war bahnbrechend und schockierend zugleich: So unerhört und unfassbar erschien ihm das Sexualleben der Vögel, dass er seine Beobachtungen später verschlüsselt und nur in einer Auflage von hundert Exemplaren veröffentlichte. Sie gerieten in Vergessenheit – wie Levick selbst auch.

Hundert Jahre später stößt der Forscher Lloyd Spencer Davis im Zuge seiner eigenen Wissenschaftsabenteuer auf Levicks Aufzeichnungen. In seinem Buch erzählt er dessen spektakuläre Überlebensgeschichte im ewigen Eis und würdigt Levicks akribische Studie über die Pinguine, deren Liebesleben dem unseren weit ähnlicher ist, als wir je dachten. Mit großem Farbbildteil.

Der gebürtige Neuseeländer Lloyd Spencer Davis ist preisgekrönter Autor, Wissenschaftler, Fotograf und Filmemacher. Seit mehr als dreißig Jahren widmet er sich Pinguinen. Zahlreiche wissenschaftliche und populäre Veröffentlichungen. Er ist derzeit Inhaber des Stuart Chair in Science Communication an der University of Otago, an der er u.a. Creative Nonfiction Writing und Wissenschaftskommunikation lehrt. »Das geheime Liebesleben der Pinguine« ist sein erstes Buch auf Deutsch.

KAPITEL EINS

Viktorianische Werte

28. Oktober 1996. Ein freundlicher Tag für antarktische Verhältnisse. Der Himmel ist zur Hälfte mit Wolken bedeckt, doch die Sicht ist frei und auf der anderen Seite der Bucht sieht man die hohen Berge, die wie verlorene Kinder des Himalaja am Horizont sitzen. Es herrschen lauschige zehn Grad unter null, und der Nordwind ist zu schwach, um die dunkelblauen Wasserflächen zwischen dem Packeis zu kräuseln, das sich wie ein riesiges Puzzle bis zu den Bergen erstreckt.

Ich sitze zwischen den Adeliepinguinen* der Brutkolonie von Kap Bird auf der Ross-Insel. Mit dem Hubschrauber ist die Insel eine halbe Stunde von Kap Evans und der Hütte entfernt, von der aus Kapitän Robert Falcon Scott und seine Männer zu der gescheiterten Expedition aufbrachen, die sie als erste Menschen zum Südpol bringen sollte. Für mich bedeutet diese Reise keine Gefahr mehr für Leib und Leben; der größte Feind ist heute die Langeweile. Während meiner Schicht sitze ich zwei Stunden lang im Freien und behalte das Paarungsverhalten der Pinguine im Auge. Im Laufe unserer Beobachtungen schält sich heraus, dass die Pinguine ihrem beliebten Image nicht ganz gerecht werden und alles andere sind als die treusorgenden Partner, die einen Bund fürs ganze Leben eingehen. Inzwischen weiß ich, dass sie keineswegs das Paradebeispiel einer Kleinfamilie sind, als das sie in konservativen Kreisen gern dargestellt werden. Trotzdem bin ich nicht auf das vorbereitet, was ich nun sehen werde.

* Adeliepinguine wurden vom französischen Seefahrer und Polarforscher Jules Dumont d'Urville entdeckt, der die Vögel nach seiner Frau Adélie benannte. In der deutschsprachigen Literatur wurde der Akzent allerdings oft unterschlagen. In der zweiten Internationalen Pinguinkonferenz einigten sich die Vertreter der Zunft auf einheitliche Namen für die verschiedenen Pinguinarten. Seither tragen die Adeliepinguine auch offiziell keinen Akzent mehr im Namen.

Ein Pinguin nähert sich einem anderen. Beide machen eine Verbeugung, mit der sie normalerweise ein Weibchen anzulocken beginnen. Nur dass es sich in diesem Fall bei beiden Pinguinen um Männchen handelt. Trotzdem besteigt nun der eine Pinguin den anderen. Und als wäre das noch nicht verblüffend genug, tauschen die beiden anschließend die Rollen, und der Pinguin, der eben noch die weibliche Rolle eingenommen hat, besteigt nun den anderen und ergießt sein Sperma auf die Genitalien des unten liegenden, wie er dies normalerweise bei einem Weibchen tun würde.

Was ich da sehe, widerspricht allem, was man in Büchern, Dokumentarfilmen oder Fachartikeln erfährt. Dort werden Pinguine nämlich durchweg als brave und artige Knirpse dargestellt, die lebenslange Partnerschaften eingehen, weshalb sie uns als das große Vorbild für Ehe und Treue vorgehalten werden. An diesem Tag mache ich eine radikal neue Entdeckung über das Liebesleben der Pinguine.

Das glaubte ich zumindest.

Fünfzehn Jahre später. Douglas Russell, Direktor der Sammlung für Vogeleier und -nester im Natural History Museum von London, sitzt in der Bibliothek der Forschungsabteilung des Museums in Tring und sichtet einen Aktenkarton mit Nachdrucken. Er zieht ein dreiseitiges Manuskript heraus, das ihm noch nie aufgefallen ist. Oben auf jeder Seite steht der gestempelte Vermerk »Nicht zur Veröffentlichung«. Das Manuskript trägt den Titel »Sexualverhalten der Adeliepinguine« und wurde verfasst von einem Marinearzt namens G. Murray Levick, der Kapitän Robert Scott in die Antarktis begleitet hatte und sich neben seinen ärztlichen Pflichten auch als Zoologe und Fotograf betätigte.

Was Russell da zutage gefördert hat, ist offenbar das einzige noch vorhandene Exemplar eines Manuskripts, in dem Levick 1915 das Liebesleben der Pinguine beschrieb. Der Text war anscheinend schon druckfertig gewesen, dann aber aus unerfindlichen Gründen doch nicht veröffentlicht worden.

Robert Falcon Scotts letzte Antarktisfahrt, die Terra Nova-Expedition, galt nicht nur der Entdeckung des Südpols, sondern diente auch der Forschung. Nach der Rückkehr machten sich die Überlebenden daran, ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen. Murray Levick, der auf Kap Adare die Adeliepinguine beobachtet hatte, schrieb ein Buch mit dem Titel Antarctic Penguins, das 1914 erschien. Es war das erste Buch über Pinguine.

Auf diesen Klassiker war ich schon 1977 gestoßen, als ich selbst in die Antarktis aufbrach, um die Adeliepinguine zu erforschen. Es war eines von drei Büchern über Pinguine, die ich damals mitnahm, neben Büchern von Henry David Thoreau und Walt Whitman. Der Autor hatte zwar einige grundlegende Beobachtungen zum Verhalten der Adeliepinguine gemacht, doch seine Beschreibung der Vögel erschien mir insgesamt recht antiquiert.

Während der nächsten 35 Jahre ging ich unbeschwert meinen Forschungen nach und »enthüllte« dabei die Wahrheit über das Liebesleben der Pinguine. Bis Douglas Russell eines Tages Levicks Aufsatz über das Sexualverhalten der Adeliepinguine in der Zeitschrift Polar Record zur Veröffentlichung brachte – fast ein Jahrhundert nachdem er geschrieben worden war.

Eines späten Abends sitze ich dann vor dem Computer in meinem Büro und lese Levicks Artikel. Das Gebäude ist verwaist, die Kollegen sind längst nach Hause gegangen. Ich sollte auch zu Hause sein, doch ich sitze gebannt auf meinem roten Kunstlederstuhl. In seinem Aufsatz schildert Levick eine sexuelle Perversion der Pinguine nach der anderen.

Ich bin sprachlos und verblüfft, aber auch aufgeregt. Mir wird klar, dass ich meine Laufbahn als Pinguinforscher vor allem darauf verwendet hatte, das wiederzuentdecken, was dieser Levick längst herausgefunden hatte. Es war, als wäre es George Murray Levick verwehrt worden, mit eigener Stimme zu sprechen, und als hätte er daher durch mich gesprochen. Nirgends wird das deutlicher als in den letzten beiden Sätzen seines Dokuments.

Einmal sah ich, wie sich ein Hahn und eine Henne paarten. Nachdem er geendet hatte und abgestiegen war, erwies sich die vermeintliche Henne als Hahn, und die Paarung wiederholte sich mit umgekehrten Rollen: Die ursprüngliche »Henne« bestieg nun den ursprünglichen Hahn, wodurch die Natur des Vorgangs erkennbar wurde.4

Es hätte derselbe Paarungsakt sein können, den ich an Kap Bird beobachtet und 83 Jahre nach Levick in einem vermeintlich neuen Forschungsartikel beschrieben hatte.

Ich packe die Armlehnen meines Bürostuhls und wirbele herum, um das Bücherregal hinter mir zu sichten. Die Bretter biegen sich unter den Büchern zur Pinguinforschung und alphabetisch nach Autoren sortierten Ordnern mit Fachartikeln. In diesem Regal müssen an die zweitausend wissenschaftliche Publikationen zu Pinguinen stehen, das geballte Wissen über diese einmaligen und charismatischen Vögel. Abgesehen von einigen beiläufigen Notizen der ersten Forscher wurde vor 1915 allerdings nichts Wesentliches über die Pinguine veröffentlicht. Auf dem untersten Regal reihen sich an die vierzig Bücher aneinander, darunter auch ein paar mit meinem Namen auf dem Umschlag. Irgendwo in der Mitte steht ein abgegriffenes Exemplar von Levicks Antarctic Penguins aus dem Jahr 1914. Es ist die mit Abstand älteste Veröffentlichung in meinem Regal.

George Murray Levick – oder Murray Levick, das war ihm lieber – ist zweifelsohne der Vater der Pinguinforschung: Er war der Erste, der die Vögel mit den Mitteln der Wissenschaft beobachtete. Alles andere in meinem Regal kommt nach ihm. Doch der Artikel aus dem Jahr 1915, den ich gerade gelesen habe und der erst 2012 veröffentlicht wurde, ist alles andere als antiquiert und beweist, dass dieser Mann Dinge über Pinguine herausgefunden hatte, auf die wir Übrigen in diesem Regal erst im Laufe der nächsten hundert Jahre kommen sollten.

In einer Mischung aus Euphorie und Verblüffung wirbele ich in meinem Schreibtischstuhl herum und versuche, das zu verarbeiten. Ich bremse und betrachte mein Spiegelbild in einem dunklen Fenster. Besonders meine weißen Haare stechen mir ins Auge. Dreieinhalb Jahrzehnte lang war ich überzeugt, Pionierarbeit zu leisten und als Erster die Wahrheit über das Liebesleben der Pinguine zu enthüllen. In Wirklichkeit bin ich offenbar nur in die Fußstapfen eines anderen getreten, auch wenn diese Fußstapfen durch Zeit, Zensur oder was auch immer verweht worden waren.

Als mir klar wird, dass Levick wie ein Geist vor mir her gewandelt ist, weiß ich, dass ich diesen Mann kennenlernen muss. Warum hat man ihn daran gehindert, die Wahrheit über die Pinguine publik zu machen? Wer hat das getan und warum? Oder hat er etwa selbst die Entscheidung getroffen, seine Erkenntnisse nicht zu veröffentlichen? In seinen Erläuterungen zu dem Artikel schreibt Douglas Russell, es gebe Hinweise darauf, dass Levick selbst an der Unterschlagung seiner Entdeckungen beteiligt gewesen könnte. Die schlüpfrigsten Stellen seiner Feldforschung habe er in einer Geheimschrift aus griechischen Buchstaben in seinem Notizbuch festgehalten. Aber warum?

Das will ich herausfinden. Levick ist mir ein Rätsel. Ich kenne ihn zwar als Autor dieses Klassikers über die Adeliepinguine, doch ansonsten weiß ich nichts über ihn. Ein kurzer Blick ins Internet zeigt mir, dass ihn auch sonst niemand zu kennen scheint. Die Zahl der Suchergebnisse ist überschaubar.

Murray Levick wurde 1876 in der nordenglischen Stadt Newcastle upon Tyne geboren, studierte Medizin und meldete sich zum Marinedienst – so viel finde ich heraus. Er...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2021
Übersetzer Jürgen Neubauer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel A Polar Affair: Antarctica's Forgotten Hero and the Secret Love Lives of Penguins
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Adélie-Pinguine • Antarktis • Biologie • eBooks • George Murray Levick • Markus Rex • Nature writing • Polarforschung • Robert F. Scott • Südpolexpedition • Terra-Nova-Expedition • Terra X • Verhaltensbiologie
ISBN-10 3-641-25229-6 / 3641252296
ISBN-13 978-3-641-25229-8 / 9783641252298
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