Grüner wird's nicht (eBook)
Kathrin Hartmann, die unbestechliche Kritikerin aller Greenwashing-Methoden, legt mit ihrem Essay die neuralgischen Punkte der Klimaschutz- und Artensterben-Debatte frei und entwirft eine Perspektive, was nun zu tun ist.
Kathrin Hartmann studierte in Frankfurt/Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Sie war Politikredakteurin bei der »Frankfurter Rundschau« und Textredakteurin beim Magazin »Neon«. Seit 2009 ist sie freie Journalistin und Buchautorin in München. Ihre Bücher »Aus kontrolliertem Raubbau« und »Die grüne Lüge« sind im Blessing Verlag erschienen. Letzteres wurde sowohl als Film (zusammen mit Regisseur Werner Boote) wie auch als Buchveröffentlichung ein großer Erfolg. Hartmann schreibt für den »Freitag«, die »Frankfurter Rundschau« und die "Süddeutsche Zeitung" und arbeitet im Rechercheteam von »Die Anstalt« im ZDF und »Mitternachtsspitzen« im WDR. Zuletzt erschien ihr Buch »Öl ins Feuer: Wie eine verfehlte Klimapolitik die globale Krise vorantreibt« bei Rowohlt (2024). Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München.
»Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.«
Antonio Gramsci, Gefängnishefte1
VORWORT
Gerade waren Werner Boote und ich von anstrengenden Dreharbeiten für »Die grüne Lüge«2 in Brasilien und den USA zurückgekehrt, wo wir Zerstörung in gigantischem Ausmaß gesehen hatten. Die Bilder der trostlosen Ödnis im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul, wo sich Soja-, Mais- und Eukalyptus-Monokulturen und Viehweiden schier endlos abwechseln, die Geschichten der indigenen Männer und Frauen, die unter diesem Desaster leiden, die ökologischen und sozialen Verheerungen in Louisiana, verursacht durch die Ölpest infolge der Explosion der Plattform Deepwater Horizon – all das war vor meinem inneren Auge noch lebendig. Und nun standen wir, mitten in Deutschland, schon wieder an einem Abgrund: Vor uns tat sich der Tagebau Garzweiler auf. In der Ferne sahen wir die Kohlekraftwerke Frimmersdorf, Neurath und Niederaußem, die, wie die Kohlegrube selbst, dem Energiekonzern RWE gehören. Die Windräder, die sich auf dem Feld drehten, wirkten in dieser Kulisse nur wie ein zaghaftes Alibi.
Es war das erste Mal, dass ich einen offenen Kohletagebau sah. Natürlich hatte ich gewusst, welche Verwüstungen der Kohleabbau überall auf der Welt anrichtet. Trotzdem war ich schockiert. Diese Dimensionen! 66 Quadratkilometer groß ist das Loch in der Erde; der Berliner Bezirk Mitte, in dem fast 400 000 Menschen leben, würde mehr als eineinhalbmal hineinpassen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs mussten dem Tagebau Garzweiler mehr als fünfzig Dörfer weichen, weitere sollen abgerissen werden. Mehr als 35 000 Menschen sind schon gezwungen worden, ihr Zuhause zu verlassen. Manche haben ihre Existenz darüber verloren. Landwirtschaftliche Flächen wurden vernichtet, Bauern mussten Betriebe aufgeben, Kirchen und Baudenkmäler wurden und werden geopfert. Trotz des geplanten Kohleausstiegs darf RWE Garzweiler weiter ausbauen, weitere fünf Dörfer sollen noch abgerissen werden.
Die Müdigkeit der vergangenen Wochen steckte mir noch in den Knochen, der Jetlag hatte mich fest im Griff, aber das allein erklärte nicht, warum mich dieser Anblick so hart traf. Orte der Zerstörung, die ich in den Ländern des Südens besucht habe, haben mich immer umgehauen. Seien es die Aschefelder von Borneo oder Sumatra, auf denen zuvor Regenwald gewachsen war, der Palmöl-Monokulturen weichen musste. Sei es die Apokalypse aus Matsch in Bangladesch, die der Betrieb von Garnelen-Aquakulturen hinterlassen hat. Oder in Honduras, wo die Menschen weinend an einem Zaun standen, dahinter ihr Land, dessen Bäume gerade für die Errichtung eines Solarparks gefällt worden waren.
Aber hier, im rheinischen Braunkohlerevier, verdichteten sich die schwarzbraunen Schichten der Kohlegrube, die sich endlos bis zum Horizont zogen, wo Kohlekraftwerke ihre Dampfwolken in den Himmel bliesen, und unwirklich riesige Schaufelradbagger, die so stoisch wie brachial die Erde aufrissen, zu einem Sinnbild für das, was gründlich schiefläuft. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Achtzigerjahre, erinnerte mich plötzlich an sauren Regen, verseuchte Flüsse, Smog und Waldsterben und an die aufflammenden Umweltkämpfe, mit denen ich groß geworden bin. Diese ganze Szenerie hatte etwas zutiefst rückwärtsgewandtes, als wären wir in der Vergangenheit stecken geblieben. Sie spiegelte das überkommene Wohlstandsverständnis der alten Bundesrepublik wider, den festen Glauben auch der Bundesregierung, dass diese Ausnahme-Epoche ewig währen könnte. Namentlich die wenigen Wirtschaftschaftswunderjahre der Nachkriegszeit, die Wohlstand für alle, Wohlstand durch Wachstum versprachen, befeuert von der Kohle. Von dieser schmutzigsten und klimaschädlichsten Form der Energiegewinnung kann sich die deutsche Politik (und nicht nur diese) immer noch nur halbherzig lösen, allen möglichen bereits erprobten Alternativen zum Trotz und vorgeblich, um die Arbeitsplätze der Menschen zu schützen, die in dieser Region leben.
Von einem allgemeinen Wohlstand konnte da, wo wir nun hinkamen, allerdings kaum die Rede sein. Die nahe gelegenen Ortschaften mit ihren teils heruntergekommenen Gebäuden, die traurigen Häuser, die an ihren Gartenzäunen per Aushang für eine Handvoll Euro zum Verkauf angeboten wurden, die Dampfwolken der Kohlekraftwerke, die den Himmel beim Blick aus dem Pensionsfenster verdeckten, all das sprach eine andere Sprache.
Eine Begegnung, die ich am Rande der Dreharbeiten dort hatte, blieb mir besonders in Erinnerung. Wir machten Mittagspause in einem Imbiss, unweit der Abbruchkante des Tagebaus. Ich fragte die Frau hinter der Theke, ob ich die Toilette benutzen dürfe.
Das gehe leider nicht. Meine Frage war ihr sichtlich unangenehm. »Diese Toilette hier kann man nicht benutzen, ich gehe da selber nie drauf.« – »Aber was machen Sie denn dann, Sie arbeiten doch hier den ganzen Tag?«, fragte ich verdutzt. – »Ich warte, bis ich wieder zu Hause bin.«
War es nicht die Pflicht des Arbeitsgebers, ihr eine vernünftige Toilette zur Verfügung zu stellen? Warum forderte sie dieses Recht nicht ein? Womöglich weil sie Angst hatte, den Job zu verlieren, die Arbeitslosenquote ist im Ruhrgebiet teilweise überdurchschnittlich hoch. Anders ließ es sich kaum erklären, dass sie Tag für Tag Unwohlsein aushält und damit auch noch ihre Gesundheit gefährdet. Ökologische Fragen haben eben immer auch eine soziale Dimension, und umgekehrt.
Wachsende Proteste
Aber nach und nach überschreiben andere Bilder diese Dystopie: Die Proteste von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die mit der Bewegung Ende Gelände in weißen Schutzanzügen den Tagebau besetzten. Und die Klimaschutzbewegung Fridays for Future, deren wachsender Protest die Politik vor sich her treibt. Diese brodelnde Veränderung spürte ich auch während meiner Lesereise: Ich erlebte fruchtbare, auch radikale Diskussionen und ein kämpferisches Publikum; je jünger, desto mutiger und leidenschaftlicher. Ich spürte Hoffnung und den dringenden Wunsch nach einem ökologisch und sozial gerechten System und einen regelrechten Hunger nach Ideen und Information, wie das zu erreichen wäre. Ich war überwältigt von dem großen Wissen um ökologische und soziale Zerstörungen (und den Zusammenhang von beidem), das sich viele Menschen angeeignet haben und in den Bewegungen teilen und wachsen lassen. All das macht mir Hoffnung. Denn auch ich werde mich nie mit dem Gedanken abfinden, dass die Welt, wie sie ist, die einzig denkbare wäre.
Als ich im Herbst 2019 begann, dieses Buch zu schreiben, war die Klimadebatte auf einem Höhepunkt. Wie zum Beweis überschlugen sich die Wetterereignisse: Der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen lag gerade hinter uns, da sorgten schwere Unwetter für Hochwasser an der Adria-Küste und in Venedig, in Südfrankreich, Barcelona und Mallorca und für Erdrutsche in Österreich und Ligurien. Es gab Tote und Verletzte. Brücken stürzten ein, Straßen und Häuser wurden zerstört. Die deutsche Bundesregierung legte einen Bericht vor, der zeigte, in welch erschreckendem Ausmaß der Klimawandel bereits in Deutschland angekommen ist: Niedrige Grundwasserstände infolge lang anhaltender Trockenheit haben die Trinkwasserversorgung in einigen Gemeinden erschwert. Niedrige Wasserstände in den Flüssen haben Ökosysteme belastet, die Schifffahrt und die Versorgung von Kraftwerken mit Kühlwasser beeinträchtigt. Nord- und Ostsee haben sich erwärmt, die Gefahr von Sturmfluten hat zugenommen, Strände erodieren. Die Anzahl der Hitzetage über dreißig Grad ist von drei (im Jahr 1951) auf zwanzig gestiegen, ebenso hitzebedingte Todesfälle.3 In Australien, wo Klimawandelleugner regieren, sind bei den verheerenden Waldbränden zu Beginn dieses Jahres 25 Menschen und mehr als eine Milliarde Wildtiere gestorben.
Wenn dieses Buch erscheint, wird sich womöglich einiges verändert haben. Womöglich wird noch am Klimapaket herumgedoktert und nachgebessert worden sein. Nicht annähernd genug, wage ich vorherzusagen. Vielleicht hat der Protest schon an Kraft verloren, weil die Rezession die Angst vor dem Klimawandel durch die Angst vor der Arbeitslosigkeit ersetzt hat. Nicht zuletzt die SPD hat in der Vergangenheit diese Angst immer wieder geschürt, indem sie Klima- und Umweltschutz gegen Arbeitsplätze ausgespielt hat.
Tatsächlich hängen soziale Fragen und Klimaschutz eng miteinander zusammen. Aber auf eine andere Weise, als von den gegenwärtigen Repräsentanten suggeriert wird.
Falsche Debatten
Auf der anderen Seite verging 2019 kaum ein Tag, an dem der Klimawandel nicht Thema in den Medien gewesen wäre. Den Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten standen diese Medien meist wohlwollend gegenüber, viele bestärkten sie sogar in ihrem ihren Protest, der mehr und mehr Aufmerksamkeit bekam, zumal die Weigerung der Politik, die richtigen Schritte einzuleiten, immer offensichtlicher wurde. Die Abwehr des Klimaschutzes beschränkt sich aber nicht allein auf die Politik, sondern findet vor allem dort statt, wo Menschen (und Konzerne) um Privilegien fürchten. So hat sich Gift in die Debatte geschlichen, das nicht weniger toxisch wirkt als die Leugnung des Klimawandels: Klimaschützerinnen und -schützer als antidemokratisch, antisozial und gar als totalitär zu verunglimpfen. Das Schreckgespenst der »Ökodiktatur« wird nicht nur von den »klimaskeptischen«...
| Erscheint lt. Verlag | 9.3.2020 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Technik | |
| Schlagworte | eBooks • Flugreisen • Fridays For Future • Heuchelei • Klimawandel • Konsumgesellschaft • Ökologische Katastrophe • Suvs • Widerstand |
| ISBN-10 | 3-641-26207-0 / 3641262070 |
| ISBN-13 | 978-3-641-26207-5 / 9783641262075 |
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