Die Wunderwelt der Gene (eBook)
300 Seiten
Scorpio Verlag
978-3-95803-228-6 (ISBN)
DR. SHARAD P. PAUL ist ausgebildeter Arzt, Chirurg, Evolutionsbiologe und Autor. Derzeit ist er außerordentlicher Professor an der Auckland University of Technology sowie Dozent an der University of Queensland und der University of Auckland. 2003 wurde ihm der Health Innovation Award verliehen. 2012 erhielt er den Chair's Award, die höchste Auszeichnung der neuseeländischen Ärztekammer. Geboren in England und aufgewachsen in Indien, lebt er heute in Australien. www.drsharadpaul.com
DR. SHARAD P. PAUL ist ausgebildeter Arzt, Chirurg, Evolutionsbiologe und Autor. Derzeit ist er außerordentlicher Professor an der Auckland University of Technology sowie Dozent an der University of Queensland und der University of Auckland. 2003 wurde ihm der Health Innovation Award verliehen. 2012 erhielt er den Chair's Award, die höchste Auszeichnung der neuseeländischen Ärztekammer. Geboren in England und aufgewachsen in Indien, lebt er heute in Australien. www.drsharadpaul.com
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Die Ich- und die Wir-Gene: Das Persönliche an der Evolution
Das Individuum musste seit jeher Kämpfe ausfechten, um sich gegen den Stamm zu behaupten. Wenn Sie dies tun, dann werden Sie oft alleine sein und manchmal Ängste auszustehen haben. Doch kein Preis ist zu hoch für das Privileg, man selbst sein zu dürfen.
Rudyard Kipling
So wie es Kipling ausdrückte, stehen sich Art und Individuum in einem evolutionären Kampf gegenüber. Ein ähnlicher Kampf, wenn auch in kleinerem Maßstab, findet Tag für Tag in unseren Zellen statt. Unsere Gene sind in unseren Chromosomen angesiedelt, die unser Erbgut codieren – sie mögen manche Geheimnisse bewahren, aber grundsätzlich sind sie nicht hinterlistig. Wenn man also denkt, Gene könnten »böse« sein, dann unterstellt man ihnen eine gewisse Form der Menschlichkeit, die sie nicht besitzen. Gene machen, was Gene eben machen: Proteine. Und durch ihre Protein-«Machenschaften« erstellen sie einen Entwurf Ihrer Lebensgeschichte – Umfeld, Charakter und Konfliktlösung –, aber Sie überlassen es Ihnen, wie Sie als Autor die Handlung oder Ihr Schicksal gestalten. Genau wie Lebewesen existieren auch Gene in verschiedenen Formen, aufgrund von Mutationen (abweichenden Versionen eines genetischen Codes), Polymorphismus (das Auftreten von mehreren Variationen eines Gens, die durch Mutationen entstehen und sich unterschiedlich ausdrücken und in Erscheinung treten können) und Allelen (verschiedene Ausprägungsformen eines Gens, die für bestimmte Merkmale verantwortlich sind, zum Beispiel Augenoder Haarfarbe).
Bestimmte Gene dienen dem Wohl der gesamten Art, während sich andere von Individuum zu Individuum unterschiedlich ausdrücken. Ursprünglich wurden die Menschen frei geboren und lebten in Gemeinschaften zusammen, die weder Staatsgrenzen noch individuelle Leistungsmessungen kannten. Als die Gesellschaften immer enger zusammenwuchsen, schlugen Mensch und Gene jedoch grundsätzlich unterschiedliche Richtungen ein. Gene haben sich in mancher Hinsicht für freie Populationen entwickelt – und tatsächlich fällt es doch auf, dass wir Menschen uns freiwillig hinter Zäunen und in abgesperrten Häusern verschanzen, während die anderen Angehörigen des Tierreichs durchdrehen, wenn man sie einpfercht. Und noch ein Unterschied ist augenfällig: Alle anderen Tiere versuchen Bevölkerungskontrolle zu betreiben, um ihre Umwelt zu ihrem eigenen langfristigen Nutzen zu schützen. Krokodile zum Beispiel können sogar das Geschlecht ihrer Nachkommen festlegen, indem sie die Bruttemperatur bestimmen (also ihre Eier mehr oder weniger tief vergraben). In der Natur sind weibliche Babys die Wahl und Männer eher entbehrliche Geschöpfe. Nur bei den Menschen dominieren die Männer – und leider werden in vielen Ländern Asiens noch immer weibliche Föten abgetrieben und neugeborene Mädchen getötet.
Heute leben wir in einer globalisierten, von Männern dominierten Welt, in der unsere Gene nicht mehr wissen, was unser existenzieller Sinn und Zweck ist, und daher vielleicht versuchen, uns zu ganz anderen Wesen zu machen. Im heutigen Zeitalter des Reisens und des Internets können wir unsere Geschlechtspartner aus verschiedensten geografischen Regionen wählen, doch ganz unabhängig davon, wen wir uns aussuchen: Unsere Gene und die unserer Nachkommen werden immer unterschiedlichen Nahrungsspektren und Umwelteinflüssen ausgesetzt sein, die auf sie einwirken. Jeder Mensch ist ein einzigartiges, noch nie dagewesenes Individuum – und er kann die genetischen Karten, die ihm die Natur zugespielt hat, verändern, indem ihm eine einfache Nahrungsumstellung ermöglicht, ein gesundheitlich gefährliches Erbe auszuschlagen. Selbst brutale Gene resultieren nicht zwangsläufig in brutalen Menschen. Zur Evolution mögen zwar auch Gewalt und sogar die Ausrottung bestimmter Arten gehören, dennoch ist niemand ein Sklave seiner Gene. Menschen, die sowohl an Gott und die Gene glauben, stellen sich den Schöpfungsprozess wie einen Vorgang vor, bei dem jemand das Leben mit bloßen Händen modelliert. Aber Evolution bedeutet vor allem Wandel und Fantasie. Vielleicht sollten wir sie uns eher wie ein Kunstwerk vorstellen, dessen wahre Schönheit im Auge des Betrachters – oder des Biologen – liegt.
In der Medizin wissen wir, dass einige Dinge, die gut für die Art sind, für den einzelnen Menschen nicht unbedingt funktionieren müssen. Stillen zum Beispiel ist die beste Methode, um die Fruchtbarkeit innerhalb einer Population zu verringern, weil hormonelle Veränderungen während der Laktation die Reproduktionsfähigkeit der Mutter drosseln – für die Einzelne ist das jedoch keine narrensichere Verhütungsmethode. Die Biologie hat keine Lieblinge, die Menschen schon. Darüber hinaus zieht unsere genetische Konstitution nach sich, dass manche Menschen anders auf Medikamente reagieren. Dies gilt sogar für Scheinmedikamente.
Die Evolution und das »Ich«-Gen
Vor einigen Jahren engagierte ich einen Klempner, der in unserem Haus eine neue Toilette einbauen sollte. Eines Abends vergaß er, das Loch zu verstopfen, das er für die Abflussrohre in die Mauer getrieben hatte. Unser Haus stand nah am Meer auf einem Grundstück mit einem Bach und reichlich Buschland. Und so kam es, dass uns eine Ratte in unserem neuen Raum einen Besuch abstattete. Damals hatten wir noch nicht unseren Schwedischen Vallhund namens Zack; die Hunderasse wird in Schweden als Herdenhund und Rattenfänger eingesetzt. Als wir die Rattenköttel und andere Hinterlassenschaften unseres unwillkommenen Gasts entdeckten, befürchteten wir, dass die Ratte möglicherweise ihre ganze Nagerfamilie auf der Suche nach einem wärmeren Heim mitgebracht habe. Ich rief deshalb einen Kammerjäger, der rund um das Haus Rattenköder auslegte. Dabei fragte er mich, ob wir einen Hund hätten.
»Nein«, antwortete ich. »Warum?«
»Nun, wenn ein Hund den Köder frisst, müssen Sie Vitamin K parat haben.«
Das geben wir doch Patienten mit einer Überdosis Warfarin, dachte ich.
Nachdem die Ratte verschwunden war, öffnete ich einen der Köder, die der Mann rund um das Haus ausgelegt hatte, und fand darin einige Warfarin-Tabletten, die nicht einmal mit einem Zuckerüberzug oder Ähnlichem schmackhafter gemacht worden waren. Ratten sind nicht heikel. Offensichtlich stand dahinter die Idee, den Tieren eine Überdosis Gerinnungshemmer zu verpassen, damit sie innerlich verbluteten.
Warfarin ist weltweit einer der gängigsten Wirkstoffe zur Blutverdünnung. Ja, genau, dieses Rattengift wird tatsächlich Menschen verschrieben, um ihr Blut zu verdünnen, damit sich keine Gerinnsel bilden. Wenn wir in meiner Hautarztpraxis vor einer Operation die nötigen Untersuchungen durchführen, fällt mir immer wieder auf, wie vielen älteren Menschen es verschrieben wird – hauptsächlich, um Blutgerinnsel zu vermeiden, die sich durch Herzrhythmusstörungen bilden. Der Anteil der Bevölkerung, der mit Warfarin behandelt wird, ist von 1993 bis 2008 dramatisch von 0,63 Prozent auf 2,28 Prozent gestiegen.5 Und da Hautkrebs meist bei älteren Menschen auftritt, laufen mir in meiner Praxis viele Warfarin-Patienten über den Weg.
In früheren Zeiten setzten Ärzte Blutegel an, um das Blut zu verdünnen. Dann entdeckte vor rund hundert Jahren der Medizinstudent Jay McLean an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore das Heparin, das er aus Tierlebern extrahierte. Später entdeckte man das Cumarin. Der Pflanzenstoff kommt natürlich in Steinklee vor, der häufig als Tierfutter dient. Wird der Klee jedoch von einem Pilz befallen, dann wird aus dem Cumarin der natürliche Gerinnungshemmer Dicumarol, der dem Vitamin K entgegenwirkt und so Blutungen verursachen kann. Von Kühen wusste man schon, dass sie innerlich verbluteten, nachdem sie verschimmelten Steinklee gefressen hatten. Diese Erkenntnis führte zur synthetischen Herstellung von Warfarin – die Substanz wurde an der Universität von Wisconsin entdeckt und deshalb nach ihr, genauer gesagt nach ihrer Stiftungs-Forschungseinrichtung benannt: Wisconsin Alumni Research Foundation oder WARF. Die Endung »arin« zeigt, dass es sich dabei um ein Cumarinderivat handelt.
Blutverdünnende Medikamente zur Verhinderung von Embolien (teilweiser oder vollständiger Verschluss eines Blutgefäßes) sind insofern problematisch, als die Patienten ganz unterschiedlich darauf ansprechen und es deshalb nicht selten zu unvorhergesehenen und ernsthaften Komplikationen kommt. Ich habe mich mit den Gerinnungshemmern Clopidogrel (das man üblicherweise bei koronarer Herzerkrankung nach dem Einsetzen von Stents oder Operationen gibt, um Blutgerinnsel zu verhindern) und Warfarin beschäftigt, weil diese Wirkstoffe eine »geringe therapeutische Breite« haben – im Medizinerjargon bedeutet dies, dass bei einem Arzneimittel der Unterschied zwischen einer gefährlichen und einer therapeutisch wirksamen Dosis sehr klein ist und seine Gabe deshalb engmaschig überwacht werden muss. Und da Patienten darüber hinaus unterschiedlich...
| Erscheint lt. Verlag | 2.11.2018 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
| Technik | |
| Schlagworte | DNA • Gene • Gesundheit |
| ISBN-10 | 3-95803-228-1 / 3958032281 |
| ISBN-13 | 978-3-95803-228-6 / 9783958032286 |
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