Warum Wale Fremdsprachen können (eBook)
Katharina Jakob ist Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin. Sie schreibt regelmäßig für "Geo" und "PM". Auch in "Natur", "Die Zeit" und "Dogs" hat sie Beiträge veröffentlicht. Ihre Fachgebiete sind vor allem die Erforschung der tierischen Intelligenz und die Mensch-Tier-Beziehung.
Das Klassentreffen in Estoril
Eine zierliche Dame fortgeschrittenen Alters geht durch die Eingangshalle des Kongresscenters in Estoril, Portugal. In ihre langen Haare hat sie eine Sonnenbrille geschoben. Sie trägt einen Minirock, dazu einen pinkfarbenen Blazer. An ihren Armen klirren unzählige silberne Reifen. Die Finger sind mit Ringen bestückt, eine große Strassbrosche schimmert am Revers, und auch in den Ohren trägt sie Funkelndes. Irene Pepperberg glitzert wie ein Weihnachtsbaum, mitten im Sommer. Fast meint man, den Graupapagei Alex auf ihrer Schulter sitzen zu sehen. Dabei ist der seit 2007 nicht mehr am Leben. Mit Alex ist die Vogelexpertin aus Harvard weltberühmt geworden, und das zu Recht. Bis zum heutigen Tag ist der Papagei so etwas wie der Wappenvogel der Verhaltensforscher.
Irene Maxine Pepperberg kommt zwei Tage zu spät zum Kongress, aber ihr Alex ist schon da. Er ist Thema in unzähligen Vorträgen. Immer wenn es um Genie-Leistungen von Tieren geht, fällt sein Name zuerst. Selbst Verhaltensforscher, die sich sonst zurückhalten, wenn von tierischer Intelligenz die Rede ist, weil sie der Ansicht sind, das Wort »Intelligenz« müsse den Menschen vorbehalten sein, machen bei Alex eine Ausnahme. »Bis auf diesen verdammten Vogel« ist ein – buchstäblich – geflügeltes Wort. Was so viel heißt wie: Könnte man allen Tieren ihre Denkleistungen absprechen, bei diesem Graupapagei müsste man doch kapitulieren, denn zu bedeutend war alles, was der Kerl draufhatte. Im Kapitel über Papageien wird mehr über ihn zu lesen sein und über seine beiden Nachfolger.
Durchblättert man das dicke Buch des Tagungsprogramms, fällt auf, dass die derzeit kniffligsten Fragen der Verhaltensforschung vor allem an Vögeln durchdekliniert werden. Im April 2016 haben zwei Wissenschaftler – der Biopsychologe Onur Güntürkün aus Bochum und der Biologe Thomas Bugnyar aus Wien – in einer umfangreichen Arbeit zusammengefasst, warum die kognitiven Leistungen von Rabenvögeln und Papageien in vielerlei Hinsicht mit denen von Menschenaffen vergleichbar sind. Das und die Tatsache, dass ihre Haltung sehr viel einfacher ist als die von Primaten, macht die Forschung mit ihnen so vielversprechend. Etwa zur legendären Theory of Mind.
Theory of Mind – die Welt aus den Augen eines anderen sehen
Kaum ein Begriff ist in der Verhaltensforschung so umstritten wie Theory of Mind. Das lässt sich nur etwas lahm übersetzen mit »Theorie des Geistes« oder »Theorie des Bewusstseins«. Damit ist gemeint, dass ein Lebewesen eine Vorstellung hat vom Bewusstsein anderer. Dass es weiß, wie die Welt aus den Augen eines anderen aussieht. Zur Theory of Mind gehört auch, bei anderen ein bestimmtes Wissen zu vermuten, das dann in die eigenen Handlungen miteinbezogen wird.
Selbstredend hat man solche Fähigkeiten früher nur dem Menschen zugeschrieben. Doch beim Verstecken von Futter, wie es Raben und andere Rabenvögel tun, sind sie entscheidend. Die Vögel stehen regelmäßig vor dem Problem, dass ihre Nahrungsdepots von Artgenossen leer geräumt werden. Daher müssen ihre Verstecke gut sein. Aber das allein reicht eben nicht. Da Raben – als nichtbrütende Jungtiere – in Gruppen leben, sind sie meist von ihresgleichen umzingelt. Ein Tier, das seine Beute in Sicherheit bringen will, muss also erkennen: Wenn der andere da oben im Baum hockt, kann er dann aus seinem Blickwinkel sehen, wo ich mein Futter hintrage? Im Rabenkapitel wird sich zeigen, dass es nun einen soliden Nachweis für eine Theory of Mind bei Rabenvögeln gibt. Aber auch, dass es dazu mehrerer Anläufe bedurfte.
Mental Time Travel – die Zeitreise in Gedanken
Dabei geht es um die Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft. Auch das hat man lange nur dem Menschen zugebilligt. Tiere lebten im Hier und Jetzt, hieß es, sie hätten kein Gespür für die Zeit. Was von vornherein eine seltsame Behauptung war. Denn Zeitempfinden ist für viele Tierarten schlicht notwendig, um den Winter zu überstehen. Wer Vorräte anlegt und sie Monate später wiederfindet, kann nicht gänzlich ohne einen Sinn für Zeit sein. Doch wie beweisen?
In einem sommerlich schwingenden Blumenkleid betritt Nicola Clayton die Bühne des Auditoriums im Kongresscenter von Estoril. Die Britin ist Professorin an der Universität von Cambridge und eine weltweit anerkannte Expertin für Rabenvögel. Die 54-Jährige hat ein Talent, sehr einfache und zugleich sehr schlüssige Versuchsanordnungen zu schaffen. Und kommt dadurch zu erstaunlichen Ergebnissen. Clayton arbeitet vorwiegend mit Buschhähern. In mehreren Studien hat sie nachgewiesen, dass diese Vögel tatsächlich ein Gespür für die Zukunft haben, dass sie sich vorstellen können, was passieren wird. Und dass sie ihr Verhalten danach ausrichten. Sie lässt ein Video abspielen, das zwei Buschhäher zeigt, die in einem dreigeteilten Käfig sitzen.
Diese Häher haben sechs Tage in dem Käfig zugebracht und konnten sich in allen Bereichen frei bewegen. Überall lag Futter für sie aus. Zur Nachtruhe wurde jeder in einen der beiden Außenkäfige gesetzt. Und dort passierte Folgendes: Wenn der Morgen anbrach, gab es in einem der Räume ein Frühstück, im anderen nicht. Der Pechvogel, der im Raum ohne Futter saß, musste warten, bis der Vormittag verstrichen war. Dann gingen die Türen wieder auf, und überall war Futter verfügbar. Nur eben nicht in diesem einen Raum, früh am Morgen. Das war der sogenannte »Fastenraum«. Beide Vögel machten nun an jeweils drei Vormittagen die Erfahrung, dass sie Pech oder Glück haben konnten, dass sie hungrig bleiben mussten oder etwas zu fressen bekamen. Und dass der entscheidende Faktor dieser Käfig war, in den sie abends gesperrt wurden. Im Verlauf des Experiments ging jeder Vogel dreimal morgens leer aus, und dreimal durfte er frühstücken.
Nach sechs Tagen erhielten die Buschhäher Körnerfutter, das sie verstecken konnten, wie sie es oft und gern tun. Und genau das setzten sie sofort in die Tat um. Auch wenn keiner der Häher wusste, wo er die kommende Nacht verbringen würde – jeder sorgte für den Fall vor, dass er der Unglücksrabe sein würde, der im Fastenraum landete. Als der Abend anbrach, lag dort fünfmal mehr Körnerfutter als im Frühstücksraum. »Sie haben das nicht durch Versuch und Irrtum gelernt. Auch nicht dadurch, dass man sie fürs Futterverstecken belohnt hat. Sie haben ihre eigenen Schlüsse gezogen«, sagt Clayton, als das Video endet und es im Saal wieder hell wird.
Episodic-like Memory – das episodische Gedächtnis
Ganz ähnliche Versuche hat die Britin durchgeführt, um bei ihren Buschhähern auch ein episodisches Gedächtnis nachzuweisen. Das ist ein Teilaspekt aus dem Bereich von Mental Time Travel und meint die Fähigkeit, sich an Erlebtes zu erinnern. Also gedanklich in die Vergangenheit zurückzugehen und sein Verhalten darauf abzustimmen. Wie Buschhäher es tun. Sie wissen offenbar, wann welches Futter, das sie versteckt haben, so verdorben ist, dass sich die Suche danach nicht mehr lohnt. Maden zum Beispiel, die ein ganz anderes Verfallsdatum haben als Nüsse. Ist ein bestimmter Zeitraum überschritten, suchen Buschhäher ihre Madenverstecke nicht mehr auf, auch wenn Maden sonst zu ihren Lieblingshappen zählen. Nussverstecke hingegen werden weiterhin angesteuert.
Aber auch andere Tiere haben inzwischen sehr eindrücklich ein episodisches Gedächtnis gezeigt. Hunde etwa, wie die Biologin Claudia Fugazza herausgefunden hat. Mehr davon im Kapitel über Hunde.
Die Schwierigkeit der richtigen Frage
Jetzt sitzt Pepperberg im größten Saal des Kongresscenters und hört einer jungen Kollegin aus Spanien zu, die ebenfalls mit Papageien arbeitet. Sie ist der Frage nachgegangen, ob ihre Vögel den Sinn eines Tauschhandels begreifen. Kriegen sie es hin, Symbole gegen Fressbares einzutauschen? Können sie sogar ökonomische Entscheidungen treffen, indem sie den Wert ihres Einsatzes steigern?
Das ist eine hochgradig anspruchsvolle Studie, und vielleicht hat die Forscherin damit zu viel gewollt. Denn zunächst müssen die Papageien Symbole lernen, die für bestimmtes Futter stehen. Die Tiere selbst haben klar erkennbare Vorlieben: Walnüsse sind für sie echtes Super-Food, dafür lassen sie alles stehen und liegen. Sonnenblumenkerne sind auch nicht schlecht, aber längst nicht so begehrt wie die Nuss. Maiskorn hingegen nehmen sie nur, wenn nichts anderes da ist. Es gibt also heiß geliebtes Futter, mittelmäßiges und solches, das nur noch »na ja« ist.
Im nächsten Schritt lernen die Papageien, ihre Vorlieben in Symbole zu übersetzen. Ein Plastikring steht für die Walnuss, also den Jackpot. Ein Haken symbolisiert das mittelprächtige Futter Sonnenblumenkern. Ein u-förmiges Objekt repräsentiert das eher unbeliebte Maiskorn.
Und tatsächlich, so das Ergebnis der Studie, hantieren die Vögel eifrig mit den Symbolen. Sie setzen sie auch zum Tauschen ein, machen sich also nicht sofort über das Futter her, sondern wählen zwischen Fressbarem und Objekten aus. Aber wie?
Manchmal wirkt der Tauschhandel sinnvoll, weil er den Papageien-Vorlieben entspricht. Und manchmal wundert man sich. Da wählt ein Vogel den Plastikring, der die Walnuss symbolisiert, obwohl er auch die echte Nuss hätte haben können.
Am Ende des Vortrags gibt es lang anhaltenden Beifall. Und Fragen.
Etwa von Irene Pepperberg. Ob die Forscherin, will sie wissen, in ihrer Arbeit berücksichtigt habe, wie verspielt Papageien sind? Dass es ihnen häufig gar nicht um die Belohnung geht, sondern um das Spiel an sich? Möglicherweise waren die Tiere mehr in den Tauschhandel vernarrt als in ihre...
| Erscheint lt. Verlag | 12.3.2018 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
| Technik | |
| Schlagworte | Bewusstsein Tiere • Charakter Tiere • eBooks • Gefühle Tiere • Kommunikation Tiere • Sprache der Tiere • Tiere denken • Tierintelligenz • Tierverhalten • Verhaltensforschung Tiere |
| ISBN-10 | 3-641-21191-3 / 3641211913 |
| ISBN-13 | 978-3-641-21191-2 / 9783641211912 |
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