Hinter Mauern und Gittern (eBook)
270 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-6951-2813-6 (ISBN)
Klaus Neuenhüsges absolvierte ein Studium der Sozialen Arbeit sowie ein Kontaktstudium sowohl in Kriminologie als auch in Geschichte an der Universität Hamburg. Den Studiengang im Fach Philosophie an der Laudius Akademie für Fernstudium beendete er mit einer Arbeit zum Thema 'Menschsein als Aufgabe'. Seine berufliche Laufbahn im Hamburger Justizvollzug, die er 1981 begann, war geprägt von seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit. Er war Vorsitzender - jetzt Ehrenvorsitzender des Landesverbandes Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter (LVHS), Vorsitzender des Personalrats beim Strafvollzugsamt der Justizbehörde und stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) Klaus Neuenhüsges ist verantwortlich für das Gefängnismuseum Hamburg und Dozent an der Vollzugsschule der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz für das Fach Gefängniskunde.
Das Werk- und Zuchthaus
1614 kam es in Hamburg zu dem Beschluss, ein Gefängnis ganz neuen Stils zu bauen. Denn inzwischen hatte sich die Auffassung etabliert, dass Leibes- und Todesstrafen, jedenfalls zu einem erheblichen Teil, durch Freiheitsentzug ersetzt werden sollten. Bereits 1596 war in Amsterdam das erste Zuchthaus auf dem europäischen Kontinent nach damals modernen Gesichtspunkten errichtet worden. Die Anstalt hatte von vornherein eine Verbindung zur Strafrechtspflege. Unmittelbarer äußerer Anlass war der Fall des Ende 1588 verhafteten 16 Jahre alten Diebes Evert Jans, den das Stadtgericht nach damaliger Rechtsauffassung zum Tode oder wenigstens zu einer schweren Körperstrafe hätte verurteilen müssen. Da der Angeklagte aber aus einer angesehenen Familie stammte, nahm man von dieser Maßnahme Abstand und suchte nach einer milderen Sanktion. So kam es 1596 zur Eröffnung des »Tuchthuis«, von dem die deutsche Bezeichnung Zuchthaus abgeleitet wurde. Das Leitmotiv über dessen Eingangstor lautete: »Erschrick nicht, ich räche nicht das Böse, sondern zwinge zum Guten. Straff ist meine Hand, aber liebreich mein Gemüt«. Amsterdam hatte also das Vorbild abgegeben.
Bei der Planung und dem Bau des Hamburger Werk- und Zuchthauses am Standort Ballindamm/Hermannstraße/Alstertor kam es jedoch immer wieder zu Verzögerungen. Am Ende entstand ein großes, zweistöckiges Gebäude mit Arbeits- und Unterkunftssälen sowie Höfen, das 1622 eröffnet wurde. Der Rat der Stadt hielt es für zweckmäßig, die Einrichtung dem Waisenhaus anzugliedern, aber die Bürger und die Direktion des Waisenhauses widersetzten sich diesem Plan entschieden. Der Kostenaufwand betrug 150.000 Mark. Dieser für die damalige Zeit erhebliche Betrag wurde nicht aus Haushaltsmitteln erbracht, sondern durch eine öffentliche Lotterie. 28 Männer sammelten in der Stadt und brachten innerhalb von acht Wochen die benötigte Summe auf. Ein starker Anreiz, für eine solche Anstalt einzutreten, bestand darin, dass durch den Dreißigjährigen Krieg viele Menschen, darunter Vertriebene, Landstreicher und Bettler, in das vom Kriegsgeschehen eher wenig in Mitleidenschaft gezogene Hamburg kamen und oftmals eine Störung der öffentlichen Ordnung bewirkten.
Über dem Eingangstor des Hamburger Werk- und Zuchthauses waren nun wiederum die Worte zu lesen: »Labore Nutrior, Labore Plector« (»Ich bin ein solcher, der sich durch Arbeit ernähret. Und ich bin ein solcher, der durch Arbeit gezüchtigt wird«). Die »Fundationsordnung« bestimmte in ihrem Vorwort: »Gott, dem Allmächtigen zu Ehren, den Frommen zum Schutz, den Bösen zum Schreck und der Arbeit zum Besten sei dieses Haus.« Drei Gruppen von Personen wurden aufgenommen: »1. Die Armen und Notdürftigen, so ihre Kost nicht verdienen konnten, weil sie keine Mittel und Wege dazu haben«; »2. Züchtlinge, denen man muß Zaum und Gebiß ins Maul legen, wenn sie, Herr, nicht zu dir wollen, wie der 32. Psalm redet«, und »3. Personen von liederlichem Lebenswandel«. Die Letztgenannten, die sich nicht strafrechtlich verhalten hatten, sondern dem »Trunk«, der »Völlerei« oder der »Hurerei« nachgegangen waren, konnten nur auf Antrag von Familienangehörigen aufgenommen werden und gegen Vorauszahlung der Aufwendungen für Kost und Logis.
Die Verwaltung der Anstalt unterstand einem Kollegium, das sich aus dem jeweils amtierenden Bürgermeister, zwei Ratspersonen und zehn Provisoren (Verwalter) zusammensetzte. Sie bildeten zusammen das »Große Kollegium«, das nur bei besonderen Anlässen zusammentrat, während das »Kleine Kollegium«, das aus drei Provisoren und zwei Alten (d. h. auf Lebenszeit gewählten früheren Provisoren) bestand, sich alle vier Wochen am Samstagnachmittag versammelte, um über die Vorkommnisse in der Anstalt zu beraten. Die Provisoren sollten »ehrbare, aufrichtige und getreue Mitbürger« sein, die »Gott der Herr reichlich und mildiglich mit Nahrung gesegnet habe«. Sie sollten der Anstalt mit Rat und Hilfe zur Verfügung stehen. Der Älteste von ihnen führte als Jahresverwalter die laufenden Geschäfte, und er wurde bei der Durchführung seiner Aufgaben von dem zweitältesten Provisor unterstützt. Zur Durchführung eines geregelten Anstaltsbetriebes stand dem Jahresverwalter ein umfangreicher Stab von Offizianten (Bediensteten) zur Seite. Der Ökonom (Wirtschaftsleiter) spielte dabei eine wichtige Rolle. Seine Aufgaben bestanden darin, morgens das Glockenzeichen zum Aufstehen und Gebet zu geben, die Schlüssel der Anstalt auszuhändigen, sie wieder einzusammeln und zu verwahren, darüber hinaus für ausreichend Verpflegung zu sorgen und die Anstaltsvorräte zu verwalten; außerdem musste er über die gewissenhafte Amtsführung der Offizianten und das »gebührliche Benehmen« der Insassen wachen. Besonders hatte er darauf zu achten, dass die Armen mindestens dreimal im Jahr das Heilige Sakrament empfingen. Unregelmäßigkeiten und besondere Vorkommnisse musste er dem Jahresverwalter oder dem Kollegium zu melden, damit diese bei Bedarf einschreiten und die notwendigen Maßnahmen treffen konnten. Schließlich war der Ökonom für die Sicherheit der Anstalt verantwortlich. Er musste darauf achten, dass keine Unbefugten die Anstalt betraten. Am Abend verriegelte er das Anstaltstor mit einem großen Schloss. Eine weitere wichtige Person war der Schulmeister, der nicht nur die große Zahl der in der Anstalt befindlichen Kinder zu erziehen hatte, sondern außerdem die Gefangenen zu »Gebet und Frömmigkeit« anhalten sollte.
Auch die verwaltungsmäßige Ordnung war schon geregelt. Ein eigens angestellter Schreiber hatte die Personalien der Insassen und alles zu Papier zu bringen, was für die wirtschaftlichen Belange, vor allem für die Einnahmen und Ausgaben, von Bedeutung war. Regelmäßig musste er dem Kollegium Bericht erstatten. Weiterhin zu erwähnen ist die Gruppe von Offizianten, die täglich und unmittelbar mit den Insassen in Berührung standen, nämlich Werkmeister und Aufseher. Während Erstere die Arbeit zuteilten und kontrollierten, beschränkte sich das Aufgabenfeld der zweiten Gruppe darauf, die Insassen zu bewachen und mit Essen zu versorgen. Die Wohnungen aller Offizianten befanden sich innerhalb der Anstalt. Sie und ihre Familienangehörigen hatten einen Eid zu leisten, »ehrbare und gottesfürchtige Bürger« zu sein, denn auch ihre Ehefrauen standen im Dienst der Anstalt. Als schließlich der zum Krankenbetreuer eingesetzte Anstaltsbarbier, der gleichzeitig für Körperpflege, Wundheilung und Krankenpflege zuständig war, den Anforderungen nicht mehr gerecht werden konnte, stellte man einen Arzt ein, der sich zweimal wöchentlich um die Gesundheit der Gefangenen kümmerte.
Die Anstalt war immer voll belegt. Die Zahl schwankte gegen Ende des 17. Jahrhunderts zwischen 300 und 400 Personen. Eine Bestandsaufnahme von 1786 weist sogar 756 aus. Oft mussten sich zwei oder drei Personen ein Bett teilen. Bedenklich war auch, dass viele Kinder »wegen Vergehen wider die öffentliche Ordnung« eingewiesen wurden oder zusammen mit ihren straffällig gewordenen Eltern in die Anstalt kamen.
Die Behandlung der Insassen war hart, denn der Aufenthalt sollte zu einer bleibenden Erinnerung werden. Zur Vollstreckung von Disziplinarstrafen wurde zum Beispiel das Hölzerne Pferd herangezogen: Die Delinquenten wurden mit gespreizten Beinen auf einen keilförmigen Holzblock gesetzt, der mit einem hölzernen Pferdekopf verziert war. Der Block lief nach oben hin spitz zu und bot deshalb nur eine geringe, manchmal extrem kleine Sitzfläche. Da die Füße des dort Gequälten den Boden nicht berührten, lastete das gesamte Körpergewicht darauf. Das Hölzerne Pferd geriet zum Prügelbock, wenn auf den solcherart Gequälten noch zusätzlich mit einem Tagel, einem Prügelstrick, eingeschlagen wurde. Damit verwandt war die Folterwiege, die im Inneren ganz dicht mit metallenen Spitzen ausgelegt war. Alternative Torturen, bereits seit dem Mittelalter praktiziert, bestanden in der Verbannung in eine dunkle Koje oder in einen Hungerkorb, acht Tage lange bei Wasser und Brot, oder in der Anwendung des Prangers.
Religiösen Ritualen wurde größte Bedeutung beigemessen. Am Anfang und am Ende des Tages und vor Einnahme der Mahlzeiten standen Andacht und Gebet. Der Sonntag war fast ausschließlich mit Gottesdiensten, dem Singen frommer Lieder und dem Erzählen heiliger Geschichten ausgefüllt. Der Anstalt wurde deshalb von Anfang durch einen Vertreter der Kirche betreut, denn der oberste Grundsatz lautete: »Besserung durch Gebet und Arbeit«. So sollten die Insassen sich ihrer Verfehlungen bewusst und dazu erzogen werden, nach ihrer Entlassung ihren Lebensunterhalt »ehrlich und durch ihrer Hände Arbeit selbst zu verdienen«.
Schon damals war die Auffassung verbreitet, dass auf die Gefangenen nur dann erzieherisch eingewirkt werden könne, wenn sie mit nützlicher Arbeit beschäftigt wurden, die auch nach einer Entlassung förderlich für sie wäre. Außerdem diente der Ertrag ihrer Arbeit dem...
| Erscheint lt. Verlag | 18.8.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
| ISBN-10 | 3-6951-2813-5 / 3695128135 |
| ISBN-13 | 978-3-6951-2813-6 / 9783695128136 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 434 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich