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Machtsensible Praxis in der Sozialen Arbeit - Melanie Misamer

Machtsensible Praxis in der Sozialen Arbeit (eBook)

Interdisziplinäre und evidenzbasierte Methoden

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
162 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-044170-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
31,99 inkl. MwSt
(CHF 31,25)
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Sozialarbeitende befinden sich in einer Machtposition gegenüber besonders vulnerablen Personen und Personengruppen. Die professionelle Auswahl und Anwendung von Methoden bestimmt maßgeblich mit, wie Interventionen wirken und welche Handlungsmöglichkeiten Adressierten eröffnet werden. Daher ist für die Arbeitspraxis Wissen über die Wirkung von Methoden elementar. Zur konstruktiven Machtanwendung bietet das Buch eine umfassende und wo möglich evidenzbasierte Methodensammlung, die neben etablierten Methoden aus der Sozialen Arbeit auch Ansätze aus anderen pädagogischen Fächern, der Medizin sowie der Psychologie anbietet. Dadurch können Studierende und Fachkräfte ihren persönlichen Methodenkoffer neu bestücken, ergänzen oder erweitern.

Dr. Melanie Misamer ist Professorin für Methoden und Konzepte Sozialer Arbeit in der Gesundheitsförderung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen.

2 Empirische Fundierung


Evidenz

Der Begriff »Evidenz« kommt aus dem Lateinischen und bedeutet »Augenfälligkeit«, »Deutlichkeit«, »Gewissheit« (Loh, 2009, S. 55, zit. n. Brockhaus, 2002).

Evidenzbasierte Praxis

Bei evidenzbasierter Praxis werden Forschungsansätze in Interventionen mit eingebunden. Hierdurch werden Interventionen nicht nur intuitiv ausgeführt, sondern wissenschaftlich gerechtfertigt, wodurch ein kontinuierlicher Reflexionsprozess und Überdenken des fachlichen Handelns angestoßen wird. Best Practices (bewährte Praxisansätze) sollen hierbei jedoch nicht außer Acht gelassen werden (Loh, 2009). Evidenzbasierte Praxis »im Sinne der Sozialen Arbeit umfasst [...] die Integration von fachpraktischer Expertise, wissenschaftlicher Evidenz sowie Klientenparametern« (Struhkamp Munshi, 2007, S. 9).

Soziale Arbeit fördert gesellschaftliche Veränderung, soziale Entwicklung und die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen (Spatscheck & Wolf-Ostermann, 2016). Das kann sie umso effektiver, wenn Soziale Arbeit, neben der professionellen, fachlichen Einschätzung, zusätzlich wissenschaftlich fundiert ist. Nach Hüttemann (2014) muss evidenzbasierte Praxis als ein mehrdimensionaler Diskurs verstanden werden, der:

  • eine Bewegung benötigt, die an die Stelle von Autoritäten, Expertenmeinungen oder Traditionen des Fachs die wissenschaftliche Evidenz empirischer Forschung setzt,

  • sich an Wirkung orientiert,

  • bestes verfügbares Wissen identifiziert, verbreitet und nutzt,

  • den Anspruch von Fachkräften fördert, über den Stand der Forschung informiert zu werden, mehrere Interventionsoptionen im Repertoire zu haben,

  • über ein Prozessmodell professionellen Handelns zu verfügen, und

  • eine professionsethische Verpflichtung beinhaltet (ebd.).

2.1 Warum ist die Evidenzbasierung von Methoden wichtig?


/

»Verschiedenste Einflussfaktoren, wie der gesellschaftliche Wandel, Veränderungen der Arbeitswelt oder der Anstieg chronisch erkrankter Menschen, stellen zukünftig neue Anforderungen an die professionelle [...] Versorgung [...] dar. Daraus resultierende [...] Aufgaben benötigen ein gesteigertes Ausmaß an evidenzbasierten [...] Maßnahmen« (Kölsch & Dieplinger, 2020, S. 1).

Wissenschaft bezieht sich auf den Prozess der Generierung von Wissen und der Lösung von Problemen (Stangl, 2020), beispielsweise durch Erforschung, welche Maßnahmen in der Sozialen Arbeit soziale Problemlagen verringern und welche Methoden hierbei sinnvollerweise Anwendung finden sollten. Wenn angewendete Methoden wissenschaftlich nachgewiesen wirken, dann sind sie evidenzbasiert. Die Anwendung möglichst evidenzbasierter Methoden in der Sozialen Arbeit ist wichtig, weil Adressierte einen umso höheren Nutzen aus der Zusammenarbeit mit Sozialarbeitenden ziehen können, wenn die Sozialarbeitenden Methoden anwenden, von denen sie wissen, dass sie in Studien einen positiven Effekt zeigen, sie also auch im aktuellen Anwendungsfall positiv wirken könnten. Mit Fokus auf forschungsethische Prinzipien ist Konsens, dass hochwertige Hilfe mit fundierter praxisnaher Forschung und Evidenzbasierung verknüpft ist (DGSA, 2020). Ein zirkulärer Kreislauf aus Praxisbedarfen, hieraus entstehender Forschung mit dem Ziel der Generierung evidenzbasierter Methoden und fundierten Wissens, der wieder – beispielsweise über die hochschulische Ausbildung Studierender oder Weiterbildungen von Praktikerinnen und Praktikern – in die Arbeitspraxis zurückgeführt wird, um dort die Bedarfe besser decken zu können, kann wie in der Abbildung aussehen (▸ Abb. 3).

Abb. 3:Empirischer Kreislauf (eigene Darstellung)

Hierbei stehen weder die Wissenschaft noch die Praxis über oder unter der jeweils anderen Seite (zum nicht gelingenden Transfer: Dewe, 2009), sondern beide Seiten ergänzen sich über einen Wissenschaft-Praxis- bzw. einen Praxis-Wissenschaft-Transfer sinnvoll und gleichwertig.

Besonders sinnvoll ist es, im Sinne des Credos Sozialer Arbeit »Hilfe zur Selbsthilfe«, evidenzbasierte partizipative Methoden einzusetzen. Das sind Methoden, die

  • Möglichkeiten eröffnen,

  • Perspektiven erweitern

  • und Beteiligung – bis hin zur Selbstermächtigung – fördern,

damit Soziale Arbeit nach erfolgreicher Intervention ihren Zweck erfüllt hat und überflüssig wird. Es gibt nach Pluto (2007) jedoch eine gewisse Scheu, partizipative Methoden einzusetzen. In seiner Studie zeigte sich, dass Fachkräfte insofern Abwehrmuster aufweisen können, als Partizipation ihre Grenzen habe und dass Beteiligung (meist) zum Scheitern verurteilt sei. Außerdem bedrohe sie die eigene Fachlichkeit (ebd.), was Fachkräfte hemmen kann, offen gegenüber partizipativen Methoden zu sein. Sicherlich hat Partizipation ihre Grenzen (beispielsweise bei kompensatorischer Hilfe oder in Zwangskontexten), dennoch sollte sie auch hier als professionelles Instrument nicht aus dem Blick verloren werden. Aspekte konstruktiver Machtanwendung (im Gegensatz zu Aspekten destruktiver Machtanwendung) können beispielsweise wirkungsvolle partizipative Unterstützung leisten und helfen, Vertrauen zu fördern (Misamer, 2019 für den Schulkontext), damit eine tragfähige Beziehung zwischen Sozialarbeitenden und Adressierten überhaupt möglich wird.

2.2 Evidenzbasierung von Aspekten konstruktiver und destruktiver Machtanwendung


Weil Macht ein universelles Konstrukt ist, kommt sie in allen Lebensbereichen vor, zeigt sich jedoch in verschiedenen Bereichen in etwas unterschiedlicher Form. Welche konstruktiven und destruktiven Aspekte der Machtanwendung lassen sich finden, wenn gezielt danach gesucht wird? In der Sozialen Arbeit zeigt sich Machtanwendung anders als in Kindergärten bzw. -tagesstätten oder in der Schule. So zeigt die bisherige Forschung verschiedene Aspekte konstruktiver und destruktiver Machtanwendung, je nach Bereich, wie nachfolgend dargestellt wird. Zur Forcierung der in den Studien genannten konstruktiven Aspekte werden Methoden vorgeschlagen, deren Anwendung unten genauer vorgestellt wird (▸ Kap. 3).

Im Bereich der Sozialen Arbeit allgemein


Bei einer Mixed-Methods-Studie mit 85 Sozialarbeitenden, die sich selbst als eher machtsensibel (7,90 von möglichen 10) einschätzten, ergab eine qualitative Inhaltsanalyse fünf Kategorien konstruktiver Machtanwendung:

Tab. 3:Aspekte konstruktiver Machtanwendung Studie Sozialarbeitende

Aspekte konstruktiver Machtanwendung

Passende Methodenvorschläge (▸ Kap. 3)

Nutzen der professionellen Beziehung im Sinne der Adressierten

(etwa bei Behörden schnellere Bearbeitung durch Hinweis auf eigenen Status)

Methode 10: Beziehungen für Adressierte spielen lassen

Schutz vor Selbst- und/‌oder Fremdgefährdung

(etwa Schaffung eines Schutzraums, der Adressierte vor Selbst- und Fremdgefährdung bewahrt)

Methode 11: Schutzraum schaffen

Motivation zur Annahme von Hilfemaßnahmen

(etwa Adressierte positiv motivieren, wenn sie an sich zweifeln oder aufgeben wollen)

Methode 5: Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung und Reduzierung von Hilflosigkeit

Methode 1: Empowerment

Partizipative Entscheidungsfindung unter gezieltem Ressourceneinsatz

(etwa Abgleich gemeinsam mit Adressierten, wer die besten Ressourcen und Möglichkeiten hat, um Unterstützung zu leisten)

Methode 12: Partizipative Entscheidungsfindung

Methode 2: Demokratische Partizipation in Kindertageseinrichtungen

Methode 1: Empowerment

Angehen von Missständen

(etwa Thematisierung von Missständen bei der Leitung von Leistungsträgern)

Methode 4: Angehen von Missständen

(eigene Darstellung nach Misamer & Hennecken, 2022, S. 198 mit Methodenvorschlag, α = kein Cronbachs Alpha, weil qualitative Erhebung)

Aspekte destruktiver Machtanwendung waren inadäquate Regelumsetzung und Sanktionierung (etwa aus Launen heraus oder unreflektiert), Einschränkungen oder Regeln anwenden, an die sich Adressierte halten müssen, Gewaltanwendung (etwa Schreien, die Anwendung von Strafen oder emotionaler Erpressung), mutwilliges Verschweigen von Informationen (etwa notwendige Informationen in der Beratung vorenthalten), aktives Nichtbeteiligen und »über den Kopf hinweg« entscheiden (etwa Bewerbungen für Adressierte senden, obwohl diese nichts von der Stelle wissen oder dagegen waren), Ausüben von Druck (etwa Aussagen, dass jugendliche Adressierte am Wochenende nicht nach...

Erscheint lt. Verlag 11.6.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
Schlagworte Empirie • Handlungskonzepte • Methoden
ISBN-10 3-17-044170-1 / 3170441701
ISBN-13 978-3-17-044170-5 / 9783170441705
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