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Zurück zur Normalität (eBook)

Mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
256 Seiten
LangenMüller (Verlag)
978-3-7844-8522-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zurück zur Normalität -  Norbert Bolz
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Unsere bürgerliche Gesellschaft ist einem Zangenangriff auf die Normalität ausgesetzt - nämlich einmal durch die 'Wokeness' der Kulturrevolutionäre und zum andern durch den Alarmismus der politisch-medialen Elite. Die Wokeness stellt das Verhältnis von normal und pathologisch auf den Kopf. Der Alarmismus stellt das Verhältnis von normal und extrem auf den Kopf. Das, was früher als Neurose betrachtet wurde, soll jetzt als selbstbestimmter Lebensentwurf anerkannt werden. So ist ein kulturelles Klima absoluter Toleranz entstanden, die sich aber als absolute Intoleranz gegenüber den traditionellen Lebensformen äußert. Damit wird der Normalität der Krieg erklärt. Genauso pervertiert ist das Verhältnis von Normalität und Ausnahmezustand in der Welt von Medien und Politik. Hier herrscht ein Alarmismus, der überall nur Katastrophen sieht. Das ist der gemeinsame Nenner von Sensationsjournalismus, Gefälligkeitswissenschaft und einer Politik der Angst, wie wir sie in der Corona-Zeit kennengelernt haben. Es gibt heute aber Anzeichen dafür, dass nach der politischen Generation der Weltverbesserer wieder eine skeptische Generation kommt, die mit dem woken Spuk aufräumt. Das nährt die Hoffnung auf eine Rückkehr aus den moralischen Exzessen und dem nihilistischen Selbstzweifel des Westens zur moralischen Normalität, die sich von selbst versteht. Im Augenblick sehen viele nur die Zeichen der Dekadenz, aber am Ende wird die Wokeness die Provokation gewesen sein, die zu einer Wiedergeburt der Bürgerlichkeit geführt hat.

1. Die These


Unsere bürgerliche Gesellschaft ist einem Zangenangriff auf die Normalität ausgesetzt – einmal durch die »Wokeness« der Kulturrevolutionäre und zum anderen durch den Alarmismus der politisch-medialen Elite. Die Wokeness stellt das Verhältnis von normal und pathologisch auf den Kopf. Der Alarmismus stellt das Verhältnis von normal und extrem auf den Kopf.

Wokeness ist das letzte Asyl der geistig obdachlosen Linken. Sie ist einerseits durch eine Hypersensibilität und andererseits durch eine Hypermoralität gekennzeichnet. Wenn man sich um eine Erklärung dieses eigenartigen, in der ganzen westlichen Welt verbreiteten Phänomens bemüht, kommt man zu dem Ergebnis: Wir leben in der anstrengendsten Kultur aller Zeiten. Und das überfordert und frustriert sehr viele Menschen. Deshalb beherrschen die Barbaren, nämlich die »postkolonialistischen« Taliban des Westens, und die Mimosen der Wokeness die Öffentlichkeit. Ich komme gleich darauf zurück.

Betrachten wir zunächst die woke Normalisierung des Pathologischen. Das, was früher als Neurose betrachtet wurde – zum Beispiel Hysterie, Zwangsneurose oder Verfolgungswahn –, soll jetzt als selbstbestimmter Lebensentwurf anerkannt werden. Indem sie eine statistische Normalität des moralisch Abnormen behauptet, errichtet die Wokeness ein Tabu über die Unterscheidung von normal und abnormal. Die woken Normalisierungen des Pathologischen zeigen längst auch eine aggressive politische Seite, nämlich in Form einer Reeducation der weißen, heterosexuellen Männer. Sie sollen »queer« denken lernen, und das heißt letztlich, die Unterscheidung von Mann und Frau durch ein Kontinuum unendlich vieler Geschlechter zu ersetzen. Das bedeutet, dass nun alles akzeptiert wird – nur nicht die bürgerliche Normalität.

So ist ein kulturelles Klima absoluter Toleranz entstanden, das sich aber als absolute Intoleranz gegenüber den traditionellen Lebensformen, vor allem gegenüber den traditionellen Geschlechterrollen, äußert. Damit wird der Normalität der Krieg erklärt. Normal und pathologisch tauschen die Plätze. Als krank gilt jetzt derjenige, der etwas für normal, also für natürlich gegeben hält – wie etwa die Tatsache, dass jemand ein Mann oder eine Frau ist. Das funktioniert aber nur deshalb, weil den meisten normalen Menschen der Mut fehlt, die lautstarken Verrückten verrückt zu nennen. Sie haben nämlich Angst, als »rechtsextrem« zu gelten.

Genauso pervertiert ist das Verhältnis von Normalität und Ausnahmezustand in der Welt von Medien und Politik. Es gibt hier eine wahre Katastropheninflation, deren bekanntester Vertreter die sogenannten »Wetterextreme« sind. Aus den Medien ist uns der Alarmismus natürlich schon lange bekannt, denn der Journalist sucht die Sensation, das extrem Neue. Doch heute ist der Alarmismus, der überall nur Katastrophen sieht, der gemeinsame Nenner von Sensationsjournalismus, Gefälligkeitswissenschaft und einer Politik der Angst, wie wir sie in der Corona-Zeit kennengelernt haben.

Die unbestreitbare Tatsache, dass es das Unerwartete, also schwarze Schwäne gibt, hat die politisch-mediale Elite zu einer Katastropheninflation gesteigert. Und in der Angst vor der Katastrophe treffen sich die Neurose der Woken und das Extrem der Alarmisten. Ein noch vergleichsweise harmloses Beispiel sind die gerade erwähnten »Wetterextreme«. So lautete die Wettervorhersage von wetter.com für April 2024: »Von extrem warm zu extrem normal«.

Es stimmt natürlich, dass die Normalität langweilig und oft auch fortschrittsfeindlich ist. Dieses Unbehagen an der Normalität ist so alt wie die bürgerliche Gesellschaft selbst. Aber es ist heute in einen Angriff auf die Normalität umgeschlagen. Vor allem die Grünen verkünden das Ende der bürgerlichen Normalität, die als »zerstörerisch« denunziert wird. Im Klartext heißt das aber: Die notwendige Anpassung an die Dynamik und Mobilität der modernen Gesellschaft ist pervertiert worden zu einem Stellentausch von normal und pathologisch und von normal und extrem.

Spätestens jetzt wird der geneigte Leser fragen, was Normalität denn sei. Eine Definition ist schwierig, aber es gibt eine gut erkennbare Begriffsfamilie, die sich um den Begriff der Normalität gruppiert: Gewohnheit, Institution, Selbstverständlichkeit, Üblichkeit, Erwartung, Tradition, Vorurteil, Vertrauen, Erfahrung, Bürgerlichkeit. Normal ist, was sich von selbst versteht und nicht erst ausgehandelt oder gerechtfertigt werden muss. Normalität ist wie Gesundheit – man bemerkt sie nicht, wenn sie statt hat. Und sie ist genauso schwer zu definieren, eigentlich nur durch die Verneinung ihrer Verneinungen; nicht pathologisch, keine Ausnahme, nicht exzessiv, nicht abnorm.

Normalität ist die größte zivilisatorische Errungenschaft. Sie ist dem Schrecken der urzeitlichen menschlichen Existenz abgetrotzt und hat die Selbsterhaltung des Menschen auf Dauer gestellt. Was geschieht aber, sobald die Selbsterhaltung selbstverständlich geworden ist – und das ist in unserer zivilisatorischen Anti-Darwin-Welt der Fall? In der so gewonnenen bürgerlichen Normalität kann das Selbstverständnis zum Problem werden – bis hin zur Identitätskrise. Man kann es auch so sagen: Wenn man sich nicht mehr selbst um Selbsterhaltung kümmern muss, entsteht für viele Menschen ein Bedarf an Selbstverständnis: Wer bin ich? Was ist normal?

Ein normaler Mensch weiß, wer er ist, und muss sich nicht auf die Suche nach seiner Identität begeben. Normalität ist der Standard, der definiert, wie viel Variabilität in den Lebensformen akzeptabel ist. Normal ist nicht das Optimale, sondern das, was gut genug, also zufriedenstellend ist. Politisch ist das die Position des Konservativismus. Und der heute so beliebte »Kampf gegen rechts« ist in Wahrheit ein Kampf gegen den Glauben an die Normalität, den man Konservativismus nennt.

Die Grünen und die Woken verkünden nun das Ende der Normalität, also des Lebens, wie wir es bisher kannten. Was sie nicht verstehen, ist, dass man zwar fast alles ändern kann, aber nicht alles auf einmal. Um klar über eine Sache zu denken, muss man vieles als selbstverständlich akzeptieren. Man kann nicht ganz neu anfangen. Tabula rasa ist ein utopistischer Wahn. Es gibt immer nur das Anknüpfen und die Innovation. Dabei ist es wichtig, einzusehen, dass Veränderung nicht gleich Verbesserung ist und dass die Beweislast beim Veränderer liegt. Wir brauchen die Innovation als schöpferische Zerstörung – ja, aber immer nur unter Bewahrung der Normalität. Und es ist die Fähigkeit zur Rückkehr in die Normalität, die den Aktivisten heute fehlt.

Wie gesagt: Die Normalität des Alltagslebens, des Funktionierens und die Hintergrunderfüllungen des Alltags können langweilen. Der Alltag bedrückt dann als ewige Wiederkehr des Gleichen. Davon will man sich hin und wieder entlasten, also Distanz zum Alltag schaffen. Deshalb gibt es Sonntage, Spieltage und Festtage. Aber nur in einem normalen Leben kann man Rekorde, Exzellenzen und Feste feiern. Die Perversion dieser Entlastung ist der große Ausnahmezustand des Krieges, des Bürgerkrieges und der Kulturrevolution, wie wir sie heute erleben.

Die Krise der Normalität ist so alt wie die Moderne; doch heute hat sie eine perverse Form angenommen. Die Moderne wurde erst radikalisiert und nannte sich dann Postmoderne. In den letzten Jahrzehnten aber wurde sie pervertiert und nannte sich dann Wokeness. Sie hat eine ultrabrutale und eine hypersensible Seite. Die woken Taliban des Westens kämpfen gegen die abendländische Tradition. Sie zerstören Denkmäler, schreiben Geschichte um und feiern wahre Orgien der Umbenennung. Wokeness ist das Krankheitsbild der zerstörten Normalität. Wenn die verbindlichen Identifikationsstrukturen einer vertrauten Lebenswelt fehlen, wirken die Möglichkeiten freien Entscheidens auf viele verunsichernd, ja bedrohlich. Das äußert sich in politischem Infantilismus, aber zum Beispiel auch als Angst vor der Optionsvielfalt einer Speisekarte.

Ein radikaler Bruch mit dem 19. Jahrhundert hatte sich in der Kunst schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgezeichnet. So konstatiert der Sozialphilosoph und Kulturanthropologe Arnold Gehlen in seinem bedeutenden Werk »Zeit-Bilder«: »Während der Jahre 1905 bis 1910 hat man die künstlerischen Überlieferungen von 600 Jahren zerrissen und abgestreift, wie es scheint, für immer.« Was diesen radikalen Zeitbruch aber für alle Menschen zum einschneidenden Erlebnis machte, war das Trauma der Weltkriege. Gehlen meint zurecht, dass man die beiden Weltkriege »als einen einzigen Vorgang von dreißigjähriger Dauer sehen muss, und von diesem Vorgang müssen wir annehmen, dass er nie Vergangenheit, nie wirklich überlebt und überstanden werden wird. Sondern er hat sich unauslöschlich in das Bewusstsein der Menschen eingebrannt«. In die Alltagsroutinen jedes Einzelnen brachen Weltkrieg, Inflation und große Depression wie Naturkatastrophen ein.

Im Ersten Weltkrieg zerbrach der Stolz auf unsere europäische Kultur. Die kulturellen Sublimierungen bekamen Risse, und jeder erfuhr am eigenen Leib, dass Nietzsche recht hatte mit seinem Satz, Kultur sei nur das dünne Apfelhäutchen über glühendem Chaos. Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war die bürgerliche Welt noch in Ordnung. Diese Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war die letzte, in der es noch generationenübergreifende Erfahrungszusammenhänge gab. Mit dem Ersten Weltkrieg endete die Zeit des ungebrochenen, selbstbewussten Bürgertums.

Der Verlust der Normalität hat also ein Datum: der Erste Weltkrieg. Er entwertete alle Erfahrungen. Die Basis der Gewissheiten brach...

Erscheint lt. Verlag 24.6.2025
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bürgerlichkeit • Gefälligkeitswissenschaft • Intoleranz • Kulturrevolutionäre • Medien • Normalität versus Pathologie • Politik • politisch-mediale Elite • Sensationsjournalismuss • Toleranz • Wokeness
ISBN-10 3-7844-8522-7 / 3784485227
ISBN-13 978-3-7844-8522-5 / 9783784485225
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