Die Multipolare Welt (eBook)
288 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-5231-0 (ISBN)
Stephan Ossenkopp, geboren 1969 in Hildesheim, lebt als Blogger, Journalist, Übersetzer und Moderator in Berlin. Seine Interessenschwerpunkte sind u.a. strategische Analysen internationaler Beziehungen, Chinas Belt and Road Initiative und BRICS.
Befremdlich schizophren
EU-Studie zu BRICS+ analysiert klug und kommt dennoch zu bizarren Ergebnissen
11. April, 2024
Endlich ein Forschungspapier der Europäischen Union zur BRICS-Erweiterung! Das war zumindest die erste Reaktion auf eine Veröffentlichung der Foundation for European Progressive Studies, die vor wenigen Tagen auf der Website der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wurde. Die Studie beginnt sogar mit einer durchaus plausiblen Analyse. Doch das Fazit der Studie ist zumindest teilweise verheerend und zutiefst irreführend. Aber alles der Reihe nach.
Am 8.4. erschien auf der Website der Friedrich-Ebert-Stiftung, einer der SPD programmatisch nahestehenden Organisation, ein Papier mit dem Titel „BRICS zu BRICS+“. Als Autor wird Uwe Optenhögel angegeben, Vizepräsident der Foundation for European Progressive Studies, kurz FEPS. Untertitel: „Vom entwicklungspolitischen Anspruch zur geopolitischen Herausforderung“. Das Papier wurde offenbar bereits im Februar 2024 bei der FEPS in Brüssel präsentiert.
Die Foundation for European Progressive Studies (FEPS) ist ein Think Tank auf EU-Ebene. Sie wurde 2008 gegründet und wird hauptsächlich vom Europäischen Parlament finanziert. Der FEPS gehören über 40 nationale parteinahe Stiftungen und Think Tanks an, aus dem deutschsprachigen Raum die Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bonn wiederum beschäftigt weltweit über 1.500 Mitarbeiter, ist an 18 Standorten in Deutschland und in 104 Auslandsbüros vertreten. Sie verfügt über einen Etat von 195 Millionen Euro, der überwiegend aus Bundes- und Länderhaushalten finanziert wird.
Die einleitende mehrseitige Analyse über die Entwicklung der BRICS-Staaten und ihre weltpolitische und wirtschaftspolitische Bedeutung ist eigentlich sehr nützlich. Autor Optenhögel schreibt zu Recht, dass „der BRICS-Gipfel in Südafrika im Sommer 2023 als denkwürdiges Datum in die Annalen der internationalen Politik eingehen“ könnte. Denn mit der Erweiterung von 5 auf 10 Mitgliedsstaaten wollte man ein Signal an den Westen senden: „Diese Länder sind nicht länger bereit, sich von irgendjemandem vorschreiben zu lassen, wie sie zu handeln haben oder mit wem sie auf der internationalen Bühne zusammenarbeiten dürfen.“
Optenhögel zeichnet nach, wie der deregulierte Kapitalismus mit seiner Gier die gesamte internationale Wirtschaftsordnung an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat. Für die Schwellenländer wie für den globalen Süden insgesamt sei dies die Bestätigung dafür gewesen, „dass die internationale Ordnung am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts die Welt von gestern repräsentierte“. Und auch Weltbank, IWF, UN-Sicherheitsrat und US-Dollar spiegelten nicht die Machtverhältnisse der Gegenwart wider.
Zutreffend beschreibt der Autor auch, dass sich die Entwicklungsländer angesichts ihres Bevölkerungsanteils und ihres wachsenden politischen und wirtschaftlichen Gewichts im multilateralen System nicht angemessen vertreten sehen. So sei der Anteil des Bruttoinlandsprodukts der BRICS-Staaten an der Weltwirtschaft von 8 % im Jahr 2001 auf 26 % im Jahr 2023 gestiegen. Die Wachstumsraten lägen dort bei durchschnittlich 4,5%, in den G7-Industriestaaten bei mageren 1,5%.
Die Studie fasst sachlich einige Prioritäten der BRICS zusammen, wie sie sich in den letzten 15 Gipfeltreffen herauskristallisiert haben: Reform der internationalen Finanzinstitutionen, bessere Vertretung im multilateralen System, ein stabiles und berechenbares internationales Währungssystem. Die BRICS seien ein Akteur für eine gerechtere multipolare Ordnung, ein weiterer Schritt zur Emanzipation der Entwicklungsländer. Optenhögel wörtlich: „Das Ende des europäischen Kolonialismus schien ein entscheidender, aber unvollendeter Schritt auf dem Weg zur Befreiung zu sein, der schnell durch neokoloniale Abhängigkeiten und Ausbeutung auf der Basis von US-Dollar-dominierten Finanzmärkten abgelöst wurde“. Der Autor bemängelt die Strukturanpassungsprogramme des IWF, welche Liberalisierung, Privatisierung und Sozialabbau verlangten. Dies habe zu mehr Armut und Ungleichheit und zum Ende einer selbstbestimmten Entwicklung geführt.
Richtig analysiert das Papier auch, dass der Westen trotz des Reformdrucks nach der Finanzkrise keine wirkliche Umgestaltung des globalen Systems vorgenommen hat. Die G20 hätten die Entwicklungsländer gewaltig frustriert. „Die Hoffnungen, dass der globale Süden endlich eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der regelbasierten internationalen Ordnung spielen könnte, wurden enttäuscht,“ heißt es. UN-Reformen würden endlos diskutiert, aber nie umgesetzt, und die Welthandelsorganisation und die multilateralen Entwicklungsbanken und Kreditgeber seien nach wie vor in der Hand der Amerikaner. Gerade deshalb hätten sich die BRICS-Staaten auf den Weg gemacht, eigene Institutionen aufzubauen. Dazu gehören die New Development Bank, ein Fonds für eine Sicherheitsreserve, aber auch zahlreiche Arbeitsgruppen und Foren, Treffen von Unternehmen, Universitäten und Bildungsnetzwerken.
Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine hätten die Länder des globalen Südens besonders unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden gehabt. Unterbrechung der globalen Lieferketten, Verknappung wichtiger Güter im Nahrungsmittel-, Rohstoffund Energiesektor. Rasant steigende Preise und höhere Zinsen. Vor diesem Hintergrund hätten zwar viele Länder des globalen Südens im März 2022 für die UN-Resolution gestimmt, die den russischen Militäreinsatz verurteilt. Doch „von den fünf BRICS-Staaten stimmte nur Brasilien dafür“ und „nur wenige Staaten des globalen Südens beteiligten sich an den vom Westen konzipierten Sanktionen“. Sie betrachteten den Konflikt als europäische Angelegenheit.
Währenddessen sei der Westen „immer wieder mit seiner eigenen Doppelmoral konfrontiert worden, was seine Glaubwürdigkeit im globalen Süden nachhaltig beschädigt hat“. Vor diesem Hintergrund sei auf dem 15. BRICS-Gipfel in Südafrika im August 2023 das Interesse an einer Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe sprunghaft angestiegen. Es gab 20 formelle Anträge auf Mitgliedschaft und weitere 20 Länder bekundeten ihr Interesse.
So weit, so gut. In den letzten Absätzen macht das Forschungspapier der FEPS jedoch eine irritierende Wendung, die in keinem logischen Zusammenhang mit dem vorher Gesagten steht. Und zwar so: Die im Januar 2024 neu hinzugekommenen Länder seien „zwei Monarchien“, nämlich Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, „eine religiöse Theokratie“, nämlich der Iran, „eine de facto Militärdiktatur“, also Ägypten, und „ein Land, das sich derzeit in einem Bürgerkrieg befindet“, sprich Äthiopien.“ Diese Auswahl sei von Russland und China bewusst getroffen worden, um wichtige Energieexporteure in die BRICS-Erweiterung einzubeziehen und den Energiemarkt zu entdollarisieren.
Wie aus dem Nichts kommt dann das Fazit: „Russland und China richten die BRICS damit zunehmend als antiwestliches Projekt aus. [...] Die emanzipatorischen Elemente aus der Gründungsphase der BRICS, die mit einer umfassenden entwicklungspolitischen Agenda einhergingen, machen einem geopolitischen Projekt Platz.“ BRICS+ sei heute ein „Club, der überwiegend aus autokratischen Regimen besteht. Diese Entwicklung bietet den Menschen in den Entwicklungsländern des globalen Südens keinerlei Fortschrittsperspektive. Was sich eher abzeichnet, ist die Rückkehr zu einer Art von Großmachtpolitik, die für das 19. Jahrhundert charakteristisch war und eng verknüpft ist mit Imperialismus, Kolonialismus und Ausbeutung.“
Der Autor schlussfolgert, dass der Westen und insbesondere die EU diese Entwicklung als „späten Weckruf“ begreifen sollten. Und: „Um in einem solchen Umfeld voranzukommen, muss die EU den westlich zentrierten transatlantischen Rahmen überwinden und sich ehrlich auf die Entwicklungsländer einlassen. Das bedeutet, Europas Wissen, Erfahrung und Weisheit mit den Partnern zu teilen, ohne sie zu belehren oder einzuschüchtern“.
Es ist schon befremdlich schizophren, was Optenhögel hier schreibt. Zunächst schildert er zutreffend, dass die BRICS stellvertretend für die große Mehrheit der Weltgemeinschaft für eine gerechtere Weltordnung und eine fairere Verteilung der Wertschöpfung eintreten. Dann fällt er plötzlich auf den alten angloamerikanischen Trick herein, den Konflikt als einen historischen Kampf zwischen Demokratien und Autokratien zu sehen, so wie es die aktuelle US-Administration unter Joe Biden bei ihrem Amtsantritt formuliert hat. Oder wie es der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ausdrückte: Europa ist ein blühender Garten und das meiste da draußen ein Dschungel. Kein Wunder also, dass Josep Borrell auch als wissenschaftlicher Berater des FEPS auftritt.
Die BRICS-Staaten und der globale Süden machen eben genau diesen Unterschied nicht. Sie beziehen sich vielmehr auf den jahrhundertelangen Unabhängigkeits- und Emanzipationskampf...
| Erscheint lt. Verlag | 26.3.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
| ISBN-10 | 3-8192-5231-2 / 3819252312 |
| ISBN-13 | 978-3-8192-5231-0 / 9783819252310 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 380 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich