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Dreihundert Männer (eBook)

Spiegel-Bestseller
Aufstieg und Fall der Deutschland AG
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
540 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-78354-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dreihundert Männer - Konstantin Richter
Systemvoraussetzungen
25,99 inkl. MwSt
(CHF 25,35)
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Dreihundert deutsche Männer, schrieb Walther Rathenau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bestimmten die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents. Er meinte das enge Geflecht aus Bankiers, Industriekapitänen und Lobbyisten, das sich mit dem Aufstieg von Firmen wie der Allianz, Krupp oder Siemens herausgebildet hatte. Man kannte einander, man sprach miteinander - und man sprach sich ab. Bis in die 1990er Jahre prägte dieses Netzwerk namens »Deutschland AG« die Politik und die Unternehmenskultur in der Bundesrepublik.
Konstantin Richter montiert die Geschichten dieser Macher und Magnaten zu einer temporeichen szenischen Erzählung. In meisterhaft arrangierten Episoden lässt er ihre Welt zu unserer werden: Er begleitet Nicolaus Otto und Gottlieb Daimler bei der Gemüseernte, wo die beiden genauso erbittert konkurrieren wie bei der Entwicklung neuer Motoren. Richter sitzt mit am Tisch, wenn die Gebrüder Mannesmann in Marokko irrwitzige Intrigen spinnen, und er pendelt mit Thomas Middelhoff von Bielefeld nach Essen, wenn dieser sich mit seinem Hubschrauber auf den Weg ins Büro macht.
So entsteht ein einzigartiges Epos, das rund 150 Jahre umspannt: von der Start-up-Nation Kaiserreich bis in die krisengebeutelte Gegenwart, vom Aufstieg der Deutschland AG bis zum ihrem Niedergang.

Konstantin Richter, geboren 1971, ist Autor und Journalist. Er hat regelmäßig für deutsch- und englischsprachige Medien wie The Wall Street Journal, The Guardian, The New York Times oder Die Zeit geschrieben. Darüber hinaus hat er mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2017 Die Kanzlerin. Eine Fiktion.

13

1
Gründerjahre


Im August 1870 schifft sich in Shanghai ein melancholischer Bankier auf einem französischen Paketdampfer ein. Sein Ziel ist Berlin. Dort, in der preußischen Hauptstadt, soll er Direktor einer noch jungen und kleinen Bank werden, die ein paar Monate vorher gegründet worden ist. Sie heißt, nicht ganz unbescheiden, Deutsche Bank.

Hermann Wallich ist 36Jahre alt. Er stammt aus einer orthodox-jüdischen Familie in Bonn. Nach einer Banklehre hat er zunächst in Paris gearbeitet und sich dann entschlossen, auf die Île de la Réunion zu ziehen. Die vulkanische Insel liegt im Indischen Ozean, siebenhundert Kilometer östlich von Madagaskar. Wallich soll sich im Auftrag der Pariser Bank Comptoir d’Escompte um die Geldgeschäfte der Kreolen kümmern, der französischstämmigen Siedler, die mit Hilfe afrikanischer Arbeitskräfte riesige Zuckerplantagen bewirtschaften. Wallich geht wandern. Wallich isst Ananas und Palmenherzen. Wallich schaut den Afrikanern dabei zu, wie sie den Sega aufführen, einen Tanz »voll von Originalität und besonderer Geschmeidigkeit«, wie er später schreibt. »Nicht Kunst inspiriert diesen Tanz, sondern Leidenschaft und Liebe.«

Doch wird Wallich in den Tropen nicht glücklich. Die alteingesessenen Familien, denen er Kredit gibt, haben wenig Sinn fürs Geschäftliche. Eine Serie von Missernten, die Abschaffung der Sklaverei, die Konkurrenz durch europäischen Rübenzucker – all das hat ihnen zu schaffen gemacht, so dass Wallich vor allem damit beschäftigt ist, Schulden einzutreiben. Und immerzu gibt es Ärger. Als ihn ein vornehmer, aber insolventer Schuldner zum Duell fordert, antwortet Wallich, er stehe zur Verfügung, allerdings solle der Mann zuerst das Geld deponieren.

14Wallich ist ein zurückhaltender Mann, brav gescheitelt, weiche Züge, ein gepflegter Schnurrbart. Er wäre wohl gern ein anderer gewesen, ausgelassener, spontaner, nicht so verdammt gewissenhaft. Wehmütig schreibt er in seinen Erinnerungen, dass er in den Tropen seine besten Jahre vergeudet habe: »Die fortwährende Sorge um das mir anvertraute Interessengebiet ließen mich vor der Zeit alt und ernst werden und verhinderten mich, den Anteil an den Freuden der Jugend und der Geselligkeit zu nehmen, der meinen Jahren zukam.«

Auch in Shanghai, der nächsten Station der Wanderjahre, wird Wallich nicht zum Hedonisten. Im fruchtbaren Jangtse-Delta haben englische Kaufleute eine luxuriöse Handelsmetropole aufgebaut, sie importieren Opium und exportieren Seide und Tee. Die freie Zeit vertreiben sie sich mit Regatten, mit Cricket und Pferderennen. Wallich nimmt daran kaum teil, er fühlt sich oft matt, vermisst Europa und hofft, dass ihn die Franzosen nach Paris zurückholen. Stattdessen kommt das Angebot der neu gegründeten Deutschen Bank Actien-Gesellschaft.

Die Fahrt mit dem französischen Paketdampfer macht Wallich als einziger Deutscher. Als er in Shanghai aufbricht, weiß an Bord noch niemand, dass Frankreich Preußen den Krieg erklärt hat. Das Schiff legt in Hongkong an. Die Nachricht verbreitet sich rasch. Die Franzosen geben sich siegesgewiss, sie sprechen Wallich ihr Mitgefühl aus. Doch als in Singapur, in Ceylon und in Aden immer weitere Meldungen von deutschen Siegen eintreffen, kippt die Stimmung. Der Versorgungsoffizier kündigt an, er werde von nun an täglich drei Preußen verspeisen. Der vorsichtige Wallich beschließt, die Weiterfahrt ohne Franzosen zu machen. Mit einem Fischerboot setzt er nach Suez über, nimmt die Eisenbahn nach Alexandria und den Dampfer über das Mittelmeer.

*

15Berlin also.

Wallich hat sich die Rückkehr nach Deutschland anders vorgestellt. Das Leben in der Fremde ist ihm nicht wirklich bekommen. Aber an die Annehmlichkeiten hat er sich gewöhnt, an die Gastfreundschaft der Kreolen, an das geräumige Haus in Shanghai, an die Bediensteten, die dort auf seine Anweisungen warteten. In Berlin wartet niemand. Er hat keine Freunde, keine Verwandten in der Stadt. Die Aufsichtsräte der Deutschen Bank, die ihn eingestellt haben, empfangen ihn kühl und förmlich. Nicht einmal ein Glas Zuckerwasser bieten sie ihm an. Wallich schreibt später: »Wenn ich abends in mein Hotelzimmer zurückgekehrt war, konnte ich weinen, so einsam und verlassen fühlte ich mich.«

Auch die Stadt selbst macht einen trüben Eindruck auf Wallich. Mango und Palmenherzen gibt es hier nicht, dafür den Wochenmarkt am Gendarmenmarkt, wo Fischfrauen mit Keschern in moosbewachsenen Bottichen rühren. Ringsum sind die Straßen mit einfachen Feldsteinen gepflastert, ein übler Geruch steigt aus den Rinnen auf. Ausländischen Besuchern fallen vor allem die preußischen Militärs auf, die, so notiert ein Durchreisender, »rotwangig, knusprig, zufrieden« und dabei äußerst hochmütig auftreten. Gehen die Offiziere spazieren, wird es eng auf Berliner Bürgersteigen.

Doch der Eindruck einer ständischen Gesellschaft, die in der Zeit stehen geblieben ist, täuscht gewaltig. Das Deutschland, das kurz vor der Reichsgründung steht, ist nicht mehr das Land, das Wallich 16Jahre zuvor verlassen hat. Und insbesondere Berlin, die Metropole, die bald Reichshauptstadt werden soll, verändert sich rasant. Dieser Wandel ist im kleinstädtisch anmutenden Zentrum, wo die Deutsche Bank ihre Räume hat, kaum bemerkbar. Wer das pulsierende Leben sehen will, geht nicht Unter den Linden spazieren, sondern begibt sich an die Stadtränder, die sich Tag für Tag weiter ins Umland ausdehnen. In die Arbeiterquartiere im Wedding oder in Friedrichshain, wo Großfamilien in Mietskasernen zwei, drei Räume teilen und dazu Schlafgänger beherbergen, die von früh16morgens bis spätabends arbeiten und bloß ein Bett benötigen. Oder in die Villenviertel am Tiergarten, wo neureiche Unternehmer und Bankiers inmitten von altem Baumbestand herrschaftliche Häuser errichten.

Oder aber in den wüsten Norden, Feuerland genannt, weil dort die Schlote rauchen. Nirgendwo sonst ist die Luft so schlecht, der Lärm so durchdringend. Wenn in den riesigen Fabriken nördlich des Oranienburger Tors die Dampfhämmer gehen – so steht es in einem zeitgenössischen Roman –, dann zittern in den umliegenden Wohnhäusern die Fußböden, die Gläser klirren und die Lampenkugeln klappern. Nach Feierabend treten Tausende rußgeschwärzte Arbeiter den Heimweg an, zu Fuß auf Ausfallstraßen, die kurz vorher noch Feldwege waren.

*

Deutschland befand sich 1870, als Wallich zurückkehrte, in den letzten Jahren eines langen und gewaltigen Aufschwungs, der Mitte des Jahrhunderts mit dem Eisenbahnbau seinen Anfang genommen hatte. Für die Eisenbahnen wurden Kohle und Stahl aus dem Ruhrgebiet benötigt und Lokomotiven aus Berlin. Telegrafenlinien verknüpften die Metropolen, Seekabel durchzogen die Meere. Kommunikation und Warenverkehr beschleunigten sich rasant und erleichterten den Ausbau weiterer Wachstumsindustrien.

Der Aufschwung war nicht auf Deutschland beschränkt. Doch fiel die Veränderung hier besonders extrem aus, man holte nach, was sich in anderen Ländern über einen längeren Zeitraum vollzogen hatte. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts – und vor allem nach der Gründung des Zollvereins 1834 – war der Flickenteppich aus deutschen Regionalmächten zu einer Volkswirtschaft zusammengewachsen. Handelsschranken fielen, der Zunftzwang wurde aufgehoben, Gewerbefreiheit geschaffen, das zunehmend einflussreiche Bürgertum wirkte hin auf eine liberale Wirtschaftspolitik.

Als Vorbild galt England. Man wollte die dortige Industrie min17destens einholen, noch lieber aber überflügeln. Der junge Alfred Krupp war einer der Ersten, die auf die Insel reisten, um sich in die Fabriken von Manchester einzuschleichen und deren Betriebsgeheimnisse zu ergründen. Er reiste anonym, weil er nicht auffallen wollte, nannte sich Baron Schropp – und man darf sich schon fragen, ob der Deckname der Tarnung wirklich dienlich war. Andere Unternehmer folgten ihm. Sie waren nicht rein wirtschaftlich motiviert, sie betrieben den Aufholkapitalismus im Dienst der ...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 300 Männer • aktuelles Buch • Allianz • Banken • Bankiers • Bücher Neuerscheinung • Bundesrepublik Deutschland • Daimler • Deindustrialisierung • Deutsche Bank • Deutsche Einheit • Deutsche Wirtschaft • Deutschland • Deutschland AG • Drittes Reich • Florian Illies • Globalisierung • Helmut Kohl • Industrie • Krupp • Lobbyisten • Made in Germany • Mannesmann • Mitteleuropa • Moderne • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Otto von Bismarck • Siemens • Start-up-Nation Kaiserreich • Thomas Middelhoff • Thyssen • Volkswagen • Weimarer Republik • Weltmacht • Wirtschaftsgeschichte • Wirtschaftswunder • Wolfram Eilenberger
ISBN-10 3-518-78354-8 / 3518783548
ISBN-13 978-3-518-78354-2 / 9783518783542
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