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Autoritäre Rebellion (eBook)

Wie antimoderne Reflexe breite Schichten der Gesellschaft erfassen und sie immer weiter nach rechts rücken

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
176 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3747-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Autoritäre Rebellion - Andreas Speit
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Wie antimoderne Reflexe breite Schichten der Gesellschaft erfassen und sie immer weiter nach rechts rücken.

Die Affinität des Antimodernismus zum völkischen Nationalismus wurde bereits Anfang des letzten Jahrhunderts analysiert. Heute wird sie kaum thematisiert. Die Massenproteste der Querdenkenden, Reichsbewegten und Rechtsextremen scheinen vorbei. Doch die sich aus ihnen speisende gesellschaftliche Schicht mit antimodernen Vorstellungen wächst, sie hat sich außerdem verjüngt und verweiblicht - nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Die Radikalität ihrer Einstellungen beginnt nicht erst mit der Planung einer Erstürmung des Bundestags oder der Sabotage des Stromnetzes. Sie beginnt mit der Anzweiflung der Realität hin zu einer Ablehnung des Rechtsstaates und endet bei der Delegitimierung der Demokratie.

Das neue Buch des Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit.



Andreas Speit, geboren 1966, ist Journalist und Buchautor. Er studierte Sozialwissenschaften, schreibt u. a. für die taz und Zeit Online, arbeitet für den WDR und Deutschlandfunk Kultur. Für seine Arbeit zeichneten ihn das medium magazin und der Deutsche Journalisten-Verband aus. Er ist Referent bei den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, beim Deutschen Gewerkschaftsbund, bei der Friedrich-Ebert- und der Heinrich-Böll-Stiftung sowie der Medienakademie von ARD und ZDF. Zuletzt erschien von ihm im Ch. Links Verlag 'Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus'.

Prolog


Die Revolte ist gewollt. Sie haben sich nicht alle verrannt oder verirrt. Sie suchen und schwärmen aus, finden und verbinden sich. Sie sind Familienangehörige, Freunde, Bekannte, Vereinsmitglieder, Doppelkopfspielende, Tennispartnerinnen oder Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr. Sie haben sich entschieden: Diese Bundesrepublik ist nicht mehr ihre Republik. Diese BRD war für einzelne auch nie ihr Staat. Wir kennen sie, sie sitzen nicht nur in den Parlamenten oder Talkshows, sie sitzen auch an Küchen- oder Stammtischen. Sie sind wie wir, sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie forcieren jedoch eine Entkultivierung der liberalen Demokratie. Ihre Revolte strebt ins Autoritäre.

In den vergangenen Jahren ist das Sag- und Wählbare in der Mitte der Gesellschaft nach weit rechts verschoben worden. Was sich gestern noch politisch am Rand befand, ein No-Go war, wird nicht mehr bloß gedacht, sondern gesagt und gewählt. Die laut Sprechenden sind aber nicht nur die üblichen Verdächtigen. In dem Chor singen nicht alleine Rechtsextreme und Reichsideologie-Getriebene, in ihn stimmen auch Querdenkende und Alternativ-Bewegte ein. Sie scheinen habituell und kulturell sehr verschieden zu sein. Der Auftritt in Fantasieuniformen oder die Gründung eines Fantasiekönigreichs aus dem reichsideologischen Spektrum hat mit dem Bestreben nach Harmonie oder dem Ausleben der Individualität aus der alternativen Szene vermeintlich kaum etwas gemein. Sie sind sich allerdings nicht nur über ihre Ablehnung der staatlichen Pandemiemaßnahmen näher gekommen, sie verbindet auch die gemeinsame Delegitimierung des Staates. Sie sind sich jedoch auch politisch und philosophisch nah: in der Kritik an der Moderne. Eine lange Tradition, auch wenn sie sich derer vielleicht nicht bewusst sind.

Diese Mischszene sucht Alternativen, bemüht sich um Lebens-, Siedlungs- und Bildungsoptionen möglichst frei von staatlichen Zugriffen. Eine Variante mit gravierenden Folgen: Kinder werden per Hausgeburt zur Welt gebracht und nicht beim Standesamt gemeldet. Nicht beim Staat registriert, und damit für den Staat nicht existent.1 Eine weitere Variante: Größere Grundstücke erwerben, um mit Gleichgesinnten zusammenzuleben,2 und noch eine: Schulen als Freie Schule gründen.3 In diesem Kontext fällt ein Social-Media-Phänomen auf, das ein Vorwärts-ins-Vergangene propagiert: die Tradewives. Der Trend kommt aus der rechtsextremen Alt-Right der Vereinigten Staaten. Seit den 2020er Jahren inszenieren sich junge Influencerinnen ebenso in der Bundesrepublik in sogenannten traditionellen Frauenrollen. In kurzen Clips erscheinen Frauen mit weißer christlicher Identität bei der Care-Arbeit zu Hause – freundlich und glücklich. Die Männer sind außer Haus zum Arbeiten.4 Diese Inszenierung ist mehr als eine Absage an Emanzipation. Doch nicht jede Frau, die Videos vom Kochen oder Bilder vom Backen online stellt, muss gleich in diesem Milieu verortet werden.

In dieser Mischszene werden nicht alle Anschauungen miteinander geteilt, es genügt ein Anliegen, das einen so sehr antreibt, um neue Allianzen einzugehen. Das eklektische Nebeneinander von widersprüchlichen Vorstellungen gehört schon immer zu rechten Gedankengebilden.

Auch wenn es um die Kritik an der Moderne geht, verstrickt man sich in einem Paradox, die Art und Weise, wie bemängelt wird, ist zugleich antiautoritär und autoritär. Die Kritik richtet sich gegen die bestehende Autorität, den Staat und seine Organe, die für sie ihre Autorität verloren haben bzw. nie besaßen, und strebt nach neuen Autoritäten. Für den einen genügt ein selbst ernannter Reichspräsident eines Freistaates Preußen oder ein Oberster Souverän des Königreichs Deutschland, für die andere reicht ein Mikrobiologe, der »die Wahrheit« über Corona weiß, oder ein HNO-Arzt, der Mediziner*innen, die impfen, mit dem KZ-Lagerarzt Josef Mengele gleichsetzt. Und manch andere genügen sich selbst als jene Aufgeklärte, die nun alles erkannt und verstanden haben.

Den Sound zur Rebellion liefert – neben anderen – eine Band, deren Namen Programm ist: Rapbellions. Das »Rudel«, wie sie sich selbst nennen, sagt über sich, dass sie den Grundgedanken des Hip-Hop vertreten würden: »Rap als Gesellschaftskritik«. Nice, wenn sie keine rechten Botschaften hätten. Schon 2021 inszeniert sich »das Rudel« als Verkündende der Wahrheit. In ihrem Hit »Ich mache da nicht mit« propagieren sie eine Fundamentalopposition gegenüber den staatlichen Pandemiemaßnahmen: »Ich mach’ da nicht mit, denn ich bin nicht down mit der Maskenpest. Fick deine Diktatur. Der Teufel, der Mörder hinter Tausenden Waffentests. Digga, was willst du tun, wenn dieser Schlauch deine Atmung schwächt? Nimm deinen Okkultismus und ich leg’ ihn unter den Christus. Dieser bunte Faschismus macht mich krank wie diese Tunten im Business.« Oder: »Fuck NWO und bewahr’ mein Gesicht.« Oder: »Sag mir, ist das nicht ein Witz, dass ein Haufen Psychopathen beinah’ die gesamte Menschheit einfach nebenbei versklaven? Ich steh’ außerhalb der Matrix, die Hälfte hier spürt gar nichts.«5 Mit NWO spielen sie auf das Verschwörungsnarrativ der New World Order an, nach dem geheime Eliten eine supranationale Weltregierung anstreben. Vom Verschwörungsnarrativ gehen sie über zu Faschismusrelativierungen und Homophobie. Bis heute ist das Video auf der Webseite online. Ein Star, der sich längst distanziert hat, lieferte eine Strophe: Xavier Naidoo.6 Enthemmungen und Entgrenzungen scheinen sich zu ergänzen.

Die Ergebnisse bei Bundes- und Landtagswahlen sind parlamentarischer Ausdruck dieser Verschiebung nach rechts. Die zunehmende Gewalt gegen markierte Feinde spiegelt die alltägliche Bedrohung ebenso wider. Der gebotene Blick auf die Gewalt sollte aber nicht den Blick auf die Gesellschaft im Ganzen verstellen.

Die Verortung am Rand hat lange die gesellschaftliche Mitte entlastet. Die politischen Entwicklungen am Rande waren jedoch auch in der Weimarer, Bonner und Berliner Republik nie alleine entscheidend. Trotzdem wird die Annahme, es handele sich um ein Phänomen der Extreme, gern in Politik und Medien popularisiert und damit impliziert, dass rechte Ressentiments nicht in der Mitte der Gesellschaft virulent waren und sind. In Zeiten der Krisen, in der eine Krise in die nächste Krise übergeht, ohne dass die eine schon zu Ende ist, verstärken sich Ressentiments. Das libertäre Selbstverständnis und tolerante Selbstbild kann auch nur ein dünner Firnis sein? Was verschüttet war, kommt hoch? Das Versprechen von ökonomischem Wohlstand und privatem Aufstieg bilden für Oliver Decker und Johannes Kiess eine Art sozialer Plombe. Der wirtschaftliche Aufschwung in der frühen Bundesrepublik erleichterte die Akzeptanz der Demokratie. Das »Wirtschaftswunder« ist aber kein Wunder mehr.7 Das Versprechen wurde auch während der Wiedervereinigung bei der niedergehenden Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gegeben. Die »blühenden Landschaften« (Helmut Kohl) erblühten jedoch nicht. Lange her und doch so nah. Spätestens allerdings mit der weltweiten Pandemie und dem russischen Angriffskrieg rücken ökonomische Befürchtungen und persönliche Besorgnisse näher. In dem schon »entsicherten Bürgertum«, das die eigenen Privilegien bedroht sieht, könnte dessen »Liberalität« erodieren, warnt Wilhelm Heitmeyer bereits 2012. Eine »rohe Bürgerlichkeit«, die mit »rabiaten Mitteln« ihre Bedürfnisse und Ziele durchsetzt, bahnte sich früh an.8 Das Dilemma ist die Moderne selbst. Sie generiert das Versprechen der Beteiligung und Gleichberechtigung, kann es aber nicht garantieren.

Die Moderne sei nicht nur eine Periode, schreibt die Soziologin Eva Illouz, sie müsse »auch und vor allen als eine historische Dynamik« verstanden werden, »die sich seit der Renaissance entfaltet und in der Aufklärung ihren intellektuellen Höhepunkt gefunden hat«.9 Im Höhenflug der Aufklärung wurde individuelle Freiheit und soziale Gleichheit verkündet. Dieser Flug startete allerdings schon mit der Bestimmung des Eigenen, die mit der Abwertung und Abwehr des Anderen einherging. Die »Barbaren« sollten »zivilisiert« werden. »Europas unendliche Arroganz« erfolgte aus der »Perspektive des ›Fortschritts‹«, führt Jürgen Osterhammel in der Zeit am 28. September 2023 aus. »Das Zeitalter der Revolutionen«, industriell und...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Bundestagswahl • Faschismus • Nazis • Ostdeutschland • Overton Fenster • Rechtsextremismus
ISBN-10 3-8412-3747-9 / 3841237479
ISBN-13 978-3-8412-3747-7 / 9783841237477
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