Mit Zuversicht (eBook)
312 Seiten
ecoWing (Verlag)
978-3-7110-5367-1 (ISBN)
Wolfgang Schüssel, geboren 1945 in Wien, Bundeskanzler a. D., studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und nahm nach der Beendigung des Studiums die Laufbahn als Politiker auf. Nach verschiedenen hohen politischen Funktionen amtierte er von 2000 bis 2007 als Bundeskanzler in einer bewegten Periode der österreichischen Geschichte. Er ist verheiratet sowie Vater einer Tochter und eines Sohnes.
Wolfgang Schüssel, geboren 1945 in Wien, Bundeskanzler a. D., studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und nahm nach der Beendigung des Studiums die Laufbahn als Politiker auf. Nach verschiedenen hohen politischen Funktionen amtierte er von 2000 bis 2007 als Bundeskanzler in einer bewegten Periode der österreichischen Geschichte. Er ist verheiratet sowie Vater einer Tochter und eines Sohnes.
mutiges österreich
mein schönster tag
Manchmal werde ich gefragt, was wohl der schönste Tag in meinem langen politischen Leben gewesen sei. Manche erwarten wohl Wahlsiege oder Angelobungen – für mich aber war es der 12. Juni 1994. An diesem Tag fand die wohl wichtigste Volksabstimmung in der österreichischen Geschichte statt; die Bevölkerung hatte über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zu entscheiden – und sie tat dies mit einer beeindruckenden Zweidrittelmehrheit. Alle Versuche, den Bürgern Angst vor dem Ausverkauf der Heimat, vor Schildläusen im Joghurtbecher, Blut in der Schokolade oder einem Aufgehen in einem neokapitalistischen System zu machen, waren danebengegangen.
Am Abend dieses denkwürdigen Tages schalteten Bürgermeister Helmut Zilk und ich die spektakuläre Beleuchtung der Hofburg ein, die ich als Wirtschaftsminister und zuständiger Ressortchef der Burghauptmannschaft einrichten ließ. Und jedes Mal, wenn ich abends über den Heldenplatz gehe, freue ich mich über dieses bleibende Lichtzeichen, das für die Rückkehr Österreichs vom Rand beim einstigen Eisernen Vorhang ins Zentrum der europäischen Vereinigung mit Zentral- und Osteuropa steht. Und – nur nebenbei bemerkt – die Österreicher haben gut entschieden. Seit 1989, dem Jahr unseres Beitrittsantrags, bis heute hat sich unsere Wirtschaftskraft, das BIP, vervierfacht, die Exporte versechsfacht, die Auslandsinvestitionen nach Österreich verzehnfacht und unsere eigenen FDIs (vor allem in die Nachbarländer) verzwanzigfacht. Die Zahl der Arbeitsplätze stieg von drei Millionen auf über vier. Und unser Land, mit 0,1 Prozent der Weltbevölkerung (aber 0,37 Prozent BIP), ist immerhin auf Platz 27 im globalen Ranking und Top 10 bei den Pro-Kopf-Exporten. Wahrlich eine Erfolgsgeschichte!
ist die österreichische neutralität noch zeitgemäss?
Im Ausland wird dies zunehmend kritisch gesehen. Der renommierte Economist urteilt harsch: »Jedes Land auf dem Kontinent, das sich in dieser Frage (Ukraine-Krieg, Anm.) neutral erklärt, bekundet damit, dass ihm seine eigene Sicherheit nicht sonderlich am Herzen liegt … Nichtneutrale ärgert das. Denn ihre Kanonen verteidigen stillschweigend auch Länder wie Österreich, die sich noch mehr Butter aufs Brot streichen wollen und obendrein über ihre Tugenden prahlen.«
Das schmerzt, aber stimmt es auch? Österreich hilft der Ukraine politisch, humanitär und wirtschaftlich und trägt solidarisch alle Sanktionen gegen Russland mit. Auch die Perspektive einer späteren Mitgliedschaft der Ukraine in der EU wird von unserem Land unterstützt. Militärische Transporte können aufgrund eines EU-Mandats, das wenige Tage nach dem russischen Überfall einstimmig angenommen wurde, Österreich durchqueren. Auch notwendige Entminungsprojekte werden finanziell unterstützt. Die Neutralität Österreichs steht also in all diesen Fragen der Solidarität mit der Ukraine nicht im Wege.
Aber die Diskussion geht natürlich viel tiefer. Schweden und Finnland haben sich innerhalb weniger Wochen nach dem 24. Februar 2022, der die Sicherheitspolitik Europas nachhaltig veränderte, für die Aufgabe ihrer Bündnisfreiheit und einen NATO-Beitritt entschieden. Von den 27 EU-Mitgliedstaaten sind damit nur noch Malta, Zypern, Irland und Österreich neutral. Und auch in Irland findet eine intensive Diskussion statt. Außenminister Micheál Martin: »Ireland must have an open and honest debate on its longstanding military neutrality and the possibility of joining NATO« (FT, 19.5.2023). Vor dem Parlament kündigte der Minister, der auch das Verteidigungsressort führt, ein konsultatives Forum mit etwa tausend Bürgern, Fachleuten und Diplomaten an. Dabei sollte untersucht werden, welche Bedeutung die Neutralität im gegenwärtigen geopolitischen Umfeld noch besitzt, welche sicherheitspolitischen Optionen die Insel hat und welche Verpflichtungen gegenüber den Partnern bestehen. »Staying as we are today or immediately seeking to join a military alliance such as NATO are not the only options.«
Sogar die Schweiz diskutiert – ein Leitartikel der »Neuen Zürcher Zeitung« vom 20. Mai 2023 brachte es auf den Punkt: »Die Welt braucht keine neutrale Schweiz mehr.« Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs nähere sich das ausländische Verständnis für die schweizerische Neutralitätspolitik dem Nullpunkt. Andreas Rüesch empfiehlt als Weg aus dem Elfenbeinturm die »Bündnisfreiheit«. Die Schweiz bräuchte nicht der NATO beizutreten; aber sie könnte gefahrlos ihre Politik der dauernden Neutralität aufgeben und sich ausbedingen, in gewissen Konstellationen nicht neutral zu bleiben. Ein Aggressionskrieg in Europa, der auch Schweizer Interessen berührte, wäre das Paradebeispiel einer solchen Konstellation. »Mehr Freiheit, weniger Neutralität« hieße, die Schweiz bliebe frei von Bündnispflichten, aber öffne einen Weg, um auch die Freiheit Europas zu stärken. Etwa mit der Lieferung von Militärmaterial an die Ukraine, die in ihrem Überlebenskampf auch auf die Schweiz angewiesen ist.
Und Österreich? Mit dem EU-Beitritt verpflichteten wir uns: »Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung«. Bei den Verhandlungen wurden wir oft gefragt, wie wir diese Solidaritätsverpflichtung mit unserer Neutralität in Einklang bringen würden. Daher wurde 1998 eine Änderung der Verfassung (Artikel 23 f) beschlossen, dass in Hinkunft nicht nur bei UNO- und OSZE-Beschlüssen, sondern auch bei Beschlüssen der Europäischen Union die Neutralität nicht mehr gilt. »Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU mit.« Dies bezieht sich auf wirtschaftliche Beziehungen zu Drittstaaten (etwa Sanktionen), aber auch auf friedenserhaltende Aufgaben, Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen und bei Beschlüssen zur Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Mit dem EU-Beitritt 1995 hat Österreich die förmliche Verpflichtung übernommen, an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) mitzuwirken. Mit dem einstimmig verabschiedeten Lissabon-Vertrag (in Kraft seit 1. Dezember 2009) wurde eine wechselseitige Beistandsverpflichtung bei einem bewaffneten Angriff vereinbart.
Vielleicht wäre es hilfreich, diese Zusammenhänge der Öffentlichkeit deutlicher zu machen. Denn der russische Angriff auf die Ukraine hat wohl endgültig alle Illusionen zunichtegemacht, dass das neutrale Österreich eine ungefährdete friedliche Insel wäre. Neutralität ist kein Schutz – das haben Ukraine und Moldau, die dies sogar einst in ihren Verfassungen verankert hatten, zu spüren bekommen. Der harte Kern unserer Neutralität – keine militärische Teilnahme an Bündnissen, keine fremden Militärstützpunkte – mag zwar bestehen bleiben; aber eine glaubwürdige Aufstockung unserer eigenen Verteidigungsfähigkeit, die enge Kooperation mit EU-Partnern und Synergien in der Zusammenarbeit mit der NATO-Partnership for Peace sind unerlässlich. Und in der Union sollte endlich eine offene Debatte geführt werden, wie wir uns gemeinsam schützen können, sollten die USA in anderen Weltregionen mehr gefordert sein und sich aus Europa zurückziehen. Österreichs Beitrag für den Fall eines Angriffs auf ein EU-Mitglied (Artikel 42/7 des EU-Vertrags) sollte jedenfalls gut vorbereitet werden und innenpolitisch außer Streit stehen. Ein guter und wichtiger erster Schritt ist die Teilnahme Österreichs – und der Schweiz! – an der (Nicht-NATO-)Initiative Sky Shield mit insgesamt 21 teilnehmenden Staaten, um eine sichere Raketenabwehr zu erreichen. Vielleicht eine Vorstufe zu einer regionalen umfassenden Luftraumverteidigung? Die Eurofighter, vor 20 Jahren gekauft, waren ein vorausblickender Vorgriff …
wie kam es zur neutralitäT?
1955 öffnete sich mit dem Staatsvertrag für Österreich ein Mondfenster: Der Rückzug von 36 000 Mann der Roten Armee, 17 000 US-Soldaten und kleineren alliierten Truppenkontingenten blieb ein Schauspiel, das erst 44 Jahre später eine Wiederaufführung erlebte. Mit dem Zusammenbruch der DDR und der deutschen Wiedervereinigung verließen ab 1990 500 000 Rotarmisten und 8000 Kampfpanzer deutsches Territorium.
Für Österreichs Nachbarn hatte das Schicksal einen ganz anderen Verlauf vorgesehen. Die ungarische Neutralitätserklärung vom 1. November 1956 durch die Regierung Imre Nagy blieb eine blutig beendete Episode. Und die mögliche Entscheidung der Regierungen der beiden Deutschlands für Neutralität, die Chruschtschow in Wien 1960 noch einmal aufwärmte, wurde durch die...
| Erscheint lt. Verlag | 22.5.2025 |
|---|---|
| Zusatzinfo | mit zahlreichen farbigen Illustrationen |
| Verlagsort | Wals |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Anekdoten • anekdoten von berühmten personen • aus der Geschichte lernen • berühmte Persönlichkeiten • bessere Zukunft • Bundeskanzler • Erinnerungen • Europa • Geschichte • Konrad Adenauer • Krisen • Optimismus • Österreich • österreichische bundeskanzler • Politik • Politiker • politiker bücher • politik kultur • Politik Österreich • schüssel wolfgang • Viktor Frankl • Volkspartei • Wolfgang Schäuble • Zeitgeschichte • Zukunft • Zukunft Gesellschaft |
| ISBN-10 | 3-7110-5367-X / 371105367X |
| ISBN-13 | 978-3-7110-5367-1 / 9783711053671 |
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