Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Ein Tisch am Fenster (eBook)

Spiegel-Bestseller
Geschichten aus einem besonderen Restaurant
eBook Download: EPUB
2025
336 Seiten
Kiepenheuer & Witsch eBook (Verlag)
978-3-462-31252-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Tisch am Fenster -  Vincent Moissonnier,  Bert Gamerschlag
Systemvoraussetzungen
22,99 inkl. MwSt
(CHF 22,45)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Märchenhafte und doch wahre Geschichten aus einem besonderen Restaurant
Seit bald 40 Jahren stehen sich zur Mittagszeit in einer unscheinbaren Kölner Straße Menschen die Füße platt, lugen durch ein verhangenes Schaufenster und warten darauf, an einen zauberhaften Ort vorgelassen zu werden. Das Le Moissonnier ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnliches Sternerestaurant und zugleich der Schauplatz so unzähliger wie unwahrscheinlicher Geschichten. Seine eigentliche Geschichte beginnt Anfang der 80er-Jahre, als Vincent und Liliane, beide aus Frankreich stammend und Berufseinsteiger im Gastronomiegewerbe, sich in Berlin über den Weg laufen. Im Nu nimmt eine Liebesgeschichte ihren Lauf und führt nach weiteren Lehrjahren und einem Umzug nach Köln zur Gründung eines eigenen Bistros. Wie von einem modernen Märchen erzählt dieses Buch von einer bescheidenen Idee und den Hürden einer Existenzgründung in der Fremde, von den Mühen des Aufstiegs und vom Zauber des Erfolgs. Wir lesen von auffälligen und unauffälligen Gästen, von den abenteuerlichsten Seiten der Arbeit mit Menschen in der Gastronomie und von den Grundlagen der gehobenen Küche. Denn das Buch macht auch vor der Schwingtür zum Allerheiligsten nicht halt: mit einer verblüffenden Offenheit berichtet es von der raffinierten und dabei zutiefst sinnlichen Arbeit einer Sterneküche. Ein Buch, das Genuss und Geschmack erfahrbar macht, das die wunderlichsten Gestalten zum Leben erweckt und einen besonderen Ort zum Strahlen bringt.

Vincent Moissonnier hat zusammen mit seiner Frau Liliane fast 40 Jahre lang das 2-Sterne-Restaurant ›Le Moissonnier‹ in Köln geführt. Seine Stil-Kolumne im Kölner-Stadt-Anzeiger wurde zum Erfolgshit quer durch die Generationen. Bert Gamerschlag, Absolvent der Henri-Nannen-Schule, vorher Studium der Anglistik und Theologie u. a. in Kanada und Schottland. Nach fünf Jahren beim Spiegel ab 2001 beim Stern zuständig für alles, was man essen und trinken kann.

Bienvenue,
herzlich Willkommen


Eine Welle baut sich auf, Unruhe schwappt an unsere Tür. Den ganzen Vormittag über sind die Menschen zügig an den Schaufenstern vorbeigelaufen, ganz normale Fußgänger. Jetzt, da es auf Mittag geht, ändert sich das. Aus Passanten werden Interessenten. Sie verlangsamen den Schritt, bleiben stehen und harren vor dem Fenster. Manche lungern, andere tigern auf und ab, blicken hoch zum Schriftzug »Le Moissonnier«, besprechen sich und schauen auf die Uhr. Einzelne drehen sich zur Scheibe, legen die Hand dagegen und spähen herein.

Und was sehen sie? Sie sehen ein Paar im gedämpften Licht. Sie sehen Liliane und mich. Wir sitzen da an einem kleinen Tisch im Hintergrund – ich mit dem Rücken zur Straße, den Blick abgewandt, den Kopf hinabgeneigt zum Teller; Liliane, sie hat die stärkeren Nerven, sitzt mit dem Blick zum Fenster, aber auch sie schaut nur selten hoch. Nur weil da jetzt schon Leute stehen, springen wir nicht gleich auf und lassen sie herein – und wenn sie das noch so gerne hätten! Mais non, mes chers, geduldet euch! Désolé, aber nach 37 Jahren im Dauereinsatz halten wir Haus mit unserer Energie.

Ich mag die Straße noch nicht sehen – die Unruhe draußen, die anschwellende Welle. Klar macht sie mich glücklich. Immerhin sind Gäste ja mein Beruf, und gleich werde ich ihnen meine Arme öffnen, und das mit Leidenschaft. Aber zugleich spannen sie mich an – wie den Dompteur die Manege einerseits glücklich macht und auch nervös. Die Manege ist sein Leben, aber in ihr zu funktionieren kostet Nerven. Die Raubtiere, da kommen sie, schon pendeln sie mit den Köpfen vor dem Eingang, mit ihren Pranken patschen sie an die Laufgangstäbe und wollen, dass es losgeht mit den Trommeln, dem Tusch, dem Licht, der Musik und dem bunten Mann da in der Mitte mit seiner Peitsche und dem Zylinder.

Liliane und ich sitzen also da und essen. Passend zur Anspannung ist es etwas Leichtes – ein Gemüse, ein wenig Fisch, meist das Personalessen für alle … Nur Nudeln nicht, Nudeln niemals! Alle wollen stets und immer »Pasta«, ich meide das amorphe Zeug.

Scheinbar ungerührt da sitzen heißt aber eben: nur scheinbar. In Wahrheit sind unsere Gedanken längst bei den Gästen. Um sie allein geht es ja. Um sie dreht sich alles. Sie sollen sich bei uns wohl- und perfekt aufgehoben fühlen. Und zum Erreichen von Perfektion ist vieles zu bedenken. In Vorbereitung auf unsere Vorstellung in der Manege murmelt Liliane mir ab und an etwas zu, und ich gebe kurze Antwort, bis … klopf klopf.

Moment mal! Pocht da tatsächlich jemand ans Fenster? Was! Was wollen die Leute?! Können sie nicht warten?! Ich will aufspringen, rausrennen und sie anpfeifen, doch Liliane bremst mich, sie kennt mich und wiegelt ab. »Hast du deine Tabletten genommen?«, fragt sie, blickt zur Uhr überm Eingang und sagt: »Viertel vor zwölf.«

Vor mir hinten rechts in der Wand sehe ich die doppelflügelige Glastür, die Trennung und zugleich die Verbindung zwischen dem Gastraum und der Küche, zwischen der Haupt- und der Hinterbühne. Unzählige Male wird sie sich bald öffnen und schließen, auf- und zuschwingen. Vor ihr im Gastraum herrscht jetzt letzte Ruhe, hinter ihr schlägt schon der Puls der Küche, von dort dringen Gefauche und Geklapper, schnurren Mixer, schnarren Schneebesen und klappern Messer beim Kontakt mit Edelstahl. Kurz vor dem Service tauchen die Köche Stabmixer in enge, hohe Gefäße und schäumen Flüssigkeiten auf – Saucen, Crèmes und Nages. Die Küchenklänge sind mein Leben. Ich höre Stimmen, kurze Lacher, fehlfarbenes Gefrotzel und krude Witze. Offenbar ist die Stimmung an den Herden gelassen. Das ist sie meistens, aber nicht immer. Auch in der Küche bin ich öfter Dompteur, als ich es möchte.

Der Glastür nähert sich ein Schatten, den Rücken voran drückt sie ein Körper auf und wendet sich im Gehen nach vorn in den Gastraum. Es ist Falk, »mein Falk«, wie ich ihn nenne. Ich bilde mir nichts weniger ein, als diesen jungen Mann »gemacht« zu haben, geformt, gebildet und geläutert, wie andere vor ihm. So wie auch ich als junger Kellner von Henry Levy »gemacht« worden bin; aber davon später mehr.

Vor seinen Bauch gepresst schleppt Falk einen Kübel mit Eiswürfeln herein und verstaut ihn in den Tiefen der Theke. Er tut dies wortlos. Alle arbeiten wir kurz vorm Öffnen beinah wortlos. Der Worte werden gleich mehr als genug gewechselt werden. Falk räumt und kramt und schiebt und lässt die Thekentür dann mit einem satten Schlupp-Geräusch zufallen, er richtet sich auf und prüft mit schweifendem Blick noch mal das Arrangement der Thekengeräte.

Die Ansammlung auf dem Bürgersteig, das Huschen des Personals, die Küchengeräusche – all das sind die Anzeichen für ein nahendes Beben – den Mittagsservice. Vor wenigen Minuten noch hat Christine den Gastraum durchgefegt und hier und da nachgewischt. Christine Augustin ist unsere Restaurantleiterin. Chefin mag sie sein – und doch ist sie Sklavin der Notwendigkeiten. So wie Liliane Sklavin ist und so wie auch ich es bin, so wie wir es alle sind. Mit dem Handstaubsauger ist sie auf die Knie gegangen und hat den Fußabtreter vor der Eingangstür von einem Krümel befreit. Jedes Blechtablett hat sie mit Sidolin eingesprüht und trocken poliert. So ist sie, sind wir, so müssen wir sämtlich sein – pingelig. Pingelig in jeder Hinsicht.

Liliane und ich scannen ein letztes Mal den Gastraum. Makellos. Die Tische sind mit auf Kniff gebügelten Tüchern eingedeckt; das habe ich in der Frühe selbst besorgt. Die Bestecke und Servietten in ihren Ringen sind millimetergenau platziert, hinter der Theke blinken die handpolierten Gläser, und es leuchtet das Prunkstück unseres Betriebs: die drei Meter lange Weinzapfanlage mit ihren dreißig Flaschen darin. In den Fenstern zur Straße – als Sichtschutz für die Gäste sind sie brusthoch mit Gaze verhangen – funkelt eine Kompanie Karaffen. Bald werden sie mit Wein gefüllt. Ich liebe das Umgießen von Wein aus dunklen Flaschen in hell blitzendes Glas, das Dekantieren gehört zum Zauber der großen Restaurants.

Was sehe ich noch? Auf einem schmal aufragenden Regal hinter dem zentralen Pfeiler des Raums stehen Flaschen mit Obstbränden und Rum. Das Regal selbst ist dunkel lasiert, mit Einschüben voller gestärkter, gefalteter Stoffservietten und mit Namensschildern aus Messing darunter – 35 sind es genau, sie tragen die Namen von Stammgästen. Für sie ist es wie für uns eine Auszeichnung, dass sie ihre eigenen Servietten haben und behalten. Rechts vom Pfeiler steht eine raumteilende Anrichte, auf deren mittlerer Ebene kleine Teller und Gläser stehen und auf deren oberer die Brotkörbe, ferner weiteres Besteck, eine noch ofenwarme Obst-Tarte aus der Hand unseres Patissiers Olivier Toussaint sowie ein metallener Weinkühler. Für diesen und für noch weitere Kühler ist das Eis gedacht, das Falk gerade hereingeschleppt hat.

Der Gastraum hat 42 Plätze, er ist weich möbliert und an den Wänden und Decken warm ausgemalt – bordeauxrot und cremig golden sind seine Farben, verziert mit Schablonenmalerei aus der Zeit des Art déco. Die Bänke entlang der Seitenwände sind kunstledern bezogen und mit Kokosfasern gepolstert, die Lehnstühle samten ausgeschlagen. Wir möchten, dass unsere Gäste es gemütlich haben, dass sie gern bei uns sitzen, ja, dass sie hier lümmeln und abhängen, angeregt und doch entspannt.

Jetzt könnte ich so etwas schreiben wie: »Und könnte die Schlange da draußen erst riechen, wie es aus der Küche duftet!« Schließlich wallen auf den Herden unserer Küche mehrere 50-Liter-Töpfe mit Fonds von Geflügel und Kalbsknochen darin, und in den Öfen gart das Tagesgericht, mit Fleisch farcierte Gemüsetörtchen: »Petits farcis niçois«. Da schmoren ausgehöhlte und fleischern gefüllte grüne Zucchini, rote Paprika, goldgelbe kleine Kartoffeln, violett-braune Auberginen – auf ihren Füllungen schmilzt geriebener Parmesan, glänzender Bratensaft läuft die Außenseiten herab, wirft kleine Blasen und sammelt sich auf den mit blubberndem Geflügelfond ausgegossenen Backblechböden, dazwischen genestelte Rosmarinzweige verströmen ein mediterranes Aroma.

Aber das schreibe ich nicht, denn bei uns riecht die Küche so wenig nach Essen wie der Gastraum nach Getränken. Dafür sorgt gute Technik. Eine Abluftanlage saugt die Wrasen aus den Öfen und von den Töpfen durch die Decke hoch übers Haus hinaus. Frisch ist die Luft in der Küche und genauso im Gastraum. Gastrogerüche sind kein gutes Zeichen für ein Lokal.

Aber jetzt: Auf fliegt die Schwingtür zur Küche und heraus tritt Eric Menchon, unser Küchenchef und Schutzpatron – ein kahler, stutzbärtiger Mittfünfziger in weißer Kochjacke. Sieht aus wie ein altersloser Yoga-Lehrer – kein Bauch, kein Anzeichen irgendeines Abusus … Fit ist der Mann! Er kommt an den Tisch, wo wir das Essen nun beendet haben, und legt uns einen Zettel hin – es ist eine von mehreren Bestelllisten für den nächsten Tag. Ein paar knappe, sachliche Worte, dann geht Eric zurück. Auf klappt die Schwingtüre und zu. Die Abläufe sind seit mehr als drei Jahrzehnten eingespielt. Gequatsche braucht es nicht.

Nun wird es Zeit, nur wenige Minuten sind es noch. Seit ich es mir beim Anziehen in der Früh um den Hals gelegt habe, baumelt ein Stoffband vor meiner Brust. Ich erhebe mich, drehe mich zur Spiegelwand (beide Längswände unseres Lokals sind nach französischer Bistrot-Fasson komplett ausgespiegelt) und schließe den Kragen, indem ich das bunte...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2025
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Erzählungen aus einem Restaurant • Existenzgründung • Familienbetrieb • Franzose • französische Küche • Gastfreundschaft • Gastronomiebetrieb • Gastronomiegeschichte • Kitchen Impossible • Köln • Kölner-Stadt-Anzeiger • Küchengeheimnisse • Kulinarische Erlebnisse • Le Moissonnier • Moisonnier • Moissonier • Moissonnier • Restaurantgeschichten • Restaurantguide • Spitzen-Restaurant • Sterne-Koch • Sterneküche • Sterne-Restaurant • The Bear • tipps für führungskräfte
ISBN-10 3-462-31252-9 / 3462312529
ISBN-13 978-3-462-31252-2 / 9783462312522
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
E-Book Endkundennutzungsbedinungen des Verlages

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Autobiografie

von Daniel Böcking; Freddy Quinn

eBook Download (2025)
Edition Koch (Verlag)
CHF 9,75