Boris von Heesen (*1969) ist Wirtschaftswissenschaftler mit ersten beruflichen Stationen bei der Diakonie in Bayern und der Drogenhilfe in Frankfurt am Main. Er ist Gründer eines der ersten deutschen Online-Marktforschungsinstitute. Heute arbeitet er als Männerberater und geschäftsführender Vorstand eines Jugendhilfeträgers. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich als Autor und Referent mit dem Thema kritische Männlichkeit und veröffentlichte bereits zwei erfolgreiche Bücher zum Thema.
Einleitung
Dieses Buch erzählt von Männern, die die Straße beherrschen. Mit übermotorisierten Boliden schieben sie sich, gefährlich dicht auffahrend und lichthupend, die linke Spur der Autobahn frei. Fest eingeschlossen in ihre in Metallic lackierten letzten maskulinen Schutzräume und abgeschottet von der Welt, gestikulieren sie wild und aggressiv, beleidigen und nötigen andere Menschen,* die ihnen auf asphaltierten Wegen in die Quere kommen. Risikoorientiert loten sie die Grenzen ihrer Automobile aus, brechen dabei reihenweise Verkehrsregeln und gefährden so andere und auch sich selbst.
Sie denken vielleicht, der Einstieg in dieses Buch sei überspitzt? In dem Fall möchte ich Sie einladen, zumindest dieses Vorwort zu Ende zu lesen und sich erst dann ein Urteil zu bilden. Die Faktenlage zulasten der Männer ist nämlich erdrückend. Beim gefürchteten Kraftfahrtbundesamt in Flensburg laufen die Punktekonten männlicher Autofahrer auf eine groteske Art über. Würden Männer ihre Fahrzeuge so steuern, wie Frauen es zumeist tun, müsste in Deutschland kaum noch ein Mensch seinen Führerschein abgeben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Herren der Schöpfung – angeblich ja die besseren Autofahrer – die Verkehrsunfallstatistik auf traurige Art dominieren. Je dramatischer ein Unfall, je mehr schwerverletzte und getötete Opfer es bei Verkehrsunfällen mit dem Pkw gibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann am Steuer der Hauptverursacher war. Und nein, das liegt nicht daran, dass Männer mehr Kilometer abspulen als Frauen. Das weise ich in diesem Buch nach.
Gefährliche und gefährdete Männer im Straßenverkehr – davon bin ich überzeugt – sind aber nur ein Element in einer Choreografie, die weitaus komplexer und verwobener ist. Auch davon erzählt dieses Buch. Im Zentrum steht dabei eine von Männern dominierte deutsche Automobilindustrie. Wie eine Spinne im Netz, die alle Fäden kontrolliert, verbindet sie geschickt Politik, Behörden und Verbände und setzt so in Vorder- und Hinterzimmern ihre Interessen durch. Zur Erinnerung: Die Konzerne aus Wolfsburg, Stuttgart und München werden immer wieder als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft gepriesen. Nur leider haben es die Manager im Gewinn-, Leistungs- und Größenwahn der letzten Jahrzehnte versäumt – anders als in anderen Ländern übrigens –, den Sektor auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Jetzt rufen sie panisch nach E-Fuels, um den längst überholten Verbrennungsmotor in die Zukunft zu retten. Der wiederum ist das Symbol einer fragilen patriarchalen Männlichkeit, die sich an alten Machtstrukturen und antiquierten Technologien festklammert. Werden die von einer sich verändernden Gesellschaft hinterfragt und kritisiert, fühlt sich diese Männlichkeit bedroht und reagiert angriffslustig und trotzig. Dieses Phänomen wurde schon im Jahr 2018 von der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Cara New Dagget in ihrem Aufsatz über Petromaskulinität beschrieben.1 In diesem rückwärtsgewandten Geist klammert sich der einflussreiche Wirtschaftszweig mit aller Kraft an die Verbrennertechnologie. Anders ist es kaum zu erklären, dass heute noch auf den Produktwebsites deutscher Automobilhersteller der Sound von röhrenden, Benzin verbrennenden Motoren abgespielt werden kann. Die männliche Zielgruppe soll unbedingt vorab digital erfahren, welchen provozierenden Krach sie mit den übermotorisierten Autos bald auf die Straße bringen kann. An dieser Stelle kann ich schon einmal spoilern: Sie werden in diesem Buch von anachronistischen Winkelzügen, brandgefährlichen Kinder-Motorradrennen und verschworenen Männerbünden lesen.
Und damit bin ich bei meinem Kernthema: Überall im Bereich Verkehr – von Politik bis Wirtschaft, von Verband bis Lobbyorganisation – sitzen Männer am Steuer. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. So wurde die Verkehrspolitik der Nachkriegszeit noch nicht ein einziges Mal von einer Frau als Ministerin gestaltet. Der Frauenanteil unter den Ingenieur:innen in den Vorstandsetagen der deutschen Automobilkonzerne ist kaum wahrnehmbar. Und auch in allen anderen Organisationen und Behörden gleicht die Suche nach weiblichen Führungspersonen dem Spähen nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen.
Männer am Steuer in Verkehrspolitik, Autoindustrie, Behörden und Verbänden dominieren die Gestaltung der Mobilität in diesem Land. Und was kommt zwangsläufig dabei heraus, wenn eine sehr homogene Gruppe – in der Regel ältere weiße Männer, zu denen ich im Übrigen auch gehöre – für alle anderen mitentscheidet? Eine einseitige, androzentristische,** auf die Lohnarbeit ausgerichtete und autofixierte Verkehrspolitik. Alternative Verkehrsmittel ebenso wie die Menschen, die auf sie angewiesen sind, werden dabei systematisch übersehen und marginalisiert. Anders ist kaum zu erklären, dass in Deutschland als einzigem Industrieland weltweit noch kein generelles Tempolimit eingeführt wurde.*** Die von drei CSU-Verkehrsministern zwischen 2009 und 2021 kaputtgesparte Bahn als notwendige Achse einer erfolgreichen Verkehrswende ist ein weiteres Beispiel für eine männlich dominierte und autogläubige Politik.2 Auch der im Februar 2025 noch amtierende Minister Wissing hat der Bahn kaum die Priorität eingeräumt, die nötig wäre, um ihren dramatischen Bedeutungsverlust zu kompensieren. Stattdessen forderten die Männer in seiner (ehemaligen) neoliberalen Partei noch im Spätsommer 2024 die Abkehr von einer »Anti-Auto-Politik«. Realitätsvergessen und fast kabarettistisch, forderte die FDP ein deutschlandweites Flatrate-Parken nach dem Vorbild des Deutschlandtickets sowie einen Rückbau von Fahrradstraßen und Fußgängerzonen.3 Dabei ist mittlerweile durch vielfältige Studien verlässlich belegt, dass der innerstädtische Einzelhandelsumsatz steigt, wenn die Menschen seltener mit dem Auto und dafür häufiger zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen.4 Ganz zu schweigen von allen anderen Verbesserungen, die eine städtische Umgestaltung weg von der Autozentrierung mit sich bringen würde.
Es ist offensichtlich, dass die Männerdominanz auf den unterschiedlichen Ebenen des Mobilitätssektors ursächlich für eine blockierte Verkehrswende ist. Umso seltsamer mutet es an, dass dieses Phänomen bislang nur sehr sparsam in den öffentlichen Diskurs einfließt. Den Medien sind die vielen »Männer am Steuer« kaum eine Erwähnung wert. Innovative Thinktanks machen weitgehend einen Bogen um die maskuline Quelle einer blockierten Verkehrswende. Selbst Umwelt- und Verkehrsverbände thematisieren die Geschlechterschieflage viel zu selten. Zwar gibt es starke und kreative Stimmen, die seit Jahren eine feministische, geschlechtergerechte Verkehrspolitik fordern. Ihre Forderungen bleiben aber regelmäßig im von Männern gestalteten autozentrierten Dickicht hängen.
Das darf nicht sein. Aus diesem Grund engagiere ich mich als gleichstellungspolitisch denkender Mann u. a. mit diesem Buch dafür, dass endlich die Weichen gestellt werden für eine echte und nachhaltige Mobilitätswende in Deutschland.
Deshalb habe ich als Wirtschaftswissenschaftler für dieses Buch wieder mein politisch-ökonomisches Analysebesteck ausgepackt, das ich brauche, um die ungerechten Strukturen hinter unserem Verkehrssystem präzise offenzulegen. In Teil I zeige ich, wie deutlich die Verkehrspolitik auf Bundes- und Länderebene, aber auch in Kommunen und Landkreisen von Männern dominiert wird. Zahlreiche Verbände, allen voran der ADAC mit mittlerweile mehr Mitgliedern als die katholische Kirche, schaffen es immer noch, Frauen aus den Führungsgremien auszuschließen. Die Vorstandsetagen der deutschen Autoindustrie präsentieren sich als ein eingeschworener anachronistischer Boys-Club, der eine einseitige Produktpolitik betreibt, in der es vor ungesunden männlichen Stereotypen wie Leistung, Tempo, Größe und Status nur so strotzt. Die Betrachtung dieses patriarchalen Unterbaus liefert ein robustes Fundament für meine folgenden Analysen.
In Teil II trage ich Schritt für Schritt zusammen, wie deutlich Männer die für den Untersuchungsgegenstand relevanten Statistiken beherrschen. Die meisten Menschen können sicher erahnen, wie viel häufiger besonders leistungsstarke Fahrzeuge auf Männer zugelassen sind. Die extreme Faktenlage hat bei meinen Recherchen dann aber sogar mich überrascht. Und wer mit überholtem männlichem Habitus PS-starke Fahrzeuge durch die Gegend chauffiert, der erfährt sich automatisch irgendwann einen Platz in den Statistiken der Verkehrsunfälle und Verkehrsverstöße. Die Folgen sind dramatisch. Jedes Jahr sterben nahezu 3 000 Menschen im Straßenverkehr und über 50 000 erleiden schwere Verletzungen. Hinter jeder einzelnen dieser kalten Ziffern verbergen sich die Schicksale der Betroffenen und Angehörigen. Damit die nicht in Vergessenheit geraten, habe ich die Kosten des patriarchalen Fahrens errechnet. Als Trick, um in unserem kapitalistischen System mit harten Euros Aufmerksamkeit für eine Geschlechterschieflage zu erzeugen, unter der alle Menschen leiden.
Männer in Politik, Wirtschaft und Verwaltung des Verkehrssektors wirken nicht nur auf Zulassungszahlen und...
| Erscheint lt. Verlag | 12.3.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Audi • BMW • CO2 • eBooks • Feinstaub • Formel 1 • Gender-Stereotype • Geschlechterrollen • Geschlechterstereotype • Geschwindigkeitsbegrenzung • Ingenieur • Klimaschutz • Lobbyismus • Macho • Maskulinität • Mercedes • Patriarchat • Soziologie • Stau • Stereotyp • Steuern • SUV • Umweltschutz • Verkehr • Verkehrskollaps • Verkehrspolitik • Verkehrswende • was männer kosten • Wirtschaft |
| ISBN-13 | 9783641323370 / 9783641323370 |
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